Medizinrecht

Bedeutung von Testungen auf SARS-CoV-2 für die Anordnung von Quarantänemaßnahmen

Aktenzeichen  RO 14 S 20.2260

Datum:
18.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24056
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1
Allgemeinverfügung „Isolation“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18.8.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 464)
VwGO § 80 Abs. 5, § 123

 

Leitsatz

1. Für einen Eilrechtsschutzantrag gegen eine Quarantänemaßnahme fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Quarantäne bereits beendet ist.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mehrere negative Testungen auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 schließen nicht aus, dass aufgrund einer in demselben Zeitraum vorgenommenen positiven Testung eine Quarantänemaßnahme angeordnet wird. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist voraussichtlich nicht zu beanstanden, dass die Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Quarantänemaßnahme für Kontaktpersonen keine Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Quarantäne wegen eines negativen Testergebnisses vorsieht.  (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens haben die Antragsteller zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine sich aus einer Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (im Folgenden: StMGP) ergebenden Pflicht zur Isolation.
Der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) sind die Eltern der minderjährigen Antragstellerinnen zu 3) und zu 4). Bis zum 4.9.2020 befand sich die Familie im Urlaub in Bulgarien. Nach dem Rückflug haben sich die Antragsteller am Flughafen in Leipzig einem freiwilligen Test auf den Coronavirus SARS-CoV-2 unterzogen. Die Endbefunde konnten von den Antragstellern am 5.9.2020 elektronisch abgerufen werden. Für alle Antragsteller ergab sich ein negatives Testergebnis.
Am Montag, den 7.9.2020, entschlossen die Antragsteller, sich nochmals in der Teststation in W* … freiwillig testen zu lassen. Die Testung erfolgte durch Mitarbeiter der vom Landratsamt N* … mit der Testung betrauten Firma E* … Nach Angaben der Antragsteller hätten die Mitarbeiter nach Beendigung der Testung mitgeteilt, dass das Testergebnis innerhalb von 12 bis maximal 36 Stunden elektronisch übermittelt werde.
Am 9.9.2020 wurde die Antragstellerin zu 1) durch das Landratsamt N* … – Gesundheitsamt für den Landkreis N* … und die Stadt W* … – (im Folgenden: Gesundheitsamt) telefonisch darüber informiert, dass bei ihr ein Infektionsnachweis von SARS-CoV-2 vorliege. Mit Schreiben vom 9.9.2020, adressiert an die Antragstellerin zu 1), bestätigte das Gesundheitsamt, dass sich die Antragstellerin zu 1) als COVIDinfizierte Person in häusliche Quarantäne begeben müsse. Grundlage sei die Bekanntmachung des StMGP vom 18.8.2020. Aus dieser würden sich auch die einzelnen Verpflichtungen der Antragstellerin zu 1) ergeben. Die Quarantäne bestehe bei gleicher Rechtsgrundlage auch für die Antragsteller zu 2) bis 4). Die Bekanntmachung vom 18.8.2020 war dem Schreiben beigefügt.
Bei der genannten Bekanntmachung handelt es sich um die vom StMGP erlassene Allgemeinverfügung „Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen“ vom 8.8.2020, Az. GZ6a-G80000-2020/572 (BayMBl. 2020 Nr. 464; im Folgenden: Allgemeinverfügung Isolation).
In der Folge korrespondierten die Antragsteller mehrfach mit dem Gesundheitsamt. Sie zweifelten dabei das Ergebnis der Testung in W* … bezüglich der Antragstellerin zu 1) an. Im Vorfeld der Testung habe man über das Internet eine Registrierungsprozedur durchlaufen müssen, bei der Name, Vorname, Geburtsdatum, Anschrift, Telefonnummer und E-Mail einzutragen gewesen seien. Im Anschluss sei pro Person ein QR-Code per E-Mail übermittelt worden. Vor der Testung am 7.9.2020 sei für jeden Testteilnehmer eine Erinnerungsmail an die hinterlegte Adresse versendet worden, in der an die Testung erinnert worden sei. Beim Test sei der QR-Code durch einen Mitarbeiter von E* … mittels Tablet ausgelesen worden. Die erfassten Personendaten seien angezeigt und durch die Antragsteller überprüft worden. Im Ergebnis seien alle Daten korrekt erfasst worden. Die Mitarbeiter hätten das Ausweisdokument überprüft und hätten die Proben mittels Zungenabstrich durch Probestäbchen entnommen. Die Testung sei bei weitem nicht so präzise durchgeführt worden wie beim ersten Test in Leipzig. Der Abstrich sei nur oberflächlich auf der Zunge genommen worden. Den Antragstellern sei mitgeteilt worden, dass nach Beendigung der Testung innerhalb von 12 bis maximal 36 Stunden die Ergebnisse elektronisch übermittelt würden.
Die Antragsteller wiesen das Gesundheitsamt im Rahmen der geführten Korrespondenz auf Unregelmäßigkeiten bei der Testung hin. Es würden keine Befunde des Labors vorliegen, die nach Abschluss der Laborauswertung per Mail hätten übertragen werden können. Bei der Antragstellerin zu 1) würden auch keinerlei Symptome einer Infektion vorliegen. Die Antragsteller hätten am 10.9.2020 auch Kontakt zum Labor aufgenommen. Seitens des Labors sei mitgeteilt worden, dass die unter den Namen der Antragsteller entnommenen Proben im Labor im Status „in Bearbeitung“ stünden. Befunde seien zu allen vier Proben nicht gefunden worden. Wer eine Korrespondenz von den Labormitarbeitern mit dem Gesundheitsamt geführt habe, sei nicht bekannt. Eine Labormitarbeiterin habe von einem „derzeitigem Chaos im Ablauf“ gesprochen, der in den kommenden Tagen behoben werden solle. Vieles erfolge handschriftlich und werde erst noch elektronisch weitergegeben. Die Befunde würden nach Abschluss der Untersuchung sofort elektronisch versendet. Positive Ergebnisse würden elektronisch und nicht per Fax an das zuständige Gesundheitsamt versendet und nicht an den Betroffenen. Sobald die Auswertung erfolgt sei, würden die Befunde an die Antragsteller übermittelt.
Eine Übermittlung der Befunde sei dann auch am 10.9.2020 per E-Mail erfolgt. Es seien drei Befundberichte für die Antragsteller zu 2) bis 4) übermittelt worden, wobei auffalle, dass das Geburtsdatum der Antragsteller zu 3) und zu 4) jeweils mit dem 26.6.1995 identisch und nachweislich falsch angegeben sei. Als Datum der Probenahme sei der 7.8.2020 angegeben, obwohl die Proben tatsächlich am 7.9.2020 genommen worden seien. Die verantwortlichen Laborärzte für die Befundausstellung seien nicht benannt worden. Ein Befundbericht für die Antragstellerin zu 1) sei nicht vorgelegt worden. Erst am 11.9.2020 sei ein Textbaustein an die E-Mail-Adresse der Antragsteller seitens der Firma E* … übermittelt worden, in dem von einem positiven Ergebnis berichtet werde. Wem dieser Befund zuzurechnen gewesen sei, habe nicht ermittelt werden können, weil die E-Mail den Namen der betroffenen Person nicht genannt habe.
In der Folge schalteten die Antragsteller ihren Prozessbevollmächtigten ein, der sich zunächst an das Gesundheitsamt wandte und um Aufhebung der Quarantäne bat, weil die Arbeit des eingeschalteten Labors fehlerhaft gewesen sei. Außerdem habe sich die Antragstellerin zu 1) am 10.9.2020 erneut einem Test auf SARS-CoV-2 unterzogen. Dieser sei am 12.9.2020 negativ ausgefallen.
Da die Korrespondenz mit dem Gesundheitsamt aus Sicht der Antragsteller keinen Erfolg zeigte, ließen sie am 16.9.2020 Klage erheben, die unter dem Aktenzeichen RO 14 K 20.2261 geführt wird. Zugleich stellten sie einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung wird erneut vorgetragen, dass das beauftragte Labor schlecht gearbeitet habe. Im Wesentlichen wiederholen sie ihr Vorbringen gegenüber dem Gesundheitsamt. Zum Nachweis, dass das Labor schlecht gearbeitet habe legten sie zwei Befunde für die Antragstellerin zu 3) des Labors vom 10.9.2020 und vom 11.9.2020 vor, sowie zwei Befunde für die Klägerin zu 4), die ebenfalls vom 10.9.2020 und 11.9.2020 datieren. In den Berichten vom 10.9.2020 ist dabei als Geburtsdatum der Antragsteller zu 3) und 4) jeweils der 26.6.1995 angegeben. Als Abnahmedatum ist jeweils der 7.8.2020 angegeben. In den Berichten vom 11.9.2020 sind sowohl die Geburtsdaten als auch das Abnahmedatum (7.9.2020) korrekt angegeben. Ferner ließen sie einen Befund für den Antragsteller zu 2) vom 11.9.2020 vorlegen. Alle Befunde weisen als Testergebnis „negativ“ auf. Darüber hinaus legten sie eine E-Mail der Firma E* … vom 11.9.2020 vor, die mit folgendem Satz beginnt: „Sie (3105595010) wurden in unserer E* …COVID19 Teststation im Freistaat Bayern positiv auf das neuartige Coronavirus (SARS-CoV2) getestet.“
Das Aussetzungsinteresse der Antragsteller überwiege das Vollzugsinteresse. Die Anordnung der Quarantäne sei rechtswidrig, da das Testergebnis bezüglich der Antragstellerin zu 1) offensichtlich falsch sei. Dies würden die Testergebnisse der Tests vom 4.9.2020 und vom 10.9.2020 zeigen. Zu bedenken sei auch, dass die Quarantäne ganz erheblich in die Grundrechte der Antragsteller eingreife. Insbesondere seien die Grundrechte der Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 6, 8, 11 Abs. 1 sowie 13 Abs. 1 GG betroffen. Die Antragstellerin zu 1) müsse sich von ihrer Familie separieren, weshalb Art. 6 GG tangiert sei. Außerdem könnten sowohl die Antragstellerin zu 1) als auch der Antragsteller zu 2) ihrer beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen, sodass Art. 12 GG eingeschränkt werde. Die Antragstellerinnen zu 3) und zu 4) würden daran gehindert, die Schule zu besuchen. Auch wenn eine Vielzahl von Grundrechten nicht schrankenlos gewährt würden, müssten die einzelnen getroffenen Maßnahmen immer verhältnismäßig sein. Dies sei vorliegend aufgrund der offensichtlichen Laborfehler nicht der Fall.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die die Antragsteller betreffenden Quarantäneanordnungen in der Allgemeinverfügung Isolation des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (Nrn. 2.1.1 sowie 2.1.3) anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei bereits unzulässig. Die Antragstellerin zu 1) sei nach Angaben des zuständigen Gesundheitsamtes am 17.9.2020 aus der Quarantäne entlassen worden. Dies sei im Hinblick auf die Regelung in Nr. 6.3 der Allgemeinverfügung Isolation auch vorhersehbar gewesen. Insoweit fehle das Rechtsschutzbedürfnis.
Im Hinblick auf die übrigen Antragsteller sei der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unstatthaft. Die Antragsteller würden sich nicht gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung Isolation als solcher wenden, sondern sie würden das Vorliegen der Voraussetzungen bestreiten. Das Begehren hätte somit auf die (vorläufige) Feststellung gerichtet sein müssen, dass sie vom Anwendungsbereich der Allgemeinverfügung Isolation nicht erfasst seien. Mithin sei ein Antrag nach § 123 VwGO statthaft und nicht ein solcher nach § 80 Abs. 5 VwGO. Hier sei jedoch ausdrücklich ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO durch die anwaltlich vertretenen Antragsteller gestellt worden.
Im Hinblick auf die Antragsteller zu 2) bis 4) sei der Antrag aber auch unbegründet. Sie seien Kontaktpersonen der Kategorie I in Bezug auf die Antragstellerin zu 1) und unterfielen daher den Regelungen der Allgemeinverfügung Isolation. Das Vorliegen zweier negativer Testergebnisse für die Antragstellerin zu 1) vermöge ihre positive Testung vom 7.9.2020 nicht zu entkräften. Die positive Testung sei durch das zuständige Labor nicht falsifiziert worden. Auch würden die negativen Tests vom 4.9.2020 und vom 10.9.2020 nicht im Wege eines Automatismus dazu führen, dass die Aussagekraft des positiven Tests entfalle. Angesichts des nachweislich positiven Tests der Antragstellerin zu 1) komme es auf die antragstellerseitigen Bedenken bezüglich der Tests der weiteren Antragsteller nicht an. Der Laborbefund bezüglich der Antragstellerin zu 1) werde dadurch nicht falsifiziert. Es seien keine strukturellen Mängel bezüglich der Arbeit des Labors erkennbar, die automatisch Bedenken bezüglich des Tests der Antragstellerin zu 1) erwecken könnten. Im Übrigen verweist der Antragsgegner auf eine Stellungnahme des Leiters des Gesundheitsamtes vom 17.9.2020, auf die Bezug genommen wird.
Die Allgemeinverfügung Isolation sei auch rechtmäßig und verletze die Antragsteller nicht in ihren Rechten. Die darin enthaltenen Regelungen zur Isolation sowie die konkrete Ausgestaltung bzw. Dauer der Isolation seien unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erlassen worden. Das Gesamtkonzept der angegriffenen Allgemeinverfügung sei darauf gerichtet, unter bestmöglicher Beachtung gegebenenfalls kollidierende Grundrechte einen möglichst hohen Schutzstandard der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, um eine unkontrollierte Verbreitung des Coronavirus mit der damit einhergehenden Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern. Die Allgemeinverfügung Isolation verstoße auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG und sei somit nicht zu beanstanden. Im Übrigen wird auf die ausführliche Antragserwiderung des Antragsgegners vom 17.9.2020 verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im Hauptsachewie auch im Eilverfahren sowie auf die per Fax übermittelten Akten des Gesundheitsamts Bezug genommen.
II.
Der Eilrechtsschutzantrag ist im Hinblick auf die Antragstellerin zu 1) unzulässig und im Hinblick auf die Antragsteller zu 2) bis 4) jedenfalls unbegründet.
Die Antragstellerin zu 1) wurde bereits am 17.9.2020 aus der Quarantäne entlassen, was der Regelung in Nr. 6.3 der Allgemeinverfügung Isolation entspricht. Für einen Eilrechtsschutzantrag ist somit kein Raum mehr. Ihm fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Die Antragsteller gehen in ihrer Antragsschrift davon aus, dass im Schreiben des Gesundheitsamtes vom 9.9.2020 die Anordnung der Quarantäne liege, die auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) gestützt sei. Aus dem Schreiben des Gesundheitsamtes ergibt sich jedoch, dass Grundlage für die Quarantäne die Allgemeinverfügung Isolation ist, aus der sich dann auch die einzelnen Verpflichtungen in der Isolation ergeben. Dementsprechend hat das Gericht die Antrags- und Klageschrift dem StMGP zugestellt und nicht dem Landratsamt N* … Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft ist oder ein solcher nach § 123 VwGO. Für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO spricht, dass gegen die Allgemeinverfügung in der Hauptsache grundsätzlich eine Anfechtungsklage statthaft ist. In derartigen Fällen ist vorläufige Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu suchen. Ein solcher Antrag ist damit jedenfalls dann statthaft, wenn die Allgemeinverfügung Isolation an sich angegriffen wird, weil etwa einzelne darin enthaltene Anordnungen für unverhältnismäßig angesehen werden.
Für einen Antrag nach § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt der vorläufigen Feststellung, dass im Fall der Antragsteller zu 2) bis 4) die Voraussetzungen der Allgemeinverfügung nicht gegeben sind, weil sie keinen Kontakt zu einer infizierten Person hatten und somit keine Kontaktpersonen der Kategorie I sind, spricht, dass der Eilrechtsschutzantrag im Wesentlichen auf die Fehlerhaftigkeit des Tests vom 7.9.2020 bezüglich der Antragstellerin zu 1) gestützt wird. Sie sei nicht infiziert, weshalb auch die Antragsteller zu 2) bis 4) keine isolationspflichtigen Kontaktpersonen seien.
Andererseits ist jedoch zu bedenken, dass die Antragsteller auch geltend machen, dass die Quarantäneanordnung in Grundrechte eingreife und unverhältnismäßig sei. Dementsprechend muss im Eilrechtsschutzverfahren jedenfalls auch die Allgemeinverfügung an sich auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden.
Im vorliegenden Fall kann letztendlich offen bleiben, ob Eilrechtschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO oder nach § 123 VwGO zu suchen ist; denn der Antrag ist in beiden Fällen nur dann begründet, wenn sich bei der im Eilrechtsschutzverfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die Voraussetzungen der Allgemeinverfügung Isolation im Falle der Antragsteller zu 2) bis 4) nicht gegeben sind und sie somit der Isolationsverpflichtung nicht unterfallen, und/oder sich herausstellen sollte, dass die Allgemeinverfügung Isolation selbst rechtswidrig ist.
Die Allgemeinverfügung Isolation stützt sich auf die §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 29 Abs. 1 und 2 und 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG, weshalb diese nach den §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG sofort vollziehbar ist. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wäre damit statthaft; denn nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn die aufschiebende Wirkung der Klage kraft Gesetzes entfällt. Darüber hinaus wären auch die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO gegeben; denn es werden sowohl ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) als auch ein Anordnungsanspruch (Anspruch auf Feststellung, dass keine Verpflichtung zur Isolation besteht) geltend gemacht.
Der Eilrechtsschutzantrag ist im Hinblick auf die Antragsteller zu 2) bis 4) jedenfalls unbegründet. Im Rahmen der Entscheidung über den Eilrechtsschutzantrag hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen, im Rahmen derer die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine maßgebliche Rolle spielen. Lassen sich diese bei der im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens erforderlichen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht hinreichend abschätzen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen, im Rahmen derer das Interesse der Antragsteller, von der Isolation verschont zu bleiben, mit dem Interesse der Allgemeinheit, einer möglichen Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus ausgesetzt zu sein, abzuwägen ist.
1. Hier ist nach summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage davon auszugehen, dass die Antragsteller zu 2) bis 4) voraussichtlich zu Recht der Isolation nach Nr. 2.1.3 i.V.m. Nr. 1.1 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung unterworfen sind. Danach müssen sich Kontaktpersonen der Kategorie I unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamtes, dass sie aufgrund eines engen Kontakt zu einem bestätigten Fall von COVID-19 nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert Koch-Instituts Kontaktpersonen der Kategorie I sind, bis zum Ablauf des 14. Tags nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall in Isolation begeben, sofern keine anderweitige Anordnung des Gesundheitsamtes erfolgt.
a) Die Antragstellerin zu 1) wurde am 7.9.2020 positiv auf SARS-CoV-2 getestet, sodass die Familienangehörigen, mit denen die Antragstellerin zu 1) zusammenlebt als Kontaktpersonen der Kategorie I anzusehen sind.
aa) Das Ergebnis des Tests der Antragstellerin zu 1) ist nach summarischer Prüfung nicht anzuzweifeln. Insoweit hat der Antragsgegner zu Recht darauf hingewiesen, dass mögliche Unstimmigkeiten bei den Testergebnissen der Antragstellerinnen zu 3) und 4) keine Indizwirkung haben können für das Testergebnis der Antragstellerin zu 1). Im Übrigen sind die Fehler in den Befundergebnissen bezüglich der Antragstellerinnen zu 3) und 4) in den Befunden vom 10.9.2020 (falsches Geburtsdatum und falsches Datum der Testung) in den aktuelleren Befundberichten vom 11.9.2020 nicht mehr vorhanden.
Darüber hinaus befindet sich im Akt des Gesundheitsamtes ein handschriftlich ausgefülltes Labor-Meldeformular, dass dem Gesundheitsamt am 9.9.2020 per Fax übermittelt worden ist. Bei diesem Formular handelt es sich um einen regulären Labor-Nachweis von Krankheitserregern gemäß den §§ 7, 8 und 9 IfSG. Nach den Ausführungen des Leiters des Gesundheitsamtes in seiner Stellungnahme vom 17.9.2020 erhält das Gesundheitsamt Meldungen nach § 7 IfSG von einer Vielzahl von Laboren in vergleichbarer Form. Seitens des Gesundheitsamtes wurde in der Folge und wohl aufgrund der Korrespondenz mit den Antragstellern Kontakt mit dem Labor aufgenommen. Dabei wurden die Personalien der Antragstellerin zu 1) und auch die Testung verifiziert, was sich aus der Behördenakte ergibt.
Bedenken hinsichtlich des Testergebnisses bei der Probenahme vom 7.9.2020 bestehen auch nicht deshalb, weil die Ergebnisse von Tests drei Tage vor sowie drei Tage nach der Testung vom 7.9.2020 negativ ausfielen. Dazu führt der Leiter des Gesundheitsamtes aus, ein negatives PCR-Ergebnis schließe die Möglichkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2 nicht aus. Falschnegative Ergebnisse könnten beispielsweise aufgrund schlechter Qualität der Probenahme, unsachgemäßem Transport oder ungünstigem Zeitpunkt (bezogen auf den Krankheitsverlauf) der Probeentnahme nicht ausgeschlossen werden. Das am besten geeignete Untersuchungsmaterial sei vom Zeitpunkt der Entnahme im Verlauf der Erkrankung abhängig. Bei tiefen Atemwegsinfektionen sei die alleinige Testung von Probenmaterial aus dem Oro- und Nasopharynx zum Ausschluss eine Infektion nicht geeignet, da in dieser Phase der Erkrankung gegebenenfalls nur Material aus dem unteren Respirationstrakt oder Stuhl in der PCR positiv seien.
Zu falsch positiven PCR-Befunden äußere sich das Robert Koch-Institut wie folgt:
„Es wird häufiger angeführt, dass durch vermehrte und gezielte Testungen der Anteil falsch positiver Befunde zunimmt. Generell wird die Richtigkeit des Ergebnisses von diagnostischen Tests neben deren Qualitätsmerkmalen und der Qualität von Probennahmen, Transport, Durchführung und Befundung auch von der Verbreitung einer Erkrankung/eines Erregers in der Bevölkerung beeinflusst. Je seltener eine Erkrankung ist und je ungezählter getestet wird, umso höher sind die Anforderungen an die Sensitivität (= die Empfindlichkeit) und die Spezifität (die Zielgenauigkeit des Tests, also wie wahrscheinlich es ist, dass nur der gesuchte Erreger sicher erkannt wird) der zur Anwendung kommenden Tests. Ein falsch-positives Testergebnis bedeutet, dass eine Person ein positives Testergebnis bekommt, obwohl keine Infektion mit SARS-CoV-2 vorliegt. Aufgrund des Funktionsprinzips von PCR-Tests und hohen Qualitätsanforderungen liegt die analytische Spezifität bei korrekter Durchführung und Bewertung bei nahezu 100%. Im Rahmen von qualitätssichernden Maßnahmen nehmen diagnostische Labore an Ringversuchen teil. Die bisher erhobenen Ergebnisse spiegeln die sehr gute Testdurchführung in deutschen Laboren wieder. Die Herausgabe eines klinischen Befundes unterliegt einer fachkundigen Validierung und schließt im klinischen Setting Anamnese und Differenzialdiagnosen ein. In der Regel werden nicht plausible Befunde in der Praxis durch Testwiederholung oder durch zusätzliche Testverfahren bestätigt bzw. verworfen (siehe auch:www.rki.de/covid-19-diagnostik). Bei korrekter Durchführung der Teste und fachkundiger Beurteilung der Ergebnisse geht das RKI demnach von einer sehr geringen Zahl falsch positiver Befunde aus, die die Einschätzung der Lage nicht verfälscht (RKI: FAQs zu COVID-19; Diagnostik; Stand: 17.9.2020)“.
Der Leiter des Gesundheitsamtes führt sodann in seiner Stellungnahme weiter aus, negative Testergebnisse stünden also nicht im Widerspruch zu einem an einem anderen Zeitpunkt erhobenen positiven Testergebnis und seien auch keinesfalls geeignet, die Unrichtigkeit eines positiven Testergebnisses zu beweisen. Dies liege daran, dass die in den Atemwegen vorhandene Virusmenge während des Krankheitsverlaufs schwanke und auch die Probenahmebedingungen von Abstrich zu Abstrich unterschiedlich seien. Ein positives Testergebnis sei auf alle Fälle als Indiz dafür zu sehen, dass bei der betreffenden Person zu diesem Zeitpunkt genetisches Material von COVID-19 vorhanden gewesen sei, welches mit dem erfolgten Abstrich und der Laboruntersuchung nachgewiesen worden sei. Dies gelte umso mehr, wenn eine Probenahme erfolgt sei, die eher als „oberflächlich“ beschrieben werde.
Nach alledem und weil das Gericht keinen Anlass hat, an den fachkundigen Ausführungen des Leiters des Gesundheitsamtes und den von ihm in Bezug genommenen Ausführungen des Robert Koch-Instituts zu zweifeln, besteht für das Gericht kein Anlass das Testergebnis für der Antragstellerin zu 1) im Hinblick auf die Probenahme vom 7.9.2020 als fehlerhaft anzusehen. Es ist daher davon auszugehen, dass für die Antragstellerin zu 1) ein positives Testergebnis vorliegt.
bb) Die Antragsteller zu 2) bis 4) sind auch Kontaktpersonen der Kategorie I nach Nr. 1.1 der Allgemeinverfügung Isolation. Sie hatten engen Kontakt zur Antragstellerin zu 1) – also einem bestätigten Fall von COVID-19 – nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert Koch-Instituts. Die aktuellen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts, das bei der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten und der Verhinderung der Verbreitung von Infektionen eine besondere Sachkunde aufweist (§ 4 IfSG), definiert in seiner Empfehlung „Kontaktpersonennachverfolgung bei respiratorischen Erkrankungen durch das Coronavirus SARS-CoV-2, Stand: 9.9.2020“ die Kontaktpersonen der Kategorie I (Personen mit engem Kontakt, „höheres“ Infektionsrisiko). Danach gehören auch Personen mit kumulativ mindestens 15-minütigem Gesichts- („face-to-face“) Kontakt, z.B. im Rahmen eines Gesprächs, zu den Kontaktpersonen der Kategorie I. Das Robert Koch-Institut benennt als dazugehörig z.B. Personen aus Lebensgemeinschaften im selben Haushalt (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html#doc13516162bodyText3).
Nach alledem bestehen keine Zweifel daran, dass der Ehemann und die Kinder der Antragstellerin zu 1) – also die Antragsteller zu 2) bis 4) – derartige Kontaktpersonen der Kategorie I sind.
b) Die Antragsteller haben sich nach Nr. 2.1.1 der Allgemeinverfügung Isolation als Kontaktpersonen der Kategorie I bis zum Ablauf des 14. Tages nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19 Fall in Isolation zu begeben. Vorliegend geht das Gesundheitsamt zu Recht davon aus, dass dieser letzte Kontakt am 9.9.2020 stattgefunden hat. An diesem Tag wurde die Quarantäneverpflichtung gegenüber den Antragstellern ausgesprochen und ab diesem Zeitpunkt war die Antragstellerin zu 1) nach Nr. 2.4 der Allgemeinverfügung Isolation verpflichtet, eine räumliche oder zeitliche Trennung von anderen im Hausstand lebenden Personen – also den Antragstellern zu 2) bis 4) – sicherzustellen. Dementsprechend endet die Isolation für die Kontaktpersonen am 23.9.2020.
Die Allgemeinverfügung des StMGP vom 18.8.2020 sieht für Kontaktpersonen der Kategorie I keine Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Quarantäne wegen eines negativen Testergebnisses vor, weshalb sich die Antragsteller zu 2) bis 4) bis zu diesem Zeitpunkt in Quarantäne aufhalten müssen.
c) Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung ist hier auch anwendbar. Sie findet bei summarischer Prüfung in § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG eine ausreichende Rechtsgrundlage und ist mit höherrangigem Recht vereinbar.
Es bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Infektion mit SARS-CoV-2, die zur Lungenkrankheit Covid-19 führen kann, um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt, sodass der Anwendungsbereich des 5. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes, der sich mit der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten befasst, eröffnet ist.
Die Antragsteller zu 2) bis 4) sind Ansteckungsverdächtige im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG und gehören damit zum Kreis der von §§ 28 Abs. 1 S. 1 IfSG erfassten Personen.
Nach § 28 Abs. 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten (Satz 1).
Es handelt sich bei der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 1. HS IfSG um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet. Nur hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen – dem „wie“ des Eingreifens – ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt. Die Behörde muss ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermessensermächtigung im Interesse des effektiven Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausüben. Am Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen aus Sicht des Gerichts keine Zweifel.
Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der verfügten Maßnahmen ist der im allgemeinen Polizei- und Sicherheitsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.
Da nach wie vor weder ein Impfstoff noch eine wirksame Therapie gegen eine COVID-19-Erkrankung vorhanden sind, besteht insbesondere bei älteren Menschen und bei Menschen mit Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufs der Erkrankung mit erheblichen Folgen für Leben und Gesundheit der Bevölkerung und einer Überforderung des Gesundheitssystems. Nach der Risikobewertung des Robert Koch-Instituts handelt es sich weltweit und in Deutschland nach wie vor um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland ist nach wie vor insgesamt als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch einzuschätzen. Angesichts teilweise schwerer und lebensbedrohlicher Krankheitsverläufe muss es Ziel sein, durch geeignete Maßnahmen eine Ausbreitung der Infektion mit SARS-CoV-2 einzudämmen und so weit wie möglich zeitlich zu verlangsamen. Nur so können die vorgenannten Risikogruppen ausreichend geschützt werden. Die häusliche Isolation von Kontaktpersonen ist dabei aus infektionsmedizinischer Sicht eine entscheidende Maßnahme zur Unterbrechung möglicher Infektionsketten. Diese Maßnahme ist daher nicht zu beanstanden.
Es ist voraussichtlich auch nicht zu beanstanden, dass die Allgemeinverfügung Isolation für Kontaktpersonen der Kategorie I keine Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Quarantäne wegen eines negativen Testergebnisses vorsieht. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand kann die Inkubationszeit bis zu 14 Tage betragen.
Das Robert Koch-Institut führt dazu folgendes aus (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText10):
„Die Inkubationszeit gibt die Zeit von der Ansteckung bis zum Beginn der Erkrankung an. Die mediane Inkubationszeit wird in den meisten Studien mit 5 Tagen angegeben. In verschiedenen Studien wurde berechnet, zu welchem Zeitpunkt 95% der infizierten Symptome entwickelt hatten, dabei lag die 95ste Perzentile der Inkubationszeit bei 10 bis 14 Tagen.
Das serielle Intervall definiert das durchschnittliche Intervall vom Beginn der Erkrankung eines ansteckenden Falles bis zum Erkrankungsbeginn eines von diesem angesteckten Fall ist. Das serielle Intervall ist bei vielen Infektionskrankheiten länger als die Inkubationszeit, weil die Ansteckung oft erst dann erfolgt, wenn ein Fall symptomatisch geworden ist. Letzteres scheint auf SARS-CoV-2-Infektionen nicht zuzutreffen, was auch Studien zu asymptomatischen Übertragungen belegen. Das Robert Koch-Institut schätzt das serielle Intervall für SARS-CoV-2 im Moment auf 4 Tage (Interquartalsabstand: 3 bis 5 Tage) was durch verschiedene Studien gestützt wird. Prinzipiell ist das serielle Intervall jedoch keine stabile Eigenschaft eines Erregers, sondern hängt (wie die Reproduktionszahl) ebenso von den Eigenschaften der Gesellschaft ab, in der sich ein Virus verbreitet.“
Es ist daher nach den dargelegten wissenschaftlichen Erkenntnissen davon auszugehen, dass bis zum 14. Tag nach dem letzten direkten Kontakt noch eine (geringe) Wahrscheinlichkeit für eine Infektion besteht. Auch eine Person, die in den Tagen davor noch negativ auf das Virus getestet wurde, kann also bis zum 14. Tag noch eine Infektion entwickeln, sodass ein Test erst zu einem späteren Zeitpunkt positiv anschlägt. Daher müssen alle Personen, die in den letzten 14 Tagen einen engen Kontakt im Sinne der Empfehlungen des Robert Koch-Instituts mit einem COVID-19-Fall hatten, isoliert werden. Erst nach dem Ablauf von 14 Tagen ist sichergestellt, dass sich diese Person nicht bei der ursprünglich positiv getesteten Person angesteckt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Quarantäne daher zwingend. Ein zu einem früheren Zeitpunkt gewonnenes negatives Testergebnis ist lediglich eine Momentaufnahme, schließt aber noch nicht mit der erforderlichen Gewissheit aus, dass sich die Kontaktperson der Kategorie I nicht doch angesteckt hat. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass auch eine Kontaktperson der Kategorie I mit einem negativen Testergebnis die vollen 14 Tage in Quarantäne verbleiben muss. Nur dann ist eine Verbreitung des Virus gesichert ausgeschlossen.
Die durch die Quarantäneverpflichtung zwangsweise eintretende Einschränkung der Grundrechte der Antragsteller zu 2) bis 4) sind voraussichtlich auch in Abwägung mit den Grundrechten der Allgemeinheit angemessen. Auch wenn der Antragsteller zu 2) durch die Anordnung der Isolation bis zum 23.9.2020 seiner beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen kann und die Antragstellerinnen zu 3) und 4) die Schule nicht besuchen können, so handelt es sich dabei nur um vorübergehende Einschränkungen ihrer Grundrechte. Das IfSG sieht zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen einer angeordneten Quarantäne zudem in § 56 Abs. 1 IfSG eine Entschädigungsmöglichkeit für den entstandenen Verdienstausfall vor. Auf der anderen Seite stellt das Coronavirus eine ernste Bedrohung für Leben und Gesundheit einzelner, insbesondere älterer und kranker Menschen, sowie auch für das Gesundheitssystem und die medizinische Versorgung als Ganzes dar. In der Abwägung der privaten Interessen der Antragsteller zu 2) bis 4) mit den Interessen der Allgemeinheit an einer effektiven Eindämmung des Coronavirus ist den Interessen der Allgemeinheit im konkreten Fall der Vorrang einzuräumen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Quarantäne nur noch bis zum 23.9.2020 und damit nur noch fünf Tage andauern wird.
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abrufbar auf der Homepage des BVerwG). Das Gericht wertet dabei die Anträge der Antragstellerin zu 1) und der Antragsteller zu 2) bis 4) jeweils als gesonderte Anträge, da die Isolierung auf unterschiedlichen Tatbeständen beruhte. Es wurde daher ein Streitwert von 5.000,– Euro festgesetzt.


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