Medizinrecht

Begleitumstände einer Erkrankung als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis zu berücksichtigen

Aktenzeichen  M 5 S7 16.31903

Datum:
3.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, 7

 

Leitsatz

Eine krankheitsbedingte Gefährdung, die nicht aus der mangelhaften Behandelbarkeit der Erkrankung im Zielstaat resultiert, sondern aus Begleitumständen der Erkrankung, ist von der Ausländerbehörde bei einer Abschiebung als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis zu berücksichtigen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Wegen der Sachverhaltsdarstellung wird zunächst auf den zwischen denselben Beteiligten ergangenen Beschluss des zuständigen Einzelrichters der erkennenden Kammer vom 19. April 2016 (M 5 S 16.30526) verwiesen, mit dem der Antrag der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage abgelehnt wurde.
Am 29. Juli 2016 beantragte die Antragstellerin sinngemäß,
in Abänderung des Beschlusses von 19. April 0126 die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde Bezug genommen auf eine Stellungnahme der Stadt I. – Gesundheitsamt – vom 17. Juni 2016 zur Reisefähigkeit der Antragstellerin.
Am Ende dieser in Bezug genommenen Stellungnahme wird unter „Zusammenfassung und Beurteilung“ Folgendes ausgeführt:
„Frau … ist erkrankt an einer schweren Depressiven Episode mit Verdacht auf psychotische Symptome (Bedrohungserleben) (ICD10; F32.2). Zusätzlich ist eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD10; F43.2) nach Traumaerfahrungen im Kosovokrieg mit Flucht- und Todesängsten anzuführen. Frau M. leidet unter ständiger Todesangst, hat Albträume, Flashbacks und vermeidet den Kontakt zu anderen Menschen. Zur Bewältigung des Alltags benötigt sie Unterstützung durch ihren Lebenspartner. Aufgrund wiederholter Traumatisierungen, Bedrohungen, Fluchterfahrungen und durch den unsicheren Aufenthaltsstatus hat sich mittlerweile die Depression sehr verfestigt. Behandlungsmaßnahmen sind unbedingt notwendig. Die fachpsychiatrische Behandlung sollte intensiviert werde mit wöchentlichen Behandlungsterminen und Anpassung der Medikation. Bei vorhandener Suizidalität ist auch eine stationäre Behandlung zu erwägen, ggf. bei drohender Gefährdung auch ohne Einwilligung. Eine Reise mit Rückkehr in den Kosovo ist Frau M. derzeit nicht zumutbar. Schon die Androhung eine4r Abschiebung worden zu einer massiven Verschlechterung der Krankheit führen. Frau M. erlebt bei diesem Bedanken Todesangst, Ausweglosigkeit und Selbstmord, auch ein erweiterter Suizid wird als Lösung dieser Situation empfunden. Eine Abschiebung würde somit zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung, vor allem Selbstgefährdung führen.
Im Vordergrund steht aus fachärztlicher Sicht zunächst eine Intensivierung der psychiatrischen Behandlung mit Anpassung der Medikation. Eine weitere Chronifizierung mit anhaltend schwerer depressiver Verstimmung ist sonst zu erwarten. Bei allmählicher Stabilisierung ist die Fortführung der Behandlung mit Psychotherapie unbedingt notwendig, damit Frau M. Techniken erlernen kann, bei erneuter Konfrontation mit den Lebenserfahrungen sichere Verhaltensweisen zu entwickeln. Langfristig können so erneut schwere Krisen vermieden werden und evtl. eine Rückkehr in das Heimatland möglich werden. Eine Psychotherapie mit einem Stundenkontingent von zunächst mindestens ca. 25 Stunden ist erforderlich, anschließend wird eine Begutachtung zur Beurteilung des Behandlungsverlaufs vorgeschlagen. Mit Wiedererlangung der Reisefähigkeit ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen, eine erneute Überprüfung der Reisefähigkeit ist aus fachärztlicher Sicht frühestens in ca. 6 Monaten sinnvoll.“
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO bleibt ohne Erfolg.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Voraussetzung eines Änderungsantrags ist außer einem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, dass Umstände vorgetragen werden, die ein Abweichen von der ursprünglichen Entscheidung rechtfertigen können. Aus den neu vorgetragenen Umständen muss sich zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Eilentscheidung ergeben.
In der Eilentscheidung vom 19. April 2016 (dort Seite 9) wurde explizit ausgeführt, dass das Gericht keinen Zweifel an der bei der Antragstellerin bestehenden psychischen Erkrankung hegt, da diese durch ärztliche Atteste widerspruchsfrei belegt ist. Mit dieser Einschätzung in tatsächlicher Hinsicht stehen die Aussagen der nunmehr vorgelegten Stellungnahme der Stadt I. – Gesundheitsamt – vom 17. Juni 2016 inhaltlich in vollem Umfang in Einklang.
Eine Abänderung der getroffenen Eilentscheidung ist nicht geboten.
Denn – wie ebenfalls in der getroffenen Eilentscheidung ausgeführt – resultiert die krankheitsbedingte Gefährdung der Antragstellerin, die zweifelsfrei mit erheblicher Wahrscheinlichkeit belegt ist, nicht aus der mangelhaften Behandelbarkeit ihrer Erkrankung im Zielstaat, sondern aus Begleitumständen ihrer Erkrankung, die in rechtlicher Hinsicht als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis von der zuständigen Ausländerbehörde zu berücksichtigen sind.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens ergibt sich aus § 83b AsylG.


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