Medizinrecht

Begrenzungen der Verkaufsfläche durch Abtrennung, Coronavirus

Aktenzeichen  W 4 E 20.572

Datum:
24.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6632
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO  § 123 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass § 2 Abs. 4 und 5 Nr. 1 i.V.m. § 10 Satz 2 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16. April 2020 dem Betrieb des Textileinzelhandelsgeschäfts in den in der … gelegenen Geschäftsräumen der Antragstellerin zu den jeweils geltenden Ladungsöffnungszeiten für den Publikumsverkehr nicht entgegensteht, sofern sie die Verkaufsfläche wirksam auf max. 800 m² begrenzt und die jeweils geltenden Vorgaben zur Zutrittssteuerung, Vermeidung von Warteschlangen und zum sonstigen örtlichen Infektionsschutz eingehalten werden.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Erforderlich ist mit anderen Worten, dass der Antragsteller einen materiellen Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung gerade im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Anordnungsgrund) glaubhaft macht.
Der Anordnungsgrund folgt vorliegend daraus, dass die Betriebsschließung für die Antragstellerin einen massiven Eingriff in die Berufsfreiheit darstellt und mit gravierenden, finanziellen Einbußen einhergeht, die eine Gefährdung von Arbeitsplätzen und des Unternehmens nach sich ziehen.
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie hat glaubhaft gemacht, dass § 2 Abs. 4 und Abs. 5 Nr. 1 der 2. BayIfSMV der Öffnung des abgetrennten Teils des Textilhandelsgeschäfts mit einer Fläche von höchstens 800 m² in der … in … nicht entgegensteht, da sie höchstwahrscheinlich den Tatbestand des § 2 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. § 10 Satz 2 2. BayIfSMV erfüllt.
Gemäß § 2 Abs. 5 Nr. 1 und 2 2. BayIfSMV ist abweichend § 2 Abs. 4 Satz 1 und 5 2. BayIfSMV die Öffnung von sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels auch zulässig, wenn deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 m² nicht überschreiten und der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist, als ein Kunde je 20 m² Verkaufsfläche.
Nach der Auslegung der Kammer steht diese Regelung der vorliegend begehrten Öffnung eines Textilgeschäfts mit dem abgegrenzten Bereich von höchstens 800 m² nicht entgegen. Die Auslegung der Norm ergibt nicht, dass Begrenzungen der Verkaufsfläche durch Abtrennung unzulässig sind.
So lässt bereits der Wortlaut nicht auf die Annahme schließen, dass nur solche Einzelhandelsgeschäfte von dem Betriebsverbot ausgenommen sein sollten, die auch ohne Abtrennungsmaßnahmen weniger als 800 m² Verkaufsfläche aufweisen und nicht auch solche Geschäfte, die ihre eigentlich erhebliche größere Verkaufsfläche durch Absperrung auf eine Fläche von 800 m² begrenzen. Hätte der Verordnungsgeber das gewollt, hätte er dies durch einen eindeutigen Zusatz, wie z.B. in Sachsen geschehen, wo es heißt, dass eine Reduzierung der Ladenfläche durch Absperrung oder ähnliche Maßnahmen unzulässig ist (vgl. www.coronavirus.sachsen.dedownload/sms-saechsCoronaSchverordnung-2020-04-17.pdf), regeln können. Er hat dies allerdings nicht getan, so dass der Wortlaut einer Auslegung, nach der auch die durch Abtrennung verkleinerten Verkaufsräume der Antragstellerin hierunter fallen, nicht entgegensteht.
Auch der Sinn und Zweck des § 2 Abs. 4, Abs. 5 der 2. BayIfSMV steht einer Auslegung, dass Einzelhandelsgeschäfte mit einer durch Abtrennung begrenzten Verkaufsfläche von höchstens 800 m² hierunter fallen, nicht entgegen. Sinn und Zweck der Flächenbegrenzung auf 800 m² ist, wie sich aus den einschlägigen Pressemitteilungen ergibt, dass nicht alle Geschäfte gleichzeitig wieder öffnen, weil das eine größere Menschenansammlung in den Haupteinkaufsstraßen zur Folge hätte. Die Kundenfrequenz soll offensichtlich, auch das ergibt sich aus der einschlägigen Presse, auf ein unter dem Gesichtspunkt des Infektionsschutzes vertretbares Maß begrenzt bleiben.
Unter Berücksichtigung dieser Ziele ist es für die Kammer nicht erkennbar, dass die Abtrennung und Öffnung einer Verkaufsfläche von max. 800 m² mit diesem Zweck unvereinbar ist. Wird von einem größeren Geschäft eine Teilfläche von höchstens 800 m² abgetrennt, so verringert sich typischerweise dessen Attraktivität, da auf einer begrenzten Fläche auch zwangsläufig nur ein begrenztes Sortiment angeboten werden kann. Eine auf diese Weise abgetrennte Verkaufsfläche lädt typischerweise weniger zum Einkaufen ein.
Dass sich der Verordnungsgeber bei der Festlegung der Grenze, wie man ebenfalls immer wieder in der Presse liest, an der Rechtsprechung zur Großflächigkeit eines Einzelhandelbetriebs im Baurecht orientiert hat, steht der eben vorgenommen Auslegung ebenfalls nicht entgegen. Zum einen geht eine Beschränkung auf die baurechtlich genehmigte Verkaufsfläche aus dem Wortlaut der 2. BayIfSMV schon nicht hervor. Zum anderen dient die Grenze im Baurecht offensichtlich anderen Zwecken als dem Infektionsschutz, nämlich städtebaulichen Zwecken.
Letztendlich führt auch eine systematische Auslegung des § 2 Abs. 4 und 5 der 2. BayIfSMV zu keinem anderen Ergebnis, denn auch bei Betrachtung des Normensystems der 2. BayIfSMV ergibt sich nicht, dass durch Abtrennung geteilte Verkaufsräume per se von der 2. BayIfSMV ausgeschlossen sein sollten. Es gibt nach Überzeugung der Kammer auch hierfür keinen ausreichenden sachlichen Grund.
Eine andere Auffassung wäre mit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht vereinbar, wenn man allen Einzelhandelsgeschäften mit einer Verkaufsfläche bis zu 800 m² die Öffnung generell gestattet, den größeren Geschäften aber nicht, obwohl sie ihre Verkaufsfläche wirksam auf 800 m² begrenzen. Der Kammer ist durchaus bewusst, dass Pauschalierungen zur Erreichung eines legitimen Zwecks, hier also der Vermeidung einer Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus aufgrund von überfüllten Innenstädten, unter bestimmten Voraussetzungen nach der obergerichtlichen Rechtsprechung zulässig sind. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Schließungen massive Eingriffe in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG darstellen und für viele Einzelhändler existenzbedrohend sein werden, bedarf allerdings eine Ungleichbehandlung i.S. eines „Alles oder Nichts“ jedenfalls einer besonderen Rechtfertigung, die sich aus dem 2. BayIfSMV nicht ergibt.
Die mit der einstweiligen Anordnung einhergehende partielle Vorwegnahme der Hauptsache ist nach Überzeugung der Kammer gerechtfertigt, da die Antragstellerin andernfalls schwerwiegende Nachteile erleiden würden, die nicht mehr ausgeglichen werden könnten und mit Blick auf die Grundrechtsbetroffenheit unzumutbar wären.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 GKG.


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