Medizinrecht

Beihilfe für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung

Aktenzeichen  Au 2 K 19.864

Datum:
17.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27805
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBhV § 43 Abs. 1, Abs. 2 S. 2
SGB V § 27a
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5, § 167
BeamtStG § 45 Abs. 1 S. 1
GKG § 52 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1. Die in § 43 Abs. 1 BBhV i.V.m. § 27a Abs. 3 SGB V geregelten altersmäßigen Beschränkungen des Leistungsanspruchs verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufwendungen zu einer künstlichen Befruchtung sind nicht unmittelbar aufgrund der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht beihilfefähig. Es gibt keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers, die Entstehung einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu fördern. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
I.
Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Die Beihilfebescheide des … vom 10. Januar 2019 und vom 20. Februar 2019, jeweils in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. Mai 2019, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer (weiteren) Beihilfe zu ihren Aufwendungen in Höhe von 1415,00 EUR, die für die Durchführung einer künstlichen Befruchtung entstanden sind (§ 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 VwGO).
Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfen verlangt werden (BVerwG, U.v. 15.12.2005 – 2 C 34.05 – NVwZ 2006, 1191; U.v. 8.11.2012 – 5 C 4.12 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 12.1.2010 – 14 ZB 09.1304 – juris Rn. 4 m.w.N.). Damit ist für die rechtliche Beurteilung auf § 43 der auf Grundlage von § 80 Abs. 4 BBG erlassenen Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen – Bundesbeihilfeverordnung – BBhV -) in der ab dem 31. Juli 2018 geltenden Fassung abzustellen, da die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen erst ab dem November 2018 entstanden sind. In sachlicher Hinsicht ist auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Behandlungsbeginns im November 2018 abzustellen, als die am … 1978 geborene Klägerin bereits das 40. Lebensjahr vollendet hatte.
Bei dieser Sachlage hat die Beklagte die Gewährung weiterer Beihilfe zu Recht abgelehnt.
1. Ein Anspruch auf (anteilige) Erstattung der Aufwendungen für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung ergibt sich nicht aus § 43 BBhV.
Nach § 43 Abs. 1 BBhV sind Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung einschließlich der Arzneimittel, die im Zusammenhang damit verordnet werden, beihilfefähig, soweit deren Inhalt und Ausgestaltung den Grundsätzen nach § 27a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) entsprechen. Nach dem auf diese Weise in Bezug genommenen § 27a Abs. 1 Nr. 3 SGB V umfassen Leistungen der Krankenbehandlung medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn – neben weiteren Voraussetzungen – die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind. Ein Anspruch besteht dabei nicht für weibliche Versicherte, die das 40. Lebensjahr vollendet haben (§ 27a Abs. 3 Satz 1 SGB V).
Soweit die Klägerin im Widerspruchsverfahren noch vorgetragen hatte, ihr seien Entscheidungen bekannt, wonach die Beihilfefähigkeit von Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung nicht durch bloße Verwaltungsvorschriften eingeschränkt werden könne, bezog sie sich vermutlich auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 29.6.2009 – 4 S 1028/07 – juris; vgl. nunmehr auch HessVGH, U.v. 24.9.2019 – 1 A 731/17 – juris). Allerdings ist im Gegensatz zur Rechtslage, die dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zugrunde lag, die Beihilfefähigkeit bzw. der Beihilfeausschluss der von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen vorliegend nicht durch bloße Verwaltungsvorschriften, sondern durch die nach § 80 Abs. 4 BBG erlassene Rechtsverordnung (BBhV, dort § 43 Abs. 1) und die dort enthaltene Verweisung auf § 27a SGB V normativ geregelt (BayVGH, B.v. 10.4.2014 – 14 ZB 13.2268 – juris Rn. 3).
Dass diese normativen Vorgaben für die Beihilfefähigkeit von Maßnahmen zu einer künstlichen Befruchtung bei der Klägerin weder im Hinblick auf den Familienstand noch im Hinblick auf die Altersgrenze erfüllt waren, ist vorliegend unstreitig. Die Einwände der Klägerin gegen entsprechenden Voraussetzungen greifen im Ergebnis nicht durch.
Jedenfalls die in § 43 Abs. 1 BBhV i.V.m. § 27a Abs. 3 SGB V geregelten Altershöchstgrenzen verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht. Sie genügen insbesondere dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Die altersmäßige Beschränkung des Leistungsanspruchs findet ihre Rechtfertigung in der gesetzgeberischen Annahme, dass jenseits des 30. Lebensjahres die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung abnimmt und die Konzeptionswahrscheinlichkeit jenseits des 40. Lebensjahres gering ist. Gleichzeitig berücksichtigt der Gesetzgeber im Interesse des Kindeswohls, dass mit dem Alter der Eltern die Anzahl von Fehlbildungen zunimmt. Vor diesem Hintergrund ist das Alter der Eltern als vergröberndes, aber dennoch hinreichend sachgerechtes Kriterium nicht zu beanstanden (BSG, U.v. 3.3.2009 – B 1 KR 12/08 R – NJW 2010, 1020; VG Augsburg, U.v. 3.11.2015 – Au 2 K 15.650 – juris Rn. 22 ff.). Dass die Möglichkeit einer Konzeption im Einzelfall auch über das 40. Lebensjahr hinaus bestehen kann, zieht die gesetzgeberische Einschätzung nicht durchgreifend in Zweifel, zumal die Möglichkeit der Konzeption nichts über die Risiken einer Fehlbildung beim Kind auszusagen vermag.
Scheidet ein Beihilfeanspruch der Klägerin schon aus diesem Grund aus, bedarf es nicht mehr der Entscheidung, ob darüber hinaus auch der Familienstand der Klägerin zu Beginn der Behandlung dem Anspruch entgegen stand. Das Bundesverfassungsgericht hat zunächst mit Urteil vom 28. Februar 2007 (1 BvL 5/03 -, BVerfGE 117, 316) mit Gesetzeskraft entschieden, dass § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V mit dem Grundgesetz vereinbar ist, weil der Gesetzgeber eine erhöhte Stabilitätserwartung im Hinblick auf eine Ehe habe haben dürfen (in diesem Sinne wohl auch noch VG Bayreuth, U.v. 16.03.2012 – B 5 K 11.473 – juris; wohl auch noch BayVGH, B.v. 10.4.2014 – 14 ZB 13.2268 – juris Rn. 3 allerdings im Rahmen der Prüfung, ob ein Berufungszulassungsgrund dargelegt sei; zweifelnd VGH BW, U.v. 29.6.2009 – 4 S 1028/07 – juris Rn 21 ff., 26). Ob diese Entscheidung unter Berücksichtigung der neueren Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Möglichkeiten (und Grenzen) einer individuellen Stabilitätsprüfung auch bei nicht verheirateten Paaren (siehe im Hinblick auf den insofern verfassungswidrigen vollständigen Ausschluss der Stiefkindadoption bei nicht verheirateten Paaren BVerfG, B.v. 26.3.2019 – 1 BvR 673/17 – juris) überholt ist oder ob die unterschiedlichen Fallkonstellationen, insbesondere die Eigenschaft des Beihilfeverfahrens als Massenverfahren (vgl. zur größeren Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers bei Verfahren der Massenverwaltung BVerfG, B.v. 26.3.2019 – 1 BvR 673/17 – juris Rn. 114), einen pauschalen Leistungsausschluss weiterhin rechtfertigen, muss hier mangels Entscheidungserheblichkeit nicht beantwortet werden.
2. Die Klägerin kann auch keinen Anspruch aufgrund des in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten und in § 45 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) einfachgesetzlich aufgenommenen beamtenrechtlichen Fürsorgeprinzips geltend machen.
Das Prinzip der Fürsorge verlangt, dass der Dienstherr im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl der Beamtinnen und Beamten sowie ihrer Familien auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Geburt oder Tod sorgt, vgl. § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG. Die Beihilfebestimmungen konkretisieren diese Fürsorgepflicht grundsätzlich abschließend, so dass sich ein Beihilfeanspruch regelmäßig auch nicht aus dem Fürsorgeprinzip herleiten lässt, wenn die Beihilfevorschriften für bestimmte Aufwendungen die Beihilfefähigkeit nicht vorsehen (BVerwG, U.v. 10.6.1999 – 2 C 29.98 – NVwZ-RR 2000, 99 m.w.N.). Unmittelbar auf die Fürsorgepflicht kann ein Anspruch nur dann gestützt werden, wenn diese sonst in ihrem Wesenskern verletzt wäre (BVerwG, U. v. 10.6.1999 a.a.O.). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Art. 6 Abs. 1 GG kann – auch in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip – keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers entnommen werden, die Entstehung einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu fördern (BVerfG, U.v. 28.2.2007 – 1 BvL 5/03 – BVerfGE 117, 316 – juris Rn. 40). Dass für die Beihilfe als Ausdruck des Fürsorgeprinzips, welches eine lückenlose Erstattung jeglicher Aufwendungen gerade nicht verlangt (vgl. BVerfG, U.v. 3.7.2003 – 2 C 36/02 – NJW 2004, 308; B.v. 7.11.2002 – 2 BvR 1053/98 – NVwZ 2003, 720; B.v. 13.11.1990 – 3 BvF 3/88 – DÖD 1991, 26), etwas anderes folgen sollte, ist nicht ersichtlich.
3. Soweit die Klägerin schließlich behauptet, dass „ein Teil“ der streitgegenständlichen Behandlungskosten nicht unmittelbar der künstlichen Befruchtung zuzuordnen sei, verhilft auch dies ihrer Klage nicht zum Erfolg. Die Beklagte hat die nachgereichten Erläuterungen der Kinderwunschklinik … vom 19. Februar 2019 und vom 26. März 2019 zum Anlass genommen, den Widersprüchen der Klägerin teilweise abzuhelfen. Inwiefern die Beklagte gleichwohl Aufwendungen zu Unrecht den Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung zugeordnet haben könnte, ist weder substantiiert dargelegt, noch sonst ersichtlich.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 124, § 124a VwGO).


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