Medizinrecht

Beihilfe für zahnmedizinische Behandlungen

Aktenzeichen  M 17 K 17.5524

Datum:
28.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7041
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBhV § 7 Abs. 1 S. 2
GOZ § 3, § 4, § 5, § 10
GOÄ § 5, § 12
VwGO § 102 Abs. 2, § 113, § 117 Abs. 3 S. 2, § 167

 

Leitsatz

1 Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes muss durch Besonderheiten des konkreten Behandlungsfalles gerechtfertigt sein. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Erläuterung der bereits in der Rechnung vorgebrachten schriftlichen Begründung für die Schwellenwertüberschreitung ist zulässig, das Nachschieben gänzlich neuer Gründe hingegen nicht. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
4 Bei der Bestimmung des Steigerungsfaktors durch § 5 Abs. 2 S. 1 GOZ ist dem Zahnarzt ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbares Ermessen eingeräumt. Das Vorliegen von „Besonderheiten“ iSd § 5 Abs. 2 S. 4 Hs. 2 GOZ auf der Tatbestandsseite unterliegt aber der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
5 Die stereotype Auflistung von Pauschalbegründungen wie die Angabe „erhöhter Zeit- und Materialaufwand“, die vom theoretischen Ansatz her im Allgemeinen einen höheren Gebührensatz rechtfertigen könnten und die möglicherweise die Behandlung des jeweils betroffenen Patienten in ihrer Gesamtheit charakterisieren, reichen für eine Begründung für einen höheren als dem 2,3-fachen Gebührensatz iSd § 10 Abs. 3 iVm § 5 Abs. 2 GOZ nicht aus. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage, über die nach übereinstimmender Einverständniserklärung der Beteiligten im schriftlichen Verfahren nach § 101 Abs. 2 VwGO entschieden werden konnte, hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Klage ist entsprechend des in den Schriftsätzen des Klägers zum Ausdruck gekommenen Begehrens (§ 88 VwGO) als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO auf Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 220,13 € unter Aufhebung der Bescheide des Landesamts für Finanzen, Dienststelle … (im Folgenden: Landesamt), vom 7. September 2017 und 24. Oktober 2017, soweit sie dem entgegenstehen, auszulegen. Eine Aufhebung des „Bescheids“ vom … … 2017 ist weder möglich noch erforderlich, da es sich hierbei nicht um einen förmlichen Verwaltungsakt handelt, sondern um eine bloße Wiedergabe einer Rechtsansicht ohne jegliche Regelungswirkung.
Die in Ziffer 4 des Klageantrags beantragte Prüfung der Richtigkeit der Abrechnung des Zahnarztes nach Maßgabe der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) bzw. Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ist ohnehin eine im Rahmen der Prüfung des Beihilfeanspruchs zu prüfende Vorfrage (nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV sind zahnärztliche Leistungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig und der Höhe nach angemessen sind, die Angemessenheit beurteilt sich gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 BayBhV insoweit ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der GOZ und der GOÄ, soweit die GOÄ den Zahnärzten nach § 6 Abs. 2 GOZ zugänglich ist). Für eine gesonderte Feststellung hierüber ist neben dem Antrag auf Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung einer weiteren Beihilfe hinsichtlich der streitigen Mehraufwendungen kein Raum (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
Der Antrag in Ziffer 5 der Klagebegründung ist bereits aufgrund der Bedingungsfeindlichkeit von Klageanträgen (vgl. Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, VwGO, 4. Auflage 2016, § 81 Rn. 18) unzulässig. Im Übrigen besteht die Begründungspflicht des Zahnarztes bereits kraft Gesetzes. Sie ist Voraussetzung der Fälligkeit der Vergütung und damit für den Erstattungsanspruch auf Beihilfe (§ 10 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 1 Satz 2 GOZ).
2. Die Klage ist, soweit sie zulässig ist, unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer weiteren Beihilfe (§ 113 Abs. 5 VwGO); der Bescheid vom 7. September 2017 und der Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2017 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2.1 Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. statt aller BVerwG, U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 9). Die Aufwendungen gelten nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BayBhV in dem Zeitpunkt als entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Für die vorgenommene zahnärztliche Untersuchung und Behandlung entstehen Aufwendungen mit jeder Inanspruchnahme des Arztes (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand Juni 2018, Bd. 2 Anm. 12 zu § 7 Absatz 2 BayBhV). Bei den streitgegenständlichen Behandlungen am 18. Mai 2017, 23. Mai 2017, 3. Juli 2017, 12. Juli 2017, 25. Juli 2017 und 9. August 2017 bestimmt sich die Beihilfefähigkeit daher nach Art. 96 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juli 2008 (GVBl S. 500), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Dezember 2016 (GVBl S. 354) bzw. vom 12. Juli 2017 (GVBl S. 362), und der Verordnung über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheits-, Geburts-, Pflege- und sonstigen Fällen (Bayerische Beihilfeverordnung – BayBhV) vom 2. Januar 2007 (GVBl S. 15) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 29. Juli 2014 (GVBl S. 352, ber. S. 447) bzw. 24. Juli 2017 (GVBl S. 418).
Zahnärztliche Leistungen sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig und der Höhe nach angemessen sind. Die Angemessenheit beurteilt sich gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 BayBhV insoweit ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der GOZ und der GOÄ soweit die GOÄ den Zahnärzten nach § 6 Abs. 2 GOZ zugänglich ist. Soweit keine begründeten besonderen Umstände vorliegen, kann nur eine Gebühr, die den Schwellenwert des Gebührenrahmens nicht überschreitet, als angemessen angesehen werden (§ 7 Abs. 1 Satz 3 BayBhV).
Nach § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ und § 5 Abs. 2 Satz 4 GOÄ bildet für Leistungen nach dem Gebührenverzeichnis der GOZ und (abgesehen von den Ausnahmen in § 5 Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 Satz 4 GOÄ) der GOÄ der 2,3-fache Gebührensatz die nach Schwierigkeit und Zeitaufwand durchschnittliche Leistung ab; ein Überschreiten dieses Gebührensatzes ist nur zulässig, wenn Besonderheiten, das heißt die Schwierigkeit und der Zeitaufwand der einzelnen Leistung sowie die Umstände bei der Ausführung, dies rechtfertigen. Bemessungskriterien, die bereits in der Leistungsbeschreibung berücksichtigt worden sind, haben hierbei außer Betracht zu bleiben (§ 5 Abs. 2 Satz 3 GOZ; ähnlich dazu § 5 Abs. 2 GOÄ und VV Nr. 5 und 6 zu § 7 Abs. 1 BayBhV i.d.F. der Bek. vom 26.7.2007, zuletzt geändert durch Bek. v. 07.08.2015, gültig ab 1.3.2016 bis 31.8.2017; FMBl 2015, 150 – StAnz 2015, Nr. 34). Das Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes muss durch Besonderheiten des konkreten Behandlungsfalles gerechtfertigt sein (Amtl. Gesetzesbegründung, BR-Drs. 566/11 v. 21.9.2011, S. 54).
Wenn die berechnete Gebühr das 2,3-fache des Gebührensatzes überschreitet, ist dies auf die einzelne Leistung bezogen für den Zahlungspflichtigen verständlich und nachvollziehbar schriftlich zu begründen. Auf Verlangen ist die Begründung näher zu erläutern (§ 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 GOZ; § 12 Abs. 3 Satz 1 und 2 GOÄ). Ein Nachschieben von gänzlich neuen Gründen ist nicht zulässig (VG München, U.v. 1.8.2018 – M 17 K 17.5384 – juris Rn. 48). §§ 10 Abs. 3 Satz 2 GOZ und 12 Abs. 3 Satz 2 GOÄ sieht lediglich eine nähere Erläuterung der bereits in der Rechnung vorgebrachten schriftlichen Begründung für die Schwellenwertüberschreitung vor, nicht jedoch eine Ergänzung der Begründung um neue, bislang nicht vorgetragene Gründe, die eine Besonderheit des jeweiligen Behandlungsfalls rechtfertigen sollen. Unzulässig sind damit verspätet vorgebrachte neue Erwägungen, die in der bisherigen, in der Rechnung enthaltenen Begründung keine Stütze finden. Zulässig sind nur solche Erwägungen, die an die bereits vorhandene Rechnungsbegründung ansetzen. Würde man zulassen, dass die behandelnden Ärzte zeitlich unbegrenzt solange neue Gründe für die vorgenommene Erhöhung des Gebührensatzes über den 2,3-fachen Satz hinaus anführen können, bis irgendwann eine insoweit tragfähige Begründung gefunden ist, liefe das darauf hinaus, dass eine abschließende Beurteilung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen immer wieder herausgeschoben würde. Für die Beihilfestellen wäre es praktisch nicht handhabbar, bei jeder nachträglich neu vorgebrachten Begründung ihren Beihilfebescheid wieder abändern zu müssen.
Zwar ist dem Zahnarzt bei der Bestimmung des Steigerungsfaktors durch § 5 Abs. 2 Satz 1 GOZ ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbares Ermessen eingeräumt (vgl. NdsOVG, B.v. 14.12.2011 – 5 LA 237/10 – juris Rn. 21). Dieses besteht jedoch nur auf der Rechtsfolgenseite. Das Vorliegen von „Besonderheiten“ im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 GOZ auf der Tatbestandsseite unterliegt dagegen der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit (BVerwG, U.v. 17.2.1994 – 2 C 10/92 – NJW 1994, 3023, 3024; NdsOVG, B.v. 22.3.2018 – 5 LA 102/17 – juris).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 17.2.1994 – 2 C 10/92 – NJW 1994, 3023; vgl. auch BayVGH, B.v. 15.4.2011 – 14 ZB 10.1544 – juris Rn. 4) müssen Besonderheiten in diesem Sinn gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sein. Eine in jeder Hinsicht durchschnittliche Art und Weise der Behandlung kann ein Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes (Schwellenwert) nach § 5 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 GOZ nicht rechtfertigen. Die Vorschrift hat Ausnahmecharakter und ist dementsprechend eng auszulegen. Diesem Ausnahmecharakter widerspräche es, wenn schon eine vom Arzt allgemein oder häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Patienten wegen in ihrer Person liegender Schwierigkeiten, angewandte Verfahrensweise bei einer Ausführung einer im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistung das Überschreiten des Schwellenwerts rechtfertigen würde. Erforderlich ist somit eine gerade in der Person des Betroffenen liegende Besonderheit. Der den Ausschlag für die Schwellenwertüberschreitung gebende vermehrte Aufwand muss auf eine beim betreffenden Patienten bestehende außergewöhnliche Konstitution zurückzuführen sein; rein verfahrensbezogene Besonderheiten genügen dagegen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 15.04.2011 – 14 ZB 10.1544 – juris Rn. 4; VG des Saarlandes, U.v. 26.5.2017 – 6 K 468/16 – juris Rn. 21; VG Stuttgart, U.v. 3.1.2012 – 12 K 2580/11 – juris Rn. 37; VG München, U.v. 23.5.2013 – M 17 K 12.59 – BeckRS 2014, 56145, beck-online; a.A. noch die vom Kläger zitierte Entscheidung des VGH BW U.v. 17.9.1992 – 4 S 2084/91 – juris Rn. 48, die jedoch zwischenzeitlich durch die neuere Rechtsprechung überholt sein dürfte). Zwar sollte es nicht so sein, dass der Arzt bzw. Zahnarzt für die Begründung der Schwellenwertüberschreitung mehr Zeit aufwenden muss als für die eigentliche Behandlung. Ausführliche ärztliche Berichte oder gar Gutachten können daher nicht verlangt werden. Allerdings muss sich aus der gegebenen Begründung entnehmen lassen, weshalb bei dem Patienten eine von der Masse der behandelnden Fälle abweichende Besonderheit vorlag und insbesondere, worin diese Besonderheit bestand (VG Hannover, GB v. 7.12.2009 – 13 A 2981/09 – juris Rn. 165). Die Begründung darf dabei nicht allgemein gehalten sein, sondern muss genügend Anhaltspunkte für einen Vergleich enthalten, bei dem deutlich wird, dass die Behandlungsschritte einen ungewöhnlich hohen Schwierigkeitsgrad aufwiesen, der deutlich über demjenigen lag, der durch die Regelspanne abgegolten wird (VG Saarlouis, U.v. 26.5.2017 – 6 K 468/16 – juris Rn. 21). Allein wertende Schlussfolgerungen genügen grundsätzlich nicht, die Begründung muss auch einen nachvollziehbaren Tatsachenkern enthalten (vgl. OVG NW, U.v. 3.12.1999 – 12 A 2889/99 – juris Rn. 41). Hierbei ist auch zu beachten, dass die Begründung allein vom behandelnden Zahnarzt selbst gegeben werden kann. Die Klagepartei ist dazu als Adressat der Begründung weder berechtigt noch im Stande (VG Stuttgart, U.v. 21.9.2009 – 12 K 6383/07 – juris Rn. 64).
2.2 Unter Anwendung dieses Maßstabs auf den konkreten Fall ergibt sich, dass kein Anspruch auf Erstattung des 3,5-fachen Gebührensatzes der in den streitgegenständlichen Rechnung der Zahnarztpraxis … vom … … 2017 bzw. … … 2017 enthaltenen GOZ- und GOÄ-Nrn. besteht. Die im streitgegenständlichen Beihilfebescheid beanstandeten zahnärztlichen Begründungen sind allesamt nicht geeignet, den Anforderungen des §§ 5 Abs. 2 GOZ und 5 Abs. 2 GOÄ entsprechend eine Überschreitung des 2,3-fachen Gebührensatzes zu rechtfertigen.
Im Einzelnen:
2.2.1 Die Abrechnung einer 3,5-fachen Gebühr anstelle einer 2,3-fachen Gebühr hinsichtlich der GOZ Ziffer 9040 wurde in der ursprünglichen Version der Rechnung mit einem „erhöhten Zeit- und Materialaufwand mittels Rolllappen“ begründet.
Die stereotype Auflistung von Pauschalbegründungen wie die Angabe „erhöhter Zeit- und Materialaufwand“, die vom theoretischen Ansatz her im Allgemeinen einen höheren Gebührensatz rechtfertigen könnten und die möglicherweise die Behandlung des jeweils betroffenen Patienten in ihrer Gesamtheit charakterisieren, reichen für eine Begründung für einen höheren als dem 2,3-fachen Gebührensatz im Sinne von § 10 Abs. 3 i.V.m. § 5 Abs. 2 GOZ nicht aus. Denn § 5 Abs. 2 GOZ stellt bei der Ermessensausübung und § 10 Abs. 3 GOZ bei der Begründungspflicht ausdrücklich auf die einzelnen Leistungen ab. Nur dann, wenn sich bei einer konkreten Leistung eine überdurchschnittliche Erschwernis im Sinne von § 5 Abs. 2 GOZ ergibt bzw. eine generell bei der gesamten Behandlung gegebene Erschwernis konkret auswirkt, lässt § 5 Abs. 2 GOZ in Bezug auf diese konkrete Einzelleistung einen höheren als den 2,3-fachen Gebührensatz zu, wobei dies bezogen auf die Einzelleistung verständlich und nachvollziehbar zu begründen ist (OLG Köln, B.v. 13.3.2015 – I-5 U 110/14 – juris Rn. 4; Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Band 2, A III, Stand 1.11.2018, § 6 BBhV Anm. 11 (6)). Pauschale und formelhafte Schlagworte ohne konkreten Patientenbezug genügen den Anforderungen nicht.
Auch aus der Verwendung der „Rolllappentechnik“ werden keine patientenspezifischen Besonderheiten des konkreten Behandlungsfalles, sondern allenfalls (ungenügende) verfahrensbezogene Erschwernisse ersichtlich.
In den korrigierten Rechnungsversionen wurden ein extrem schmaler Kieferkamm, ein schwerer Zugang des Behandlungsgebiets wegen hoher benachbarter Seitenzähne und extrem starke muskuläre Verspannungen der Patientin als besondere Behandlungserschwernisse genannt.
Abgesehen davon, dass es sich bei diesen nunmehr ergänzend vorgebrachten Begründungen um unzulässig nachgeschobene neue Gründe handeln dürfte, sind sie auch inhaltlich nicht geeignet, die Ansetzung des Steigerungsfaktors gemäß den Vorgaben der GOZ zu rechtfertigen. Inwiefern ein schmaler Kieferkamm bei der Freilegung von Implantaten und Einsetzen von Aufbauelementen im Frontzahnbereich stören sollte, ist nicht nachvollziehbar. Benachbarte Seitenzähne hat in der Regel jeder zu behandelnde Zahn bzw. jede zu behandelnde Zahnlücke. Gerade im Frontzahnbereich ist nicht ersichtlich, wie sie den Zugang auf das Behandlungsgebiet erschweren sollten. Muskuläre Verspannungen treten bei zahnmedizinischen Behandlungen, bedingt durch das erforderliche lange Offenhalten des Mundes, häufig auf. Alle genannten Erschwernisse entsprechen damit dem üblicherweise zu erwartenden und vermögen eine überdurchschnittliche Schwierigkeit der Behandlung der Ehefrau des Klägers nicht zu begründen.
Zwar genügen nach Ansicht des vom Kläger zitierten Urteils des OVG Niedersachsens die drei Begründungen „starker Speichelfluss und schwierige Zugänglichkeit durch enge Mundöffnung und erhöhter Wangentonus“ zusammen genommen, um überdurchschnittliche Schwierigkeiten des konkreten Behandlungsfalls zu belegen (OVG Lüneburg, Urteil vom 5.4.2011 – 5 LB 231/10 -, juris Rn. 34). Gleichzeitig führt das OVG jedoch aus, dass es Zweifel daran hat, ob jede dieser Begründungen für sich geeignet wäre, überdurchschnittliche Schwierigkeiten darzulegen. Der Ansicht, dass allein die Kumulation einzelner, per se eine Schwellenwertüberschreitung nicht rechtfertigender Gründe dazu führt, dass sie nun doch als ausreichende Begründung eines erhöhten Gebührensatzes angesehen werden können, kann das erkennende Gericht nicht folgen. Auch die Benennung mehrerer durchschnittlicher Schwierigkeiten macht eine Behandlung nicht überdurchschnittlich schwierig.
2.2.2 Auch bei der ursprünglichen Begründung des Steigerungsfaktors hinsichtlich der Abrechnungsziffer GOÄ 2677 (erhöhter zeitlicher und technischer Aufwand) handelt es sich um eine nach dem oben Gesagten ungenügende Pauschalbegründung ohne Patientenbezug. Die nachgeschobene Begründung (schwerer Zugang wegen hoch einstehender Muskulatur und Bänder im Implantatbereich) ist bei einer Behandlung im unteren Frontzahnbereich ebenfalls nicht nachzuvollziehen. Die ebenfalls zur Begründung des 3,5-fachen Gebührensatzes angeführte medizinische Notwendigkeit der Vestibulumplastik zur Erzielung einer attached Ginviga (= anliegendes Zahnfleisch) ist Voraussetzung dafür, dass die GOÄ Ziffer 2677 überhaupt angesetzt werden kann (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 BayBhV) und trifft keine Aussage darüber, in welcher Gebührenhöhe die Leistungsziffer abgerechnet werden kann.
Auch hier sind also keine außergewöhnlichen Schwierigkeiten des konkreten Behandlungsfalles erkennbar.
2.2.3 Die Ansetzung des erhöhten Gebührenfaktors hinsichtlich der unter der GOZ Ziffer 5170 abgerechneten Kieferabformung wurde ursprünglich nur mit einer schwierigen Abformung über den Implantatabdruckpfosten (offener Abdruck) begründet. Auch hier werden nur verfahrensnicht jedoch patientenbezogene Besonderheiten genannt. In den korrigierten Versionen der Rechnung werden gänzlich neue Gründe für die Überschreitung des 2,3-fachen Gebührenfaktors unzulässig nachgeschoben. Auch inhaltlich sind sie nicht für die Heranziehung eines 3,5-fachen Gebührensatzes geeignet. Dass in einem Gebiet, in dem zuvor Mundschleimhauterkrankungen behandelt, Zahnbeläge entfernt und Aufbauelemente an Implantaten ausgewechselt wurden (am gleichen Behandlungstag unter den GOZ Ziffern 4020, 4050 und 9050 abgerechnet), Blutungen auftreten, ist nicht außergewöhnlich, der beschriebene Aufwand des Zahnarztes zur Trockenhaltung hält sich also im Rahmen des Üblichen. Ein Würgereiz ist bei jedem Menschen vorhanden, das Auftreten eines solchen bei der Kieferabformung häufig. Die mobilitätseinschränkte Muskulatur resultiert aus Muskelverspannungen, welche bei zahnmedizinischen Behandlungen, bedingt durch das erforderliche lange Offenhalten des Mundes häufig auftritt (s.o.). Auch hier vermag die Begründung also keinen überdurchschnittlich schwierigen Behandlungsfall erkennen zu lassen, vielmehr werden nur Schwierigkeiten beschrieben, die bei einer zahnmedizinischen Behandlung regelmäßig und in der Mehrzahl der Fälle auftreten.
2.2.4 Ein Erschwernis hinsichtlich der unter den GOZ Ziffern 5000 und 5070 abgerechneten Versorgung eines Lückengebisses durch eine Brücke oder Prothese wurde vom behandelten Zahnarzt sowohl in der ursprünglichen als auch in den korrigierten Versionen der Rechnung in einem konstruktionsbedingten zeitlichen und instrumentellen Mehraufwand bei der Anfertigung der komplizierten Implantatprothetik, einer schwierigen Bisslage, der notwendigen Auflösung von Stützzonen, einer geringen Mundöffnung und einer notwendigen Lupenpräparation gesehen.
Die Anfertigung der Prothetik ist eine gesondert abgerechnete Laborleistung. Folglich können mit ihr verbundene Schwierigkeiten nicht zur Begründung der Erhöhung der Honoarforderung herangezogen werden. Inwieweit die Bisslage der Ehefrau des Klägers schwierig gewesen sein soll, wird in der Rechnung nicht dargestellt. Anatomische Besonderheiten weist jeder zu behandelnde Patient auf. Auch die nach der Rechnung erforderliche Auflösung von Stützzonen kann einen überdurchschnittlich schwierigen Fall nicht begründen. Da zudem auch bei jedem Patienten die Fähigkeit, den Mund offen zu halten, nach langen zahnmedizinischen Behandlungen nachlässt, kann auch die Begründung „geringe Mundöffnung“ keine außergewöhnlichen Besonderheiten erklären. Der Einsatz einer Lupenbrille während der Präparation dient der Arbeitserleichterung und kann daher ebenfalls keine Erschwernis der Behandlung begründen.
Auch die Kumulation mehrerer durchschnittlicher Schwierigkeiten kann, wie oben bereits ausgeführt, allein nicht die Annahme eines überdurchschnittlich schwierigen Behandlungsfalls rechtfertigen.
Die Kürzungen der Beihilfestelle erfolgten damit insgesamt zu Recht.
2.3 An diesem Ergebnis ändert auch das Argument des Klägers, der Beklagte habe vergleichbare Mehraufwendungen in gleich gelagerten Fällen unbeanstandet gelassen, nichts.
Eine in der Vergangenheit möglicherweise zu Unrecht gewährte Beihilfe begründet keinen Anspruch des Beihilfeempfängers auf eine künftige erneute Erteilung einer Beihilfe zu Unrecht. Eine aus Art. 3 GG folgende Selbstbindung der Verwaltung erkennt die Rechtsprechung nur im Falle von Ermessensvorschriften an (Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 40 Rn. 103 ff.). Der Anspruch auf Gewährung von Beihilfe für gemäß der GOZ bzw. GOÄ abgerechnete Leistungen ist ein gebundener Anspruch und steht nicht im Ermessen der Beihilfestellen (vgl. Art. 96 Abs. 1 Satz 1 BayBG, § 7 Abs. 1 BayBhV).
Schließlich können auch die vom Kläger angesprochenen zu erwartenden Spannungen im Arzt-Patienten-Verhältnis nicht dazu führen, dass die Beihilfestellen zur Erstattung von nicht gemäß den Vorgaben der GOZ abgerechneten Leistungen verpflichtet sind.
Die Ergebnisse der seitens des Klägers angesprochenen Arbeitsgruppen sind für die gerichtliche Entscheidung ohne Einfluss.
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzu-weisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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