Medizinrecht

Beihilfe, Notarzteinsatz, Schwellenwertüberschreitung

Aktenzeichen  M 17 K 21.5676

Datum:
7.7.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17874
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBhV § 7 Abs. 1 S. 3
GOÄ § 5 Abs. 2
GOÄ-Nr. 50
GOÄ-Nr. 55
GOÄ-Nr. 75

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung weiterer Beihilfe im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Bescheid vom 3. August 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
I. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. statt aller BVerwG, U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 9). Die Aufwendungen gelten nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BayBhV in dem Zeitpunkt als entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Für die vorgenommene ärztliche Untersuchung und Behandlung entstehen Aufwendungen mit jeder Inanspruchnahme des Arztes (…, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand: September 2021 2021, Bd. 2 Anm. 12 zu § 7 Abs. 2 BayBhV).
Bei der streitgegenständlichen Behandlung am … 2021 bestimmt sich die Beihilfefähigkeit daher nach Art. 96 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juli 2008 (GVBl. S. 500), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2019 (GVBl. S. 724), und der Verordnung über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheits-, Geburts-, Pflege- und sonstigen Fällen (Bayerische Beihilfeverordnung – BayBhV) vom 2. Januar 2007 (GVBl. S. 15) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 28. September 2021 (GVBl. S. 578).
II. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 46,51 € hinsichtlich ihrer mit Rechnung vom … 2021 abgerechneten Aufwendungen für ihre ärztliche Behandlung. Die vorgenommenen Kürzungen der beihilfefähigen Aufwendungen hinsichtlich der Schwellenwertüberschreitungen bei GOÄ-Nrn. 50, 55 und 75 erfolgten allesamt zurecht.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig (Nr. 1), der Höhe nach angemessen (Nr. 2) sind und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (Nr. 3). Die Angemessenheit der Aufwendungen für ärztliche Leistungen beurteilt sich ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GOÄ. Soweit keine begründeten besonderen Umstände vorliegen, kann nur eine Gebühr, die den Schwellenwert des Gebührenrahmens nicht überschreitet, als angemessen angesehen werden, § 7 Abs. 1 Satz 3 GOÄ.
Anders als die Klagepartei meint, ist die Beihilfestelle auch berechtigt, die Notwendigkeit und Angemessenheit der seitens des Arztes in Rechnung gestellten GOÄ-Nummern zu überprüfen und hierüber zu entscheiden (vgl. § 7 Satz 6 BayBhV).
Die Abrechnung der GOÄ-Nrn. 50, 55 und 75 mit einem Steigerungsfaktor von 3,5 sind in dieser Höhe nicht beihilfefähig. Die Abrechnung steht insofern nicht mit § 5 Abs. 2 Satz 4 GOÄ in Einklang.
1. Nach § 5 Abs. 2 Satz 4 GOÄ bildet für Leistungen nach der GOÄ – abgesehen von den Ausnahmen in § 5 Abs. 3 und Abs. 4 GOÄ – der 2,3-fache Gebührensatz die nach Schwierigkeit und Zeitaufwand durchschnittliche Leistung ab. Für die in den Abschnitten A, E und O genannten Leistungen nach dem Gebührenverzeichnis der GOÄ bildet nach §§ 5 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 GOÄ der 1,8-fache Gebührensatz die nach Schwierigkeit und Zeitaufwand durchschnittliche Leistung ab. Ein Überschreiten dieses Gebührensatzes ist nur zulässig, wenn Besonderheiten, das heißt die Schwierigkeit und der Zeitaufwand der einzelnen Leistung sowie die Umstände bei der Ausführung, dies rechtfertigen. Bemessungskriterien, die bereits in der Leistungsbeschreibung berücksichtigt worden sind, haben hierbei außer Betracht zu bleiben (§ 5 Abs. 2 Satz 3 GOZ und § 5 Abs. 2 Satz 3 GOÄ).
Wenn die berechnete Gebühr das 1,8- bzw. 2,3-fache des Gebührensatzes überschreitet, ist dies auf die einzelne Leistung bezogen für den Zahlungspflichtigen verständlich und nachvollziehbar schriftlich zu begründen. Auf Verlangen ist die Begründung näher zu erläutern (§ 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 GOZ; § 12 Abs. 3 Satz 1 und 2 GOÄ). Ein Nachschieben von gänzlich neuen Gründen ist nicht zulässig. §§ 10 Abs. 3 Satz 2 GOZ und 12 Abs. 3 Satz 2 GOÄ sehen lediglich eine nähere Erläuterung der bereits in der Rechnung vorgebrachten schriftlichen Begründung für die Schwellenwertüberschreitung vor, nicht jedoch eine Ergänzung der Begründung um neue, bislang nicht vorgetragene Gründe, die eine Besonderheit des jeweiligen Behandlungsfalls rechtfertigen sollen. Unzulässig sind damit verspätet vorgebrachte neue Erwägungen, die in der bisherigen, in der Rechnung enthaltenen Begründung keine Stütze finden. Zulässig sind nur solche Erwägungen, die an die bereits vorhandene Rechnungsbegründung ansetzen. Würde man zulassen, dass die behandelnden Ärzte zeitlich unbegrenzt solange neue Gründe für die vorgenommene Erhöhung des Gebührensatzes über den 2,3-fachen Satz hinaus anführen können, bis irgendwann eine insoweit tragfähige Begründung gefunden ist, liefe das darauf hinaus, dass eine abschließende Beurteilung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen immer wieder herausgeschoben würde. Für die Beihilfestellen wäre es auch praktisch nicht handhabbar, bei jeder nachträglich neu vorgebrachten Begründung ihren Beihilfebescheid wieder abändern zu müssen (VG München, U.v. 1.8.2018 – M 17 K 17.5384 – juris Rn. 48 ff.).
Zwar ist dem Arzt bei der Bestimmung des Steigerungsfaktors durch § 5 Abs. 2 Satz 1 GOZ und § 5 Abs. 2 Satz 1 GOÄ ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbares Ermessen eingeräumt (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 14.12.2011 – 5 LA 237/10 – juris Rn. 21). Dieses besteht jedoch nur auf der Rechtsfolgenseite. Das Vorliegen von „Besonderheiten“ im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 GOZ und § 5 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 GOÄ auf der Tatbestandsseite unterliegt dagegen der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit (BVerwG, U.v. 17.2.1994 – 2 C 10/92 – juris Rn. 21).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 17.2.1994 – 2 C 10/92 – juris Rn. 22) müssen Besonderheiten in diesem Sinn gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sein. Eine in jeder Hinsicht durchschnittliche Art und Weise der Behandlung kann ein Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes (Schwellenwert) nicht rechtfertigen. Die Vorschrift hat Ausnahmecharakter und ist dementsprechend eng auszulegen. Diesem Ausnahmecharakter widerspräche es, wenn schon eine vom Arzt allgemein oder häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Patienten wegen in ihrer Person liegender Schwierigkeiten, angewandte Verfahrensweise bei einer Ausführung einer im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistung das Überschreiten des Schwellenwerts rechtfertigen würde. Erforderlich ist somit eine gerade in der Person des Betroffenen liegende Besonderheit. Der den Ausschlag für die Schwellenwertüberschreitung gebende vermehrte Aufwand muss auf eine beim betreffenden Patienten bestehende außergewöhnliche Konstitution zurückzuführen sein; rein verfahrensbezogene Besonderheiten genügen dagegen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 15.04.2011 – 14 ZB 10.1544 – juris Rn. 4; VG des Saarlandes, U.v. 26.05.2017 – 6 K 468/16 – juris Rn. 21; VG Stuttgart, U.v. 03.01.2012 – 12 K 2580/11 – juris Rn. 37; VG München, U.v. 23.05.2013 – M 17 K 12.59 – juris Rn. 37). Zwar sollte es nicht so sein, dass der Arzt bzw. Zahnarzt für die Begründung der Schwellenwertüberschreitung mehr Zeit aufwenden muss als für die eigentliche Behandlung. Ausführliche ärztliche Berichte oder gar Gutachten können daher nicht verlangt werden. Allerdings muss sich aus der gegebenen Begründung entnehmen lassen, weshalb bei dem Patienten eine von der Masse der behandelnden Fälle abweichende Besonderheit vorlag und insbesondere, worin denn diese Besonderheit bestand (VG Hannover, GB v. 7.12.2009 – 13 A 2981/09 – juris Rn. 165). Die Begründung darf dabei nicht allgemein gehalten sein, sondern muss genügend Anhaltspunkte für einen Vergleich enthalten, bei dem deutlich wird, dass die Behandlungsschritte einen ungewöhnlich hohen Schwierigkeitsgrad aufwiesen, der deutlich über demjenigen lag, der durch die Regelspanne abgegolten wird (VG des Saarlandes, U.v. 26.5.2017 – 6 K 468/16 – juris Rn. 21). Allein wertende Schlussfolgerungen genügen grundsätzlich nicht, die Begründung muss auch einen nachvollziehbaren Tatsachenkern enthalten (vgl. OVG NRW, U. v. 3.12.1999 – 12 A 2889/99 – juris Rn. 41). Hierbei ist auch zu beachten, dass die Begründung allein vom behandelnden Arzt selbst gegeben werden kann. Die Klagepartei ist dazu als Adressat der Begründung weder berechtigt noch im Stande (VG Stuttgart, U.v. 21.9.2009 – 12 K 6383/07 – juris Rn. 64).
2. Unter Anwendung dieser Grundsätze sind die drei streitigen Schwellenwertüberschreitungen nicht gerechtfertigt.
a) Die Kürzung der GOÄ-Nr. 50 auf den Regelsatz erfolgte zurecht. Die in der Rechnung aufgeführte Begründung „Notfalleinsatz“ unter Berücksichtigung der ergänzenden Ausführungen des … genügt nicht den Anforderungen der GOÄ.
Die GOÄ-Nr. 50 kann für einen Besuch, einschließlich Beratung und symptombezogener Untersuchung abgerechnet werden.
Die Begründung „Notfalleinsatz“ kann schon aus systematischen Gründen eine Schwellenwertüberschreitung der GOÄ-Nr. 50 nicht rechtfertigen (vgl. zu einem vergleichbaren Fall VG Weimar, U.v. 2.9.2003 – 4 K 2303/01.We – juris Rn. 26).
Für dringend angeforderte ärztliche Leistungen und eine unverzüglich erfolgte Ausführung sieht die GOÄ den Zuschlag E vor. Der Begriff „unverzüglich“ ist gem. § 121 Abs. 1 BGB gleichzusetzen mit der Formulierung „ohne schuldhaftes Zögern“. Im Fall der „dringenden Anforderung“ wird davon ausgegangen, dass der Arzt nach Kontaktaufnahme mit dem Patienten oder seinen Angehörigen entweder die von diesen vorgetragene Dringlichkeit bestätigt oder aber aufgrund der Symptomschilderung eine entsprechende Dringlichkeit für geboten hält (Brück, Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte, 39. EL, Stand: 1.6.2021, B V., Anmerkung 1, 3). So liegt der Fall im streitgegenständlichen „Notfalleinsatz“. Auch die Klagepartei führt selbst aus, dass es sich um einen akuten Fall und nicht um einen gewöhnlichen Hausbesuch gehandelt habe, in dem einem Patienten „lediglich die Fähigkeit fehle, von sich aus ggf. in Begleitung die Praxis zu Behandlungszwecken aufzusuchen“.
Mit der Gewährung eines Zuschlags für die Erbringung unter den in den einzelnen Zuschlagslegenden genannten Bedingungen entfällt aber die Möglichkeit, diese Umstände als Begründung für die Inanspruchnahme des Gebührenrahmens gem. § 5 Abs. 2 geltend zu machen (Brück, Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte, 39. EL, Stand: 1.6.2021, B V., Anmerkung 2).
Dass der Zuschlage E im vorliegenden Fall nicht abgerechnet wurde, führt zu keinem anderen Ergebnis. Hintergrund der Nichtabrechnung ist, dass der behandelnde Arzt die – höher bewerteten – Zuschläge F und G abgerechnet hat. Daneben ist eine Abrechnung des Zuschlags E nach der Leistungslegende der Zuschläge F und G nicht möglich. Dieses vom Normgeber gewollte Ergebnis darf nicht dadurch umgangen werden, dass der Zuschlag E in einem solchen Fall über eine Schwellenwertüberschreitung in Ansatz gebracht wird.
b) Die Kürzung der GOÄ-Nr. 55 auf den Regelsatz erfolgte zurecht. Die in der Rechnung aufgeführte Begründung „hohe Dringlichkeit“ unter Berücksichtigung der ergänzenden Ausführungen des … genügt nicht den Anforderungen der GOÄ.
Die GOÄ-Nr. 55 ist berechnungsfähig bei einer Begleitung eines Patienten durch den behandelnden Arzt zur unmittelbar notwendigen stationären Behandlung – gegebenenfalls einschließlich organisatorischer Vorbereitung der Krankenhausaufnahme.
Anders als die Klagepartei meint, rechtfertigt die Einschätzung des …, dass eine stationäre Aufnahme unabwendbar gewesen sei, nicht die Abrechnung eines erhöhten Steigerungssatzes der Höhe nach. Vielmehr bedurfte es dieser Annahme bereits zur Abrechnung der GOÄ-Nr. 55 dem Grunde nach und hat als Bemessungskriterium, das bereits in der Leistungsbeschreibung berücksichtigt worden ist, bei der Satzhöhe außer Betracht zu bleiben, vgl. § 5 Abs. 2 Satz 3 GOÄ.
Mit dem Begriff der „unmittelbar notwendigen stationären Behandlung“ soll die Dringlichkeit der Einweisung hervorgehoben werden. Nicht jede Begleitung eines Patienten zur Krankenhausaufnahme ist nach Nr. 55 berechnungsfähig, sondern nur diejenige mit einer unmittelbar notwendigen stationären Behandlung. In den entsprechenden Fällen handelt es sich zumeist um akut bedrohliche Situationen, welche die permanente Begleitung und Überwachung durch einen Arzt erforderlich machen (Brück, Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte, 39. EL, Stand: 1.6.2021, GOÄ-Nr. 55, Anmerkung 4). Bei der GOÄ-Nr. 55 handelt es sich ihrer Beschreibung nach grundsätzlich um eine Notfallmaßnahme, die den Transport bis zum Krankenhaus einschließlich eventueller organisatorischer Vorbereitungsmaßnahmen umfasst, ohne Vorgabe eines „üblichen“ oder bestimmten zeitlichen Maßes (VG Weimar, U.v. 2.9.2003 – 4 K 2303/01.We – juris Rn. 27).
Dass die Klägerin während der Fahrt im Krankenwagen unter motorischer Unruhe gelitten habe und kaltschweißig gewesen sei, was die symptombezogene Therapie und das Aufrechterhalten des kardioespiratorisches Monitoring erschwert habe (vgl. ergänzende Stellungnahme des …), klingt in der Begründung der Rechnung („hohe Dringlichkeit“) nicht einmal an. Im Übrigen erschließt sich dem Gericht der Zusammenhang mit der GOÄ-Nr. 55 nicht. Nicht zu beanstanden ist demgegenüber die Entscheidung der Beihilfestelle, diese Umstände bei anderen GOÄ-Nummern mit der Begründung „Außergewöhnlich schwierige Leistungserbringung“ zur Rechtfertigung einer Schwellenwertüberschreitung anzuerkennen.
Abgesehen davon, dass die Klagepartei selbst nicht berechtigt ist, Begründungen für die Schwellenwertüberschreitung abzugeben, stellen die vorgebrachten Schwierigkeiten bezogen auf die im Vergleich zu gewöhnlichen Verhältnissen liegende Mehrarbeit beim Bewältigen der Organisation aufgrund der Corona-Pandemie keine individuelle, patientenbezogene Begründung dar. Darüber hinaus ist eine derartige Begründung in der Rechnung nicht einmal angedeutet.
Im Übrigen kann die „hohe Dringlichkeit“ mit Blick auf die Möglichkeit des Zuschlags E aus systematischen Gründen die Schwellenwertüberschreitung der GOÄ-Nr. 55 nicht rechtfertigen (vgl. Rn. 33 f.). Eine mehrmalige Berücksichtigung im Rahmen von Schwellenwertüberschreitungen widerspräche darüber hinaus auch den Allgemeinen Bestimmungen zu „V. Zuschläge zu den Leistungen nach den Nummern 45 bis 62“. Danach ist der Zuschlage E, ebenso wie die Zuschläge F und G, unabhängig von der Anzahl und Kombination der erbrachten Leistungen je Inanspruchnahme des Arztes nur einmal berechnungsfähig.
c) Die Kürzung der GOÄ-Nr. 75 auf den Regelsatz erfolgte zurecht. Die in der Rechnung aufgeführte Begründung „hohe Dringlichkeit“ unter Berücksichtigung der ergänzenden Ausführungen des … genügt nicht den Anforderungen der GOÄ.
Die GOÄ-Nr. 75 ist berechnungsfähig für einen ausführlichen, schriftlichen Krankheits- und Befundbericht einschließlich Angaben zur Anamnese, zu dem(n) Befund(en), zur epikritischen Bewertung und gegebenenfalls zur Therapie.
Vom ausführlichen schriftlichen Krankheits- und Befundbericht abzugrenzen sind die Befundmitteilung und der einfache Befundbericht, die beide mit der Gebühr für die zugrundeliegende Leistung abgegolten sind. Die Befundmitteilung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Beschreibung des Befundes. Der einfache Befundbericht geht im Umfang über die bloße Befundmitteilung hinaus und enthält ggf. zusätzlich eine Verdachtsdiagnose bzw. eine Auswahl möglicher Diagnosen. Sowohl die Befundmitteilung als auch der einfache Befundbericht erfüllen dagegen nicht die Erfordernisse eines ausführlichen schriftlichen Krankheits- und Befundberichts, der sich insbesondere auszeichnet durch die individuelle, auf den Patienten abgestellte epikritische Bewertung der Anamnese, der erhobenen Befunde und ggf. des Krankheitsverlaufs sowie der Therapie (Brück, Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte, 39. EL, Stand: 1.6.2021, GOÄ-Nr. 75, Anmerkung 2).
Aus den abgegebenen Begründungen ergibt sich nicht, warum der ausführliche schriftliche Krankheits- und Befundbericht von großer Dringlichkeit gekennzeichnet gewesen sein soll. Abgesehen davon, dass die Klagepartei nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht zur Abgabe einer Begründung berechtig ist, erschließt sich diese dem Gericht nicht. Wenn die Klagepartei eine Schwellenwertüberschreitung der GOÄ-Nr. 75 mit der Begründung, „die ganze Situation bedingte eine umfangreiche Instruktion der Ärzte der aufnehmenden Klinik über die aktuelle gesundheitliche Lage der liegend angelieferten Klägerin“ gerechtfertigt sieht, verkennt sie die Anforderungen der GOÄ-Nr. 75, die einen schriftlichen Krankheits- und Befundbericht fordert. Die gewöhnliche Instruktion der Ärzte unterfällt als organisatorische Vorbereitung der Krankenhausaufnahme vielmehr GOÄ-Nr. 55.
3. Die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung wird insbesondere auch nicht dadurch impliziert, dass die private Krankenkasse der Klägerin ihren Anteil an den Behandlungskosten übernommen hat (BayVGH, B.v. 14.5.2014 – 14 ZB 13.2658 – juris Rn. 8). Selbiges gilt für die Übereinstimmung der abgerechneten Schwellenwertüberschreitungen mit den Bestimmungen der GOÄ.
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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