Medizinrecht

Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung – Erstattungsanspruch

Aktenzeichen  L 10 AL 55/17 NZB

Datum:
6.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 110913
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 144, § 145
SGB X § 104
SGB III § 324 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Der Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung verlangt, dass die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 In der Rechtsprechung ist geklärt, dass trotz Fehlens eines rechtzeitigen Antrags beim vorrangigen Leistungsträger dem nachrangigen Leistungsträger ein Erstattungsanspruch zusteht, wenn die Dispositionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht des Leistungsempfängers nicht durch das Antragserfordernis geschützt werden sollen (hier: Berufsausbildungsbeihilfe). (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 17 AL 337/16 2017-02-14 GeB SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 14. Februar 2017 – S 17 AL 337/16 – wird zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 341,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Streitig ist der Anspruch auf Erstattung der von der nachrangig verpflichteten Klägerin an den Leistungsempfänger (W.) erbrachten Leistungen durch die Beklagte.
Die Klägerin gewährt W. Jugendhilfe gemäß dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) seit 02.09.2015. Mit Schreiben vom 29.09.2015 (eingegangen bei der Beklagten laut deren Akten am 01.10.2015) beantragte die Klägerin Berufsausbildungsbeihilfe für W. bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 17.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2016 bewilligte die Beklagte Berufsausbildungsbeihilfe ab 01.10.2015 (für die Monate Oktober bis Dezember 2015 in Höhe von 341,00 Euro monatlich). Für September 2015 sei keine Berufsausbildungsbeihilfe zu bewilligen, denn der nach § 324 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) erforderliche Antrag sei erst am 01.10.2015 eingegangen.
Mit der zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen allgemeinen Leistungsklage hat die Klägerin die Erstattung erbrachter Leistungen für September 2015 begehrt und auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie einen Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts (LSG) im Verfahren L 10 AL 47/16 NZB verwiesen.
Mit Gerichtsbescheid vom 14.02.2017 hat das SG die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die für W. gewährten Leistungen der Berufsausbildungsbeihilfe für die Zeit vom 02.09.2015 bis 30.09.2015 in Höhe von insgesamt 341,00 EUR zu erstatten. Ein Erstattungsanspruch gemäß § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bestehe in Höhe von 341,00 EUR. Hinsichtlich der Erforderlichkeit einer rechtzeitigen Antragstellung werde auf die Rechtsprechung des Bayer. Landessozialgerichts (Beschluss vom 04.04.2016 – L 10 AL 47/16 NZB -) Bezug genommen. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.
Dagegen hat die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde zum LSG erhoben.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sachlich aber nicht begründet. Es gibt keinen Grund, die gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG wegen des Wertes des Beschwerdegegenstandes ausgeschlossene Berufung zuzulassen. Der Beschwerdewert wird nicht erreicht. Auch sind nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 11.Aufl, § 144 Rdnr. 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand der Rechtsprechung und Literatur nicht ohne Weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr. 17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr. 4).
Die vorliegende Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, denn sie ist nach dem Stand der Rechtsprechung bereits geklärt (vgl. hierzu Beschluss des Senates vom 04.04.2016 – L 10 AL 47/16 NZB -). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG Urteil vom 23.01.2014 – 5 C 8/13 – veröffentlicht in juris) hängt das Bestehen eines Erstattungsanspruchs nicht davon ab, dass der Leistungsempfänger rechtzeitig einen Antrag an die Erstattungsverpflichteten gestellt hat, zumindest wenn – wie vorliegend – die Dispositionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht des Leistungsempfängers nicht durch das Antragserfordernis geschützt werden soll (vgl. hierzu die Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 22.04.1998 – B 9 VG 6/96 R – und diese Rechtsprechung weiterentwickelnd im Urteil vom 28.04.1999 – B 9 V 8/98 R – beide veröffentlicht in juris). Ein Klärungsbedarf besteht daher im streitgegenständlichen Verfahren nicht, denn die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – „auch die Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichts kann Klärungsbedarf ausschließen“ (vgl. Leitherer a. a. O. § 160 Rdnr. 8) – und des BSG stimmen insoweit überein.
Die Ausführungen des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.12.2015 – L 4 P 1171/15 – veröffentlicht in juris) machen hingegen diese Rechtslage nicht erneut klärungsbedürftig (vgl. dazu Leitherer a. a. O. § 160 Rdnr. 8b), denn diese Entscheidung stützt sich zum einen auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 03.09.2012 – 12 A 1082/12 – veröffentlicht in juris), die aber durch das BVerwG mit der Entscheidung vom 23.01.2014 – 5 C 8/13 – gerade aufgehoben worden ist. Zudem ist die Rechtsfrage zumindest durch das Urteil des BSG vom 28.04.1999 (a. a. O.) geklärt, denn auch wenn dieses Urteil nicht zu § 104 SGB X ergangen ist (so LSG Baden-Württemberg a. a. O.), so ist es zur Auslegung vergleichbarer Regelungen heranzuziehen und gibt ausreichend Anhaltspunkte dafür, wie die konkret aufgeworfenen Rechtsfrage zu beantworten ist (vgl. dazu Leitherer a. a. O. § 160 Rdnr. 8). In der Literatur selbst wird die Auffassung des LSG Baden-Württemberg nur vereinzelt (Kater in Kasseler Kommentar, SGB X, § 104 Rdnr. 9b Stand 12/2105) gestützt.
Nachdem das SG auch nicht von der obergerichtlichen Rechtsprechung abweicht und Verfahrensfehler weder erkennbar noch geltend gemacht worden sind, war die Beschwerde mit der Folge zurückzuweisen, dass das Urteil des SG rechtskräftig ist (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Halbsatz 1 SGG i. V. m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 3 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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