Medizinrecht

Beschränkung des Zutritts zu Gemeinderatssitzungen für Mitglieder des Gemeinderats nach der sog. 3-G-Regel (geimpft, genesen, getestet) kann auf Haus- und Ordnungsrecht nach Art. 53 Abs. 1 Satz 1 GO gestützt werden.

Aktenzeichen  B 9 E 21.1008

Datum:
13.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31162
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GO Art. 53 Abs. 1
VwGO § 123

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der ihr der uneingeschränkte Zugang zur Stadtratssitzung am 13. September 2021 und allen folgenden Stadtratssitzungen gewährt wird.
Die Antragstellerin ist Stadträtin des Stadtrats der Antragsgegnerin.
Mit E-Mail vom 10. September 2021 teilte der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin ihren Stadträten mit, dass die bisher getroffenen Schutz- und Hygienemaßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 neu bewertet worden seien und ab sofort neue Maßnahmen gelten würden. Diese lauten wie folgt:
„1. Im jeweiligen Sitzungssaal einschließlich Begegnungs- und Verkehrsflächen sowie Sanitäranlagen gilt die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske für alle Sitzungsteilnehmer. Die Maskenpflicht gilt nicht nach Einnahme des festen Sitzplatzes, soweit zuverlässig ein Mindestabstand von 1,5 m zu anderen Personen gewahrt wird, die nicht dem eigenen Hausstand angehören. Für Befreiungen von der Maskenpflicht ist § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der 14. BayIfSMV mit der Einschränkung analog anzuwenden, dass entsprechende Nachweise spätestens am Tag vor der Sitzung beim ersten Bürgermeister eingereicht werden.
2. Der Zugang zu Sitzungen kommunaler Gremien der Stadt … darf nur durch solche Personen erfolgen, die im Sinne des § 2 Nr. 2, 4, 6 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung (SchAusnahmV) nachweislich geimpft, genesen oder negativ getestet sind (3G-Regelung), wobei als Testnachweis ein vor höchstens 48 Stunden vorgenommener PCR-Test oder vor höchstens 24 Stunden vorgenommener POC-Antigentest oder ein Selbsttest unter Aufsicht gilt.“
Ab der Stadtratssitzung am Montag, 13. September 2021, gebe es entsprechende Zugangskontrollen. Bei den stattfindenden Zugangskontrollen werde gebeten, den Nachweis eines Immunitätsstatus (geimpft oder genesen) in analoger oder digitaler Form bereitzuhalten. Zudem bestehe ab 16:00 Uhr die Möglichkeit, direkt an der Stadthalle einen Selbsttest unter Aufsicht durchzuführen, welcher ebenfalls zum Zutritt berechtige. Die getroffenen Maßnahmen seien auf Empfehlung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration vom 2. September/3. September 2021 sowie des Hauptausschusses der Antragsgegnerin vom 8. September 2021 auf Grundlage des Hausrechts sowie der Ausübung der Sitzungsordnung durch den Ersten Bürgermeister erfolgt. Es sei vorgesehen, das Einvernehmen des Stadtrats in der Sitzung vom 13. September 2021 herzustellen.
Die Antragstellerin machte gegenüber dem ersten Bürgermeister mit E-Mail vom 12. September 2021 ihre Bedenken gegen die getroffenen Maßnahmen geltend.
Mit Schriftsatz vom 13. September 2021, Eingang beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth durch Telefax am selben Tag, erhob die Antragstellerin Klage (B 9 K 21.1009) mit dem Antrag unter Aufhebung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 13. September 2021, betreffend der 3-G-Regelung für den Besuch von Stadtratsmitgliedern bei der Stadtratssitzung, die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Antragstellerin Zugang zur Stadtratssitzung am 13. September 2021 und allen folgenden Stadtratssitzungen zu gewähren. Zudem begehrte die Antragstellerin, vorläufigen Rechtsschutz gegen die Antragsgegnerin und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Zur Begründung trug die Antragstellerin im Wesentlichen vor, dass sie sich gesund fühle und keinerlei Symptome einer Krankheit zeige. Sie sei weder geimpft, noch genesen und sei in den letzten zwei Jahren nicht krank gewesen. Zur Teilnahme an der Sitzung des Stadtrats am 13. September 2021 wolle der erste Bürgermeister nur Stadträte zulassen, die geimpft, genesen oder getestet seien. Hierfür seien den Stadträten … der Firma … zur Verfügung gestellt worden. Diese Tests sollten unter Zeugen vor Ort ausgeführt werden. Dies verletze ihre Menschenwürde und ihr Recht auf Unversehrtheit und Freiheit. Ferner werde der Schutz der Teilnehmer durch eine solche Testung nicht hergestellt. In der Gebrauchsanweisung des Tests sei zu lesen, dass die Kreuzkontamination während der Probenverarbeitung nicht kontrolliert werde, was zu falsch positiven Ergebnissen führen könne. Positive Testergebnisse würden in Zeiten geringer/keiner SARS-CoV-2-Aktivitäten bei niedriger Krankheitsprävalenz mit größerer Wahrscheinlichkeit falsch positive Ergebnisse darstellen. Selbst bei gesunden Menschen könne es zu einem positiven Testergebnis kommen. Da eine Gewährleistung des Herstellers für falsche Ergebnisse von vornherein ausgeschlossen sei, sei der Test für den Nachweis einer Erkrankung nicht geeignet. Mediziner würden ferner darauf hinweisen, dass eine Erkrankung erst vorliege, wenn die Viren das Innere des Körpers und damit das Blut erreicht hätten. Man dürfe einem Menschen daher nicht seiner Grundrechte berauben, wenn lediglich Corona-Viren in der Schleimhaut nachgewiesen würden.
Unter dem 13. September 2021 erwiderte die Antragsgegnerin, dass die Vierzehnte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (14. BayIfSMV) vom 1. September 2021 auf Sitzungen der nach den Kommunalgesetzen vorgesehenen Gremien als Teil der Exekutive keine Anwendung finde. Davon unberührt bleibe aber weiterhin die Befugnis, gegen die Teilnehmer an Stadtratssitzungen Maßnahmen der Sitzungsordnung nach Art. 53 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (GO) zu erlassen. Hierzu würden die Anordnung der Maskenpflicht und die Zugangsbeschränkung nach der 3-G-Regelung (Geimpft, Genesen, Getestet) zählen. Die getroffenen Maßnahmen seien vom Bayerischen Staatsministerium des Inneren, für Sport und Integration empfohlen worden. Die Sitzplätze in der Stadthalle seien so angeordnet, dass ein Mindestabstand von 1,5 m gewährt sei, sodass die Maskenpflicht nur während der Sitzung zu verneinen sei. Als eine den Sitzungsbetrieb allgemein störende Maßnahme könne in der gegenwärtigen Infektionslage auch eine Infektionsgefahr angesehen werden, welche beim Verzicht auf das Tragen einer Maske am Platz von nicht entsprechend der 3-G-Vorgaben eingelassenen Teilnehmer ausgehen könne. Die getroffene Anordnung habe den legitimen Zweck, der weiteren Ausbreitung von Infektionen mit dem Corona-Virus entgegenzuwirken, sowie dem Interesse zu dienen, die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit eines kommunalen Gremiums wie dem Stadtrat der Antragsgegnerin zu erhalten. Gegen das Argument der Antragstellerin, Selbsttests würden ungenau sein, spreche die Bayerische Infektionsschutzverordnung, die seit längerem Selbsttests vorsehe. Durch das Angebot von Selbsttests vor Ort ohne Kostenbeteiligung werde die Ausübung des Mandats bzw. die Teilnahme als Zuhörer an der Sitzung durch die getroffenen Anordnungen nicht unangemessen beeinträchtigt.
Ergänzend wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
I. Der Antrag der Antragstellerin ist nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend auszulegen, dass sie vorläufig, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, Zugang zu den bis dahin stattfindenden Stadtratssitzungen des Stadtrats der Antragsgegnerin ohne die mit E-Mail vom 10. September 2021 getroffenen Schutz- und Hygienemaßnahmen hat.
II. Der Antrag ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
a. Die Antragstellerin ist als Mitglieder des Stadtrates der Antragsgegnerin entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt, da sie geltend machen kann, möglicherweise in ihrem Recht aus Art. 48 Abs. 1 Satz 1 GO verletzt zu sein. Aus der in Art. 48 Abs. 1 Satz 1 GO normierten Teilnahmepflicht ergibt sich spiegelbildlich auch ein Teilnahmerecht des Stadtratsmitglieds an einer ungehinderten Ausübung seiner Teilnahmepflicht in den Stadtratssitzungen. Dieses Teilnahmerecht beinhaltet insbesondere ein Recht auf Anwesenheit in den Sitzungen, Teilnahme an der Beratung und auf Stimmabgabe (vgl. hierzu auch VG Augsburg, U.v. 12.8.2019 – Au 7 K 18.1674 – juris Rn. 28). Die Antragstellerin macht geltend, möglicherweise durch die vom ersten Bürgermeister angeordneten Schutz- und Hygienemaßnahmen, insbesondere der Regelung, dass nur noch gegen COVID-19 geimpfte, genesene oder getestete Personen Zugang zu Stadtratssitzungen haben, in ihrem Teilnahmerecht an Stadtratssitzungen verletzt zu sein.
b. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist auch im Hinblick auf § 123 Abs. 5 VwGO statthaft. In der Hauptsache ist eine allgemeine Leistungsklage statthaft, da das streitgegenständliche Schreiben des ersten Bürgermeisters, welches auf seinem Hausrecht beruht, mangels Außenwirkung keinen Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Satz 1 Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) darstellt. Es handelt sich vielmehr um eine sogenannte innerorganschaftliche Streitigkeit zwischen einem Stadtratsmitglied und dem ersten Bürgermeister über organschaftliche Rechte, hier das uneingeschränkte Teilnahmerecht an Sitzungen eines Stadtratsmitglieds.
3. Der Antrag erweist sich jedoch insgesamt als unbegründet.
a. Richtige Antragsgegnerin ist hier die Stadt … als Rechtsträgerin des Stadtrates (vgl. BayVGH, B.v. 18.7.1989 – 4 CE 89.2120 – NVwZ-RR 1990, 99 m.w.N.).
b. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht, gegebenenfalls bereits vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt ein besonderes Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) im Interesse der Wahrung des behaupteten Rechts (Anordnungsanspruch) voraus. Beides ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO). Maßgebend für die Beurteilung sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Das Gericht berücksichtigt bei seiner Entscheidung auch, dass in einem Organstreit eine Vorwegnahme der Hauptsache, wie sie mit der getroffenen einstweiligen Anordnung erfolgt, nur in seltenen Ausnahmefällen gerechtfertigt sein kann. In einem Organstreit ist im Gegensatz zum Außenrechtsstreit nicht über Individualrechte, sondern über innerorganisatorische Kompetenzen zu entscheiden. Diese sind den Antragstellern nicht um ihrer selbst willen, sondern im Interesse der Gemeinde zugewiesen und daher weder aus den Grundrechten herzuleiten, noch im Schutzbereich der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG)) angesiedelt. Gemessen daran kommt es für den Anordnungsgrund in einem Organstreit nicht auf die subjektive Betroffenheit des jeweiligen Antragstellers, sondern darauf an, ob die einstweilige Anordnung im Interesse der Körperschaft objektiv notwendig bzw. – bei einer Vorwegnahme der Hauptsache – unabweisbar erscheint. Entscheidend für die Vorwegnahme der Hauptsache ist neben der Bedeutung der konkreten Angelegenheit für die Gemeinde vor allem der Rang des Rechtssatzes, dessen Verletzung durch die einstweilige Anordnung abgewendet werden soll (vgl. OVG NW, B.v. 20.7.1992 – 15 B 1643/92 – juris Rn. 42 ff. m.w.N.). Im vorliegenden Verfahren kommt jedoch jede mögliche Entscheidung zumindest teilweise faktisch einer Entscheidung in der Hauptsache gleich, da zumindest die Teilnahme an der Stadtratssitzung am 13. September 2021 und der entsprechenden Beratung und Beschlussfassung in dieser Sitzung nicht nachholbar wäre. Daher ist ein besonders strenger Maßstab an die Glaubhaftmachung des Anspruchs der Antragstellerin, mithin die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs in der Hauptsache, anzusetzen.
c. Die Antragstellerin hat zwar einen Anordnungsgrund und damit die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung glaubhaft i. S. d. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO gemacht. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn die Voraussetzungen nach § 123 Abs. 1 VwGO für die einstweilige Anordnung vorliegen (Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 53), d.h. im Falle der Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wenn die Regelung nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Es stellt für die Antragstellerin einen wesentlichen Nachteil dar, wenn sie bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise zu Unrecht durch die Zugangsbeschränkungen zu den Sitzungen in ihrem Teilnahmerecht beeinträchtigt wäre und dadurch ihre Einflussmöglichkeit auf Entscheidungen des Stadtrats verlieren würde.
d. Jedoch hat die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch i. S. d. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht.
Wie dargestellt ergibt sich aus der in Art. 48 Abs. 1 Satz 1 normierten Teilnahmepflicht an Stadtratssitzungen ein spiegelbildliches Teilnahmerecht an den Sitzungen. Hierzu zählt auch der generell ungehinderte Zugang zu den Sitzungen des einzelnen Stadtratsmitglieds um seiner Teilnahmepflicht nachkommen zu können. Das sich aus der Teilnahmepflicht ergebende Teilnahmerecht eines jeden Gemeinderatsmitglieds besteht jedoch nicht uneingeschränkt. Bereits in Art. 53 Abs. 1 Satz 3 GO hat der Gesetzgeber normiert, dass ein Mitglied des Gemeinderats dann von einer Sitzung ausgeschlossen werden kann, wenn es die Ordnung fortgesetzt erheblich stört. Da ein kompletter Ausschluss eines Gemeinderatsmitglieds bei einer erheblichen Störung der Ordnung einer Sitzung gesetzlich möglich ist, kann erst Recht der Zugang zu einer Sitzung des Gemeinderats bzw. Stadtrats beschränkt werden, wenn dies zur Wahrung der Ordnung erforderlich ist.
Nach Art. 53 Abs. 1 Satz 1 GO i. V. m. 46 Abs. 1 Satz 1 GO ist der erste Bürgermeister zur Handhabung der Ordnung und zur Ausübung des Hausrechts berechtigt. Der erste Bürgermeister hat im Rahmen seiner Sitzungsleitung einen geordneten, insbesondere ungestörten Ablauf der Gemeinderatssitzung sicherzustellen. Deshalb kann und muss er aufgrund der ihm eingeräumten Ordnungsbefugnis alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um einen ungestörte Beschlussfassung möglich zu machen. Die Ordnungsmaßnahmen können dabei gegen Zuhörer wie gegen Gemeinderatsmitglieder gerichtet sein. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung gehört auch, dass vermeidbare Belästigungen, insbesondere gesundheitsgefährdende Einwirkungen während der Sitzung auf Gemeinderatsmitglieder vermieden werden. Das einzelne Gemeinderatsmitglied hat nach Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) einen Anspruch auf körperliche Unversehrtheit. Gemeinderatsmitglieder sind deshalb grundsätzlich während der Gemeinderatssitzung von gesundheitsgefährdenden Einwirkungen zu verschonen (vgl. Wachsmuth in Schulz/Wachsmuth, PdK Bayern, Band 1, Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern – Kommentar, Stand Juli 2011, Art. 53 GO Nr. 1.2). In öffentlichen Gemeinderatssitzungen kann es aus Gründen der öffentlichen Ordnung daher gerechtfertigt sein, den aus der Anwesenheit von Zuhörern und Gemeinderatsmitgliedern resultierenden Gesundheitsrisiken für die (nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 GO zur Sitzungsteilnahme verpflichteten) Ratsmitgliedern durch geeignete Vorkehrungen entgegenzuwirken und dadurch eine auch von psychologischen Hemmnissen möglichst unbeeinträchtigte Atmosphäre zu schaffen (vgl. BayVGH, B.v. 7.4.2021 – 4 CE 21.601 – juris Rn. 26 m.w.N.).
Zu den objektiv bestehenden Risiken, die sich durch Ordnungsmaßnahmen des ersten Bürgermeisters minimieren lassen, gehört in der aktuellen Pandemielage die mögliche Ansteckung mit dem Corona-Virus. Im Landkreis … steigt die COVID-19 7-Tages-Inzidenz seit Mitte August 2021 wieder deutlich an (vgl. https://www.corona-in-zahlen.de/landkreise/lk%20lichtenfels/, abgerufen am 13. September 2021). Die von der Antragstellerin insbesondere angegriffene Maßnahme der Zugangsbeschränkung zu den Sitzungen nach der 3-G-Regelung dient als ergänzende Regelung zur angeordneten Maskenpflicht, die nur auf Begegnungs- und Verkehrsflächen und bei der freien Bewegung im Sitzungssaal gilt. Eine Maskenpflicht auf dem Platz gibt es aufgrund der Mindestabstände hingegen nicht. Auch die Aerosolentwicklung und damit ein Ansteckungsrisiko wird durch das Tragen von Masken nicht gänzlich verhindert. Die ergänzende Regelung der Zugangsbeschränkung nach der 3-G-Regelung dient daher dem Gesundheitsschutz der Gemeinderatsmitglieder und der Zuhörer in der Sitzung als solche. Es soll dadurch vermieden werden, dass sich geimpfte, genesene oder nicht geimpfte Personen insbesondere mit Virus-Mutationen anstecken und so eine Infektionsquelle „Stadtratssitzung“ entsteht, die weitere und Infektionsketten zur Folge hätte. Auch wenn sich die Antragstellerin gesund fühlt und derzeit symptomfrei ist, kann sie Trägerin des COVID-19 Virus sein, sodass es auf das subjektive Befinden einer Person bei einer Teilnahme an einer Stadtratssitzung nicht ankommen darf, sondern diese allein an objektiven Kriterien (3-G-Regelung) festzumachen ist. Ferner wird die Funktionsfähigkeit des Stadtrats aufrechterhalten, da mögliche Quarantäne-Fälle durch eine Zugangsbeschränkung nach der 3-G-Regelung vermieden werden können.
Die getroffene Zugangsbeschränkung nach der 3-G-Regelung ist auch verhältnismäßig, da die Antragstellerin als nicht geimpfte oder genesene Person nicht generell von der Sitzung ausgeschlossen wird. Ihr wird lediglich eine Testpflicht auferlegt. Hierbei wird ihr sogar kostenfrei ein Schnelltest zur Verfügung gestellt, welcher vor Ort und daher kurzfristig durchgeführt werden kann. Ihr entstehen daher keine finanziellen Schäden, die sie an einer Ausübung ihres Mandats hindern könnten.
Soweit die Antragstellerin vorträgt, dass Schnelltest fehleranfällig seien und manchmal positiv negative oder negativ positive Testergebnisse anzeigen, so ist auszuführen, dass die bisherigen Bayerischen Infektionsschutzverordnungen trotz der Fehleranfälligkeit von Schnelltests diese als wirksames Mittel gegen eine COVID-19 Ausbreitung und für den Erhalt der Gesundheit der Bürger angesehen hat, sodass Schnelltest trotz der Fehleranfälligkeit durchaus ein geeignetes Mittel darstellen. Ergänzend hierzu wird auch auf die Ausführungen des OVG Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 10. Juni 2021 – OVG 11 S 76/21 – juris Rn. 58 verwiesen.
Die getroffene Zugangsbeschränkung ist daher von Art. 53 Abs. 1 Satz 1 GO umfasst. Hinsichtlich der angeordneten Maskenpflicht gelten ebenfalls obige Erwägungen, sodass auch diese vom Ordnungsrecht des ersten Bürgermeisters erfasst ist.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i. V. m. Nr. 1.5, 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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