Medizinrecht

Beurlaubung, Krankenhausbehandlung, Krankenhaus, Auslegung, Selbstbeteiligung, Behandlungsfall, Erledigung, Behandlung, Abrechnung, Wirtschaftlichkeitsgebot, Zahlung, Verfahren, Erstattungsanspruch, Zeitpunkt, Rechtsprechung des BSG, erweiternde Auslegung, bezifferte Geldleistung

Aktenzeichen  S 10 KR 400/21

Datum:
13.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49741
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.786,89 € nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7. Juli 2021 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 3.786,89 € festgesetzt.

Gründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt haben, § 128 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Klage ist begründet, die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Betrags.
Streitgegenständlich ist vorliegend der im Aufrechnungsweg geltend gemachte Erstattungsanspruch der Beklagten gegen eine nach Art und Höhe unstreitige Rechnung der Klägerin für einen weiteren Behandlungsfall. Entscheidend ist daher, ob die Beklagte berechtigt ist, gegen die spätere Forderung der Klägerin mit dem behaupteten Rückzahlungsanspruch aus dem Behandlungsfall des Versicherten D. aufzurechnen, weil die Klägerin im Hinblick auf die ursprünglichen Forderungen keinen Vergütungsanspruch gehabt habe.
Der im vorliegenden Fall entstandene und nicht im Streit stehende Vergütungsanspruch der Klägerin ist nicht durch Aufrechnung erloschen. Die Aufrechnung ist zwar grundsätzlich zulässig, sie richtet sich im Verhältnis zwischen Krankenhaus und Krankenkasse gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V nach den Vorschriften der §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach setzt eine Aufrechnung die Gegenseitigkeit und Gleichartigkeit der Forderungen, die Erfüllbarkeit der Hauptforderung, die Fälligkeit der Gegenforderung und das Nichtbestehen eines Aufrechnungsverbotes voraus. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die rechtswirksame Aufrechnung scheidet bereits insoweit aus, als der Beklagten ein Rückzahlungsanspruch wegen der zunächst bezahlten Rechnungen für den Behandlungsfall D. nicht zustand. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Vergütung dieser Krankenhausbehandlungen in der jeweils geltend gemachten Höhe.
Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V in Verbindung mit der Pflegesatzvereinbarung. Danach hat die Klägerin Anspruch auf die Vergütung der abgerechneten stationären Krankenhausbehandlungen.
Von der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Rechnungen der Klägerin vom 24.10.2019 und vom 02.12.2019 ist auszugehen. Eine Fallzusammenführung kommt zur Überzeugung des Gerichts nicht in Betracht. Hierzu finden sich in § 2 FPV in der maßgeblichen Fassung abschließende Regelungen: Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 FPV hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen, wenn ein Patient innerhalb der oberen Grenzverweildauer wieder aufgenommen und für die Wiederaufnahme eine Einstufung in dieselbe Basis-DRG vorgenommen wird. Die Wiederaufnahme des Versicherten ist nicht innerhalb der oberen Grenzverweildauer bei DRG M02B (11 Tage) erfolgt. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 FPV ist eine Fallzusammenführung weiter vorzunehmen, wenn ein Patient innerhalb von 30 Kalendertagen ab der ersten Aufnahme wieder aufgenommen wird und innerhalb der gleichen Hauptdiagnosegruppe die abrechenbaren Fallpauschalen in unterschiedlichen Partitionen entsprechend der weiteren Regelung einzugruppieren sind. Die Wiederaufnahme des Versicherten ist auch nicht innerhalb von 30 Kalendertagen erfolgt. Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 FPV ist eine Fallzusammenführung außerdem vorzunehmen, wenn die Wiederaufnahme wegen einer in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallenden Komplikation im Zusammenhang mit der ersten durchgeführten Leistung erfolgt. Auch hierfür ist im vorliegenden Fall nichts vorgetragen oder ersichtlich. Die Regelungen in der FPV zur Fallzusammenführung sind damit nicht einschlägig, eine erweiternde Auslegung kommt grundsätzlich nicht in Betracht, da die Abrechnungsvorschriften nach ständiger Rechtsprechung des BSG eng am Wortlaut auszulegen sind.
Tatsächlich ist im vorliegenden Fall auch keine Beurlaubung der Versicherten erfolgt. Für die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung ist aber nur entscheidend, ob eine Beurlaubung umgesetzt wurde, nicht, ob das Krankenhaus den Patienten beurlauben hätte müssen (so auch BSG, Urteil vom 28.03.2017, Aktenzeichen B 1 KR 23/16 R).
Zur Überzeugung des Gerichts ergibt sich auch nichts Anderes unter Beachtung der Rechtsprechung des BSG zum fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhalten, wonach eine Rechnungskürzung dann in Betracht kommt, wenn das Krankenhaus bei wirtschaftlichem Alternativverhalten nur einen entsprechend niedrigeren Kostenanspruch gehabt hätte. Danach hat ein Krankenhaus auch bei der Vergütung der Krankenhausbehandlung durch Fallpauschalen einen Vergütungsanspruch gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nur für eine erforderliche, wirtschaftliche Krankenhausbehandlung. Das Wirtschaftlichkeitsgebot zwingt das Krankenhaus, bei der Behandlungsplanung die Möglichkeit wirtschaftlichen Alternativverhaltens zu prüfen und gegebenenfalls zu nutzen. Wählt das Krankenhaus einen unwirtschaftlichen Behandlungsweg, kann es allenfalls die Vergütung beanspruchen, die bei fiktivem wirtschaftlichen Alternativverhalten angefallen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 19.11.2019, Aktenzeichen B 1 KR 6/19 R mit weiteren Nachweisen).
Zur Überzeugung des Gerichts spricht jedoch viel dafür, dass mit Einführung der Regelung § 8 Abs. 5 Satz 3 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) die abrechnungsmäßige Zusammenfassung getrennter stationärer Aufenthalte zu einem abrechenbaren Behandlungsfall in anderen als den in der Fallpauschalenvereinbarung genannten Fällen unter Verweis auf wirtschaftliches Alternativverhalten, insbesondere auch unter Verweis auf eine mögliche Beurlaubung als wirtschaftliches Alternativverhalten ausgeschlossen ist. § 8 Abs. 5 KHEntgG in der hier maßgeblichen Fassung vom 11.12.2018 bestimmt:
Werden Patientinnen oder Patienten, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Näheres oder Abweichendes regeln die Vertragsparteien nach § 17b Abs. 2 Satz 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes oder eine Rechtsverordnung nach § 17b Abs. 7 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes. In anderen als den vertraglich oder gesetzlich bestimmten Fällen ist eine Fallzusammenführung insbesondere aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht zulässig.
In der Gesetzesbegründung (BT-Drs 19/5593, S. 125) wird hierzu ausgeführt: Die Ergänzung von § 8 Absatz 5 stellt klar, dass die von den Vertragsparteien auf Bundesebene in der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) getroffenen Abrechnungsbestimmungen zur Fallzusammenführung als abschließende Konkretisierung der Zulässigkeit einer Fallzusammenführung aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebots zu verstehen sind. Eine von den Regelungen der FPV abweichende oder darüber hinausgehende Argumentation zur Notwendigkeit einer Fallzusammenführung, die sich auf das Wirtschaftlichkeitsgebot stützt, ist damit nicht zulässig.
Insoweit überzeugt die Argumentation der Beklagten, wonach der Verweis auf die Beurlaubung – neben den in § 2 FPV geregelten Tatbeständen – einen eigenen Tatbestand der Möglichkeit der Fallzusammenführung darstelle, der vom Ausschluss nach § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG nicht erfasst werde, nicht. Denn tatsächlich ist im vorliegenden Fall keine Beurlaubung des Versicherten erfolgt, dieser wurde vielmehr am 09.10.2019 zunächst endgültig aus der stationären Behandlung entlassen. Für die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung ist aber nur entscheidend, ob eine Beurlaubung umgesetzt wurde, nicht, ob das Krankenhaus den Patienten beurlauben hätte müssen (so auch BSG, Urteil vom 28.03.2017, Aktenzeichen B 1 KR 23/16 R). Das BSG führt in den seitens der Beklagten zitierten Entscheidungen lediglich den Verweis auf eine mögliche Beurlaubung als fiktives rechtmäßiges Alternativverhalten an, das den Vergütungsanspruch unter Vorhalt des Wirtschaftlichkeitsgebots entsprechend begrenzen soll. Der Verweis auf ein fiktives wirtschaftliches Alternativverhalten soll nach der Gesetzesbegründung zu § 8 Abs. 5 KHEntgG durch die Neuregelung in Satz 3 der Vorschrift aber gerade ausgeschlossen sein.
Jedenfalls liegen aber auch die Voraussetzungen zur Verweisung der Klägerin auf die Beurlaubung des Versicherten als fiktives wirtschaftliches Alternativverhalten auch bei weiterer Anwendung der hierzu entwickelten Rechtsprechung des BSG nicht vor. Zur Beurlaubung bestimmt § 1 Abs. 7 Satz 4 FPV in der maßgeblichen Fassung, dass vollständige Tage der Beurlaubung nicht zur Verweildauer zählen, gemäß Satz 6 der Regelung liegt bei Fortsetzung der Krankenhausbehandlung nach einer Beurlaubung keine Wiederaufnahme im Sinne von § 2 FPV vor, so dass im Falle der Beurlaubung nur ein stationärer Aufenthalt abzurechnen wäre. Gemäß § 1 Abs. 7 Satz 5 FPV liegt eine Beurlaubung vor, wenn ein Patient mit Zustimmung des behandelnden Krankenhausarztes die Krankenhausbehandlung zeitlich befristet unterbricht, die stationäre Behandlung jedoch noch nicht abgeschlossen ist. Eine Beurlaubung setzt auch nach der Rechtsprechung des BSG nach Wortlaut und Regelungssystem zu § 1 Abs. 7 FPV eine bereits zum Zeitpunkt der Unterbrechung der Krankenhausbehandlung beabsichtigte Wiederaufnahme in das Krankenhaus voraus (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.2015, Aktenzeichen B 1 KR 3/15 R). Hierfür ist zwar nicht erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Unterbrechung der Krankenhausbehandlung bereits feststeht, dass der Patient nach der Unterbrechung wieder aufgenommen wird, ausreichend aber auch erforderlich ist vielmehr, dass das Krankenhaus bei Behandlungsunterbrechung die Indikation für die Wiederaufnahme stellt, um die Behandlung zeitnah fortzusetzen, und der Therapieplan insoweit eine Wiederaufnahme in überschaubarer Zeit vorsieht (vgl. BSG, Urteil vom 28.03.2017, Aktenzeichen B 1 KR 29/16 R). Den vom BSG hierzu entschiedenen Fällen lag jeweils eine Wiederaufnahme innerhalb weniger Tage zu Grunde.
Im hier vorliegenden Fall erfolgte die erste stationäre Aufnahme des Versicherten am 07.10.2019 notfallmäßig bei Harnverhalt. Die Behandlung des akuten Harnverhalts erfolgte mit Zystoskopie, Tamponadenentfernung, TUR-Koagulation, Spül-K-Einlage und -Entfernung und war bei Entlassung des Versicherten am 09.10.2019 abgeschlossen. Zwar wurde im Entlassbrief bereits die Wiedervorstellung zur Re-TUR-Prostata im Verlauf empfohlen, ein Therapieplan, der die Wiederaufnahme zur zeitnahen Fortsetzung der Behandlung vorsah, kann hier jedoch nicht erkannt werden. Die stationäre Aufnahme zur operativen Sanierung erfolgte am 15.11.2019, mithin mehr als 5 Wochen später und nicht zeitnah im Sinne der Rechtsprechung des BSG im Rahmen eines einheitlichen Therapieplans zur Fortsetzung der Behandlung des Versicherten nach notfallmäßiger Aufnahme vom 07.10.2019.
Die Rechnungskürzung unter Verweis auf eine mögliche Behandlung des Versicherten innerhalb eines Aufenthalts mit zwischenzeitlicher Beurlaubung als rechtmäßiges wirtschaftliches Alternativverhalten kommt daher zur Überzeugung des Gerichts nicht in Betracht.
Weitere Einwände gegen die Rechnungstellung der Klägerin für den Behandlungsfall D. hat die Beklagte nicht erhoben und sind auch nicht ersichtlich. Ausgehend von der zutreffenden Rechnungstellung bestand daher ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch der Beklagten nicht, die Aufrechnung ist zu Unrecht erfolgt, die Klägerin hat ab dem 07.07.2021 einen weiteren Vergütungsanspruch in der geltend gemachten Höhe. Der Zinsanspruch ergibt sich aus der für die Beteiligten geltenden Pflegesatzvereinbarung.
Der Klage war daher vollumfänglich stattzugeben.
Die Kostentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1, 155 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit dem Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Klageantrag auf eine bezifferte Geldleistung gerichtet war, ist deren Höhe maßgeblich, § 52 Abs. 3 GKG.


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