Medizinrecht

Corona-Pandemie, 2G, Regel, Vorbereitungskurse für Meisterschüler, Zugang zum Präsenzunterricht für nicht geimpfte Personen

Aktenzeichen  20 NE 22.69

Datum:
21.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 706
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
BayIfSMV § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 115.
IfSG § 28a Abs. 7 S. 1 Nr. 4
IfSG § 28c
SchAusnahmV § 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 20.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit ihrem Antrag wenden sich die Antragsteller, die an Vorbereitungskursen zur Erlangung des Meistertitels im Zimmererhandwerk bzw. des Maurer- und Betonbauerhandwerks befinden, gegen § 5 Abs. 1 der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 23. November 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 816) i.d.F. der Änderungsverordnung vom 17. Januar 2022 (BayMBl. 2022 Nr. 41) und beantragen deren Außervollzugsetzung.
Die angegriffene Norm hat folgenden Wortlaut:
„§ 5 Geimpft oder genesen (2G)“
(1) Im Hinblick auf geschlossene Räume darf der Zugang zu
1. der Gastronomie, dem Beherbergungswesen, den Hochschulen, Bibliotheken und Archiven, zu außerschulischen Bildungsangeboten einschließlich der beruflichen AusFort- und Weiterbildung sowie Musikschulen, Fahrschulen und der Erwachsenenbildung und infektiologisch vergleichbaren Bereichen, Veranstaltungen von Parteien und Wählervereinigungen und
2. Dienstleistungen, bei denen eine körperliche Nähe zum Kunden unabdingbar ist und die keine medizinischen, therapeutischen oder pflegerischen Leistungen sind,
vorbehaltlich speziellerer Regelungen dieser Verordnung nur durch Besucher erfolgen, soweit diese i.S.d. § 2 Nr. 2 und 4 SchAusnahmV geimpft oder genesen oder unter 14 Jahre alt sind.“
Die Antragsteller erstreben als gegen die Coronavirus-Krankheit nicht immunisierte bzw. von dieser Krankheit nicht genesene Personen Zugang zu den Vorbereitungskursen zur Erlangung des Meistertitels in ihren jeweiligen Handwerksberufen in Präsenz.
Die Antragssteller beantragen,
die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der 15. BayIfSMV enthaltenen Bestimmungen vorläufig außer Vollzug zu setzen, soweit darin im Hinblick auf den Zugang zu geschlossenen Räumen im Rahmen von außerschulischen Bildungsangeboten einschließlich der beruflichen Aus-, Fortund Weiterbildung nur geimpften und genesen Personen Zutritt gewährt wird.
Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus, die Antragsteller befänden sich in der abschließenden Phase ihres Vorbereitungskurses. Die Abschlussprüfungen seien für den März vorgesehen. Die Antragsteller hätten bereits erhebliche finanzielle Aufwendungen für ihre Ausbildung getätigt. Neben diesen erheblichen Aufwendungen entstünden den Antragstellern erhebliche Verdienstausfälle. Sollte es den Antragstellern nicht möglich sein, die Vorbereitungskurse ordnungsgemäß zu beenden und sich auf die anstehenden Abschlussprüfungen adäquat vorzubereiten, seien erhebliche gegebenenfalls existenzbedrohende Schäden zu erwarten. Seit dem 10. Januar 2022 bestehe in der Handwerkskammer in Oberfranken ein Zutrittsverbot für ungeimpfte Personen mit negativem Testergebnis, sodass es den Antragstellern nicht mehr möglich sei, an den Vorbereitungskursen teilzunehmen. Die geimpften und genesenen Kursteilnehmer hätten Präsenzunterricht in der gewohnten Form, während ungeimpfte und nicht genesene Personen trotz negativem Test nicht mehr am Unterricht teilnehmen dürften und auch nicht online oder hybrid geschult würden. Vor Einführung der 2G-Regelung hätten sich die ungeimpften und nicht genesenen Personen dreimal wöchentlich unter Aufsicht von Dozenten vor Unterrichtsbeginn getestet. In Bezug auf den Antragsteller zu 2. sei speziell der praktische Vorbereitungskurs betroffen. Die Antragsteller seien in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der allgemeinen Handlungsfreiheit, dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz sowie der Berufsfreiheit verletzt.
Die Antragsteller haben mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 20. Januar 2022 noch einmal Stellung genommen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Den beiden Antragstellern fehle bereits das Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag. Nach ihrem Vortrag gingen sie ihrer jeweiligen Meister-Ausbildung seit Mai 2021 nach. Die angegriffene Regelung bestehe seit dem 23. November 2021. Es wäre den Antragstellern möglich gewesen, in der Zwischenzeit einen vollständigen Impfschutz zu erlangen. Der Antrag sei jedenfalls unbegründet. Es fehle schon an der berufsregelnden Tendenz, denn die angefochtene Norm diene nicht der Zulassungs- oder Ausübungsregelung von Berufen, sondern allein dem Infektionsschutz. Selbst wenn man rein hypothetisch annähme, es läge ein Eingriff vor, so handele es sich um eine Berufsausübungsregelung. Die Berufswahl selbst werde nicht beeinflusst. Beim Einsatz innerhalb des Betriebs sei bereits der Tatbestand der Norm nicht erfüllt, sondern § 28b IfSG. Beim Besuch der Berufsschule gelte § 12 15. BayIfSMV. Im Übrigen existierten entsprechende Vollzugsausnahmen (z.B. i.R.d. überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung). Hier berücksichtige der Antragsgegner das regelmäßig noch junge Lebensalter der Auszubildenden, deren Unerfahrenheit und altersgemäß noch nicht unbedingt voll ausgebildete geistige Reife bzgl. der Impfentscheidung. Meisterschüler seien dagegen deutlich älter, durch die bereits zurückliegende grundständige Berufsausbildung gereift und durch die Werktätigkeit gefestigt. Von einem angehenden Meister, der nach Abschluss seiner Fortbildung beispielsweise in der Lage wäre, einen Betrieb eigenständig zu führen, müsse verlangt werden können, Entscheidungen, die die eigene Gesundheit betreffen, verantwortungsvoll und frei von den Einflüssen anderer treffen zu können. Hierzu gehöre, wie auch sonst im Leben in einem freiheitlichen Gemeinwesen, die Bereitschaft, die Folgen seiner Entscheidungen anzunehmen. Somit komme es nicht darauf an, ob Distanzlernangebote allgemein oder konkret für die Antragsteller zur Verfügung stünden. Der Antragsgegner könne hierzu auch keine umfassenden quantitativen Ausführungen machen. Es liege bei Handwerksberufen aber freilich in der Natur der Sache, dass sie sich für eine rein virtuelle Betätigung kaum eigneten, so dass der Antragsgegner nicht davon ausgehe, dass in diesen Bereichen nennenswerte Distanzangebote erbracht bzw. eingefordert werden könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der nur zum Teil zulässige Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist unbegründet.
A. Der Antrag ist zulässig, soweit die Antragsteller unmittelbar durch die Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 15. BayIfSMV betroffen sind. Nur insoweit sind sie antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 VwGO. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der 15. BayIfSMV trifft eine Regelung für alle außerschulischen Bildungsangeboten einschließlich der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung. Die Antragsteller sind aber lediglich hinsichtlich der nur in Präsenz stattfindenden Vorbereitungskurse ihres angestrebten Meisterberufes, also im Rahmen ihrer Fortbildung, betroffen (vgl. § 45 Abs. 2 HwO, § 1 Abs. 4 Nr. 2 BBiG). Die Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 15. BayIfSMV ist auch insoweit teilbar, weil es sich bei der beruflichen Fortbildung um einen klar abgrenzbaren Bereich handelt und die verbleibende Regelung (sonstige außerschulische Bildung) nach dem Sinn einer Schutzverordnung nach § 32 IfSG und dem entsprechenden anzunehmenden hypothetischen Willen des Normgebers fortgelten soll (vgl. hierzu allgemein: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 82).
B. Der Antrag ist, soweit er zulässig ist, jedoch unbegründet.
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.
Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12).
Lassen sich die Erfolgsaussichten dagegen nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – „dringend geboten“ ist (§ 47 Abs. 6 VwGO, vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12).
2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes davon aus, dass Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen sind.
a) Die angegriffene Bestimmung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayIfSMV verfügt mit §§ 28a Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 16 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 32 Satz 1 und 2 IfSG über eine grundsätzlich ausreichende Rechtsgrundlage i.S.d. Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG.
Die genannten Bestimmungen ermächtigen die Landesregierungen bzw. die von ihnen bestimmten Stellen, zur Bekämpfung der Corona-Pandemie die notwendigen Schutzmaßnahmen zu erlassen, wozu nach § 28a Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 IfSG insbesondere die Verpflichtung zur Vorlage von Impf-, Genesenen- oder Testnachweisen sowie an die Vorlage solcher Nachweise anknüpfende Beschränkungen des Zugangs in den oder bei den in § 28a Abs. 1 Nr. 4 bis 8 und 10 bis 16 IfSG im einzelnen genannten Betrieben, Gewerben, Einrichtungen, Angeboten, Veranstaltungen, Reisen und Ausübungen gehören können. Dass § 28a Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 voraussichtlich auch dazu ermächtigt, den Zugang von der Vorlage ausschließlich von Impf- und Genesenennachweisen abhängig zu machen („2G“), hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. B.v. 8.12.2021 – 20 NE 21.2821 – juris Rn. 22 ff.; B.v. 27.12.2021 – 20 NE 21.2977 – juris Rn. 20 ff.); auf die genannten Beschlüsse wird insoweit Bezug genommen. Damit liegt bei summarischer Prüfung eine ausreichende gesetzliche Ermächtigung dafür vor, den Zugang zu außerschulischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung oder ähnlichen Einrichtungen (§ 28a Abs. 1 Nr. 16 IfSG) an den Nachweis der Impfung oder Genesung zu knüpfen.
b) Die einfachgesetzlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage, insbesondere aus § 28a Abs. 7 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 und Abs. 5 IfSG, sind gegenwärtig aller Voraussicht nach erfüllt (vgl. nur BayVGH, B.v. 27.12.2021 – 20 NE 21.2916 – juris Rn. 24 ff.; B. v. 19.1.2022 – 20 NE 21.3119). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung, die sich aus der Risikobewertung des RKI vom 14. Januar 2022 ergibt.
c) Die Beantwortung der Frage, ob die Beschränkung des Zugangs zu den in § 5 Abs. 1 15. BayIfSMV genannten beruflichen Fortbildungsangeboten auf Personen, die nachweisen können, geimpft oder genesen zu sein, im Falle der Vorbereitungskurse für Meister und Meisterinnen im Handwerk im Ergebnis als verhältnismäßig erweist, muss aufgrund schwieriger tatsächlicher und rechtlicher Fragen offenbleiben.
aa) Die Regelung ist zwar geeignet, Ansteckungen in geschlossenen Räumen der in § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 15. BayIfSMV genannten Betriebe und Einrichtungen zu verhindern oder zumindest auf immunisierte Personen zu beschränken, damit einer Verbreitung von Covid-19 entgegenzuwirken und das Risiko schwerer Krankheitsverläufe mit der Folge der Überlastung der intensivmedizinischen Versorgungskapazitäten zu verringern. Nach der Risikoeinschätzung des RKI (Stand: 14.1.2022) erweist sich die Infektionsgefährdung für die Gruppe der Ungeimpften als sehr hoch, für die Gruppen der Genesen und Geimpften mit Grundimmunisierung (zweimalige Impfung) als hoch und für die Gruppe der Geimpften mit Auffrischimpfung (dreimalige Impfung) als moderat.
bb) Die angegriffene Regelung erscheint bei summarischer Prüfung auch erforderlich zur Erreichung des Normzwecks. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass dem Verordnungsgeber in der oben beschriebenen derzeitigen Phase der Pandemie zur Erreichung der in § 28a Abs. 3 IfSG formulierten Ziele im Rahmen des derzeit geltenden Regelungssystems mildere Mittel zur Verfügung stehen würden. Insbesondere ist ein Testerfordernis für nicht-immunisierte Personen nicht gleichermaßen geeignet, da nur-getestete Personen vor schwerwiegenden Krankheitsverläufen bei einer Infektion – im Gegensatz zu geimpften oder genesenen Personen -nicht geschützt sind und nach derzeitigem Kenntnisstand die Infektion auch in stärkerem Ausmaß und für einen längeren Zeitraum weiterverbreiten können.
cc) Es bestehen aber begründete Zweifel an der Angemessenheit der Maßnahme. Ein wesentliches Element der Rechtsprechung des Senats zur Beschränkung von Bildungsangeboten war und ist, dass alle Betroffenen möglichst Zugang zu diesen Bildungsangeboten erhalten. Dies gilt auch im besonderen Maß für außerschulische Bildungsangebote, soweit das Angebot berufsbezogen ist (Art. 12 Abs. 1 GG). Bei der Bewertung der Eingriffstiefe ist indessen einzubeziehen, ob digitale Unterrichtsformen möglich sind (BayVGH, B. v. 22.2.2021 – 20 NE 21.395 -, juris Rn. 26; B. v. 27.12.2021 – 20 NE 21.2977 – juris).
Die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte des Verordnungsermessens dürfte zwar bei Verordnungen, die auf § 28a Abs. 1 und 7 IfSG basieren, zurückgenommen sein. Anders als unter der Geltung des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG i.d.F. vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I S. 587 ff.; BT-Drucks 19/18111; vgl. hierzu BayVGH, B.v. 4.10.2021 – 20 N 20.767 – juris) hat der Gesetzgeber für Maßnahmen gegen COVID-19 ein ausführliches Maßnahmenpaket beschrieben und Eingriffsvoraussetzungen formuliert. Insoweit kommt § 28a Abs. 3 IfSG i.d.F. vom 10. September 2021 (BGBl. 2021 I S. 4147) als Zielvorgabe und Maßstab der infektionsschutzrechtlichen Schutzmaßnahmen zentrale Bedeutung zu. Die Erwägung des Verordnungsgebers, die derzeitige pandemische Lage lasse den Betrieb von außerschulischen Bildungseinrichtungen nur unter den 2G-Voraussetzungen zu, stellt grundsätzlich keine sachfremde Erwägung dar (BayVGH, B. v. 27.12.2021 – 20 NE 21.2977 – juris).
Im Rahmen der Angemessenheit der Maßnahme ist ebenso zu berücksichtigen, dass nach § 5 Abs. 3 15. BayIfSMV Personen im Rahmen der Durchführung von Prüfungen bei Vorlage eines Testnachweises nach § 4 Abs. 6 Nr. 1 (Nr. 1), und im Rahmen der Durchführung laufender Prüfungsblöcke, die bereits vor dem 24. November 2021 begonnen haben (Nr. 3), zugelassen werden können. Zudem ist die Impfung gegen COVID-19 nach der derzeitigen Rechtslage für die Antragsteller grundsätzlich freiwillig. Die Ablehnung der Impfung durch sie beruht wie bei dem überwiegenden Teil der Betroffenen allein auf ihrer autonomen Entscheidung. Anders als bei vollständigen Zugangsverboten im bisherigen Verlauf der Pandemie steht es den Antragstellern, die keine Kontraindikationen der Impfung geltend gemacht haben, jedoch frei, durch die Impfung das für sie bestehende Zugangshindernis auszuräumen. Nach derzeitigem Kenntnisstand sind schwerwiegende Nebenwirkungen der Impfung sehr selten und ändern nicht das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis der Impfstoffe (Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts vom 23.12.2021 S. 4, https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsbe-richte/sicherheitsbericht-27-12-20-bis-30-11-21.pdf? blob=publicationFile& v=7). Dieser Umstand ist bei der Bewertung der Eingriffstiefe in Art. 12 Abs. 1 GG zu berücksichtigen.
Auf der anderen Seite fällt jedoch auch ins Gewicht, dass die Antragsteller nach ihrem vom Antragsgegner unwidersprochenen Vortrag, inmitten der Vorbereitung zur Erlangung des Meistertitels sind und erhebliche finanzielle und zeitliche Verpflichtungen eingegangen sind, um das von ihnen angestrebte Ziel, den Abschluss des Meisters und den damit verbundenen Fortbildungsabschluss (§ 45 Abs. 2 HwO) in einem Handwerk, zu erreichen. Diese Verpflichtungen sind die Antragsteller vor Inkrafttreten der Maßnahme bereits eingegangen oder standen jedenfalls inmitten ihrer Vorbereitung. Insoweit handelt es sich um einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Antragsteller. Sie sind besonders betroffen, weil sie sich am Ende ihres Ausbildungsabschnittes befinden, der mit den Prüfungen im März 2022 endet. Dem Vortrag des Antragsgegners ist allerdings zu entnehmen, dass er im Rahmen des Verwaltungsvollzuges bereit ist, großzügig Ausnahmen zu erteilen. So weist er selbst darauf hin und dies ist auch der Information der Handwerkskammer für den Bezirk Oberfranken zu entnehmen (https://www.hwk-oberfranken.de/artikel/informationen-zu-lehrgaengen-pruefungen-veranstaltungen-und-besuchen-der-hwk-72,0,2487.html), dass im Rahmen der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung, also im Rahmen der beruflichen Ausbildung, generelle Ausnahmen erteilt wurden. Analog zu den Berufsschulen wurden im Bereich der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung für ungeimpfte und nicht genesene Lehrlinge Selbst-/Schnelltests zugelassen. Lehrlinge ohne 3G-Nachweis können damit am Praxisunterricht teilnehmen, werden aber täglich getestet (Selbsttest). Diese Ausnahmeregelungen gelten offensichtlich bayernweit (vgl. nur https://www.hwk-mittelfranken.de/artikel/unsere-btz-bildungs-und-technologiezentren-75,1551,3777.html; https://www.hwk-muenchen.de/artikel/aktuelle-regelungen-in-unseren-bildungsstaetten-74,0,9884.html#:~:text=%C3%9Cberbetriebliche%20Lehrlingsunterweisung%20findet%20wieder%20statt,ihren%20Impf%2D%20oder%20Genesenennachweis%20bzw.). Im Hinblick auf diese Verwaltungspraxis und den schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragsteller haben die Antragsteller und auch andere Meisterschüler, die sich in einem Ausbildungsmodul des Vorbereitungslehrgangs befinden, deshalb einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 16 Abs. 2 15. BayIfSMV (vgl. auch BayVGH, B. v. 14.7.2020 – 20 NE 20.1489 – juris Rn 21). Dies gilt unabhängig davon, ob sich § 5 Abs. 1 Nr. 1 15. BayIfSMV hinsichtlich der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung letztlich als wirksam erweist und entspricht gerade im Falle der Antragsteller der Wertung des § 5 Abs. 3 Nr. 1 15. BayIfSMV, wonach Personen im Rahmen der Durchführung von Prüfungen zugelassen werden können.
3. Die bei offenen Erfolgsaussichten angezeigte Folgenabwägung ergibt, dass eine Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelung nicht dringend geboten ist.
a) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht, hätte ein zu erhebender Normenkontrollantrag aber Erfolg, wären außerschulische Bildungsangebote der beruflichen Fortbildung zumindest teilweise zu Unrecht zugangsbeschränkt worden. Durch den weiteren Vollzug der angegriffenen Regelung käme es möglicherweise zu ggf. irreversiblen Eingriffen in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit mit nachteiligen wirtschaftlichen und persönlichen Folgen. Bei der Bewertung der Eingriffstiefe ist indessen wesentlich einzubeziehen, dass das Zugangshindernis der fehlenden Impfung bei den Antragstellern und der weit überwiegenden Zahl der Fälle auf einer freiwilligen Entscheidung beruht. Zudem müssen im Verwaltungsvollzug in den aufgezeigten Fällen Ausnahmen von den Verwaltungsbehörden erteilt werden.
b) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, bliebe ein Normenkontrollantrag aber erfolglos, hätte die einstweilige Außervollzugsetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 15. BayIfSMV hinsichtlich der beruflichen Fortbildung zur Folge, dass sämtliche dieser Bildungsangebote ab sofort wieder unbeschränkt, d.h. ohne Zugangsbeschränkung für ungeimpfte Personen, zugelassen wären. Dadurch wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit vermehrten Infektionen mit SARS-CoV-2 und mit einem Ansteigen von schweren Verläufen der Corona-Krankheit zu rechnen. Ob sich an dieser Einschätzung durch den stetig steigenden Anteil der Omikron-Variante etwas ändern könnte, kann nach der derzeitigen Erkenntnislage nicht beantwortet werden. Die Omikronvariante besitzt ausgeprägte immunevasive Eigenschaften. Diese wirken sich in einer Herabsetzung der Impfeffektivität sowie Reduktion bzw. Verlust der Wirksamkeit bestimmter monoklonaler Antikörper aus. Es deutet sich an, dass der Impfschutz gegen schwere Erkrankung bei Immungesunden nach jetzigem Kenntnisstand erheblich weniger beeinträchtigt ist als der Schutz vor Infektion / Transmission. Für die gesamte Bundesrepublik ergab sich aus den IfSG-Daten ein Omikronanteil von 73% (KW 52/2021: 51%) an allen erfassten variantenspezifischen Untersuchungen, hingegen ist der Anteil von Delta auf knapp 26% (KW 52/2021: 49%) gesunken. Damit ist gemäß IfSG Daten Omikron seit KW 01/2022 die vorherrschende SARS-CoV-2-Variante in Deutschland (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2022-01-13.pdf? blob=publicationFile). Insoweit bleibt abzuwarten, ob sich zukünftig entscheidende neue Erkenntnisse und Entwicklungen ergeben.
c) In dieser Situation ergibt die Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Interessen der Antragsteller und anderer Betroffener.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 9. Februar 2022 außer Kraft tritt (§ 18 15. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nach Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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