Medizinrecht

Einschränkungen des Präsenzunterrichts wegen des Coronavirus

Aktenzeichen  20 NE 21.497

Datum:
22.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 5691
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
12. BayIfSMV § 18 Abs. 1
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 28a, § 32 S. 1
VwGO § 47 Abs. 6

 

Leitsatz

1. Die Regelungen in § 18 Abs. 1 der 12. BayIfSMV sind voraussichtlich materiell rechtmäßig, weil sie sich bei summarischer Prüfung an die Vorgaben des verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden § 28a IfSG halten (Fortführung von BayVGH BeckRS 2021, 4746). (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßnahmen in Schulen, die bei Überschreitung der 7-Tage-Inzidenz von 100 regelmäßig zum Distanzunterricht führen, sind bei summarischer Prüfung gegenwärtig verhältnismäßig. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1. Der Antragsteller, der die vierte Grundschulklasse in Bayern besucht, beantragt zuletzt, § 18 Abs. 1 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV vom 5. März 2021, BayMBl. 2021 Nr. 171), die mit Ablauf des 28. März 2021 außer Kraft tritt (§ 30 12. BayIfSMV), durch Erlass einer einstweiligen Anordnung vorläufig außer Vollzug zu setzen.
2. Mit seinem zunächst gegen § 18 Abs. 1 11. BayIfSMV gerichteten und mit Schriftsatz vom 9. März 2021 auf die aktuelle Verordnung umgestellten Eilantrag trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, die angegriffene Norm sei schon deshalb materiell rechtswidrig, weil es bereits an einer verfassungsmäßigen Ermächtigungsgrundlage fehle. Der § 28a IfSG sei im Hinblick auf Dauer, Reichweite und Intensität möglicher Maßnahmen nicht hinreichend bestimmt, um eine wirksame inhaltliche Rechtskontrolle zu ermöglichen. Zudem werde die angegriffene Bestimmung den Anforderungen aus § 28 Abs. 6 IfSG nicht gerecht. Eine Vielzahl von Studien und Erfahrungsberichten belegten, dass Schülerinnen und Schüler nur einen sehr geringen Anteil an der Pandemie hätten. Schulschließungen seien daher insbesondere für Grundschüler weder notwendig noch verhältnismäßig. Die Folgen der Schulschließung seien gravierend. Die insbesondere psychischen Gesundheitsfolgen geschlossener Schulen seien für Kinder und Jugendliche massiv. Je länger die Schulschließungen andauerten, desto mehr Kinder nähmen Schaden. Während der positive Beitrag von Grundschulschließungen zur Pandemiebekämpfung höchst zweifelhaft und nicht nachgewiesen sei, zeigten sich die negativen Wirkungen für die Kinder jeden Tag deutlicher.
3. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und verteidigt die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bestimmung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
A.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Ein in der Hauptsache zu erhebenden Normenkontrollantrag gegen § 18 Abs. 1 Satz 3 12. BayIfSMV hat unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei summarischer Prüfung keinen Erfolg (2). Eine Folgenabwägung geht zulasten des Antragstellers aus (3.).
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.
Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ juris Rn. 12).
Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
2. Nach diesen Maßstäben ist der Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung der § 18 Abs. 1 Satz 3 bis 5 12. BayIfSMV abzulehnen, weil der in der Hauptsache zu erhebende Normenkontrollantrag bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg hat.
a) Der Senat geht jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutzverfahren davon aus, dass die Maßnahmen nach § 18 Abs. 1 12. BayIfSMV mit § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 16 IfSG eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage haben (BayVGH, B.v. 8.12.2020 – 20 NE 20.2461 – juris Rn. 24 ff.).
b) Die Regelungen in § 18 Abs. 1 12. BayIfSMV sind voraussichtlich materiell rechtmäßig, weil sie sich bei summarischer Prüfung an die Vorgaben in § 28a IfSG halten.
aa) Zur Begründung kann zunächst auf die Senatsrechtsprechung verwiesen werden. Anträge auf vorläufige Außervollzugsetzung der Schulschließungen nach § 18 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV hat der Senat mit Beschlüssen vom 29. Januar 2021 (Az. 20 NE 21.201 – BeckRS 2021, 791), 15. Februar 2021 (Az. 20 NE 21.411 – juris), 2. März 2021 (Az. 20 NE 21.469 – BeckRS 2021, 3794) zur 11. BayIfSMV und vom 16. März 2021 (20 NE 21.627) zur 12. BayIfSMV abgelehnt.
Der Senat hat ausgeführt:
„Nach wie vor ist davon auszugehen, dass wegen der Überschreitung des Schwellenwertes von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen nach §§ 28a Abs. 3 Satz 4 und 5, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Der Senat geht ebenso nach wie vor davon aus, dass die Schließung von Schulen mit der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag kraft Gesetzes eine grundsätzlich zur Bekämpfung der Coronavirus-Krankheit-2019 geeignete und erforderliche Infektionsschutzmaßnahme ist. Davon ist der Gesetzgeber durch den Erlass des mit Artikel 1 des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) eingefügten § 28a IfSG ausgegangen. Zwar sind die dadurch eingeräumten Befugnisse der Infektionsschutzbehörden und damit vor allem des Verordnungsgebers nach § 32 IfSG, Untersagungs- und Beschränkungsmaßnahmen für ganze Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie allgemeine Verhaltenspflichten für jedermann zur Bekämpfung von COVID-19 zu erlassen, zum Teil sehr weitgehend und in die Grundrechte der Betroffenen tief eingreifend. Auf der anderen Seite muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese Befugnisse allein auf das Ereignis der Corona-Pandemie zugeschnitten sind und jedenfalls flächendeckend nur für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag erlassen werden können. Dadurch hat der Bundestag eine Gefährdungseinschätzung durch die Corona-Pandemie, welche sowohl Gefahrenabwehrelemente als auch Gefahrenprognoseelemente (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 28.6.2004 – 6 C 21.02 – BeckRS 2004,25030) enthält, zum Ausdruck gebracht, welche grundsätzlich solch einschneidende Maßnahmen voraussichtlich rechtfertigen kann. Dass der Bundestag hier seinen weiten Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung von Teilhaberechten (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 12.5.2020 – 1 BvR 1027/20 – NVwZ 2020, 1823) überschritten hätte, ist nicht ersichtlich. Bei der Entscheidung über die weitere Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite muss gegebenenfalls die Sach- und Interessenlage neu abgewogen werden. Deswegen greifen die Einwendungen der Antragsteller, Schulschließungen seien nicht geeignet und erforderlich, um das Infektionsgeschehen einzudämmen, nicht durch. Damit bleibt die Frage zu beantworten, ob die zeitlich befristete Schließung von Schulen auch angemessen bzw. verhältnismäßig im engeren Sinne ist, weil § 28a Abs. 1 Nr. 16 IfSG auch vorsieht, dass Auflagen für die Fortführung ihres Betriebs, sog. Hygieneauflagen, getroffen werden können. Diese sind im Hinblick auf die Antragsteller grundsätzlich das mildere Mittel zur Infektionsbekämpfung. Die Angemessenheit der auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn fordert, dass der Nutzen der Maßnahme nicht zu den dadurch herbeigeführten Beeinträchtigungen außer Verhältnis stehen darf. Das Gebot erfordert eine Abwägung zwischen dem Nutzen der Maßnahme und den durch die Maßnahmen herbeigeführten Beeinträchtigungen und setzt dem Ergebnis eine Grenze (vgl. Grzeszick in Maunz/Dürig, Art. 20 GG VII. Rn. 117). Ob Schulschließungen in der konkreten Situation im entscheidungserheblichen Zeitpunkt eine angemessene Schutzmaßnahme darstellen, hat der Verordnungsgeber nach § 32 IfSG zu entscheiden. Dieser hat in einer dokumentierten Entscheidung die besonders gewichtigen infektiologischen Erfordernisse mit sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit nach § 28a Abs. 6 IfSG abzuwägen. Dabei dürfte es sich um eine prognostische Abwägungsentscheidung handeln, welche dem Verordnungsgeber einen Beurteilungsspielraum eröffnet, der gerichtlich nur begrenzt überprüfbar ist (BayVGH, B.v. 8.12.2020 – 20 NE 20.2461 – juris). Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt allerdings die Frage, ob der Verordnungsgeber von sachlichen und nicht offensichtlich unzutreffenden Erwägungen ausgegangen ist. Hierbei kommt der Begründung der Verordnung nach § 28 a Abs. 5 IfSG besondere Bedeutung zu. Insoweit enthält die Begründung der 11. BayIfSMV (BayMBl. 2020 Nr. 738 S. 5) lediglich Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber angesichts der dramatischen Situation der Reduzierung der Kontakte einen unbedingten Vorrang einräumen wollte. Bei der Verlängerung der Maßnahme mit Verordnung vom 8. Januar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 5) ging der Antragsgegner weiter davon aus, dass mit Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen die Schulen weiter geschlossen bleiben müssten. Kinder und Jugendliche seien als Teil des Infektionsgeschehens zu betrachten. Insgesamt zeigten sich ein deutlicher Anteil an COVID-19 Fällen bei Kindern und Jugendlichen, insbesondere in der Altersgruppe der 10- bis 19-Jährigen, aber auch im Grundschulalter. Deshalb sei die Schließung der Schulen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens durch weitest gehende Kontaktreduktion notwendig (vgl. BayMBl. 2021 Nr. 6). Auch zu diesem Zeitpunkt dienten die Schulschließungen angesichts der stagnierenden Infektionslage auf hohem Niveau als Mittel der allgemeinen Kontaktreduzierung. Ob die Annahmen des Verordnungsgebers zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch von hinreichenden sachlichen Erwägungen getragen werden, kann letztlich nur unter Heranziehung infektiologischer und epidemiologischer Anhaltspunkte entschieden werden. Einzelne Äußerungen von Behördenleitern auf Pressekonferenzen, wie die des Leiters des Robert-Koch-Instituts (RKI) am 17. November 2021, können nicht ohne Berücksichtigung des sachlichen und zeitlichen Kontextes, in denen sie getroffen wurden, beurteilt worden. Dort hatte der RKI-Chef trotz der anhaltend hohen Zahl an Ansteckungen davon abgeraten, die Maßnahmen durch die Schließung von Schulen und Kitas noch auszuweiten. Das Infektionsgeschehen an den Schulen lasse sich kontrollieren. Die Inzidenzen bei Kindern unter zwölf Jahren seien niedriger als in anderen Altersgruppen. Kinder liefen dem Infektionsgeschehen eher hinterher. Allerdings sollten die „schlauen Konzepte“, die Schulen und Kitas zum Schutz entwickelt hätten, auch umgesetzt werden (https://www.tagesschau.de/inland/rki-neuinfektionen-127.html). Bereits am 19. November 2021 konstatierte dann der Situationsbericht des RKI bei den Ausbrüchen von COVID-19, dass es sich in den meisten Kreisen zumeist um ein diffuses Geschehen handele, mit zahlreichen Häufungen in Haushalten, aber auch in Gemeinschaftseinrichtungen, Schulen, Alten- und Pflegeheimen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Corona-virus/Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-19-de.pdf; jsessionid=BA71CD20746964 C21401DFCA0FC6498.internet081? blob=publicationFile). Auch in den folgenden Situationsberichten bis zu den Schulschließungen (in Bayern am 15. Dezember 2021) berichtet das RKI immer wieder von bundesweiten diffusen Ausbrüchen in Schulen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/ Dez_2020/Archiv_Dezember.html) und dies trotz der dort geltenden Hygienemaßnahmen. Insoweit ist der Senat nicht in der Lage, aus den Äußerungen des RKI-Leiters auf der Pressekonferenz am 17. November 2021 den Schluss zu ziehen, dass Schulen nur in unerheblicher Weise am Infektionsgeschehen teilnahmen und teilnehmen werden. Auch die von den Antragstellern angeführte S3-Leitlinie Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen (Kurzfassung, https://www.bmbf.de/files/027-076k_Praevention_und_Kontrolle_SARS-CoV-2-Uebe rtragung_in_Schulen_2021-02.pdf) ist zur Beantwortung dieser Frage nur wenig geeignet, da sie ausdrücklich das Thema der Schulschließungen nicht behandelt. Es geht vielmehr darum, anpassbare und geeignete Maßnahmenpakete zur Verminderung des Infektionsrisikos und zur Ermöglichung eines möglichst sicheren, geregelten und kontinuierlichen Schulbetriebs in Pandemiezeiten zu ermöglichen (a.a.O. S. 2). Damit erweist sie sich nicht als eine tragende Entscheidungshilfe bei der Abgrenzung der Effektivität von Schulschließungen einerseits und dem Schulbetrieb unter Hygienemaßnahmen andererseits. Das Robert-Koch-Institut, dem bei der Beurteilung der epidemischen Lage nach § 4 IfSG besondere Bedeutung zukommt, geht derzeit vielmehr davon aus, dass die Wirksamkeit der bisher getroffenen Maßnahmen als Ganzes offensichtlich erscheine, aber über die Beiträge der einzelnen Public Health Maßnahmen – wie Kontaktreduktion, Tragen einer Alltagsmaske oder Schulschließungen – zur Kontrolle der epidemiologischen Dynamik wenig bekannt sei und bisher der Effekt einzelner Maßnahmen nicht systematisch analysiert worden sei. Die nunmehr angelaufene StopptCOVID-Studie, ein Kooperationsprojekt zwischen der Universität Bielefeld und dem Robert-Koch-Institut und gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit, nutzt und erarbeitet eine Dokumentation der nicht-pharmazeutischen Maßnahmen zur Kontrolle der SARSCoV-2-Pandemie in Deutschland auf Ebene der Bundesländer und auf der Ebene besonders betroffener Landkreise, um die relative Bedeutung von assoziierten Faktoren (Risiko- und schützende Faktoren) zu quantifizieren und eine Bewertung der Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie in Deutschland vorzunehmen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Projekte_RKI/ StopptCOVID_studie.html). Erst nach Auswertung solcher auf die Bundesrepublik Deutschland bezogener Studien lässt sich eine zuverlässige Aussage treffen, ob Schulschließungen eine effektive Bekämpfungsmaßnahme im Rahmen der Corona-Pandemie sind. Für die StopptCOVID-Studie werden erste Ergebnisse allerdings frühestens ab Mitte März erwartet (https://www.mdr.de/nachrichten/panorama/hmp-wirksamkeitcorona-lockdown-studie-100.html). Der Senat stellt fest, dass es durchaus eine Heterogenität der verschiedenen Studienergebnisse hinsichtlich der Wirksamkeit von Schulschließungen, aber auch der gegenüberzustellenden Intensität der Auswirkungen der Schulschließungen insbesondere auf Kinder und Eltern (vgl. Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und der Eindämmungsmaßnahmen auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen: https://www.rki.de/DE/Content/Gesund-heitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/Focus/JoHM_04_2020_Psychische_Auswirkungen_COVID-19.pdf? blob=publicationFile) gibt.“
bb) Seit dem 15. März 2021 hat der Normgeber mit § 18 Abs. 1 Satz 3 12. BayIfSMV in Schulen inzidenzabhängig Präsenzunterricht, soweit dabei der Mindestabstand von 1,5 m durchgehend und zuverlässig eingehalten werden kann oder ersatzweise Wechselunterricht zugelassen. Aufgrund der in Bayern insgesamt deutlich zurückgegangenen 7-Tage-Inzidenzwerte pro 100.000 Einwohner im Vergleich zum Höchstwert gegen Ende des letzten Jahres (224,64), den Fortschritten bei der Impfung insbesondere der am meisten gefährdeten Alters- und Bevölkerungsgruppen und den in der Bevölkerung in der Regel sehr zuverlässig umgesetzten Hygienemaßnahmen hat der Verordnungsgeber eine behutsamen Lockerung – u.a. im Bereich der Schulen – als infektiologisch vertretbar angesehen (vgl. Begründung, BayMBl. 2021 Nr. 172 S. 3). Einen Übergang zum schulischen Regelbetrieb hat er hingegen noch als zu riskant angesehen.
Der Senat sieht keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, diese Gefährdungsprognose rechtlich zu beanstanden. Sowohl zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verordnungsgebers, den Regelbetrieb an Schulen weiterhin auszusetzen als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats liegen die Voraussetzungen des § 28a Abs. 3 Satz 4, 5 und 10 IfSG weiterhin vor. Die Anzahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Inzidenz) betrug am 21. März 2021 bundesweit 104 und in Bayern 108. Wegen der Überschreitung des Schwellenwertes von 50 sind nach § 28a Abs. 3 Satz 4 und 5 IfSG umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Die vom Verordnungsgeber gewählten Inzidenzwerte samt der hieran geknüpften Rechtsfolgen in § 18 Abs. 1 Satz 3 12. BayIfSMV sind vor diesem Hintergrund rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit sich der Antragsteller auf den Rückgang der Neuinfektionen beruft, dauert diese Entwicklung aktuell nicht mehr an. Die 7-Tage-Inzidenz nimmt derzeit wieder deutlich zu, nun insbesondere in den Altersgruppen unter 60 Jahre, Kinder eingeschlossen. Auch der Anteil der besorgniserregenden Virusvarianten (VOC) nimmt zu. Dies betrifft vor allem die u.a. in Großbritannien verbreitete Variante B.1.1.7, die nach vorläufigen wissenschaftlichen Untersuchungen wohl leichter übertragbar ist und mutmaßlich zu einer größeren Anzahl schwerer Krankheitsverläufe führt(vgl. RKI, Situationsbericht vom 21.3.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Maerz_2021/2021-03-21-de.pdf? blo b=publicationFile; RKI, Risikobewertung vom 15.3.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html; RKI, Aktualisierter Bericht zu Virusvarianten von SARS-CoV-2 in Deutschland, insbesondere zur Variant of Concern [VOC] B.1.1.7, Stand 17.3.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/DESH/Bericht_VOC_2021-03-17.pdf? blob=publicationFile). Die hohen bundesweiten Fallzahlen werden durch zumeist diffuse Geschehen mit zahlreichen Häufungen insbesondere in privaten Haushalten, zunehmend auch in Kitas, Schulen und im beruflichen Umfeld verursacht. Dass schwere Krankheitsverläufe bei jungen Menschen sehr selten sind, ändert nichts daran, dass es bei einer Verbreitung von SARS-CoV-2 an Schulen insbesondere über die Familien der Schüler zu einer Ausbreitung in der gesamten Bevölkerung – auch unter noch nicht geimpften Risikogruppen – kommen kann. Erste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass sich dieser Effekt mit zunehmender Verbreitung der Virusmutationen, insbesondere B.1.1.7. verstärkt.
cc) Die angegriffenen Maßnahmen (Wechselunterricht/Distanzunterricht) in Schulen, die bei Überschreitung der 7-Tage-Inzidenz von 100 regelmäßig zum Distanzunterricht führen, sind bei summarischer Prüfung gegenwärtig verhältnismäßig, also geeignet, erforderlich und angemessen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die oben genannten Beschlüsse des Senats verwiesen. Die hiergegen gerichteten Einwendungen des Antragstellers rechtfertigen keine andere Einschätzung.
Die Schließung und Erteilung von Auflagen für die Fortführung des Schulbetriebs sind grundsätzlich zur Bekämpfung von COVID-19 geeignete und erforderliche Infektionsschutzmaßnahmen. Davon ist der Gesetzgeber durch den Erlass des mit Artikel 1 des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) eingefügten § 28a Abs. 1 Nr. 16 IfSG ausgegangen. Dafür, dass sich an dieser maßgeblichen gesetzlichen Risikoeinschätzung etwas geändert hat, bestehen bisher keine Anhaltspunkte. Vielmehr hat der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung vom 4. März 2021 inzwischen den Entwurf eines Gesetzes zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen (BT-Drs. 19/26545 und 19/27291) in zweiter Lesung angenommen, von einer Zustimmung des Bundesrates ist derzeit auszugehen (vgl. BR-Drs. 197/21 und 197/1/21). Eine Änderung des § 28a Abs. 1 Nr. 16 IfSG ist nicht vorgesehen.
Der Senat verkennt nicht, dass es heterogene Studienergebnisse u.a. hinsichtlich der infektiologischen Wirksamkeit von Schulschließungen, wie auch zu deren Folgen insbesondere für die psychische Gesundheit von Schülern gibt (vgl. BayVGH, B.v. 15.2.2021 – 20 NE 21.411 – juris Rn. 28). Nach der Einschätzung des RKI (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/13_21.pdf? blob=publicationFile S. 14,15) scheint auch entgegen des Ausbreitungsprofils bei anderen Atemwegserregern im aktuellen pandemischen Geschehen keine substanzielle treibende Kraft von Schülerinnen und Schülern zwischen 6 und 20 Jahren auszugehen, obgleich auch hier Übertragungen stattfinden und Ausbruchsgeschehen wirksam verhindert werden müssen. Laut RKI sollten etwaige Maßnahmen wie Schließungen und Wiedereröffnungen in den Kontext der regionalen Gesamtinzidenz in der Bevölkerung gesetzt werden, und in der Reihenfolge nach Altersgruppen priorisiert erfolgen. Anknüpfend an diese Empfehlung hat der Verordnungsgeber mit § 18 Abs. 1 Satz 3 12. BayIfSMV ein solches gestuftes Regelungsmodell geschaffen. Das RKI weist aber auch darauf hin, dass die Variante B.1.1.7 und andere VOC neue Herausforderungen darstellen. Die bisherige Datengrundlage zu Altersunterschieden in Suszeptibilität und Übertragbarkeit bei der neuen Variante im Vergleich zu anderen Varianten ist zwar noch limitiert, allerdings weisen die bisherigen Daten darauf hin, dass mindestens die VOC B.1.1.7 leichter übertragbar ist. Diese leichtere Übertragbarkeit scheint auf alle Altersgruppen zuzutreffen, inklusive Kinder und Jugendliche. Das könnte bei einer Ausbreitung ansteckungsfähigerer Varianten bedeuten, dass Schulen einen größeren Beitrag zum Infektionsgeschehen spielen könnten, was wiederum bei den Überlegungen zu Öffnungen berücksichtigt werden sollte (RKI a.a.O.).
Nach dem Situationsbericht des RKI vom 21. März 2021 (a.a.O. S. 2) erfordert die aktuelle Situation den Einsatz aller organisatorischer und individueller Maßnahmen zur Infektionsprävention, um einen möglichst kontinuierlichen Betrieb von Kitas und Schulen gewährleisten zu können. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass Distanzunterricht unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nur zulässig sei, wenn es bereits zu Ausbrüchen in Schulen gekommen ist. Die Umsetzung dieser Empfehlung setzt vielmehr die Entscheidung der Infektionsschutzbehörde voraus, einen Regelbetrieb an Schulen grundsätzlich zuzulassen. Zwar können auch Hygienekonzepte zu einer Reduzierung von Ansteckungen mit SARS-CoV-2 beitragen. In der gegenwärtigen Phase der Pandemie, die weiterhin von einem diffusen Ausbruchsgeschehen geprägt ist und in der in vielen Fällen das Infektionsumfeld nicht ermittelt werden kann (vgl. RKI, Lagebericht vom 21.3.2021, a.a.O., S. 1 f.), ist die Prognose des Verordnungsgebers, dass vordringlich auf Einhaltung von Abstand und Hygiene ausgerichtete Maßnahmen derzeit im Regelbetrieb (d.h. ohne Einhaltung des Abstandsgebots in den Klassenräumen) noch nicht genügen, sondern die Kontakte insgesamt stärker unterbunden werden müssten, um das Infektionsgeschehen – auch mit Blick auf die zunehmende Ausbreitung besorgniserregender Virusvarianten – weiter einzudämmen, voraussichtlich nicht fehlerhaft. Für den Bereich der Schulen wurden zunächst erste Öffnungsschritte insbesondere für Abschlussklassen, Grundschulen und Förderzentren eingeleitet (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 5 und Satz 8 11. BayIfSMV i.d.F.v. 12.2.2021, BayMBl. 2021 Nr. 112), die seit 15. März 2021 inzidenzabhängig auf weiterführende Schulen ausgeweitet wurden. Insoweit ist es dem Verordnungsgeber, der dem Bildungsbereich bei der Öffnung hohe Priorität zugesprochen hat (vgl. BayMBl. 2021 Nr. 113 S. 3), zuzubilligen, die Auswirkungen dieser Öffnungen auf das Infektionsgeschehen zunächst zu beobachten, bevor weitere Schritte folgen oder auch wieder restriktivere Maßnahmen ergriffen werden. Derzeit kann deswegen nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber den ihm hier zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte.
3. Unabhängig vom Vorstehenden ergibt auch eine Folgenabwägung, dass die Interessen der Allgemeinheit an einer möglichst geringen Zahl an Neuinfektionen die Interessen des Antragstellers, uneingeschränkt Präsenzunterricht zu erhalten, in der gegenwärtigen Pandemiesituation überwiegen.
Das pandemische Geschehen verstärkt sich aktuell erneut. Nach dem Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 21. März 2021 (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Maerz_2021/2021-03-21-de.pdf? blob=publicationFile) nimmt die Zahl der Übertragungen von COVID-19 in der Bevölkerung in Deutschland wieder deutlich zu. In den letzten Tagen hat sich der Anstieg der Fallzahlen beschleunigt. COVID-19-bedingte Ausbrüche betreffen momentan insbesondere private Haushalte, zunehmend auch Kitas, Schulen und das berufliche Umfeld. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Nach der aktuellen Risikobewertung des RKI (Stand 15.3.2021, vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) ist die Dynamik der Verbreitung einiger neuer Varianten (VOC) von SARS-CoV-2 besorgniserregend. Aufgrund der vorliegenden Daten hinsichtlich einer erhöhten Übertragbarkeit der Varianten und potenziell schwererer Krankheitsverläufe trägt dies zu einer schnellen Zunahme der Fallzahlen und der Verschlechterung der Lage bei. Für die Senkung der Neuinfektionen, den Schutz der Risikogruppen und die Minimierung von schweren Erkrankungen ist die Impfung der Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Effektive und sichere Impfstoffe sind seit Ende 2020 zugelassen, stehen aber in Deutschland auch weiterhin noch nicht in ausreichenden Mengen zur Verfügung. Daher ist eine geänderte Beurteilung der Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Bestimmung noch nicht möglich.
In der aktuellen Situation ergibt die Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Normen – im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten – schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Grundrechte der Normadressaten.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 28. März 2021 außer Kraft tritt (§ 30 12. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nach Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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