Medizinrecht

Einstweilige Anordnung, Dienstleistungen, Verwaltungsgerichte, Antragsgegner, Vorläufiger Rechtsschutz, Vorwegnahme der Hauptsache, Hundesalon, Befähigung zum Richteramt, Hauptsacheverfahren, Antragstellers, Verwaltungsgerichtsbarkeit, Unaufschiebbarkeit, Bestimmung, Ladengeschäft, Festsetzung des Streitwerts, Streitwertanhebung, Streitwertkatalog, Eilverfahren, Wert des Beschwerdegegenstandes, Einzelhandelsgeschäft

Aktenzeichen  AN 18 E 21.00245

Datum:
12.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2140
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
BaylfSMV § 12 11.

 

Leitsatz

Tenor

1. Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass § 12 Abs. 1 und 2 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung dem Betrieb des Hundesalons der Antragstellerin „…“ in …, …, unter Beachtung des für den Salon vorgelegten Schutz- und Hygienekonzepts vom 3. Februar 2021 auch ohne unaufschiebbaren Bedarf und ohne tierärztliche Empfehlung nicht entgegensteht.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um die Auslegung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV).
Die Antragstellerin betreibt in …, …, unter dem Namen „… …“ einen Hundesalon.
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 2. Februar 2021 wandte sich die Antragstellerin mit dem Begehren, ihren Hundesalon auch unter Geltung der 11. BayIfSMV in Form eines sogenannten „Schleusenbetriebs“ ohne direkten Kundenkontakt betreiben zu dürfen, an die Antragsgegnerin. Sie forderte die Antragsgegnerin bis zum 4. Februar 2021, 9:00 Uhr, zur Mitteilung auf, ob unter Beachtung eines solchen Hygienekonzepts der Betrieb ihres Hundesalons zugestanden werde.
Am 3. Februar 2021 entgegnete die Antragsgegnerin, dass nach § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr grundsätzlich untersagt sei. Nach den FAQ Corona-Krise und Wirtschaft des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (Stand: 26.1.2021) würde dies dem Grunde nach auch für Hundesalons gelten. Jedoch werde insoweit wohl auf den klassischen Hundesalon abgestellt. Der von der Antragstellerin durchgeführte „Schleusenbetrieb“ sei hingegen eher mit dem inzwischen erlaubten „Click & Collect“ vergleichbar, so dass man einer Öffnung nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehe. Es werde insoweit um Übersendung des Schutz- und Hygienekonzepts für den Hundesalon sowie eine kurze skizzenhafte Darstellung des „Schleusenbetriebs“ gebeten.
Noch am selben Tag brachte daraufhin die Antragstellerin verschiedene Lichtbilder zum „Schleusenbetrieb“ sowie ein Hygienekonzept vom 3. Februar 2021 bei der Antragsgegnerin in Vorlage. Dieses hat folgenden Wortlaut:
„Hygienekonzept Hundesalon Pandemiebedingt ausschließlich im Schleusenbetrieb.
– Terminabsprachen erfolgen ausschließlich per Telefon/WhatsApp.
– Mittels Terminstaffelung werden Begegnungen zwischen einzelnen Kunden vermieden.
– Ein direkter Kundenkontakt erfolgt nicht.
– Die Übergabe des zu behandelnden Tieres erfolgt an der Salontür unter Verwendung von FFP-2 Schutzmasken.
– Vor der Behandlung wird das Tier gebadet.
– Sämtliche Gebrauchsgegenstände (Bürsten, Scheren, Kamm etc.) und Kontaktflächen werden nach jeder Behandlung unverzüglich desinfiziert.
– Nach Beendigung der Dienstleistung wird der jeweilige Besitzer verständigt.
– Der vereinbarte Betrag wird mittels eines Umschlags hinterlegt.“
Im Hinblick auf die Vermeidung eines direkten Kundenkontakts wurde ergänzend ausgeführt, dass zur Vermeidung eines persönlichen Kundenkontakts die zu behandelnden Tiere zunächst im Treppenhaus des Salongebäudes angebunden werden sollen. Erst nachdem der Kunde das Gebäude wieder verlassen habe, würden die Tiere von der Antragstellerin in den Salon geführt.
Mit Datum vom 8. Februar 2021 wies die Antragsgegnerin die Antragstellerin schließlich telefonisch darauf hin, dass die erbetene Bestätigung nach Rücksprache mit der Regierung von Mittelfranken und dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege nicht erteilt werden könne.
Am 11. Februar 2021 hat die Antragstellerin das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ersucht.
Sie sei dazu berechtigt, die in ihrem Hundesalon angebotenen Dienstleistungen unter Beachtung des dargelegten Hygienekonzepts im „Schleusenbetrieb“ zu erbringen. Zwar sei die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr nach § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV grundsätzlich untersagt. Ausnahmen sehe § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV jedoch unter anderem für Kfz-Werkstätten und Fahrradwerkstätten vor. Da Tiere nach den Bestimmungen des BGB wie Sachen zu behandeln seien, bestehe insoweit eine Vergleichbarkeit mit den vorstehend bezeichneten Ausnahmen. Auch § 12 Abs. 2 11. BayIfSMV untersage lediglich Dienstleistungen, bei denen – wie etwa bei Friseuren und in Kosmetikstudios – eine körperliche Nähe zum Kunden unabdingbar sei. Mit Blick auf das vorgelegte Hygienekonzept jedoch sei in ihrem Salon gerade kein direkter Kundenkontakt gegeben.
Des Weiteren sei auf das inzwischen flächendeckend im Einzelhandel zulässige „Click& Collect“-Modell zu verweisen. Auch dort bestelle der Kunde Waren per Telefon oder Internet und hole diese später selbst – kontaktlos – ab. Bereits aus Gründen der Gleichbehandlung müsse daher mit ihrem Hundesalon ebenso verfahren werden.
Ihrem Begehren könnten schließlich nicht die FAQ Corona-Krise und Wirtschaft (Stand: 26.1.2021) entgegengehalten werden, denn es handle sich hierbei lediglich um behördeninterne Auslegungshilfen. Eine rechtliche Bindung – insbesondere im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle – werde dadurch gerade nicht erzeugt.
Die Antragstellerin beantragt,
Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass § 12 Absatz 1 und 2 der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung dem Betrieb des Hundesalons der Antragstellerin „…“, …, …, unter Beachtung des für den Salon vorgelegten Schutz- und Hygienekonzepts auch ohne unaufschiebbaren Bedarf und ohne tierärztliche Empfehlung nicht entgegenstehen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Bestimmung des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV sei nicht auf Ladengeschäfte als Betriebsform des stationären Einzelhandels beschränkt. Vielmehr sei anhand der Aufzählung des § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV, in der unter anderem Kfz- und Fahrradwerkstätten, Reinigungen sowie Waschsalons genannt seien, eindeutig erkennbar, dass das Verbot des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV in gleicher Weise für Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe gelte, die ihre Kunden in einem Ladengeschäft empfangen würden. Da Hundesalons in der ausdrücklichen Aufzählung des § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV nicht genannt seien, sei für eine Öffnungsmöglichkeit alleine maßgeblich, ob es sich um ein für die tägliche Versorgung unverzichtbares Ladengeschäft handle; dies sei jedoch definitiv nicht der Fall.
Auch die Ausnahme des § 12 Abs. 1 Satz 6 11. BayIfSMV für das sogenannte „Click-and-Collect“ komme mit Blick auf den Hundesalon der Antragstellerin nicht zum Tragen. Der Geltungsbereich dieser Bestimmung sei auf die Abholung vorbestellter Waren in Ladengeschäften beschränkt; im Fall der Antragstellerin hingegen würden die betreffenden Tiere zum Zweck der Behandlung in den Hundesalon gebracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat auch in der Sache Erfolg.
1.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.
Er ist insbesondere statthaft. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Ein in diesem Sinne streitiges Rechtsverhältnis besteht auch zwischen den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens. Die Antragstellerin, die als Betreiberin eines Hundesalons als Adressatin des § 12 11. BayIfSMV einzustufen ist, und die als Kreisverwaltungsbehörde gemäß § 65 Satz 1 ZustV i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 GO für den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes zuständige Antragsgegnerin streiten um die Auslegung der vorstehend bezeichneten Bestimmung. Konkret geht es dabei um die Frage, ob die Bestimmungen des § 12 Abs. 1 und 2 11. BayIfSMV einem – unter Zugrundelegung des ausgearbeiteten Hygienekonzepts kontaktfrei ausgestalteten – Betrieb des Hundesalons der Antragstellerin ohne unaufschiebbaren Bedarf oder tierärztliche Empfehlung entgegenstehen.
Einem Vorgehen im Wege der einstweiligen Anordnung steht auch der Vorrang des Verfahrens nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht entgegen. Eine Umgehung der besonderen Voraussetzungen und Wirkungen dieses Rechtsschutzverfahrens droht nämlich nicht, wenn der Normadressat – wie hier – unter Weitergeltung der Norm lediglich die Feststellung begehrt, ein bestimmter Sachverhalt falle (gegebenenfalls auch nach Auslegung der Norm) nicht in ihren Anwendungsbereich (BayVGH, B.v. 18.6.2020 – 20 CE 20.1388 – juris Rn. 6).
Des Weiteren verfügt die Antragstellerin über das als allgemeine Verfahrensvoraussetzung notwendige Rechtsschutzbedürfnis. So hat die Antragstellerin vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes das Begehren, ihren Hundesalon unter Einhaltung des ausgearbeiteten Hygienekonzepts betreiben zu dürfen, mit Schreiben vom 2. und 3. Februar 2021 erfolglos an die Antragsgegnerin herangetragen. Auch wenn sich die Antragsgegnerin für den angedachten „Schleusenbetrieb“ zunächst offen gezeigt hatte, hat sie nach Rücksprache mit der Regierung von Mittelfranken und dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege am 8. Februar 2021 letztlich mitgeteilt, dass ein solcher nach den derzeit gültigen Bestimmungen der 11. BayIfSMV nicht zulässig sei. Zuletzt ist die Antragsgegnerin der von der Antragstellerin begehrten Öffnung des Hundesalons auch im Rahmen des gerichtlichen Eilverfahrens weiterhin entgegengetreten. Im Übrigen kann der Antragstellerin mit Blick auf § 28 Nr. 11 11. BayIfSMV, der Verstöße gegen die Bestimmung des § 12 11. BayIfSMV in den Rang einer Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG erhebt, nicht zugemutet werden, den Hundesalon auf Grundlage der von ihr vertretenen Rechtsauffassung zu öffnen und erst gegen ein etwaiges sicherheitsrechtliches bzw. polizeiliches Einschreiten oder einen Bußgeldbescheid Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. VG München, B.v. 29.12.2020 – M 26a E 20.6704 – BeckRS 2020, 39081 Rn. 21; VG Sigmaringen, B.v. 21.4.2020 – 14 K 1360/20 – juris Rn. 12).
2.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist darüber hinaus auch in der Sache begründet.
Hierzu ist es erforderlich, dass die Antragstellerin sowohl das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. das Bestehen des in Streit stehenden materiellen Anspruchs, als auch eines Anordnungsgrundes, d.h. eine besondere Dringlichkeit, glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2, § 294 ZPO. Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht regelmäßig nur vorläufige Entscheidungen treffen und einem Antragsteller noch nicht in vollem Umfang das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erstreiten könnte. Im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache jedoch nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären sowie ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht, der Antragsteller dort also schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden, bloß summarischen Prüfung des Sachverhalts erkennbar Erfolg haben würde (vgl. etwa BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – juris Rn. 5, 7).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Antragstellerin hat sowohl das Bestehen eines Anordnungsanspruchs – nämlich des Rechts, ihren Hundesalon unter Beachtung des vorgelegten Hygienekonzepts vom 3. Februar 2021 auch ohne unaufschiebbaren Bedarf und ohne tierärztliche Empfehlung vorläufig zu betreiben – als auch das Bestehen eines Anordnungsgrundes im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Aufgrund der hohen Erfolgsaussichten einer entsprechenden – hier noch zu erhebenden – Hauptsacheklage und unter Berücksichtigung der sich für die Antragstellerin ohne die einstweilige Anordnung ergebenden unumkehrbaren Nachteile ist in der vorliegenden Fallkonstellation ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache zuzulassen.
a)
Glaubhaft gemacht ist zunächst ein Anordnungsanspruch. Bei summarischer Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin – weder das grundsätzliche Öffnungsverbot für Ladengeschäfte mit Kundenverkehr des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV noch das in § 12 Abs. 2 11. BayIfSMV geregelte Verbot körpernaher Dienstleistungen dem nach dem Hygienekonzept vom 3. Februar 2021 vorgesehenen „Schleusenbetrieb“ des Hundesalons der Antragstellerin entgegenstehen.
aa)
Der von der Antragstellerin angedachten Öffnung ihres Hundesalons im sogenannten „Schleusenbetrieb“ steht zunächst die Bestimmung des § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV nicht entgegen.
Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV ist die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr untersagt. Hiervon ausgenommen sind gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken, Sparkassen, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, der Verkauf von Presseartikeln, Tierbedarf und Futtermitteln und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel.
Bereits der Wortlaut macht somit deutlich, dass dem grundsätzlichen Öffnungsverbot des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV nur Ladengeschäfte mit Kundenverkehr unterfallen sollen. Demgegenüber werden im Hundesalon der Antragstellerin Handwerks- bzw. Dienstleistungen angeboten. Der Hundesalon fällt somit nicht unter dem Begriff des Ladengeschäfts mit Kundenverkehr im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV, weil nach der Verkehrsauffassung ein Ladengeschäft als Betriebsform des stationären Einzelhandels angesehen wird (VG Augsburg, B.v. 28.1.2021 – Au 9 E 21.151 – Rn. 34). Für ein solches Verständnis spricht ferner ein Vergleich der Absätze 1 und 2 des § 12 11. BayIfSMV, in denen der Verordnungsgeber zwischen der Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr einerseits und dem Verbot der Erbringung körpernaher Dienstleistungen andererseits differenziert hat. Einer solchen Unterscheidung hätte es nicht bedurft, wenn nach Ansicht des Verordnungsgebers namentlich die in § 12 Abs. 2 11. BayIfSMV explizit aufgeführten Dienstleistungsbetriebe – Friseure, Massagepraxen, Kosmetikstudios und Tattoo-Studios – bereits dem grundsätzlichen Öffnungsverbot des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV hätten unterfallen sollen. Die vorstehend aufgezeigte Differenzierung zwischen Ladengeschäften des Einzelhandels mit Kundenverkehr einerseits und (körpernahen) Dienstleistungsbetrieben andererseits verdeutlicht zudem die Begründung der 11. BayIfSMV vom 15. Dezember 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 738). So ist dort (Seite 4) zunächst zu lesen: „Aufgrund des erheblichen Infektionsgeschehens muss zudem die Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr […] erfolgen, die in § 12 Abs. 1 umgesetzt wird.“ In darauffolgenden Absatz heißt es schließlich: „Ebenso ist die Untersagung von Dienstleistungen erforderlich, bei denen eine körperliche Nähe zum Kunden unabdingbar ist.“
Dem vorstehend gefundenen Auslegungsergebnis steht insbesondere nicht entgegen, dass – worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist – im Ausnahmekatalog des § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV nicht nur Ladengeschäfte des Einzelhandels, sondern darüber hinaus auch Dienstleistungsbetriebe wie etwa Kfz- und Fahrradwerkstätten, Reinigungen sowie Waschsalons gelistet sind. Zwar hätte es unter Zugrundelegung des oben aufgezeigten Normverständnisses, wonach der Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV auf Ladengeschäfte des Einzelhandels beschränkt ist, einer ausdrücklichen Nennung dieser Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe nicht bedurft. Auch dieses Argument wird aber durch die Existenz des § 12 Abs. 2 11. BayIfSMV entkräftet. Hätten von vorneherein auch Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe dem Öffnungsverbot des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV unterfallen sollen, hätte es der Schaffung des § 12 Abs. 2 11. BayIfSMV gerade nicht bedurft. Dies gilt umso mehr, als es sich bei den in § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV genannten Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben gerade nicht um solche handelt, bei denen eine körperliche Nähe zum Kunden unabdingbar ist. Sollte aber das Öffnungsverbot des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV schon für Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe ohne unvermeidbaren körperlichen Kontakt gelten, so müsste dies mit Blick auf die infektionsschutzrechtliche Zielsetzung der Verordnung erst recht für Friseure, Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo-Studios oder ähnliche Betriebe gelten, ohne dass es hierfür der Schaffung eines gesonderten Absatzes 2 bedurft hätte. Vor diesem Hintergrund erscheint die systemwidrige Einordnung von Kfz- und Fahrradwerkstätten, Reinigungen sowie Waschsalons in den Absatz 1 der Vorschrift in erster Linie Klarstellungsgesichtspunkten geschuldet.
Soweit schließlich die als behördeninterne Auslegungshilfen zur 11. BayIfSMV ausgestalteten FAQ Corona-Krise und Wirtschaft des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (Stand: 26.1.2021) davon ausgehen, dass Hundesalons dem Öffnungsverbot des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV unterfallen sollen, werden hierdurch weder die Normadressaten noch das erkennende Gericht gebunden (so zuletzt BayVGH, B.v. 14.1.2021 – 20 CE 21.30 – BeckRS 2020, 39080 Rn. 9). Im Übrigen wäre ein derartiges Normverständnis nicht mehr durch die üblichen Auslegungsgrundsätze gedeckt. Im Wege der Auslegung darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Regelung nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen werden, der normative Gehalt auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt werden oder das damit verfolgte Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (BVerfG, B.v. 22.10.1985 – 1 BvL 44/83 – BVerfGE 71, 81/115). Ebendies aber würde durch das in den FAQ Corona-Krise und Wirtschaft zugrunde gelegte extensive Verständnis des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV bewirkt. Dieses läuft nicht nur dem Wortlaut der Norm zuwider, sondern setzt sich darüber hinaus in Widerspruch zu der auch in der Begründung der Verordnung dokumentierten Differenzierung zwischen Ladengeschäften des Einzelhandels mit Kundenverkehr (§ 12 Abs. 1 11. BayIfSMV) und Dienstleistungsbetrieben (§ 12 Abs. 2 11. BayIfSMV). Im Übrigen kommt der Wortlautgrenze vorliegend schon deshalb eine herausgehobene Bedeutung zu, weil Verstöße gegen § 12 11. BayIfSMV nach § 28 Nr. 11 11. BayIfSMV als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden können und somit die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG gewahrt werden müssen (BayVGH, B.v. 14.1.2021 – 20 CE 21.30 – BeckRS 2020, 39080 Rn. 8).
bb)
Des Weiteren wird der von der Antragstellerin vorgesehene „Schleusenbetrieb“ ihres Hundesalons nicht durch die Bestimmung des § 12 Abs. 2 11. BayIfSMV verboten. Danach sind Dienstleistungen, bei denen eine körperliche Nähe zum Kunden unabdingbar ist, wie zum Beispiel Friseure, Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo-Studios und ähnliche Betriebe untersagt.
Im Hundesalon der Antragstellerin werden derartige körpernahe Dienstleistungen jedoch nicht erbracht. Bereits anhand der beispielhaften Aufzählung von Friseuren, Kosmetikstudios, Massagepraxen und Tattoo-Studios wird deutlich, dass § 12 Abs. 2 11. BayIfSMV ausschließlich auf Dienstleistungen abstellt, die an Menschen erbracht werden und bei denen es zu einer körperlichen Nähe zwischen Menschen kommt. Ein Hundesalon stellt somit auch keinen „ähnlichen Betrieb“ im Sinne der Vorschrift dar, bei dem eine entsprechende körperliche Nähe zum Kunden unabdingbar und aus diesem Grund eine Untersagung sachlich gerechtfertigt wäre (zum Ganzen: VG Augsburg, B.v. 28.1.2021 – Au 8 E 21.151 – Rn. 35).
Dies gilt umso mehr, als nach dem Hygienekonzept der Antragstellerin nicht nur die durch § 12 Abs. 2 11. BayIfSMV verbotene körperliche Nähe, sondern auch ein anderweitiger persönlicher Kontakt zu den Kunden weitgehend ausgeschlossen wird. So ist nach dem sogenannten „Schleusenbetrieb“ gerade kein direkter Kundenkontakt vorgesehen. Ein solcher soll vermieden werden, indem die zu behandelnden Tiere ohne ein persönliches Aufeinandertreffen der Antragstellerin und ihrer Kunden übergeben werden. Hierzu sollen die Tiere – wie den ergänzenden Ausführungen der Antragstellerseite zu ihrem Hygienekonzept vom 3. Februar 2021 und den hierzu vorgelegten Lichtbildern entnommen werden kann – im Treppenhaus des Gebäudes, in dem der Salon betrieben wird, zunächst an einen Treppenpfosten angebunden werden. Nachdem der Kunde das Treppenhaus verlassen hat, öffnet die Antragstellerin die Salontür und nimmt das Tier zur weiteren Behandlung an sich. Nach Abschluss der Behandlung sollen die Kunden vorab verständigt und so eine ebenfalls kontaktlose Rückgabe des behandelten Tieres gewährleistet werden. Auch die Zahlung des vereinbarten Entgelts soll nach dem Hygienekonzept vom 3. Februar 2021 kontaktlos erfolgen; hierzu hat die Antragstellerin – wie aus den vorgelegten Lichtbildern ersichtlich ist – an der Salontür einen Briefkasten installiert, in welchen der zu entrichtende Barbetrag in einem Umschlag eingelegt werden soll. Durch eine Terminstaffelung soll zudem ein Aufeinandertreffen von Kunden der Antragstellerin vermieden werden.
An dieser Stelle muss schließlich berücksichtigt werden, dass der Verordnungsgeber mit der in § 12 Abs. 1 Satz 6 11. BayIfSMV erfolgten Zulassung des sogenannten „Click-and-Collect“-Modells im Einzelhandel selbst ein – kurzzeitiges – persönliches Aufeinandertreffen zwischen Unternehmern und Kunden gestattet hat. Nach dieser Bestimmung ist in Abweichung von § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV die Abholung vorbestellter Waren in Ladengeschäften unter Beachtung der Bestimmungen des § 12 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1, 3 und 4 11. BayIfSMV zulässig, wobei das Hygienekonzept des Betreibers insbesondere Maßnahmen – wie etwa gestaffelte Zeitfenster – zur Vermeidung einer Ansammlung von Kunden vorsehen muss. Wenn aber ein solcher Geschäftsbetrieb im Bereich des Einzelhandels für zulässig erklärt wurde, den der Verordnungsgeber in § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV einem repressiven Verbot mit begrenzten Ausnahmeregelungen unterworfen hat (vgl. dazu BayVGH, B.v. 14.1.2021 – 20 CE 21.30 – BeckRS 2020, 39080 Rn. 10), so muss dies erst recht für den Bereich der Dienstleistungen gelten, bei denen der Verordnungsgeber das Verbot des § 12 Abs. 2 11. BayIfSMV von vorneherein expressis verbis auf den Fall der körpernahen Erbringung beschränkt hat. Dass im Fall der Antragstellerin – anders als im Einzelhandel – keine vorab bestellten Waren abgeholt, sondern die zu behandelnden Tiere vielmehr in den Hundesalon gebracht werden, rechtfertigt für sich genommen keine unterschiedliche Behandlung. Es ist bereits nicht ersichtlich, inwiefern das Bringen der Tiere in den Salon der Antragstellerin in infektionsschutztechnischer Hinsicht kritischer zu bewerten sein sollte, als die Abholung von Waren in einem Einzelhandelsgeschäft. Dies gilt umso mehr, als nach dem Hygienekonzept der Antragstellerin persönliche Kontakte zwischen dieser und ihren Kunden weitestgehend ausgeschlossen werden.
b)
Glaubhaft gemacht ist ferner ein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit. Diese folgt zum einen daraus, dass mit der fehlerhaften Auslegung des § 12 Abs. 1 und 2 11. BayIfSMV durch die Antragsgegnerin eine Beeinträchtigung der grundrechtlichen Positionen der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 GG einhergeht. Zum anderen ergibt sich die besondere Dringlichkeit auch aus den wirtschaftlichen Schäden, die der Antragstellerin bei einem fortdauernden Verbot der Erbringung der in ihrem Hundesalon angebotenen Dienstleistungen entstehen würde.
c)
Es liegen schließlich die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache vor. Die der Antragstellerin ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung drohende Gefahr unzumutbarer und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigender Nachteile ergibt sich hier jedenfalls im Hinblick auf das Außerkrafttreten der 11. BayIfSMV mit Ablauf des 14. Februar 2021. Nach einem inzwischen veröffentlichten Bericht aus der Kabinettssitzung am 11. Februar 2021 soll die Gültigkeitsdauer der Verordnung zwar bis zum Ablauf des 7. März 2021 verlängert werden (https://www.bayern.de/bericht-aus-der-kabinettssitzung-vom-11-februar-2021/#a-1, zuletzt abgerufen am 12.2.2021). Auch dieser noch immer vergleichsweise kurze Zeitraum erscheint indessen für die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens kaum ausreichend, so dass der Antragstellerin zur Erzielung des durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes alleine das gerichtliche Eilverfahren offensteht. Die daneben notwendigen hohen – schon bei der im Eilverfahren anzustellenden summarischen Prüfung erkennbaren – Erfolgsaussichten in der Sache ergeben sich aus den Ausführungen unter Gliederungspunkt a).
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Dabei macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, den Streitwert im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben, weil der Antrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielt. Eine Orientierung an dem in Nr. 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 für gewerberechtliche Untersagungsverfahren angenommenen Wert von 15.000 EUR erfolgte aufgrund der hier nur begrenzten Dauer der Maßnahme nicht.


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