Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis – Nichtvorlage eines ärztlichen Gutachtens

Aktenzeichen  B 1 K 17.717

Datum:
24.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26921
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 2 S. 1, S. 2, Abs. 8, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung; lag zu diesem Zeitpunkt ein rechtmäßig angefordertes Gutachten nicht vor, kann auf die Nichteignung geschlossen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der streitgegenständliche Bescheid des Landratsamts vom … in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom … erweist sich als rechtmäßig, so dass die dagegen gerichtete Klage abzuweisen war (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Nach der hier einschlägigen Norm des § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV kann die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens eines Arztes in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Klärung von Eignungszweifeln angeordnet werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach der Anlage 4 oder 5 hinweisen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Voraussetzung ist allerdings insoweit, dass die Untersuchungsanordnung rechtmäßig war und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgt (BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 25.6.2008 – 11 ZB 08.1123 – juris). In formeller Hinsicht muss die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das in ihr Verlautbarte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Nur unter diesen Voraussetzungen ist es sachgerecht, bei einer unberechtigten Weigerung ohne weitere vertiefte Ermittlungen die Schlussfolgerung zu ziehen, der Betroffene habe „gute Gründe“ für seine Weigerung, weil eine Begutachtung seine bislang nur vermutete Ungeeignetheit aufdecken und belegen würde. In materieller Hinsicht ist eine Gutachtensaufforderung nur rechtmäßig, wenn – erstens – aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des betroffenen Kraftfahrers bestehen und – zweitens – die angeordnete Überprüfung ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären. Hiernach muss sich die Anforderung eines Gutachtens auf solche Mängel beziehen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, dass der Betroffene sich als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht und umsichtig verhalten werde, was es auf der anderen Seite ausschließt, jeden Umstand, der auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutet, als hinreichenden Grund für die Anforderung eines Gutachtens anzusehen (ständige Rspr., so z.B. VGH Baden-Württemberg, U.v. 23.02.2010 – 10 S 221/09 – juris). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anordnung eines Gutachten ist auf den Zeitpunkt der Gutachtensanforderung abzustellen. Eine unberechtigte Aufforderung zur Gutachtenbeibringung kann nicht dadurch „geheilt“ werden“, dass die Behörde nachträglich -etwa im Gerichtsverfahren – darlegt, objektiv hätten seinerzeit Umstände vorgelegen, die Anlass zu Zweifeln an der Fahreignung hätten geben können (BVerwG, U.v. 05.07.2001 -3 C 13/01 – juris Rn. 27).
Gemessen an diesen Grundsätzen entspricht die Gutachtensanforderung des Landratsamts vom 30.01.2017 den gesetzlichen Voraussetzungen, so dass sich auf dieser Grundlage und der Weigerung der Klägerin, das geforderte Gutachten beizubringen, die Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtens erweist.
a) In formeller Hinsicht begegnet die Gutachtensanforderung keinen Bedenken. In der Gutachtensanforderung vom 30.01.2017 werden – teilweise auch sehr detailliert wie etwa bei den Vorkommnissen am 25.05.2016 – die seit Mai 2016 aufgetretenen zahlreichen Vorfälle geschildert, die Anlass zu der Gutachtensanforderung gaben. Insbesondere sind hier die beiden Einlieferungen der Klägerin in ein Bezirkskrankenhaus – am 25.05.2016 in … und am 30.08.2016 in … – aufgeführt. Weiter wird auch auf das Attest der die Klägerin behandelnden Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Frau … u. a. mit der Diagnose „senile Demenz mit Verwirrtheit und Fremdgefährdung“ Bezug genommen. Für die Klägerin war damit klar erkennbar, aus welchem konkreten Anlass die Gutachtensanforderung erfolgt. Das Landratsamt hat sodann ausgeführt, dass bei der Klägerin aufgrund dieses Sachverhalts eventuell eine psychische Störung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV, evtl. eine schwere Altersdemenz nach Nr. 7.3, vorliegen könnte und das Gutachten zur Abklärung der bestehenden Eignungszweifel diene. Die Gutachtensaufforderung genügt damit den sich aus § 11 Abs. 2 Satz 3, Abs. 6 FeV ergebenden formellen Anforderungen und enthält auch zulässige Fragestellungen zu der bei der Klägerin in Frage kommenden Krankheit bzw. Störung. Die Gutachtensaufforderung enthält auch den erforderlichen Hinweis nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV auf die Folge einer nicht fristgerechten Gutachtensvorlage.
b) In materieller Hinsicht erweisen sich die mitgeteilten Vorfälle als ausreichend tragfähig, um – nach den bereits durchgeführten Ermittlungen des Landratsamts – nun ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts eine Begutachtung anzuordnen. Hierbei ist auch von maßgeblicher Bedeutung, dass die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Frau …, bei der sich die Klägerin in Behandlung befindet, selbst am 30.08.2016 die Diagnose einer „senilen Demenz“ gestellt hat. Diesen Umstand kann der Einwand der Klägerin, es hätte zuvor einen Streit zwischen ihr und Frau … gegeben, auch nicht bedeutungslos machen. Denn von einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie kann regelmäßig erwartet werden, dass sie auch bei emotional aufgeladenen Situationen im Umgang mit ihren Patienten eine derartige Diagnose jedenfalls nicht „ins Blaue“ stellen würde.
Es lagen deshalb im Zeitpunkt der Gutachtensanforderung am 30.01.2017 ausreichende erhebliche Anhaltspunkte für eine fahreignungsrelevante Erkrankung der Klägerin nach Nr. 7, insbesondere Nr. 7.3 der Anlage 4 zur FeV vor. Bereits das Bezirksklinikum … hat in seinem vorläufigen Arztbericht vom 26. Mai 2016 eine ausführliche psychiatrische Abklärung und ggf. die Einrichtung einer Betreuung für notwendig gesehen, sollte es erneut bei der Klägerin zu psychischen Auffälligkeiten kommen. Solche sind dann, wie auch in der Gutachtensaufforderung vom 30.01.2017 geschildert, noch mehrfach in den Folgemonaten aufgetreten.
Es ist rechtlich auch nicht zu beanstanden und insbesondere auch erforderlich und angemessen, dass das Landratsamt im vorliegenden Fall wegen psychischen Auffälligkeiten „zunächst“ ein ärztliches Gutachten einer Begutachtungsstelle nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV angeordnet hat (vgl. VG München, U.v. 09.12.2015 – M 6b K 15.1909 – juris, Rn. 41; bestätigt durch BayVGH, B.v. 31.03.2016 – 11 ZB 16.61 – juris). Soweit sich der Gutachter der Begutachtungsstelle aufgrund seiner möglicherweise für den psychiatrischen Bereich nicht ausreichenden Sachkunde nicht in der Lage sehen sollte, den Fall abschließend und vollständig zu beurteilen, könnte ggf. immer noch ein ergänzendes fachärztliches Gutachten – evtl. durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie – eingeholt werden.
c) Der Beklagte konnte und musste daher hier auf die Nichteignung der Klägerin schließen, weil die Klägerin das rechtmäßig geforderte ärztliche Gutachten einer Begutachtungsstelle nicht fristgerecht vorgelegt hat (vgl. BVerwG, U.v. 05.07.2001 – 3 C 13.01). Die Vorschrift des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV räumt der Behörde kein Ermessen hinsichtlich der Frage ein, ob aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Fahrungeeignetheit des Betroffenen geschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 29.11.2012 – 11 CS 12.2276 – juris, Rn. 13. m.w.N.).
Auch kann sich die Klägerin hier nicht durch die von ihr vorgelegten Atteste des Herrn Dipl. med. … und das Eignungsgutachten des Herrn Dr. … entlasten. Dies scheitert hier schon deshalb, weil das Landratsamt in seiner Gutachtensanforderung ausdrücklich und gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV für die Klägerin verbindlich ein Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung gefordert hat (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 12). Ein nicht von einer solchen Begutachtungsstelle erstelltes Gutachten ist somit schon dem Grunde nach nicht geeignet, um die vorliegende Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV zu hindern. Zudem muss das Attest von Herrn Dipl. med. … vom 16.11.2017, wonach bei der Klägerin keine Demenz vorliege, und das Gutachten von Herrn Dr. … vom 05.02.2018, wonach die Klägerin bedingt fahrtauglich sei, im hier streitgegenständlichen Entziehungsverfahren auch deshalb außer Betracht bleiben, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also der Erlass des Widerspruchsbescheids der Regierung von … am 08.08.2017 ist (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 14 m.w.N.).
d) Nicht zu beanstanden ist auch die Einziehung, d. h. die der Klägerin auferlegte Verpflichtung zur Ablieferung ihres Führerscheins in Nr. 2 des Bescheids vom … (vgl. § 3 Abs. 2 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 FeV). Die Androhung von Zwangsmitteln für den Fall der nicht fristgerechten Ablieferung begegnet ebenfalls keinen Bedenken, da insoweit die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen, auch für die Androhung unmittelbaren Zwangs nach Art. 34 BayVwZVG, gegeben sind. Da sich die Klägerin in der Vergangenheit mehrfach nur durch die Anwendung von unmittelbarem Zwang durch Polizeibeamte, etwa bei den Vorfällen am 25.05.2016 oder 30.08.2016, die jeweils zur Einlieferung der Klägerin in ein Bezirkskrankenhaus führten, behördlichen Anordnungen gebeugt hat, durfte der Beklagte zu Recht davon ausgehen, dass bei einem milderen Zwangsmittel – wie etwa einem Zwangsgeld – die Einziehung des Führerscheins nicht sichergestellt wäre.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegende Beteiligte hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – jedenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.


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