Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Alkoholabhängigkeit

Aktenzeichen  W 6 K 19.104

Datum:
19.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30838
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 46 Abs. 1, Anl. 4 Nr. 8.3
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
VwGO § 166 Abs. 1

 

Leitsatz

Die bayerischen Bezirkskliniken verfügen über einen hohen Grad an Spezialisierung auf Suchterkrankungen. Wenn eine Bezirksklinik einer Person eine Abhängigkeitssymptomatik attestiert, so kommt einer solchen Diagnose ein hoher Grad an Verlässlichkeit auch dann zu. wenn sich ein Patient dort nur 24 Stunden aufgehalten hat. (Rn. 22 – 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

I.
1. Der Kläger (geb. …1962) begehrt Prozesskostenhilfe für die Klage gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, C1, BE, C1E, CE (79), M und L (174, 175).
Durch eine Mitteilung der Polizeiinspektion (PI) S … wurde dem Landratsamt S … (künftig: Landratsamt) bekannt, dass der Kläger am 12. März 2018 (8:20 Uhr) im Bezirkskrankenhaus (BKH) W … wegen erheblicher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Selbstgefährdung ohne Suizidversuch) infolge psychischer Krankheit untergebracht wurde. Anlass war eine Nachricht an die getrennt lebende Ehefrau des Klägers gewesen, in der er mitteilte, sich in einer ausweglosen Lage zu befinden und sich möglicherweise das Leben zu nehmen. Die vor Ort eintreffenden Beamten der PI S … brachten in Erfahrung, dass der Kläger diverse psychische Probleme hat. Der Kläger machte einen hilflosen Eindruck, sodass diesen und dem vor Ort anwesenden Notarzt eine sofortige Unterbringung unumgänglich erschien.
Mit Schreiben vom 16. März 2018 forderte das Landratsamt den Kläger unter Hinweis auf diesen Vorfall auf, ein Attest seines behandelnden Arztes über seine Erkrankungen vorzulegen. Mit Schreiben vom 12. April 2018 forderte das Landratsamt den Kläger auf, den Entlassbericht des BKH W … vorzulegen.
Mit Schreiben vom 20. April 2018 legte der Kläger folgende zwei ärztliche Bescheinigungen vor.
Der „Endgültige Kurzarztbrief“ des BKH W … vom 20. März 2018 enthält die Diagnosen: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (F33.2); Dystymia (F34.1); psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom (F10.2). Im Rahmen der Anamnese wurde u.a. festgestellt, dass im Jahr 2011 an der Uniklinik W …g ein Alkoholentzug sowie in der Klinik R …, K …, eine Alkoholentwöhnungstherapie erfolgt waren. Der Kläger sei seit 2011 „trockener Alkoholiker“, erneuter Konsum sei seit Dezember 2017 erfolgt, aktuell nach Patientenangaben ca. 7 – 8 Bier pro Tag. Des Weiteren gab der Kläger an, dass er am nächsten Tag einen Aufnahmetermin in der Tagesklinik S … habe, die Behandlerin jedoch bereits angekündigt habe, dass zuvor ein stationärer Entzug notwendig sei. Die Entlassung des Klägers erfolgte am 13. März 2018 gegen ärztlichen Rat. Auf den Kurzarztbrief wird im Übrigen verwiesen.
Aus der ärztlichen Bescheinigung der Gemeinschaftspraxis Allgemeinmedizin, …, vom 18. April 2018 ergeben sich folgende Diagnosen: Gastritis (K29.7G), Bandscheibenvorfall mit Prothese L5/S1 07 (M51.2G), Alkoholabusus (F10.1G), mittelgradige depressive Episode (F32.2G), chronisches HWS-Syndrom (M54.2G), chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41G).
Mit Schreiben vom 9. Mai 2018 hörte das Landratsamt den Kläger zum beabsichtigten Entzug der Fahrerlaubnis wegen nachgewiesener Abhängigkeit von Alkohol an und gab Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 22. Mai 2018.
Mit Schreiben vom 14. Mai 2018 wandte sich der Kläger gegen den beabsichtigten Entzug der Fahrerlaubnis. Er fahre seit 33 Jahren unfallfrei und sei noch nie bei einer Fahrzeugkontrolle und Durchführung eines Alkoholtestes negativ aufgefallen. Die Zwangseinweisung für 24 Stunden wegen suizidalen Aussagen und der Entlassungsbrief der Psychiatrie könnten keinen Nachweis dafür erbringen, dass er jeweils unter Alkoholeinfluss Auto gefahren sei. Der Verdacht allein reiche nicht aus, um ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2018 entzog das Landratsamt dem Kläger die Fahrerlaubnis (Nr. 1) und gab ihm auf, seinen Führerschein spätestens 7 Tage nach Zustellung des Bescheides beim Landratsamt abzuliefern (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 3) und für den Fall der nicht fristgerechten Ablieferung des Führerscheins ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR angedroht (Nr. 4). Dem Kläger wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt (Nr. 4 und 5). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV). Bei ihm bestehe ohne Zweifel eine Alkoholabhängigkeit, wodurch die Fahreignung nach Nr. 8.3 der Anlage 4 FeV nicht mehr gegeben sei. Die Diagnose sei durch die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss W … anlässlich des dortigen stationären Aufenthalts des Klägers vom 12. März 2018 bis 13. März 2017 (richtig: 2018) nach den Kriterien der ICD-10 gestellt worden. Nach einer wegen Alkoholabhängigkeit verloren gegangenen Fahreignung erlange der Betroffene im Regelfall die Fahreignung erst dann wieder, wenn er sich erfolgreich einer Entwöhnungsbehandlung unterzogen habe, sich nachgewiesenermaßen ein Jahr lang des Konsums von Alkohol enthalten habe (Nr. 8.4 der Anlage 4 FeV) und eine medizinisch-psychologische Begutachtung ergeben habe, dass es bei ihm zu einem stabilen, tiefgreifenden Einstellungswandel gekommen sei, der die Erwartung begründe, er werde auch künftig alkoholfrei leben (§ 13 Nr. 2e FeV). Der Nachweis einer erforderlichen mindestens einjährigen Abstinenz könne derzeit nicht erbracht werden, da der Kläger jedenfalls im Zeitraum von Dezember 2017 bis März 2018 Alkohol konsumiert habe. Die Entlassung aus der stationären Entwöhnungsbehandlung stelle den frühestmöglichen Zeitpunkt für den Beginn dieser Frist dar, da die Bewährung in freier Sozialgemeinschaft ohne enge therapeutische Führung gegeben sein müsse, um die Stabilität der Abstinenz annehmen zu können. Dies könne dann im Rahmen der Neuerteilung der Fahrerlaubnis gewertet werden. Die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen stehe deshalb derzeit fest, weshalb die Anordnung einer Fahreignungsbegutachtung unterbleiben könne (§ 46 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 7 FeV). Umstände, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen würden, seien nicht ersichtlich. Gründe für eine Abweichung vom Regelfall nach Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV seien ebenfalls nicht zu erkennen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei somit geboten und entspreche auch der Verhältnismäßigkeit. Die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins ergebe sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV. Die sofortige Vollziehbarkeit sei im besonderen öffentlichen Interesse anzuordnen. Die Androhung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG. Die Kostenentscheidung ergebe sich aus §§ 1 und 4 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GeBOSt) i.V.m. Nr. 206 des Gebührentarifs für Maßnahmen im Straßenverkehr (GeBT). Der Bescheid wurde am dem Kläger am 25. Mai 2018 zugestellt.
Am 1. Juni 2018 gab der Kläger seinen Führerschein beim Landratsamt ab.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 22. Juni 2018 ließ der Kläger gegen den Bescheid vom 23. Mai 2018 Widerspruch erheben und mit Schriftsatz vom 31. Juli 2018 begründen. Die Annahme der Verwaltungsbehörde, dass beim Kläger Alkoholabhängigkeit vorliege, werde durch keine objektiven Umstände gestützt. Der Kläger habe sich nur kurzzeitig (12. – 13.3.2018) im Krankenhaus für Psychiatrie Schloss W … aufgehalten, dort sei in einer Kurzanamnese eine Alkoholabhängigkeit attestiert worden. Diese Feststellungen, die lediglich auf einer oberflächlichen Untersuchung des Klägers beruhten, seien nicht geeignet, eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen festzustellen. In der Anlage würden die vorliegenden Blutwerte des Klägers in Vorlage gebracht. Daraus ergäben sich keine Anhaltspunkte für einen Alkoholmissbrauch. Auch sei der Kläger alkoholbedingt zu keinem Zeitpunkt auffällig geworden. Auf den Schriftsatz und die beigefügten Anlagen (diverse Laborwerte) wird verwiesen.
Das Landratsamt half dem Widerspruch nicht ab und legte ihn mit Schreiben vom 20. August 2018 der Regierung von Unterfranken zur Entscheidung vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2019 wies die Regierung von Unterfranken den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ergänzend ausgeführt, der Entziehungsbescheid sei rechtmäßig. An der Diagnose bestünden keine begründeten Zweifel. Das BKH W … sei ein Fachkrankenhaus und verfüge über einen hohen Grad an Spezialisierung auf Suchterkrankungen. Attestiere eine Bezirksklinik einer Person, die sich über eine Woche stationär aufgehalten habe, eine Abhängigkeitssymptomatik, komme einer solchen Diagnose ein hoher Grad an Verlässlichkeit zu (BayVGH, B.v. 10.7.2017 – 11 CS 17.1057). Auch werde hier die Diagnose von den eingereichten Untersuchungsergebnissen, insbesondere dem aufgeführten Gamma-GT-Werten untermauert. Dass diese Werte sich inzwischen normalisiert hätten, stelle keinen Gegenbeweis dar, da insbesondere unter dem Druck eines laufenden Entziehungsverfahrens eine erhöhte Motivation zur Abstinenz gegeben sei, die sich im Sozialleben nach Verfahrensabschluss so häufig nicht bewähre. Auf den am 18. Januar 2019 zugestellten Bescheid wird im Übrigen verwiesen.
2. Am 4. Februar 2019 ließ der Kläger Klage erheben mit dem Antrag,
den Bescheid vom 23. Mai 2018 in Form des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2019 aufzuheben und dem Kläger die Fahrerlaubnis wieder zu erteilen.
Des Weiteren ließ der Kläger beantragen,
ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und den Bevollmächtigten beizuordnen.
Zur Begründung wurde auf die beigefügte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers verwiesen und ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht vorlägen. Bei dem Kläger liege keine Alkoholabhängigkeit vor. Dies könne durch Sachverständigengutachten nach Auswahl des Gerichts bewiesen werden. Die Kurzdiagnose, die im Bezirkskrankenhaus W … innerhalb weniger Stunden gestellt worden sei, sei falsch. Da keine Alkoholabhängigkeit des Klägers gegeben sei, sei nicht von der Ungeeignetheit des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten hat keinen Erfolg.
1. Nach § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der dabei vom Gericht anzustellenden vorläufigen Prüfung dürfen im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten keine überspannten Anforderungen hinsichtlich der Erfolgsaussichten gestellt werden. Insbesondere wäre es unzulässig, schwierige Sach- oder Rechtsfragen, die in vertretbarer Weise auch anders beantwortet werden können als von der Beklagtenseite angenommen, bereits in Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens abschließend im Prozesskostenhilfeverfahren zu erörtern und damit den Zugang zu den Gerichten zu versagen (BVerfG, B.v. 5.2.2003 – 1 BvR 1526/02 – juris). Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe genügt deshalb bereits eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit des Erfolgs (BayVGH, B.v. 25.11.2013 – 12 C 13.2126 – juris). Es reicht somit aus, wenn sich die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen darstellen (Kopp/Schenke, VwGO, 23. A. 2017, § 166 Rn 8).
2. Auch bei Berücksichtigung des dargestellten Maßstabs stellen sich die Erfolgsaussichten der Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes S … vom 23. Mai 2018 und des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 9. Januar 2019 nicht als zumindest offen dar, sondern die Klage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit unbegründet. Der Kläger hat unter Berücksichtigung des maßgeblichen Entscheidungszeitpunkts der letzten Behördenentscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Anspruch auf Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide (§ 113 Abs. 1. Satz 1 VwGO). Dies ergibt sich aus Folgendem:
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 zur FeV vorliegen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Alkoholabhängigkeit führt nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV zum Ausschluss der Eignung oder bedingten Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, ohne dass es hierfür der Abklärung durch ein Fahreignungsgutachten bedarf. Die Anordnung gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV, ein ärztliches Gutachten beizubringen, ist nur erforderlich, wenn zwar Tatsachen die Annahme einer Alkoholabhängigkeit begründen und daher Zweifel hinsichtlich der Fahreignung vorliegen, aber nicht mit hinreichender Gewissheit feststeht, ob der Betreffende tatsächlich alkoholabhängig ist (BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris Rn. 10).
Nach den Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung (Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Abschnitt 3.13.2) soll die sichere Diagnose „Abhängigkeit“ gemäß den diagnostischen Leitlinien nach ICD-10 nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der dort genannten sechs Kriterien gleichzeitig vorhanden waren (starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren; verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums; körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums; Nachweis einer Toleranz; fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Substanzkonsums; anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, die dem Betroffenen bewusst sind). Aus einem Entlassbericht eines Bezirksklinikums kann sich das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit mit hinreichender Gewissheit aber auch dann ergeben, wenn darin nicht näher ausgeführt ist, welche der oben genannten Kriterien erfüllt sind. Bei den bayerischen Bezirkskliniken handelt es sich um Einrichtungen, die nach Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 der Bezirksordnung für den Freistaat Bayern unter anderem der Betreuung von Suchtkranken dienen. Diese Fachkrankenhäuser verfügen deshalb über einen hohen Grad an Spezialisierung auf Suchterkrankungen. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist deshalb anerkannt, dass dann, wenn eine Bezirksklinik einer Person, die sich dort über eine Woche stationär aufgehalten hat, eine Abhängigkeitssymptomatik attestiert, einer solchen Diagnose ein hoher Grad an Verlässlichkeit zukommt. Denn eine so lange Befassung mit einem Patienten verschafft den behandelnden Ärzten ein mehr als nur oberflächliches Bild von seinen Lebensgewohnheiten und Lebenseinstellungen, seiner psychischen Verfassung und seinen nutritiven Gewohnheiten und damit von Faktoren, die für die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit von Bedeutung sind (BayVGH, B.v. 10.7.2017 – 11 CS 17.1057 – juris Rn. 13; B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris Rn. 11; B.v. 27.7.2012 – 11 CS 12.1511 – juris Rn. 27 ff.; B.v. 17.12.2015 – 11 ZB 15.2200 – juris Rn. 20).
Unter Anwendung der dargestellten Maßstäbe ist mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass der Antragsteller alkoholabhängig im Sinne der Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Kläger nur für 24 Stunden (12. – 13.3.2018) im BKH W … aufgehalten hat.
So ergibt sich aus dem Entlassbericht des Klinikums für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss W …, bei dem es sich um eine Bezirksklinik im oben beschriebenen Sinne handelt, dass der Antragsteller an einer Alkoholabhängigkeit (F10.2) leidet. Laut Homepage hält das Klinikum auch eine qualifizierte Abteilung für Sucherkrankungen, insbesondere für Alkoholabhängigkeit, bereit (https://www.psychiatrie-w …de/leistung/suchtbehandlung/index.html, abgerufen am 19.8.2019). Der Diagnose kommt damit aufgrund der Spezialisierung des Krankenhauses ein hohes Maß an Verlässlichkeit zu, auch wenn das Vorliegen der oben dargestellten Kriterien dem Bericht nicht im Einzelnen zu entnehmen ist.
Zwar hat sich der Antragsteller nur einen Tag und damit nicht länger als eine Woche in stationärer Behandlung im Bezirksklinikum aufgehalten, weshalb die Anforderungen der oben dargestellten Rechtsprechung nicht vollständig erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 10.7.2017 – 11 CS 17.1057 – juris Rn. 13). Nichtsdestotrotz kommt der Diagnose des Bezirksklinikums ein besonderes Gewicht zu. Zu berücksichtigen ist, dass es sich vorliegend bei der diagnostizierten Alkoholabhängigkeit nicht um eine Erstdiagnose handelt, sondern – wie im Rahmen der psychiatrischen Anamnese aufgeführt – beim Kläger bereits im Jahr 2011 in der Uniklinik W …g ein Alkoholentzug erfolgt war sowie in der Klinik R …, K …, eine Alkoholentwöhnungstherapie. Auch war der Kläger im BKH W … bereits im Jahr 2017 in Behandlung (wegen Depressionen) und damit als Patient bekannt. Auch hat der Kläger sich selbst als seit 2011 „trockenen Alkoholiker“ bezeichnet und angegeben, dass ein erneuter Konsum seit Dezember 2017 mit ca. 7 – 8 Bier/Tag erfolgt. Weiterhin gab der Kläger im Rahmen der aktuellen Anamnese an, dass er am nächsten Tag einen Aufnahmetermin in der Tagesklinik S … habe, jedoch die Behandlerin bereits angekündigt habe, dass zuvor ein stationärer Entzug notwendig sei. Hierauf bezogen gab der Kläger den Alkoholkonsum von 7 – 8 Bier/Tag an. Des Weiteren wurde die Diagnose auf Laborbefunde bestimmter Alkoholmarker gestützt, die unter anderem eine isolierte Erhöhung der Gamma-GT auf 171 U/l sowie eine Erhöhung der ETG im Urin auf 2.000 ng/ml anzeigten, und auch ein alkoholspezifischer Fragebogentest (AUDIT-Fragebogen) wurde durchgeführt, in dem der Kläger einen Scorewert von 19 Punkten (von maximal 20 Punkten) erreichte, was den gesteigerten Alkoholkonsum unterstreicht. Dem Kläger wurde seitens des BKH zu Alkoholkarenz, Aufsuchen der Suchberatungsstelle und einer Langzeitentwöhnungstherapie sowie regelmäßiger Kontrolle der Leberwerte geraten. Die Entlassung des Klägers erfolgte am 13. März 2018 gegen ärztlichen Rat. Da die Krankheitseinsicht des Klägers eingeschränkt war und Behandlungsmotivation fehlte, andererseits eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung zum Zeitpunkt der Entlassung nicht mehr festzustellen war, konnte die zwangsweise Unterbringung nicht mehr aufrechterhalten werden. Die dargestellten eigenen Angaben des Klägers, die Erkenntnisse im Rahmen der verschiedenen Anamnesen und die aktuell erhobenen sonstigen Befunde (Laborbericht, AUDIT-Fragebogen) haben die behandelnden Ärzte zur Überzeugung des Gerichts in die Lage versetzt, den Gesundheitszustand des Klägers trotz kurzer Verweildauer in ausreichendem Maße diagnostisch zu beurteilen.
Das Vorbringen des Klägers im Rahmen des Verwaltungsverfahrens sowie des gerichtlichen Verfahrens können den Entlassbericht des BKH W … nicht entkräften. Das vom Kläger vorgelegte ärztliche Attest der Gemeinschaftspraxis Allgemeinmedizin, … … … …, vom 18. April 2018 enthält zwar nicht die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit sondern lediglich die Diagnose Alkoholabusus (F10.1G), was auf eine psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol im Sinne eines schädlichen Gebrauchs hinweist. Das Attest enthält jedoch auch den Hinweis, dass der Kläger erst seit dem 22. Februar 2017 wegen den genannten Diagnosen hausärztlich betreut wird und somit nicht auszuschließen ist, dass die im Jahr 2011 erfolgte Alkoholentzugs- und Entwöhnungstherapie nicht bekannt war bzw. ist, und es ist überdies nicht erkennbar, dass der ausstellende Arzt über eine besondere Expertise im Bereich von Suchtkrankheiten verfügt, sodass der hausärztlichen Diagnose (trotz des Merkmals „G“ = gesichert) keine Verlässlichkeit zuerkannt werden kann. Auch den im Rahmen des Widerspruchsverfahrens vorgelegten Laborberichten vom 17. Juni 2011, 1. August 2012, 27. Mai 2013, 24. Oktober 2014 und 12. Juli 2016. bzw. der ärztlichen Bescheinigung des Betriebsärztlichen Büros Dr. M… aus dem Jahr 2015 kann kein Gewicht zugemessen werden, da diese Berichte keinen aktuellen Gesundheitszustand des Klägers anzeigen bzw. sich nicht zur Frage des Alkoholkonsums verhalten. Aktualität kann allenfalls dem vom 22. Juni 2018 stammenden Laborblatt zugemessen werden, das – bis auf einen leicht erhöhten Gamma-GT-Wert – im Übrigen Normwerte ausweist. Ein einzelner Laborbefund ist jedoch nicht geeignet, die Diagnose des BKH W … zu erschüttern. Im Übrigen bestehen nach den Einlassungen des Klägers keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zwischenzeitlich wieder eine Entzugsbehandlung erfahren hat, ausreichend lange Abstinenz einhält und für die Zukunft hinreichend gesichert erscheint, dass kein erneuter Rückfall erfolgt. Die Einwendungen des Klägers erschöpfen sich in der Behauptung, dass bei ihm keine Alkoholabhängigkeit vorliege und die Diagnose des BKH W … falsch sei, ohne sich mit den im Kurzarztbrief vom 20. März 2018 erhobenen Befunden auseinanderzusetzen. Auch der Hinweis des Klägers, dass er noch nie mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden sei und deshalb seine Fahreignung gegeben sei, geht fehl, da es – im Falle der Alkoholabhängigkeit – hierauf nicht ankommt.
Für die Beurteilung der Fahreignung ist allein entscheidend, ob eine Alkoholabhängigkeit vorhanden ist oder nicht. Wer alkoholabhängig ist, hat grundsätzlich nicht die erforderliche Fähigkeit, den Konsum von Alkohol und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu trennen. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Betreffende bereits mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden ist (BVerwG, B.v. 21.10.2015 – 3 B 31.15 – DAR 2016, 216). Bei alkoholabhängigen Personen besteht krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge (BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris Rn. 10).
Der Kläger hat die Alkoholabhängigkeit offenkundig noch nicht überwunden. Nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung und Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung ist die Fahreignung erst wieder gegeben, wenn die Abhängigkeit nach einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist. Außerdem müssen der Einstellungswandel und die Verhaltensänderung als hinreichend gefestigt und stabil einzuschätzen sein (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2018, § 13 FeV Rn. 28). Der Nachweis, dass die Verhaltensänderung stabil und motivational gefestigt ist, ist mittels eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu führen (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV). Der Kläger hat jedoch dem Entlassbericht des Bezirksklinikums zufolge wenig Krankheitseinsicht und keine Behandlungsmotivation. Eine Änderung war auch im Laufe des Verwaltungsverfahrens nicht erkennbar. Ein Einstellungswandel ist bzw. war im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt damit offensichtlich nicht vorhanden. Auch der Nachweis einer mindestens einjährigen Alkoholabstinenz durch den Kläger wurde im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht nachgewiesen.
Der Beweisanregung, es könne durch Sachverständigengutachten festgestellt werden, dass keine Alkoholabhängigkeit vorliege, musste deshalb vorliegend nicht nachgegangen werden. Zwar ist es Sache des Gerichts, im Wege der Amtsermittlung den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären (§ 86 VwGO) und gegebenenfalls die erforderlichen Beweise zu erheben, dies jedoch nur soweit der Prozessstoff einschließlich des Vorbringens der Beteiligten hinreichenden Anlass hierzu bietet (Kopp/Schenke, a.a.O., § 86, Rn. 12; OVG NRW, B.v. 8.10.2009 – 16 E 245/09 – juris). Dies war vorliegend – wie oben dargestellt – jedoch nicht der Fall.
Zur Überzeugung des Gerichts wurde deshalb dem Kläger zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen, ohne dass es der Einholung eines Gutachtens vor Erlass der streitgegenständlichen Bescheide bedurfte (§ 11 Abs. 7 FeV).
3. Auch die in Nr. 2 verfügte Ablieferungspflicht des Führerscheins ist nicht zu beanstanden.
4. Auch die Zwangsgeldandrohung in Nr. 4 des Bescheides vom 23. Mai 2018 ist nicht zu beanstanden. Diesbezüglich ist die Klage im Übrigen bereits unzulässig, da der Führerschein rechtzeitig beim Landratsamt abgegeben wurde.
Die erhobene Klage hat deshalb insgesamt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weshalb der Antrag abzulehnen war.


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