Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines Fahreignungsgutachtens

Aktenzeichen  11 C 18.1532

Datum:
30.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2255
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166 Abs. 1 S.1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 8
BezO Art. 48 Abs. 3 Nr. 1
GKG § 3 Abs. 2
StVG § 2

 

Leitsatz

1 Um die Anordnung eines Gutachtens zu rechtfertigen, müssen konkrete Tatsachen bekannt geworden sein, die auf das Vorliegen von Erkrankungen oder Mängeln nach Anlage 4 und 5 FeV hinweisen. Ein bloßer Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. Mutmaßungen, subjektive Werturteile, Behauptungen oder dergleichen genügen nicht (Anschluss BVerwG BeckRS 2001, 30191412). (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Einschätzung eines Bezirkskrankenhauses über das mögliche Vorliegen psychischer Erkrankungen ist als psychiatrischer und neurologischer Fachklinik regelmäßig ein hoher Grad an Verlässlichkeit beizumessen, der eine Gutachtensanforderung rechtfertigen kann. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 K 17.1378 2018-06-11 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Gegenstand der Beschwerde ist die Ablehnung eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Entziehung der der Klägerin am 10. November 1977 erteilten Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt).
Vom 8. bis 16. März 2017 war die Klägerin im Bezirkskrankenhaus untergebracht. Nach dem „Vorläufigen Entlassbericht“ vom 8. März 2017 ist sie seit 2009 voll erwerbsunfähig. Unter der Überschrift „Psychiatrische Anamnese“ wurde angegeben, es seien eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und eine Depression bekannt, unter der Überschrift „Vormedikation“ morgens und abends je 40 mg Ritalin und seit vier Monaten nachts das Medikament Novalox forte. Eine aktuelle Suizidalität sowie Selbst- und Fremdgefährdung seien nicht festgestellt worden. Krankheitsgefühl, Krankheitseinsicht und Behandlungsmotivation seien nicht gegeben. Die Klägerin sei wegen des Verdachts auf akute Suizidalität aufgenommen worden. Im Verhalten sei sie kooperativ und freundlich gewesen. Die Vormedikation sei belassen und bei Entlassung verordnet worden. Da keine Selbst- und Fremdaggressivität bestanden habe, sei die Klägerin auf die offene Station verlegt worden. Sie habe viele Gespräche gebraucht und sei dabei sehr detailliert, sprunghaft und etwas ungeordnet gewesen. Während der langen Gespräche seien die Referenten kaum zu Wort gekommen, was man der ADHS zuschreiben könne. Die Stimmung habe rasch von normal zu weinerlichem Ton wechseln können. Die Klägerin habe oft Bedarfsmedikation von Ritalin gemeldet. Nach Angabe des sie behandelnden Psychiaters sei sie möglicherweise medikamentenabhängig. Sie sei auf eigenen Wunsch nach Hause entlassen worden. Der Besuch einer Einrichtung wäre sinnvoll, um an der Strukturierung ihres Tagesablaufs zu arbeiten. Nach Angabe ihres Psychiaters komme sie mit der Organisation ihrer Hausarbeit nicht zurecht.
Nach einer Bescheinigung ihres behandelnden Facharztes vom 5. Juli 2017 wird die Klägerin wegen einer Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung ambulant behandelt. Unter 2 x 40 mg Ritalin Adult sei sie uneingeschränkt in der Lage, ein Kfz zu führen.
Mit Schreiben vom 25. Juli 2017 forderte das Landratsamt Schweinfurt die Klägerin unter Hinweis auf die medizinischen Feststellungen des Bezirkskrankenhauses und die daraus resultierenden Fahreignungszweifel auf, ein ärztliches Gutachten eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen, um die Fragen zu klären, ob bei ihr die Erkrankung ADHS und/oder eine weitere Erkrankung vorliege, die nach Nr. 1 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV und/oder Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stellten, wenn ja, ob sie in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 vollständig gerecht zu werden, ob eine ausreichende Compliance (u.a. Krankheitseinsicht, kein Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen inklusive Alkohol, regelmäßig überwachte Medikamenteneinnahme – Hinweis auf ggf. selbstinduzierte Unter- oder Überdosierung usw. – vorliege und auch umgesetzt werde (Adhärenz).
Hierauf reagierte die Klägerin nicht. Auf jeweilige Telefonate der Klägerin hin erklärte sich das Landratsamt zweimal bereit, die Frist zur Vorlage des Gutachtens zu verlängern, zuletzt unter der Voraussetzung, dass sie eine Erklärung über die Durchführung einer Begutachtung bis 26. September 2017 vorlege. Dem kam die Klägerin jedoch nicht nach. Einen weiteren, im Rahmen der Anhörung zur Entziehung der Fahrerlaubnis von der Bevollmächtigten der Klägerin gestellten Antrag auf Fristverlängerung lehnte das Landratsamt ab.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2017 entzog das Landratsamt der Klägerin gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis und forderte sie auf, ihren Führerschein spätestens sieben Tage nach Zustellung des Bescheids abzuliefern. Des Weiteren ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an und drohte bezüglich der Ablieferungspflicht ein Zwangsgeld an.
Am 29. November 2017 ließ die Klägerin hiergegen Klage erheben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten beantragen. Zur Begründung wurden die Vorfälle am 7. März 2017 aus der Sicht der Klägerin geschildert und vorgetragen, das Bezirkskrankenhaus habe bestätigt, dass bei ihr keine Suizidalität und Fremd- oder Eigengefährdung bestanden habe. Sie stehe wegen der Erkrankung ADHS in ambulanter Behandlung. Der behandelnde Facharzt habe ihre Fahreignung uneingeschränkt bejaht, was eine Begutachtung entbehrlich mache. Im Übrigen sei die Klägerin, die lediglich Erwerbsunfähigkeitsrente beziehe, wirtschaftlich nicht in der Lage, die Kosten der Begutachtung zu tragen. Offenbar habe das Bezirkskrankenhaus aus der Äußerung, sie verstehe ihre Einweisung nicht, und aus ihrer Gereiztheit wegen der grundlosen Einweisung eine fehlende Krankheitseinsicht abgeleitet. Es sei aber tatsächlich kein Grund für eine Einweisung vorhanden gewesen. Die Mitteilungen ihrer Töchter hätten sich als haltlos erwiesen. Allein aus dem Vorliegen einer ADHS und der fehlenden Krankheitseinsicht könne keine fehlende Fahreignung abgeleitet werden. Der Klägerin sei ihre Erkrankung bekannt. Diese sei auch Grund ihrer Berentung. Sie werde regelmäßig ambulant behandelt. Eine Medikamentenabhängigkeit habe nicht bestanden und bestehe auch jetzt nicht. Sie sei nie mit einer nicht gegebenen oder eingeschränkten Fahruntauglichkeit in Erscheinung getreten. Sowohl der Entlassbericht als auch der Entziehungsbescheid beruhten letztendlich auf nicht überprüften Behauptungen der beiden Töchter der Klägerin, mit denen eine konfliktbelastete Situation bestanden habe. Die Behauptung fehlender Krankheitseinsicht sei nicht nachvollziehbar. Der Entlassbericht bestätige kooperatives Verhalten und verneine Selbst- und Fremdgefährdung.
Mit Beschluss vom 11. Juni 2018, der Klägerin zugestellt am 20. Juni 2018, lehnte das Verwaltungsgericht Würzburg den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten ab und führte zur Begründung aus, die Erfolgsaussichten der Klage stellten sich auch nicht als zumindest offen dar. Die Klägerin habe das vom Landratsamt zu Recht geforderte Gutachten nicht innerhalb der eingeräumten und später verlängerten Frist vorgelegt. Formelle oder materielle Mängel der Anordnung des Gutachtens seien nicht ersichtlich. Möge auch die in Abrede gestellte Suizidalität nicht vorgelegen haben, so habe der Entlassbericht des Bezirkskrankenhauses vom 8. März 2017 doch hinreichende Anhaltspunkte für eine die Fahreignung ausschließende bzw. beeinträchtigende akute gesundheitliche Störung im Sinne von Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV (Depression) sowie nach Nr. 1 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV (ADHS) in Zusammenhang mit Medikamentenmissbrauch mit psychoaktiv wirkenden Substanzen (Ritalin; erhöhte Bedarfsanforderung, evtl. Medikamentenabhängigkeit) ergeben. In der Gutachtensanordnung und im Entziehungsbescheid würden die möglichen krankheitsbedingten Auswirkungen der ADHS beschrieben. Eine vorherige Auffälligkeit der Klägerin im Straßenverkehr werde nicht vorausgesetzt. Es genüge, wenn ein tatsachengestützter Verdacht auf eine psychische Störung und auf einen damit in Zusammenhang stehenden Medikamentenmissbrauch bestehe. Ob sich daraus tatsächlich ergebe, dass die Fahreignung fehle, solle das angeforderte ärztliche Gutachten erst klären. Die vorgelegte Bescheinigung des behandelnden Arztes sei nicht geeignet, die vorhandenen Fahreignungszweifel zu beseitigen, da sie das Vorliegen der Erkrankung ADHS bestätige und eine uneingeschränkte Fahreignung nur „unter der Einnahme von 2 x 40 mg Ritalin Adult“ bejahe. Ungeachtet dessen, dass der behandelnde Arzt gemäß § 11 Abs. 2 Satz 5 FeV nicht mit einer Begutachtung beauftragt werden solle und dieser offensichtlich auch keine verkehrsmedizinische Qualifikation besitze, sei die Bescheinigung auch wegen des Verdachts auf Medikamentenmissbrauch nicht aussagekräftig. Fehlende finanzielle Mittel stellten regelmäßig keinen Grund zur Verweigerung der angeordneten Untersuchung dar.
Mit ihrer Beschwerde, der der Beklagte entgegentritt, macht die Klägerin geltend, die Erfolgsaussichten der Klage seien immer dann zu bejahen, wenn eine Beweisaufnahme in Betracht komme. Hier sei ein ärztliches Attest vorgelegt worden, wonach die Klägerin uneingeschränkt in der Lage sei, ein Kfz zu führen. Zudem habe das Bezirkskrankenhaus bestätigt, dass keine Eigen- und Fremdgefährdung bestanden habe. Der Beklagte hätte eine Begutachtung nicht anordnen dürfen. Anlass sei offensichtlich die zwangsweise Unterbringung der Klägerin gewesen, der ein familiärer Konflikt und Komplott zugrunde liege. Die Behauptungen der Töchter hätten jeder Grundlage entbehrt. Abgesehen davon, dass eine zweitägige Nichterreichbarkeit kein Anlass für die Einschaltung der Polizei sei, habe die polizeiliche Nachschau ergeben, dass keine Ordnungs- und Sicherheitsstörung vorliege und es der Klägerin gut gehe. Die ärztliche Feststellung in dem Entlassbericht des Bezirkskrankenhauses, dass weder ein Krankheitsgefühl noch eine Krankheitseinsicht und Behandlungsmotivation gegeben seien, beruhe schlicht darauf, dass ein krankheitswertiger Zustand nicht bestanden habe. Außerdem zeige die Inanspruchnahme der ambulanten psychiatrischen Behandlung, dass die Klägerin durchaus eine grundsätzliche Krankheitseinsicht habe. Darüber hinaus bestehe jedoch kein Behandlungsbedarf, insbesondere nicht stationärer Art. Dies könne dem Betroffenen also auch nicht vorgeworfen werden. Diesen Punkt habe das Gericht überhaupt nicht berücksichtigt. Ferner habe der behandelnde Arzt seine Bescheinigung, dass die Klägerin nur unter Einnahme von Medikamenten fahrtauglich sei, mit der Bescheinigung vom 14. August 2017 dahin korrigiert, dass sie bereits seit 1. April 2017 medikamentenfrei gewesen sei. Sie habe keine Medikamente eingenommen und nehme keine mehr ein, ohne dass es zu irgendwelchen Ausfallerscheinungen gekommen sei. Das Bezirkskrankenhaus habe keine Fremd- oder Eigengefährdung oder Suizidalität festgestellt. Unter diesen Umständen hätte von der Anordnung eines Gutachtens abgesehen werden müssen. Aus den PKH-Unterlagen ergebe sich, dass die Klägerin eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehe und wegen Insolvenzverschleppung eine eidesstattliche Versicherung habe leisten müssen. Sie versorge eine minderjährige Tochter, habe keine Chance auf ein Darlehen und sei nicht in der Lage zu Ratenzahlungen. Sie habe keine Einträge im Bundeszentralregister und fahre ohne Hinweise auf fehlende Fahreignung Auto. Die Erfolgsaussichten der Klage seien unter Berücksichtigung der gestellten Beweisanträge zu bejahen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde, mit der die Klägerin ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Anfechtungsklage weiterverfolgt, ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den in dem angegriffenen Beschluss zutreffend dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 2 ZPO). Daher kommt es auf die wirtschaftliche Bedürftigkeit der Klägerin nicht an.
Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe genügt es regelmäßig, dass die Erfolgsaussichten offen sind oder es entscheidungserheblich auf schwierige Rechtsfragen ankommt, die höchstrichterlich noch nicht geklärt sind (BVerfG, B.v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 – BVerfGE 81, 347 = juris 2. Ls.). Hinreichende Erfolgsaussichten liegen allerdings dann nicht vor, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist oder konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl. BVerfG, B.v. 20.2.2002 – 1 BvR 1450/00 – NJW-RR 2002, 1069 = juris Rn. 12).
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind nicht gegeben. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt eine Beweisaufnahme nicht in Betracht. Denn der Beklagte hat die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht auf das Vorliegen einer die Fahreignung ausschließenden Erkrankung gestützt (§ 11 Abs. 7 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980], zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 14. August 2017 [BGBl I S. 3232]), über die ggf. Beweis zu erheben wäre, sondern darauf, dass die Klägerin ein rechtmäßig angeordnetes Fahreignungsgutachten nicht fristgerecht beigebracht hat (§ 11 Abs. 8 FeV). Die in diesem Zusammenhang maßgebliche Frage, ob der Schluss aus der Nichtvorlage des angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung gerechtfertigt war, d.h. nach der Auslegung durch die Rechtsprechung, ob die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.), lässt sich aufgrund einer tatsächlich-rechtlichen Bewertung des vom Landratsamt im maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensanordnung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 36; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 55) herangezogenen Sachverhalts ohne Beweisaufnahme beantworten.
Um die Anordnung eines Gutachtens zu rechtfertigen, müssen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV Tatsachen bekannt geworden sein, die auf das Vorliegen von Erkrankungen oder Mängeln nach Anlage 4 und 5 FeV hinweisen, d.h. konkrete Tatsachen und nicht lediglich ein bloßer Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. Mutmaßungen, subjektive Werturteile, Behauptungen oder dergleichen (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 = juris Rn. 26; BayVGH, B.v. 21.11.2018 – 11 CS 18.1237 – juris Rn. 14 m.w.N.; Siegmund in Freymann/Wellner jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 16.1.2019, § 11 FeV Rn. 36, § 2 StVG Rn. 78 ff.). Es genügt ein „Anfangsverdacht“ (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 = juris Rn. 22; U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12 – BVerwGE 148, 230 = juris Rn. 17), also – wie es in § 152 Abs. 2 StPO umschrieben wird – das Bestehen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte (BayVGH, B.v. 21.11.2018 – 11 CS 18.1237 – juris Rn. 15). Folglich hängen die Erfolgsaussichten der Klage nicht von einer Beweisaufnahme über die erst durch das angeordnete Gutachten zu klärende gesundheitliche Verfassung der Klägerin und ihren Medikamentengebrauch ab.
Zureichende Tatsachen, nämlich die ärztlichen Mitteilungen über bestehende fahreignungsrelevante psychische Erkrankungen sowie die Einnahme eines den Wirkstoff Methylphenidat enthaltenden Medikaments (Ritalin), welcher ein verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel nach Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG ist, und über den Verdacht auf eine nicht ordnungsgemäße Einnahme bzw. einen Missbrauch dieses Medikaments, lagen vor.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hat nicht ihre zwangsweise Unterbringung im Bezirkskrankenhaus Anlass zu der Gutachtensanordnung gegeben. Die Unterbringung hat das Landratsamt vielmehr – wie sich aus dessen Schreiben vom 6. April 2017, der Gutachtensanordnung vom 25. Juli 2017 und der Klageerwiderung vom 11. April 2018 eindeutig ergibt – lediglich veranlasst, eine Bescheinigung des behandelnden Arztes und den Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses anzufordern. Auch wenn die Unterbringung die Ursache dafür sein mag, dass der Fahrerlaubnisbehörde die Erkrankungen der Klägerin bekannt geworden sind, war die Gutachtensanordnung (vgl. Zusammenfassung Seite 4 oben) nicht durch die Einweisung, sondern durch die Diagnose einer Depression und die Erkrankung ADHS in Zusammenhang mit der Einnahme eines psychoaktiv wirkenden Medikaments (Ritalin) und mit dem Verdacht auf nicht bestimmungsgemäße Einnahme desselben veranlasst.
Bei diesen Sachverhalten handelt es sich nicht um bloße Mutmaßungen. Der Einschätzung eines Bezirkskrankenhauses als psychiatrischer und neurologischer Fachklinik (vgl. Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 BezO) ist regelmäßig ein hoher Grad an Verlässlichkeit beizumessen. Wie sich aus der Anamnese des Krankenhauses ergibt, hat die Klägerin dort selbst angegeben, an diesen Erkrankungen zu leiden und unter anderem zweimal täglich 40 mg Ritalin einzunehmen. Bestätigt wird dies durch die weitere Angabe in ihrer Klagebegründung, dass die Erkrankung an ADHS der Grund für ihre Erwerbsunfähigkeit sei. Ferner sind in dem Entlassbericht vom 8. März 2017 auch eigene Feststellungen des Bezirkskrankenhauses wiedergegeben, die diese Diagnosen und den Verdacht eines erhöhten Medikamentenbedarfs stützen. Auch fand offensichtlich eine Rücksprache des Krankenhausarztes mit dem behandelnden Facharzt statt, dessen ärztliche Bescheinigung vom 5. Juli 2017 ausdrücklich die Diagnose einer ADHS bestätigt. Anders als die Klägerin offenbar meint, wird die Annahme einer Depression nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich der ursprüngliche Verdacht auf Suizidalität nicht erhärtet hat und eine Selbst- und Fremdgefährdung nicht festgestellt werden konnte. Damit ist lediglich der Grund für eine zwangsweise Unterbringung entfallen. Selbst eine schwere Depression, die gemäß Nr. 7.5.1 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung ausschließt, ist – wenn auch häufig – nicht zwangsläufig mit Suizidgedanken oder -handlungen verbunden (vgl. ICD 10 F32.2). Nachdem die Klägerin selbst angegeben hat, an dieser Erkrankung zu leiden, ohne jedoch deren Schweregrad oder Einzelheiten mitzuteilen, die eine Einschätzung des Schweregrads erlaubt hätten, und sich aus dem Entlassbericht ergibt, dass sie während ihres stationären Aufenthalts rasch in weinerliche Stimmungen geriet, war es dem Landratsamt nicht verwehrt, auch diesen Gesichtspunkt heranzuziehen und der Frage nachzugehen, ob eine die Fahreignung beeinträchtigende Depression vorliegen könnte. Darüber hinaus kommt es nicht darauf an, ob der Klägerin berechtigter- oder unberechtigterweise ein Krankheitsgefühl, eine Krankheitseinsicht und eine Behandlungsmotivation gefehlt haben und ob ein stationärer Behandlungsbedarf bestanden hat.
Die ärztliche Bescheinigung vom 5. Juli 2017 war – zumal vor dem Hintergrund der nachträglichen Berichtigung vom 14. August 2017 – nicht dazu geeignet, die sich aus dem Entlassbericht ergebenden Gründe für die Gutachtensanordnung in Frage zu stellen. Denn diese Bescheinigung enthält lediglich die nicht ansatzweise nachvollziehbar erläuterte Wertung, dass die Klägerin unter Einnahme eines bestimmten Medikaments uneingeschränkt fahrgeeignet sei. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, handelt es sich zum einen um die Wertung eines behandelnden Arztes, der wegen des bei ihm anzunehmenden Interessenkonflikts (BayVGH, B.v. 5.7.2012 – 11 CS 12.1321 – juris Rn. 26) nicht mit einer Begutachtung beauftragt werden soll (§ 11 Abs. 2 Satz 5 FeV), und zum andern auch nicht um ein (nachvollziehbares) Gutachten eines Gutachters mit verkehrsmedizinischer Qualifikation. Die ärztlichen Angaben im Attest vom 5. Juli 2017 werfen zudem im Hinblick auf Nr. 9.3 und Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV (Abhängigkeit bzw. missbräuchliche Einnahme von Betäubungsmitteln) ungeklärte fahreignungsrelevante Fragen auf.
Im Übrigen kann die ärztliche Bescheinigung vom 14. August 2017, dass die Klägerin glaubhaft seit 1. April 2017 kein Ritalin mehr eingenommen habe, der Gutachtensanordnung schon deshalb nicht die Grundlage entziehen, weil es für deren Rechtmäßigkeit auf den Zeitpunkt der Anordnung ankommt, also den 25. Juli 2017. Darüber hinaus weckt die erstmals im Beschwerdeverfahren vorgelegte ärztliche Bescheinigung ernsthafte Zweifel an ihrer inhaltlichen Richtigkeit, weil die Klägerin im Bezirkskrankenhaus selbst angegeben hat, Ritalin in bestimmter Dosierung einzunehmen, und nachfolgend einen für die dortigen Ärzte auffälligen Bedarf angemeldet hat. Den Verdacht auf eine Medikamentenabhängigkeit hatte zudem ihr behandelnder Arzt gegenüber den Klinikärzten geäußert.
Von der Anordnung des Gutachtens war auch nicht wegen fehlender finanzieller Mittel der Klägerin abzusehen. Als Folge der Beibringungslast mutet das Gesetz einem Kraftfahrer die Kosten für die Begutachtung grundsätzlich ebenso zu wie die notwendigen Kosten zum verkehrssicheren Führen des Fahrzeugs (vgl. BVerwG, U.v. 13.11.1997 – 3 C 1.97 – BayVBl 1998, 634 = juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 11 CS 17.1821 – juris Rn. 17; SächsOVG, B.v. 4.9.2015 – 3 D 45/15 – juris Rn. 7; OVG NW, B.v. 7.3.2014 – 16 A 1386/13 – juris Rn. 7; OVG Berlin-Bbg., B.v. 28.2.2011 – 1 S 19.11, 1 M 6.11 – juris Rn. 8). Sollte ein Betroffener zwingend auf eine Fahrerlaubnis angewiesen sein und die Kosten für das Fahreignungsgutachten nicht aufbringen können, so kann er ggf. unter strengen Voraussetzungen eine darlehensweise Vorfinanzierung durch das Landratsamt beantragen, ohne allerdings darauf einen Anspruch zu haben (vgl. zum Angebot der Vorfinanzierung durch eine Behörde BayVGH, B.v. 8.4.2016 – 11 C 16.319, 11 C 16.320 – juris Rn. 14). Diese Voraussetzungen hat die Klägerin aber schon nicht hinreichend dargetan.
Damit war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Im Beschwerdeverfahren gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe fallen – anders als im Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz – Gerichtskosten an, wobei eine Kostenerstattung nicht stattfindet (§ 166 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO). Eine Streitwertfestsetzung ist im Hinblick auf die nach § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG anfallende Festgebühr von 60,- EUR jedoch entbehrlich.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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