Medizinrecht

Erbringung von Dienstleistungen, Persönliche Dienstleistungen, Einstweilige Anordnung, Verwaltungsgerichte, ärztliche Verordnung, Verordnungsgeber, Antragstellers, Antragsgegner, Prozeßbevollmächtigter, Eilbedürftigkeit, Geschäftsbetrieb, Streitwertfestsetzung, Gesundheitsfachberufe, Beschwerdeentscheidung, Wert des Beschwerdegegenstandes, Einlegung der Beschwerde, Ausübung, Kostenentscheidung, Vorläufige Feststellung, Fitnessstudio

Aktenzeichen  B 7 E 20.1398

Datum:
11.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40903
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayIfSMV § 12 Abs. 3 der 10.
BayIfSMV § 10 Abs. 3 der 10.

 

Leitsatz

Tenor

1. Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass § 10 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV der Erbringung von therapeutischen Leistungen aufgrund ärztlicher Verordnung mittels Elektro-Muskelstimulationsanwendung (EMS-Anwendung) nicht entgegensteht, sofern die Schutz- und Hygienevorgaben der 10. BayIfSMV und etwaige weitere Vorgaben zum sonstigen örtlichen Infektionsschutz eingehalten werden.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits ist in der Sache die Frage, ob die einschlägigen Normen der Zehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (10. BayIfSMV) so auszulegen sind, dass sie der Erbringung von Elektro-Muskelstimulationsanwendungen (EMS-Anwendungen) aufgrund ärztlicher Verordnung bei Einhaltung von Schutz- und Hygienemaßnahmen entgegenstehen.
Der Antragsteller betreibt in … einen Gewerbebetrieb. Die Tätigkeit des Antragstellers umfasst unter anderem sog. EMS-Anwendungen auf einer Fläche von 40 m². Nach seiner Darstellung stellen EMS-Anwendungen eine besondere Form des Fitness- und Rehatrainings dar. Durch EMS sollen die jeweiligen Hauptmuskelgruppen durch einen elektrischen Impuls stimuliert werden. Der Impuls soll die Muskeln aktivieren und kontrahieren, ähnlich den bioelektrischen Impulsen, welche bei jeder natürlichen Bewegung vom Gehirn ausgelöst würden. Auf diese Weise ließen sich Kraftaufbau, Leistungssteigerung und Regeneration fördern. Dieses spezielle Trainingsprinzip sei im Bereich der Sportwissenschaft sowie der Physiotherapie seit vielen Jahren verbreitet und bewährt. EMS-Anwendungen erwiesen sich als wesentlich effektiver im Vergleich zu einer klassischen sportlichen Betätigung im Freien oder in einem Fitnessstudio. Oft reichten bereits 20 Minuten pro Woche, um die allgemeine Fitness positiv zu beeinflussen. Als besonders schonende Art würden EMS-Anwendungen daher seit einigen Jahren genutzt, um einen gezielten Muskelaufbau nach Verletzungen anzuregen.
Die elektrischen Impulse würden hierbei durch Elektroden ausgelöst, die sich in einer speziellen Funktionsweste befänden. Diese Funktionswesten stünden im Eigentum des Antragstellers und würden den Kunden für die Dauer der EMS-Anwendung zur Verfügung gestellt. Unter verbaler Anleitung eines spezialisierten Trainers würden die Übungen vom Kunden selbstständig durchgeführt, sodass der Trainer im Bedarfsfall durch korrigierende Hinweise eingreifen könne. Ein körperlicher Kontakt sei hierbei regelmäßig nicht vorgesehen. Auch die Funktionsweste könne durch den Kunden selbstständig an- und abgelegt werden. Für die gesamte Dauer der Anwendung sei ein Mindestabstand von 1,5 m gewährleistet. Die zur Verfügung stehende Fläche von 40 m² beschränke von vorneherein die Anzahl der Personen, die gleichzeitig an einer EMS-Anwendung teilnehmen könnten. Gleichwohl stelle diese Anwendung den wesentlichen Geschäftsgegenstand des Antragstellers dar. Mit seinem Angebot wende sich der Antragsteller ausschließlich an Personen, die den Betrieb des Antragstellers zu therapeutischen Zwecken und auf Anordnung eines behandelnden Arztes aufsuchten. Die Durchführung der Anwendungen erfolge nach vorheriger Terminvereinbarung. Termine würden nicht mehrfach vergeben. Für die Dauer einer Anwendung halte sich nur ein Kunde im Geschäft des Antragstellers auf. Anders als bei einem regulären Fitnessstudio oder einer Sportstätte nutzten die Kunden des Antragstellers dessen Angebot nicht zum eigenen Vergnügen, sondern gezielt zur Stärkung der durch langes Sitzen geschwächten Rückenmuskulatur und zu Rehabilitationszwecken nach Sportverletzungen. Der Antragsteller habe ein eigenes Schutz- und Hygienekonzept erarbeitet (wurde näher ausgeführt).
Am 24.11.2020 wandte sich der Antragsteller an die Antragsgegnerin und machte geltend, dass seine beschriebene Tätigkeit nach der damals einschlägigen 8. BayIfSMV zulässig sei. Die Antragsgegnerin teilte dem Antragsteller mit, dass der Betrieb seines EMS-Studios als andere Sportstätte im Sinne von § 10 Abs. 3 der damals einschlägigen 9. BayIfSMV untersagt sei. Auf § 12 Abs. 3 der 9. BayIfSMV könne sich der Antragsteller nicht berufen, da es sich nicht um eine Praxis im Sinne der 9. BayIfSMV handele.
Der Antragsteller bekräftigte daraufhin, dass er ausschließlich beabsichtige, EMS-Anwendungen durch ausgebildete EMS-Therapeuten nach Vorlage eines ärztlichen Attestes erbringen zu wollen. Damit lägen medizinisch notwendige Behandlungen vor. Ihm sei darüber hinaus bekannt, dass die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden in …, …oder … EMS-Anwendungen zu therapeutischen Zwecken als Dienstleistungen anerkennen würden. Der Antragsteller rügte vor diesem Hintergrund eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung.
Die Antragsgegnerin blieb bei ihrer rechtlichen Auffassung. Der Geschäftsbetrieb des Antragstellers sei eine Sportstätte und keine Praxis.
Mit am 08.11.2020 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangenem Schriftsatz ließ der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen. Er beantragt, nachdem zwischenzeitlich die 10. BayIfSMV in Kraft getreten ist:
Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass§ 10 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV der Erbringung von Dienstleistungen in Gestalt von therapeutischen Behandlungen aufgrund ärztlicher Anordnung mittels Elektro-Muskelstimulationsanwendungen (EMS-Anwendungen) nicht entgegensteht, sofern sichergestellt ist, dass grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen den Kunden und dem Personal eingehalten werden kann, eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen wird und der Antragsteller ein Schutz- und Hygienekonzept ausgearbeitet hat und dies auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorlegt.
Zur Begründung wird ausgeführt, die vollständige Untersagung des Gewerbebetriebs des Antragstellers stelle einen erheblichen Eingriff in sein grundrechtlich geschütztes Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG dar und sei für den Antragsteller mit schweren wirtschaftlichen Nachteilen verbunden.
Der Antragsteller sei zur Erbringung von Dienstleistungen in Gestalt von therapeutischen Behandlungen aufgrund ärztlicher Anordnung durch EMS-Anwendungen berechtigt, sofern sichergestellt sei, dass grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen den Kunden und dem Personal eingehalten werden könne, eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werde und der Antragsteller ein Schutz- und Hygienekonzept ausgearbeitet habe und dies auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorlege. Dies ergebe sich unmittelbar aus § 12 Abs. 2 Satz 1 der nunmehr 10. BayIfSMV und bedürfe keiner weiteren Umsetzung durch eine Verwaltungsbehörde.
Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch auf die begehrte vorläufige Feststellung. Es liege ein Dienstleistungsbetrieb mit Kundenverkehr nach § 12 Abs. 2 Satz 1 der 10. BayIfSMV vor, so dass § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 der 10. BayIfSMV entsprechend zur Anwendung kämen. Der Begriff des Dienstleistungsbetriebs werde in der 10. BayIfSMV nicht definiert. Innerhalb des 4. Abschnitts der 10. BayIfSMV („Wirtschaftsleben“) werde er jedoch dem Betrieb des Einzelhandels (§ 12 Abs. 1), Arzt-, Zahnarzt- und allen sonstigen Praxen (§ 12 Abs. 3) sowie Wochenmärkten und anderen Märkten (§ 12 Abs. 4) gegenübergestellt.
Nach allgemeinem Sprachgebrauch sei ein Dienstleistungsbetrieb ein Betrieb, der Dienstleistungen, also eine Arbeit in der Wirtschaft, die nicht unmittelbar der Produktion von Gütern dient, anbiete. Nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige zählten zu den Dienstleistungen Handel, Gastgewerbe, Verkehr und Nachrichtenübermittlung, Kredit- und Versicherungsgewerbe, Grundstücks- und Wohnungswesen, Vermietung beweglicher Sachen, Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen, Erziehung und Unterricht, Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen sowie sonstige öffentliche und persönliche Dienstleistungen. Der Begriff des Dienstleistungsbetriebes in § 12 Abs. 2 der 10. BayIfSMV werde durch den Verordnungsgeber in dieser Form seit Geltung der 4. BayIfSMV vom 05.05.2020 verwendet.
Hierzu sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Begriff des Dienstleistungsbetriebs weit zu verstehen sei und darunter sämtliche Einrichtungen mit Kundenkontakt, die gegen Entgelt eine immaterielle Leistung erbringen würden, zu fassen seien. Hiervon ausgenommen seien lediglich solche Betriebe, für die der Verordnungsgeber Sonderregelungen erlassen habe.
Lege man diesen Maßstab an den Geschäftsbetrieb des Antragstellers an, sei von einem Dienstleistungsbetrieb mit Kundenverkehr auszugehen. Denn durch den Antragsteller würden gegen Entgelt immaterielle Leistungen in Form von EMS-Anwendungen erbracht. Für solche habe der Verordnungsgeber auch keine abweichende Sonderregelung erlassen. Insbesondere § 10 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV stehe dem Geschäftsbetrieb des Antragstellers nicht entgegen. Danach sei der Betrieb und die Nutzung von Sporthallen, Sportplätzen, Fitnessstudios, Tanzschulen und anderen Sportstätten untersagt. Auch hier habe der Verordnungsgeber insbesondere keine Definition von anderen Sportstätten in die Verordnung mit aufgenommen. Der Verordnungsgeber habe jedoch in Teil 3 („Sport und Freizeit“) im Wesentlichen Tätigkeiten gegenübergestellt, die der Freizeitgestaltung dienten. Der Verordnungsgeber wolle daher sämtliche Freizeitaktivitäten, seien es sportliche (§ 10) oder sonstige (§ 11), die mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden seien, untersagen. Gerade dem Tatbestandsmerkmal anderer Sportstätten werde daher wohl eine gewisse Auffangfunktion zukommen. Hiernach sollten alle Einrichtungen, die für eine sportliche Nutzung bestimmt seien und nicht bereits unter ein anderes Tatbestandsmerkmal fielen, erfasst werden. Es sei also auch hier von einer grundsätzlich weiten Auslegung auszugehen, wonach Sportstätten all jene Einrichtungen seien, in denen Sport betrieben werde. Hierbei nehme der Verordnungsgeber jedoch in Kauf, dass es zwangsläufig zu Überschneidungen, insbesondere mit Dienstleistungen nach § 12 Abs. 2 der 10. BayIfSMV kommen könne, deren Erbringung auch weiterhin erlaubt sein solle.
Ob das Handeln des Einzelnen als sportliche Tätigkeit im Sinne von § 10 der 10. BayIfSMV zu werten sei oder als Entgegennahme einer Dienstleistung nach § 12 Abs. 2 der 10. BayIfSMV, könne nur im Einzelfall beurteilt werden und nicht abstrakt generell für die jeweilige Tätigkeit. Auch die Antragsgegnerin werde nicht in Abrede stellen, dass therapeutische Maßnahmen medizinisch notwendig und zur Sicherung eines Heilbehandlungserfolgs geboten seien. Solche würden regelmäßig auch in Formen angeboten, die für sich genommen einer sportlichen Tätigkeit entsprächen. Als Beispiel seien hier körperliche Übungen genannt, die einerseits sportlich motiviert sein können (Zumba, Yoga, Pilates, rhythmische Sportgymnastik), andererseits unmittelbar und ausschließlich medizinischen Zwecken dienten (Physiotherapie, Krankengymnastik, Bewegungstherapie).
Auch wenn sich Sport im Allgemeinen positiv auf die körperliche Gesundheit, Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden auswirke, unterschieden sich die vorgenannten Formen körperlicher Betätigung nach ihrem jeweils unmittelbar verfolgten Zweck. Dieser sei bei einer rein sportlichen Tätigkeit eben nur mittelbar auf eine Verbesserung des Gesundheitszustands gerichtet. Hingegen sei der Einsatz körperlicher Bewegung zu therapeutischen Zwecken ein Mittel der Heilbehandlung, um deren beabsichtigten Erfolg zu sichern oder konkret zu unterstützen. Demnach sei die vom Antragsteller beabsichtigte EMS-Anwendung nach medizinischer Anordnung zu therapeutischen Zwecken eine erlaubnisfreie medizinische Dienstleistung i.S.v. § 12 Abs. 3 der 10. BayIfSMV. Hierfür spreche zudem, dass die Dauer der Anwendung verhältnismäßig kurz sei und nur einige Minuten betrage. Hingegen setze die Ausübung von Sport eine gewisse Dauer voraus, da der Sporttreibende gerade aus der Ausübung der Tätigkeit sein Vergnügen ziehe. Dies spiele bei EMS-Anwendungen allenfalls eine untergeordnete Rolle. Die Muskelzelle müsse bei EMS-Anwendungen gerade nicht durch intensive körperliche Betätigung erregt werden, sondern durch elektrische Reize, die durch Oberflächenelektroden über die Haut erfolgten. Die strominduzierte Muskelkontraktion führe zu strukturellen Anpassungen der Muskulatur, welche die Grundlage einer messbar gesteigerten muskulären Leistungsfähigkeit darstellten. Dies unterscheide EMS-Anwendungen daher auch wesentlich vom Angebot klassischer Fitnessstudios.
Durch sein Betriebskonzept habe der Antragsteller auch sichergestellt, dass nur solche Kunden Zugang zu seinem Geschäftsbetrieb hätten, für die EMS-Anwendungen zu therapeutischen Zwecken medizinisch notwendig seien.
Der Verordnungsgeber gestatte in § 12 Abs. 2 Satz 1 der 10. BayIfSMV Dienstleistungen, also Tätigkeiten auch mit Kundenkontakt. In § 10 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV untersage der Verordnungsgeber hingegen den Betrieb von Einrichtungen. Die grundsätzlich vom Verordnungsgeber gestattete Dienstleistung des Antragstellers werde jedoch nicht dadurch unzulässig, dass sie in Geschäftsräumen angeboten werde, die nur theoretisch auch für sportliche Zwecke genutzt werden könnten. Nur dann, wenn die Kunden des Antragstellers seine Leistung als Sport betreiben würden, wäre sein Geschäftsbetrieb als andere Sportstätte im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV zu qualifizieren. Anderenfalls müsste jede Reha-Einrichtung als zu untersagende Sportstätte erscheinen, wenn dort im Rahmen der therapeutischen Maßnahmen Gummibänder, etc. zum Einsatz kämen. Dies entspreche erkennbar nicht dem Willen des Verordnungsgebers.
Die Dienstleistung des Antragstellers mache eine körperliche Nähe zum Kunden auch nicht unabdingbar nach § 12 Abs. 2 Satz 2 der 10. BayIfSMV. Die Kunden des Antragstellers seien trotz ihrer medizinischen Behandlungsbedürftigkeit derart mobil, dass sie die für die EMS-Anwendung notwendige Funktionskleidung selbst an- und ablegen könnten. Die Anwendung selbst führten die Kunden des Antragstellers selbstständig aus, wobei sie verbal angeleitet und überwacht würden. Hilfsmittel, wie z.B. Hanteln oder andere Sportgeräte, die schon aus Sicherheitsgründen ein Eingreifen erforderlich machten, kämen bei EMS-Anwendungen gerade nicht zum Einsatz.
Es könne vorliegend dahinstehen, ob es sich beim Geschäftsbetrieb des Antragstellers um eine Praxis im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV handele (wurde ausgeführt).
Aufgrund der näher erläuterten Eilbedürftigkeit habe der Antragsteller auch einen Anordnungsgrund. Vorgelegt wurde – per EGVP – u.a. eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist u.a. auf die „FAQs“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege. Danach fielen EMS-Studios zwar nicht unter den Begriff der Fitnessstudios, doch handele es sich hierbei um Sportstätten im Sinne des § 10 Abs. 3 der 9. BayIfSMV.
Der Antragsteller habe per E-Mail zum Ausdruck gebracht, dass die medizinisch notwendigen Behandlungen durch „EMS-Therapeuten“ erbracht würden. Sein Bevollmächtigter spreche von „spezialisierten Trainern“. Hierbei handele es sich offenbar nicht um staatlich anerkannte Gesundheitsfachberufe. Wie im E-Mailverkehr weiter zum Ausdruck komme, finde auch keine Abrechnung mit Krankenkassen statt. Nach dem Willen des Verordnungsgebers seien medizinische und therapeutische Maßnahmen im Sinne von § 12 Abs. 3 der 8. BayIfSMV nur dann zu bejahen, wenn ein ärztliches Attest vorliege und die Maßnahmen durch einen Dienstleister durchgeführt würden, der entsprechend qualifiziert sei, so dass die Leistung eine Ausübung von Heilkunde darstelle. Es wurde auf eine E-Mail-Korrespondenz mit der …hingewiesen, die als Anlage vorgelegt wurde.
Die Antragsgegnerin verwies ferner auf die mit dem Inkrafttreten der 10. BayIfSMV einhergehenden weiteren Restriktionen vor dem Hintergrund der unverändert hohen Infektionszahlen.
In rechtlicher Hinsicht sei festzustellen, dass § 10 der 10. BayIfSMV die Anwendung von § 12 Abs. 3 der 10. BayIfSMV nicht hindere, sofern die medizinisch notwendige Behandlung eine Ausübung von Heilkunde darstelle, wenn also seitens der Leistungserbringer eine ärztliche Approbation, Heilpraktiker-Erlaubnis oder sonstiger Fachabschluss in einem Gesundheitsfachberuf nachgewiesen sei oder im Fall von Therapieberufen grundsätzlich eine ärztliche Heilmittel-Verordnung für die Leistungserbringung vorausgesetzt werde.
Vor diesem Hintergrund sei für den streitgegenständlichen Betrieb der Anwendungsbereich des § 12 Abs. 3 der 10. BayIfSMV nicht eröffnet. Denn der Antragsteller habe nicht dargelegt, über eine entsprechende Qualifikation in einem Heilberuf zu verfügen oder einen gesetzlich geregelten Gesundheitsfachberuf auszuüben. Die gewünschte Feststellung könne in Bezug auf das Begehren, EMS-Anwendungen durch EMS-Trainer durchzuführen zu lassen, die keiner der erwähnten Berufsgruppen angehörten, daher nicht getroffen werden. In Bezug auf die Ausnahmeregelung für Therapie/verordnete Behandlungen durch Personen, die medizinische Berufe/Heilkunde ausübten, habe der Verordnungsgeber ein geeignetes Kriterium gefunden, um Ausnahmen im Hinblick auf die medizinische Versorgung zu konturieren. Im Übrigen müssten verbleibende „Unebenheiten“ hingenommen werden.
Sofern der Antragsteller die Behandlung auf ärztliche Verordnung ausschließlich durch Personen durchführen lasse, die einen geeigneten Arzt- oder gesetzlich geregelten Gesundheitsfach- oder Heilberuf ausübten, der die Qualifikation zum EMS-Einsatz erfasse, könnten diese Personen die Behandlung durchführen. Lediglich als „EMS-Therapeut“ einen Schulungskurs absolviert zu haben, genüge jedoch nicht.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers handele es sich bei seinem Gewerbetrieb auch nicht um einen Dienstleistungsbetrieb mit Kundenverkehr im Sinne von § 12 Abs. 2 der
10. BayIfSMV. Das Tätigkeitsfeld „Betrieb eines EMS-Studios“ unterfalle grundsätzlich der spezielleren Norm des § 10 Abs. 3 der 10. BayIfSMV. Diese Norm sei lex specialis für Dienstleistungen, die im Bereich des Sportes an Orten nach § 10 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV angeboten würden, da die Regelung anderenfalls leerliefe, da das Sporttreiben der Kunden auf der einen Seite regelmäßig mit einer Dienstleistung des Betreibers auf der anderen Seite einhergehe.
Weiter stelle sich die Frage, ob die Klärung der materiell-rechtlichen Rechtsfragen überhaupt dem Eilverfahren zugänglich sei oder erst in einem Hauptsacheverfahren eine abschließende Klärung möglich sei. Mit Blick auf das aktuelle Pandemiegeschehen überwiege jedenfalls das Interesse am Schutz des Gesundheitssystems vor Überlastung und dem Schutz der Gesundheit vor allem vor schwerwiegenden Verläufen dem Interesse des Antragstellers an einer Feststellung, zumal er nicht dargelegt habe, dass er die vom Verordnungsgeber vorgesehenen Anforderungen an eine Ausnahme erfülle. Würde er sie erfüllen, bedürfte es keiner Feststellung, da die Behörde ohnehin davon ausgehe, dass Heilpraktiker und gesetzlich geregelte Gesundheitsfachberufe mit (ggf. zusätzlicher) EMS-Qualifikation die ärztlich verordneten Behandlungen gemäß § 12 Abs. 3 der 10. BayIfSMV vornehmen dürften.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Antrag ist auch in der Sache begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus Gründen nötig erscheint. Erforderlich ist für einen Erfolg des Antrags, dass der Antragsteller einen materiellen Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Eilbedürftigkeit) gerade im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Anordnungsgrund) glaubhaft machen kann.
a) Der Anordnungsgrund folgt vorliegend ohne Weiteres aus der Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Feststellung.
b) Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kann der Antragsteller in einem etwaigen Hauptsacheverfahren die Feststellung entsprechend dem Tenor dieses Beschlusses für sich beanspruchen, so dass auch die mit dem vorliegenden Eilantrag einhergehende vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache gerechtfertigt erscheint (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 123, Rn. 25 ff.).
§ 10 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV, wonach u.a. der Betrieb und die Nutzung von Fitnessstudios und anderen Sportstätten untersagt ist, steht der Erbringung von ärztlich verordneten therapeutischen EMS-Anwendungen durch den Antragsteller in seinen Räumlichkeiten in … nicht entgegen.
aa) Die Erbringung von EMS-Leistungen ausschließlich auf der Grundlage von (privat-) ärztlichen Verordnungen ist als therapeutische Leistung im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV anzusehen, die in einer „sonstigen Praxis“ angeboten wird.
Im Wortlaut der Verordnung werden zunächst ausdrücklich Arzt- und Zahnarztpraxen angeführt, unter die die Räumlichkeiten des Antragstellers ersichtlich nicht fallen. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Norm geht aber mit den darin erwähnten „sonstigen Praxen“ einher. Nach dem entsprechenden Eintrag im Duden kann der Begriff einer „Praxis“ durchaus weit verstanden werden („Räumlichkeit, in der ein Arzt, Masseur, eine Heilpraktikerin, Psychiaterin o. Ä., auch ein Anwalt, eine Anwältin seinen bzw. ihren Beruf ausübt), so dass es vom Wortlaut der Norm nicht ausgeschlossen ist, in der hier gegebenen Konstellation vom Vorliegen einer „sonstigen Praxis“ im Sinne von § 12 Abs. 3 der 10. BayIfSMV auszugehen. Mit seinem Konzept dahingehend, dass ausschließlich ärztlich verordnete EMS-Anwendungen erbracht werden, hat der Antragsteller seinen Räumlichkeiten eine Widmung bzw. Verwendungsbestimmung gegeben, die von derjenigen deutlich abweichen mag, die vor der Zeit der Beschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie maßgeblich war. Eine solche Einschränkung der Zweckbestimmung erscheint jedoch, soweit sie auch sonst nicht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften steht, keineswegs unzulässig.
Soweit in den „FAQs“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege Yoga- und EMS-Studios als Sportstätten i.S.d. § 10 Abs. 3 der 9. BayIfSMV eingestuft werden und dies auch dann gelten soll, wenn nur Einzeltraining angeboten wird, erscheint dies ohne nähere Begründung für die Auslegung der inmitten stehenden Normen und zugleich notwendiger Berücksichtigung der Einzelfallumstände nicht ergiebig.
Anders als im Falle des Antragstellers mag ein EMS-Studio, in dem die entsprechenden Behandlungen ohne therapeutischen Bezug und ohne ärztliche Verordnung gleichsam zum Zwecke der Freizeitgestaltung und sportlichen Betätigung („EMS Bodybuilding“) angeboten werden, als Fitnessstudio im weiteren Sinne oder eben als „andere Sportstätte“ im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV anzusehen sein (vgl. VG München, B.v. 24.11.2020 – M 26a E 20.5958 – juris). Von einer solchen Betriebsweise hat sich der Antragsteller indessen distanziert; es ist auch in keiner Weise ersichtlich, dass zu besorgen wäre, dass auf der Grundlage von – inflationären – (privat-)ärztlichen Verschreibungen der in Rede stehenden EMS-Anwendungen ohne therapeutische Notwendigkeit eine Umgehung der Schließung von Fitnessstudios und anderen Sportstätten erfolgen werde.
Die vom Antragsteller zu erbringenden EMS-Anwendungen aufgrund ärztlicher Verordnung sind weiter auch als therapeutische Leistungen im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV anzusehen. Wegen der Verschreibung durch einen Arzt wird der notwendige therapeutische Zusammenhang hinreichend hergestellt. Der Umstand, dass die Leistungen nicht durch eine Person (Trainer, etc.) erbracht werden, für die ein Berufsbild dergestalt existieren würde, dass eine konkrete Ausbildung bzw. ein bestimmter Berufsabschluss vorausgesetzt wird, steht der Einordnung als „therapeutische Leistung“ im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV nicht entgegen. Ebenso wenig setzt die maßgebliche Norm in ihrem Wortlaut voraus, dass die vom Antragsteller zu erbringenden Leistungen von einer Krankenkasse übernommen werden. Beide Aspekte hätten, soweit vom Verordnungsgeber gewollt, aufgrund der Vielfalt der denkbaren therapeutischen Leistungen, Niederschlag im Wortlaut der Bestimmung finden müssen.
Diese Auslegung der Norm steht auch im Einklang mit dem grundlegenden Regelungskonzept, das der Verordnungsgeber der 10. BayIfSMV verfolgt. Danach sollen für den Freizeit- und Sportbereich weitgehende Beschränkungen greifen, um andererseits die für essentiell erachteten Lebensbereiche – hier: Medizin, Therapie – geöffnet zu halten, wobei freilich wirksame Schutz- und Hygienekonzepte zu erarbeiten und umzusetzen sind.
Ist aber § 12 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV die für die Beurteilung der in Rede stehenden therapeutischen EMS-Anwendungen auf Basis ärztlicher Verordnung die maßgebliche Norm, so greift das Verbot des Betriebs und der Nutzung von Sportstätten nach § 10 Abs. 3 Satz 1 der 10. BayIfSMV vorliegend nicht ein, so dass dem Eilantrag in der Sache zu entsprechen ist (im Ergebnis ebenso: VG Würzburg, B.v. 24.11.2020 – W 8 E 20.1791 zur 8. BayIfSMV – juris).
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.


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