Medizinrecht

Erfolgloser Eilantrag auf vorläufige Außervollzugsetzung des pandemiebedingten Verbots körpernaher Dienstleistungen für Friseure

Aktenzeichen  20 NE 21.241

Datum:
18.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2699
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
11. BayIfSMV § 12 Abs. 2
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 12

 

Leitsatz

1. Es ist nicht erkennbar, inwiefern Friseurdienstleistungen aus infektiologischer Sicht grundsätzlich unbedenklicher sein sollten als andere körpernahe Dienstleistungen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass Friseurdienstleistungen ab dem 1. März 2021 als einzige körpernahe Dienstleistung wieder zugelassen werden, beruht nicht auf infektiologischen Erwägungen, sondern vielmehr nur auf einer vom Verordnungsgeber den Friseurbetrieben zugeschriebenen „besonderen Bedeutung für die Körperhygiene“. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Die Antragstellerin betreibt einen Friseursalon in Bayern. Mit ihrem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 wendet sie sich gegen § 12 Abs. 2 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 15. Dezember 2020 (11. BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 737), zuletzt geändert durch Verordnung vom 12. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 112), und beantragt dessen vorläufige Außervollzugsetzung.
Zur Begründung ihres am 21. Januar 2021 gestellten Antrags, dem der Antragsgegner entgegentritt, führt sie u.a. aus, die angegriffene Norm verletze sie in ihren Grundrechten aus Art. 12 GG und Art. 2 Abs. 1 GG. Die seit dem 15. Dezember 2020 geltende ausnahmslose Betriebsuntersagung für Friseure sei unverhältnismäßig, da sie nicht nur das jeweils örtliche Infektionsgeschehen, sondern auch mildere Mittel – insbesondere Hygienekonzepte und Arbeitsschutzmaßnahmen – vollständig außer Betracht lasse. Der Friseursalon der Antragstellerin werde von einem Fachbüro für Arbeitssicherheit betreut und verfüge über vier hochwertige Luftreinigungssysteme. Zudem wende sie einen strikten Hygieneplan an, der u.a. die Verwendung von FFP2-Schutzmasken und Desinfektionsspray vorsehe. Bisher habe sich kein Kunde im Salon der Antragstellerin infiziert. Laut einer Mitteilung der Friseurinnung komme Friseursalons im Infektionsgeschehen auch keinerlei Rolle zu.
Der Senat hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 22. Januar 2021 auf die Senatsentscheidung vom 13. Januar 2021 (20 NE 20.2990) zu § 12 Abs. 2 11. BayIfSMV hingewiesen; die Antragstellerin hat mit Schriftsätzen vom 25. und 28. Januar 2021 an ihrem Antrag festgehalten und ihr Vorbringen vertieft.
Mit weiterem Schriftsatz vom 16. Februar 2021 hat die Antragstellerin um zeitnahe Entscheidung gebeten. Die fortgesetzte Schließung von Friseurgeschäften verletze die Menschenwürde aus Art. 1 GG. Mittlerweile sei fast einen Monat nach Antragstellung noch nicht entschieden worden. Familiengerichte würden Eilanträge in Gewaltschutzverfahren innerhalb eines halben Tages bearbeiten und nicht abwarten, bis sich der Antrag durch den Tod des Antragstellers erledigt habe.
2. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Insoweit wird zur Begründung umfassend verwiesen auf die den Beteiligten bekannte Entscheidung des Senats vom 13. Januar 2021 (20 NE 20.2990), in der eingehend dargelegt wurde, warum eine Außervollzugsetzung der von der Antragstellerin angegriffenen Norm nicht in Betracht kommt (vgl. zur Untersagung sog. körpernaher Dienstleistungen auch B.v. 27.11.2020 – 20 NE 20.2550 – juris; B.v. 26.11.2020 – 20 NE 20.2589).
Soweit die Antragstellerin gegen eine Übertragbarkeit der genannten Entscheidungen auf Friseurbetriebe einwendet, in diesen beständen schon grundsätzlich keine Infektionsgefahren, trifft dies offenkundig nicht zu. Inwiefern Friseurdienstleistungen aus infektiologischer Sicht grundsätzlich unbedenklicher sein sollten als andere körpernahe Dienstleistungen, erschließt sich nicht. Dass bislang nur wenige Infektionsgeschehen eindeutig einem Friseurbetrieb zuzuordnen sind, hat schon deswegen keine durchgreifende Bedeutung, weil sich das genaue Infektionsumfeld in der ganz überwiegenden Zahl der bekannten Fälle nicht ermitteln lässt (vgl. RKI, COVID-19-Lagebericht vom 17. Februar 2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/Inf-AZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02-17-de.pdf? bl-ob=publicationFile) und nach derzeitigem Kenntnisstand die Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber infektiösen Partikeln jeglicher Größe in einem – bei der Ausübung körpernaher Dienstleistungen naturgemäß (deutlich) unterschrittenen – Umkreis von 1 bis 2 m um eine infizierte Person herum grundsätzlich stark erhöht ist (vgl. RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.ht-ml; jsessionid=EDAFD86408ED1DA71D86F8BC77E056BF.internet062?nn=2386228#doc13776792bodyText2).
Dass der Antragsgegner Friseurdienstleistungen ab dem 1. März 2021 nach § 1 Nr. 3 Buchst. b) i.V.m. § 2 Nr. 3 der ÄnderungsVO vom 12. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 112) – als einzige körpernahe Dienstleistung – wieder zulassen will, beruht nach der hierauf bezogenen Begründung (BayMBl. 2021 Nr. 113 S. 3) ausdrücklich nicht auf infektiologischen Erwägungen, sondern vielmehr nur auf einer vom Verordnungsgeber den Friseurbetrieben zugeschriebenen „besonderen Bedeutung für die Körperhygiene“. Ungeachtet dessen erscheint die von der Antragstellerin gerügte Verletzung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG angesichts der bisherigen Geltungsdauer des Verbots von Friseurdienstleistungen von wenig mehr als zwei Monaten und seiner bereits zum 1. März 2021 absehbaren Aufhebung abwegig.
Im Übrigen ergibt in der derzeitigen pandemischen Situation (vgl. dazu nur RKI, COVID-19-Lagebericht vom 17. Februar 2021, abrufbar unter https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02-17-de.pdf? blob=publicationFile) auch eine Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm – im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten – schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Rechte der Normadressaten. Gegenüber den bestehenden Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet ist, müssen die Interessen der von der Untersagung körpernaher Dienstleistungen Betroffenen derzeit zurücktreten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von der Antragstellerin angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 7. Februar 2021 außer Kraft tritt (§ 29 11. BayIfSMV) und ihre Beschwer voraussichtlich zum 1. März 2021 entfallen wird (vgl. § 1 Nr. 3 Buchst. b) i.V.m. § 2 Nr. 3 der ÄnderungsVO vom 12. Februar 2021, BayMBl. 2021 Nr. 112) zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 hier nicht angebracht ist.


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