Medizinrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen angeordneten Aufnahmestopp für eine Klinik wegen Corona-Ausbruchs

Aktenzeichen  RN 14 S 20.700

Datum:
29.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7821
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 114 S. 1
IfSG § 2 Nr. 4, Nr. 7, § 16 Abs. 1, § 28 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Bei § 28 Abs. 1 IfSG handelt es sich im Fall, dass Kranke konkret festgestellt werden, um die speziellere Befugnisnorm, die der allgemeiner gefassten Norm des § 16 Abs. 1 IfSG vorgeht. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anordnung eines 14-tägigen Aufnahmestopps für Patienten in eine Klinik ist ermessensfehlerfrei und insbesondere erforderlich, wenn nicht festgestellt werden kann, welche Erkrankten zu welcher Zeit an welchem Ort waren. (Rn. 38 – 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig. Er ist insbesondere statthaft, da die Klage gegen die Anordnung des Aufnahmestopps im Bescheid des Landratsamts A… vom 22.4.2020 keine aufschiebende Wirkung hat. Dabei kann an dieser Stelle dahinstehen, ob die Anordnung auf § 16 Abs. 1 IfSG oder auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützt ist. Im ersteren Fall ergibt sich dies aus § 16 Abs. 8 IfSG, während Anordnungen nach § 28 Abs. 1 IfSG nach den §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, da die Hauptsacheklage nach der im Eilrechtschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung der Klage kraft Gesetzes entfällt (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht die Interessen der Antragstellerin und des Antragsgegners und diejenigen der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen. Dabei spielen die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine wesentliche Rolle, die im Rahmen einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zu ermitteln sind. Sind die Erfolgsaussichten der Klage offen, so ist eine echte Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollziehungsinteresse des Antragsgegners und gegebenenfalls der Allgemeinheit vorzunehmen (vgl. dazu: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 80, Rn. 152 ff.).
Vorliegend gelangt das Gericht zum Ergebnis, dass die Anfechtungsklage der Antragstellerin voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
a) Richtige Rechtsgrundlage für die vom zuständigen Landratsamt A… (vgl. § 65 ZustV, Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG) getroffene Anordnung ist nach Auffassung des Gerichts § 28 Abs. 1 IfSG. Nach § 16 Abs. 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren, die deshalb entstehen, weil Tatsachen festgestellt werden, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können, oder wenn anzunehmen ist, dass solche Tatsachen vorliegen. Die Vorschrift lässt somit allgemeine Maßnahmen zu, wenn ein konkreter Gefahrenverdacht besteht. Nach § 28 Abs. 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, oder wenn sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Diese Ermächtigungsgrundlage knüpft demnach unter anderem daran an, dass Kranke konkret festgestellt worden sind. Somit handelt es sich bei Art. 28 Abs. 1 IfSG um die speziellere Befugnisnorm, die der allgemeiner gefassten Norm des § 16 Abs. 1 IfSG vorgeht (so auch VG Minden, B.v. 21.4.2020 – 7 L 299/20 – juris).
Das Landratsamt A… hat im angegriffenen Bescheid zunächst beide Rechtsgrundlagen genannt, um dann in der Folge konkret auf die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG einzugehen. Dessen Voraussetzungen hat die Behörde dann im streitgegenständlichen Bescheid geprüft, sodass aus dem Bescheid selbst deutlich wird, dass sie die richtige Rechtsgrundlage herangezogen hat. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass es auch unschädlich wäre, wenn die falsche Rechtsgrundlage – nämlich § 16 Abs. 1 IfSG – herangezogen worden wäre. Grundsätzlich kann nämlich eine in einem Bescheid verfügte Regelung auf einer anderen Rechtsgrundlage als der im Bescheid Genannten aufrechterhalten werden, wenn der Austausch der Rechtsgrundlage die Identität der im Bescheid getroffenen behördlichen Regelung unberührt lässt; wenn sie also auf dasselbe Regelungsziel gerichtet bleibt und infolge des „Austauschs“ der Rechtsgrundlage keine Wesensänderung erfährt (vgl. etwa BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29.87 – juris, Rn. 13; OVG SH, U.v. 26.5.2009 – 1 LB 38/08 – juris, Rn. 36). Dies wäre vorliegend der Fall.
b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 IfSG liegen vor. In der Einrichtung der Antragstellerin wurden insgesamt 9 an COVID-19 erkrankte Personen festgestellt, nämlich der Patient, der die Klinik am 14.4.2020 verlassen hat, 5 weitere Patienten sowie 3 Mitarbeiter. Die WHO hat zudem am 11.3.2020 die weltweite Ausbreitung von Covid-19 zu einer Pandemie erklärt. Das Robert-Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit als hoch ein, für Risikogruppen sogar als sehr hoch. Demnach sind die Tatbestandsvoraussetzungen der Befugnisnorm erfüllt, was seitens der Antragstellerin auch nicht bestritten wird.
c) Als Rechtsfolge sieht § 28 Abs. 1 IfSG vor, dass die zuständige Behörde die „notwendigen Schutzmaßnahmen“ zu treffen hat, wobei beispielhaft Maßnahmen nach den §§ 29 bis 31 IfSG genannt werden, die vorliegend aber nicht einschlägig sind.
Im Ergebnis wird hier deutlich, dass das Landratsamt auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen auszuüben hatte, im Rahmen dessen die Behörde den Zweck der Ermächtigung zu beachten und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hatte (vgl. Art. 40 BayVwVfG). Dem Gericht steht insoweit gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich die Befugnis zu, zu überprüfen, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Derartige Ermessensfehler vermag das Gericht nicht zu erkennen.
– Zunächst ist festzustellen, dass das Landratsamt eine Ermessensentscheidung getroffen hat. Auf Seite 2 des streitgegenständlichen Bescheids ist ausdrücklich ausgeführt, dass dem Landratsamt auf der Rechtsfolgenseite ein Auswahlermessen zusteht, das dann in der Folge ausgeübt wurde.
– Die vom Landratsamt gewählte Maßnahme des Aufnahmestopps ist geeignet, das Ziel, die Ausbreitung der Corona-Infektion einzudämmen, zu erreichen. Es liegt auf der Hand, dass bei einem Aufnahmestopp Patienten vor einer Ansteckung im Krankenhaus geschützt werden, die noch nicht erkrankt sind und einer medizinischen Behandlung bedürfen und deshalb in eine Klinik aufgenommen werden sollen.
– Die Maßnahme ist nach den Ausführungen des Antragsgegners auch erforderlich. In der Klageerwiderung hat der Antragsgegner zutreffend und nachvollziehbar dargestellt, dass die Infektionsketten im Klinikum der Antragstellerin nicht mehr nachverfolgt werden konnten und eine Nachverfolgung auch derzeit nicht mehr möglich ist. Es stellte sich nach und nach heraus, dass von der Infektion nicht nur die Station C 6 (Geriatrie) betroffen war. Zwar befanden sich alle betroffenen Patienten ausschließlich in dieser Station. Es stellte sich aber auch heraus, dass das Klinikpersonal und auch Reinigungskräfte stations- und sogar einrichtungsübergreifend tätig waren. Bis heute hat die Antragstellerin nicht angeben können, welche Mitarbeiter zu welcher Zeit an welchem Ort tätig waren. Dementsprechend war es nicht möglich, zu ergreifende Maßnahmen ausschließlich auf die Station C 6 zu erstrecken.
Andere weniger einschneidende Maßnahmen sind für das Gericht nicht ersichtlich. Auch die Antragstellerin hat nicht vorgetragen, dass es Maßnahmen geben könnte, die einen geringeren Eingriff als den Aufnahmestopp darstellen könnten und die somit Zweifel an der Erforderlichkeit des Aufnahmestopps aufkommen lassen könnten.
Der Antragsgegner hat darüber hinaus im angegriffenen Bescheid angedeutet, dass er die Verhängung eines Aufnahmestopps auch als ausreichend erachtet. Noch strengere Maßnahmen – etwa die Sperrung des Krankenhauses und die Abverlegung von Patienten – hat er damit auch in seine Prüfung einbezogen, was er insbesondere auch in seiner Antragserwiderung ausgeführt hat. Insoweit hat er bereits im Bescheid anklingende Ermessenserwägungen in seiner Antragserwiderung gemäß § 114 Satz 2 VwGO vertieft.
– Die Maßnahme ist auch angemessen. Die mit dem Aufnahmestopp für die Antragstellerin verbundenen Nachteile stehen nicht außer Verhältnis zu den Vorteilen, die sie bewirken soll. Auch wenn ein zweiwöchiger Aufnahmestopp gravierende wirtschaftliche Auswirkungen für die Antragstellerin haben mag, so ist diesen Auswirkungen jedoch gegenüber zu stellen, dass die Maßnahme einen Beitrag zur Eindämmung der Corona-Infektion leistet. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland durch COVID-19 wird derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch. Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Gerade ein derartiger Personenkreis befindet sich in der Einrichtung der Antragstellerin. Deshalb verfolgen die massiven Anstrengungen auf allen Ebenen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes das Ziel, die Infektionen in Deutschland so früh wie möglich zu erkennen und die weitere Ausbreitung des Virus so weit wie möglich zu verzögern (vgl. dazu die Homepage des Robert-Koch-Instituts: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Insbesondere aufgrund der Gefahr schwerer Verläufe und der Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems ist es daher von der Antragstellerin hinzunehmen, für einen Zeitraum von 14 Tagen keine neuen Patienten aufnehmen zu dürfen. Dabei ist auch zu bedenken, dass es der Antragstellerin bis dahin weiterhin möglich ist, die sich bereits in ihrer Einrichtung befindlichen Patienten weiter zu behandeln. Ihr Klinikbetrieb kommt durch die Anordnung damit nicht zum Erliegen.
Im Übrigen ist auch die Anordnung des Aufnahmestopps für zunächst 14 Tage nicht zu beanstanden. Insoweit hat sich das Landratsamt an der Mindestfrist, die von der Wissenschaft empfohlen wird, um weitere Infektionen zu vermeiden, orientiert. Nach medizinischen Erkenntnissen ist derzeit davon auszugehen, dass die Inkubationszeit bis zu 14 Tage betragen kann (vgl. dazu die Homepage des Robert-Koch-Instituts: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Empfohlene_Schutzma%C3%9Fnahmen.html). Da die Mitarbeiter der Antragstellerin erst ab dem 21.4.2020, 13:00 Uhr FFP 2-Masken getragen haben, war also eine Infektion mit COVID-19 noch bis zum Vormittag des 21.4.2020 möglich. Die 14-tägige Mindestfrist für angeordnete Maßnahmen endet damit – wie von der Antragstellerin im Bescheid festgelegt – mit Ablauf des 5.5.2020.
– Der Anordnung steht schließlich auch nicht entgegen, dass die Klinik der Antragstellerin zu einem Hilfskrankenhaus gemäß dem Notfallplan Corona-Pandemie ernannt wurde. Der Antragsgegner hat diesbezüglich zu Recht darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin im Rahmen der Ernennung zum Hilfskrankenhaus sowohl zur Aufnahme von COVID-19-Patienten als auch zur Aufnahme von non-COVID-19-Patienten ermächtigt ist. Dementsprechend wäre es in der Tat kontraproduktiv, wenn die Ernennung dazu führen müsste, dass Maßnahmen nicht mehr ergriffen werden dürfen, die bei anderen, nicht zum Hilfskrankenhaus ernannten Kliniken getroffen werden würden. Entscheidend ist für das Gericht jedoch vor allem der Umstand, auf den die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung zutreffend hingewiesen hat, dass die Antragstellerin aufgrund der bei ihr aufgetretenen COVID-19-Infektionen und der Verbreitung des Virus in verschiedenen Stationen gezeigt hat, dass sie mit der Eindämmung des Infektionsgeschehens schon im normalen Klinikbetrieb überfordert war. Deshalb kann erst recht keine Sicherheit bei der Versorgung von an (möglicherweise) COVID-19-Erkrankten gewährleistet werden.
Der Antrag war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. dort Nr. 1.5).


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