Medizinrecht

Erfolgreiches Eilverfahren wegen vorläufiger Unterbringung in  Einzelzimmer in einer Obdachlosenunterkunft

Aktenzeichen  4 CE 21.1374

Datum:
20.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20953
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 91 Abs. 1, § 123, § 146 Abs. 4
LStVG Art. 6, Art. 7

 

Leitsatz

Die Erfüllung der rechtlichen Verpflichtung zur Obdachlosenunterbringung kann im Einzelfall zu einem Anspruch auf Unterbringung in bestimmter Art und Weise führen. (Rn. 17 – 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 4 E 21.516 2021-05-03 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen einen verwaltungsgerichtlichen Eilbeschluss, mit dem sie verpflichtet wurde, die Antragstellerin vorläufig in einem Einzelzimmer in einer Obdachlosenunterkunft unterzubringen.
Die seit langem heroinabhängige, psychisch kranke Antragstellerin befand sich in den letzten Jahren wiederholt für längere Zeiträume zur stationären Behandlung im örtlichen Bezirksklinikum; in der übrigen Zeit war sie ohne eigene Wohnung und hielt sich zuletzt in einer von der Antragsgegnerin betriebenen Obdachlosenunterkunft auf. Am 5. März 2021 ließ sie bei der Antragsgegnerin und am 17. März 2021 beim Verwaltungsgericht gemäß § 123 VwGO einen Antrag auf sofortige ganztägige Unterbringung stellen und zur Begründung jeweils vortragen, bei der bisher bereitgestellten Unterkunft handle es sich nicht um eine ganztägige Unterbringung.
Das Gericht wies die Antragstellerin mit Schreiben vom 19. März 2021 darauf hin, dass die Unterkunft laut Stellungnahme der Antragsgegnerin 24 Stunden täglich zugänglich sei, also nicht geräumt werden müsse, und dass es für ein etwaiges Rechtsschutzbegehren bezüglich einer Einzelunterbringung an einem entsprechenden Antrag bei der Behörde wie auch an einer ärztlichen Bescheinigung fehle, die einen krankheitsbedingten Zusatzbedarf bestätige. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin beantragte daraufhin mit Schreiben vom 23. März 2021 bei der Antragsgegnerin „zur ergänzenden Klarstellung“ die sofortige ganztägige Einzelunterbringung und änderte mit Schriftsatz vom 25. März 2021 auch den gerichtlichen Eilantrag dahingehend ab, dass die vorläufige ganztägige Einzelunterbringung beantragt werde. Beigefügt war ein Attest des am Bezirksklinikum als Oberarzt tätigen Arztes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. U. vom 23. März 2021. Darin wird ausgeführt, die Antragstellerin sei dem Unterzeichnenden seit Jahren als psychiatrische Patientin bekannt und stehe aktuell in seiner ambulanten Behandlung. Sie lebe derzeit in der Obdachlosenunterkunft. Die anderen alkoholkranken Mitbewohner triggerten sie extrem negativ. Sie sei als Jugendliche von ihrem alkoholkranken Onkel schwer misshandelt worden. Daher sei die Situation in der Notunterkunft für sie sehr belastend. Sie brauche deshalb dringend eine ganztägige Einzelunterbringung.
Nachdem sich die Antragstellerin ab dem 29. März 2021 zur freiwilligen Entgiftung erneut in das Bezirksklinikum begeben hatte, erklärte ihr Bevollmächtigter mit Schreiben vom 17. April 2021 das Eilverfahren für erledigt. Die Antragsgegnerin stimmte der Erledigungserklärung nicht zu und verwies darauf, dass zeitgleich mit der gerichtlichen Erklärung die Entlassung der Antragstellerin aus dem Klinikum dem Sozialamt mitgeteilt und dabei erneut eine Einzelunterbringung beantragt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 26. April 2021 ließ die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht wiederum den bereits im Schriftsatz vom 23. März 2021 enthaltenen Antrag stellen und zur Begründung erneut auf das ärztliche Attest des Dr. U. sowie auf ein Attest einer Diplom-Psychologin vom 3. März 2021 verweisen. Beigefügt war eine eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin vom 4. März 2021, in der u. a. ausgeführt wird, dass sie trotz eigener Suchbemühungen und eines Vormerkbescheids der Antragsgegnerin keine eigene Wohnung finde.
Mit Beschluss vom 3. Mai 2021 verpflichtete das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung, der Antragstellerin zur Behebung ihrer Obdachlosigkeit ein Einzelzimmer in einer Unterkunft zuzuweisen und ihr vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zur Verfügung zu stellen. Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf Einzelunterbringung in einer Obdachlosenunterkunft glaubhaft gemacht. Die Obdachlosenfürsorge diene zwar nicht der wohnungsmäßigen Versorgung, sondern nur der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art. Die Grenze der zumutbaren Einschränkungen liege dort, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten seien. Bestätige eine ärztliche Bescheinigung dem Unterzubringenden einen krankheitsbedingten Zusatzbedarf, könne die Sicherheitsbehörde diesen im Regelfall nur verweigern, wenn sie aufgrund besserer fachlicher Erkenntnis, zum Beispiel aufgrund einer von ihr veranlassten amtsärztlichen Untersuchung, zum gegenteiligen Ergebnis gelangt sei. Solange dies nicht geschehen sei, müsse dem Unterbringungsbegehren in der durch ein ärztliches Attest bestätigten Form jedenfalls vorläufig bis zur näheren Sachverhaltsaufklärung stattgegeben werden. Danach bestehe ein Anspruch auf Unterbringung in einem Einzelzimmer, wenn hierfür eine Notwendigkeit ärztlich belegt sei. Davon gehe das Gericht im vorliegenden Fall aus. Die Antragstellerin habe den beanspruchten Sonderbedarf spätestens durch Vorlage des fachärztlichen Attests des Dr. U ausreichend glaubhaft gemacht. Das Gericht halte die dortige Formulierung, dass die Antragstellerin „dringend“ eine ganztägige Einzelunterbringung brauche, im Aussagegehalt für eindeutig und unmissverständlich. Es habe an der ärztlichen Einschätzung auch keine inhaltlichen Zweifel, da ausdrücklich darauf verwiesen werde, dass dem bestätigenden Arzt die Antragstellerin seit Jahren als psychiatrische Patientin bekannt sei, und das Attest zudem mit dem Verweis auf die besondere Vorgeschichte der Antragstellerin eine nachvollziehbare Begründung enthalte. Das Attest vom 22. März 2021 sei auf richterlichen Hinweis erst nach der Antragstellung eingeholt worden, nachdem die Antragsgegnerin zunächst bemängelt habe, das ursprünglich vorgelegte Attest eines anderen Arztes vom 21. September 2020 sei nicht aktuell genug. Die Anforderungen würden überspannt, wenn einem während des Eilverfahrens erstellten und erst wenige Wochen alten Attest nach so kurzer Zeit die Aktualität abgesprochen werde. Es sei auch nicht erkennbar, dass sich durch den Aufenthalt der Antragstellerin im Bezirksklinikum zur Entgiftung etwas dahingehend geändert haben könnte, dass das Verlangen nach einem neuen Attest gerechtfertigt sein könnte. Die Antragstellerin sei über Jahre hinweg immer wieder zur stationären Behandlung im Bezirksklinikum gewesen, ohne dass sich an ihrem Krankheitsbild grundlegend etwas geändert habe. Sie sei auch nicht wegen ihrer psychiatrischen Erkrankungen, sondern zur Entgiftung im Bezirksklinikum gewesen. Auch ein Anordnungsgrund sei glaubhaft gemacht, da aus dem vorgelegten Attest folge, dass die Antragstellerin „dringend“ eine ganztägige Einzelunterbringung brauche.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde. Sie beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg abzuändern und den
Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Antragstellerin im Eilrechtsschutzverfahren zu Recht einen Anspruch auf vorläufige Einzelunterbringung in einer Obdachlosenunterkunft zuerkannt. Die von der Antragsgegnerin hiergegen vorgebrachten Gründe, auf die sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
a) Die Antragsgegnerin trägt vor, es bestünden bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit des Eilantrags. Die Antragstellerin habe nicht von Beginn an eine Einzelunterbringung, sondern zunächst nur eine ganztägige Unterbringung in einer Notunterkunft beantragt. Einen Antrag auf Einzelunterbringung habe sie vor Einleitung des Eilverfahrens nicht gestellt; dies sei erst nach einem richterlichen Hinweis geschehen. Die Antragstellerin habe auch keine Tatsachen glaubhaft gemacht, aus denen sich ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund ergäben. Aus Sicht der Antragsgegnerin sei sie zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht obdachlos gewesen, sondern bereits seit dem 6. April 2020 in der Obdachlosenunterkunft untergekommen. Sie habe demnach zu Unrecht die Beseitigung einer unfreiwillig bestehenden Obdachlosigkeit durch ganztägige Unterbringung beantragt. Ihr stünden ca. 890 Euro monatlich aus einer Erwerbsunfähigkeitsrente zur Verfügung; zudem habe sie seit 2011 einen gesetzlichen Betreuer, der sich um ihre Angelegenheit kümmere. Es wäre ihr daher möglich gewesen, aus der Unterbringung in der Obdachlosenunterkunft heraus eine eigene Unterkunft zu suchen bzw. die Unterstützung des Betreuers in Anspruch zu nehmen. Sie habe nicht glaubhaft gemacht, von ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente nicht beispielsweise ein kleines Zimmer in einer Pension oder einer Wohngemeinschaft anmieten zu können. Die Antragsgegnerin könne auch den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu dem Anspruch auf Einzelunterbringung nicht beipflichten. Aus den vorgelegten ärztlichen Attesten müsse erkennbar sein, dass einzig durch das Zurverfügungstellen eines Einzelzimmers eine die Grundrechte auf Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung gewährleistet sei. Dies treffe auf das Attest des Dr. U. jedoch nicht zu; mögliche Auswirkungen der bisherigen Kleingruppenunterbringung (Belegung der Schlafräume mit maximal drei Frauen) ergäben sich aus dem vorgelegten Attest nicht. Aus der Feststellung, dass die Antragstellerin dem bestätigenden Arzt seit Jahren als psychiatrische Patientin bekannt sei, sowie aus dem weiteren Akteninhalt lasse sich schließen, dass sich am Zustand der Antragstellerin in den letzten Jahren nichts geändert habe bzw. jedenfalls keine Verschlechterung eingetreten sei. Allein aus der langjährigen Behandlung könne keineswegs der Schluss gezogen werden, dass eine Einzelunterbringung medizinisch notwendig sei. Es dürfe vielmehr weiterhin davon ausgegangen werden, dass eine Gruppenunterbringung angeraten, jedenfalls aber nicht schädlich sei. Da sich die Antragstellerin ab 29. März 2021, also während des laufenden Verfahrens, im Bezirksklinikum Regensburg zur freiwilligen Entgiftung befunden habe und ihr Bevollmächtigter nach zwischenzeitlicher Erledigungserklärung erst am 27. April 2021 erneut einen gerichtlichen Eilantrag gestellt habe, ohne auf den aktuellen gesundheitlichen Zustand der Antragstellerin oder das Ergebnis der Entgiftung einzugehen, sei nicht ausgeschlossen, dass sich an der ärztlichen Einschätzung in Bezug auf die Einzelunterbringung etwas geändert haben könnte. Die Aussage des behandelnden Arztes im Attest vom 22. März 2021 beziehe sich auf einen Zeitpunkt lange vor der gerichtlichen Entscheidung. Nachdem der ursprüngliche Eilantrag zwischenzeitlich für erledigt erklärt worden sei, habe die Dringlichkeit und damit der Anordnungsgrund gesondert glaubhaft gemacht werden müssen.
b) Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die stattgebende Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen.
aa) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war entgegen dem Vortrag der Antragsgegnerin nicht deshalb unzulässig, weil er in der ursprünglichen Fassung vom 17. März 2021 auf ganztägige Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft und nicht auf Unterbringung in einem Einzelzimmer gerichtet war. Zwar kann das Rechtsschutzbedürfnis für eine Eilrechtsschutzentscheidung fehlen, wenn der behauptete Anspruch nicht schon vor der gerichtlichen Antragstellung bei der Verwaltungsbehörde geltend gemacht wird und sich dann im Gerichtsverfahren ergibt, dass der Antragsgegner dem Begehren bereits nachgekommen ist bzw. dazu vorbehaltlos bereit ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 34 m.w.N.). Tritt eine solche Situation im Lauf des erstinstanzlichen Verfahrens ein, folgt daraus aber nicht, dass der Antragsteller an den ursprünglichen Antrag gebunden und daher an einer Antragsänderung gehindert wäre. Im vorliegenden Fall hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin den Eilantrag mit Schriftsatz vom 25. März 2021 entsprechend § 91 Abs. 1 VwGO insoweit geändert, als statt einer ganztägigen Unterbringung nunmehr eine ganztägige Einzelunterbringung in einer Obdachlosenunterkunft beantragt und dazu ein neues ärztliches Attest vorgelegt wurde. Dieser modifizierte Antrag war zuvor mit Schreiben vom 23. März 2021 (erfolglos) bei der Antragsgegnerin gestellt worden, die sich dem geänderten Begehren von Beginn an widersetzt hat. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Eilentscheidung ist damit in jedem Fall gegeben.
bb) Die Antragstellerin hat auch gegenüber dem Verwaltungsgericht einen dem geänderten Antrag entsprechenden Anordnungsanspruch sowie den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Einwand der Antragsgegnerin, wegen der seit dem 6. April 2020 angebotenen und von der Antragstellerin (mit Unterbrechungen) auch in Anspruch genommenen Unterbringung in einer städtischen Sammelunterkunft habe aktuell keine Obdachlosigkeit mehr vorgelegen, lässt außer Betracht, dass es im vorliegenden Verfahren nicht um die prinzipielle Bereitschaft zur Obdachlosenunterbringung geht, sondern um die Art und Weise, in der diese rechtliche Verpflichtung zu erfüllen ist. Stellt die örtlich zuständige Sicherheitsbehörde nur Räumlichkeiten zur Verfügung, die zwar in der Regel angemessen sind, den im Einzelfall wegen besonderer Umstände geltenden erhöhten Anforderungen an eine zumutbare Unterkunft jedoch nicht genügen, so besteht der Anspruch der unterbringungsbedürftigen Person auch dann fort, wenn sie sich mangels sonstiger Alternativen einstweilen auf das unzureichende Unterbringungsangebot eingelassen hat.
Soweit die Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung vorträgt, der Antragstellerin bzw. ihrem gesetzlichen Betreuer sei angesichts einer Erwerbsunfähigkeitsrente von monatlich ca. 890 Euro das Anmieten einer eigenen Unterkunft etwa in einer Pension oder einer Wohngemeinschaft möglich, bestreitet sie der Sache nach, dass eine unfreiwillige Obdachlosigkeit (fort-)besteht. An der Ernsthaftigkeit dieses Einwands muss schon deshalb gezweifelt werden, weil die Antragsgegnerin der Antragstellerin seit Jahren Unterkunft in ihrer Obdachloseneinrichtung gewährt und damit fortlaufend zu erkennen gibt, dass sie ein sicherheitsbehördliches Tätigwerden wegen einer sonst eintretenden Obdachlosigkeit für geboten hält. Davon abgesehen trägt die Antragsgegnerin keine konkreten Erfahrungstatsachen vor, die ihre Vermutung stützen könnten, dass die Antragstellerin sich auf dem örtlichen Wohnungsmarkt bei zumutbarer Eigeninitiative und mit Unterstützung ihres Betreuers angemessenen Wohnraum verschaffen könnte. Es erscheint im Gegenteil mehr als naheliegend, dass eine durch langjährige Drogenabhängigkeit und eine Reihe schwerer psychischer Erkrankungen gezeichnete Person, die nicht im Erwerbsleben steht, aufgrund dieser persönlichen Umstände kaum eine realistische Aussicht hat, ein Zimmer in einer privaten Pension oder in einer Wohngemeinschaft anzumieten, auch wenn sie auf den regelmäßigen Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente verweisen kann. Das Verwaltungsgericht ist daher zu Recht dem durch eine eidesstattliche Versicherung gestützten Vortrag der Antragstellerin gefolgt, wonach sie trotz eigener Suchbemühungen bisher keine Wohnung gefunden habe und somit nicht in der Lage gewesen sei, die Obdachlosigkeit aus eigener Kraft zu beseitigen.
Der angegriffene Beschluss geht auch zu Recht davon aus, dass bei der Antragstellerin nach derzeitigem Erkenntnisstand ein krankheitsbedingter Zusatzbedarf in Gestalt der erforderlichen Unterbringung in einem Einzelzimmer vorliegt. Das von ihr im Eilverfahren vorgelegte fachärztliche Attest des Dr. U. reichte angesichts seines Inhalts und seiner Aktualität als Beleg für eine medizinisch indizierte Einzelunterbringung aus. Ein solches Attest muss nicht schon die rechtliche Schlussfolgerung enthalten, dass die Erfüllung des Zusatzbedarfs im Hinblick auf den Schutz der Grundrechte geboten sei; es muss lediglich die medizinischen Zusammenhänge erläutern, aus denen sich eine besondere Bedarfslage ergibt. Dies ist im Attest des Dr. U. geschehen, da dort in knapper, aber schlüssiger Weise dargelegt wird, dass die Antragstellerin, die eine traumatische Gewalterfahrung als Jugendliche erleiden musste, durch das enge räumliche Zusammensein mit den alkoholkranken Mitbewohnern „getriggert“, also im Sinne eines Flashbacks zum intensiven Wiedererleben des damaligen Erlebnisses gebracht werde (vgl. zu dem psychiatrischen Begriff: https://de.wikipedia.org/wiki/Trigger_(Medizin)). Diese ärztliche Tatsachenfeststellung, die auf konkreten Erfahrungen mit der bisherigen Unterbringungssituation beruht, stützt die im Attest getroffene medizinische Bewertung, dass die Antragstellerin auf eine Einzelunterbringung dringend angewiesen ist. Die von der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren geäußerte gegenteilige Annahme, wonach eine Gruppenunterbringung „jedenfalls nicht schädlich“ sei, beruht dagegen ersichtlich auf einer laienhaften Einschätzung und erscheint rein spekulativ.
Entgegen der Beschwerdebegründung spricht auch nichts dafür, dass die aus fachärztlicher Sicht für eine Einzelunterbringung sprechenden Gründe durch den dreiwöchigen Klinikaufenthalt der Antragstellerin entfallen sein könnten, so dass das zuvor ausgestellte Attest nicht mehr den aktuellen Unterbringungsbedarf widerspiegeln würde. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, erfolgte die stationäre Behandlung im Bezirksklinikum ausschließlich zur Entgiftung; sie betraf nicht das im Attest beschriebene psychiatrische Krankheitsbild, das den Bedarf nach einer von den übrigen Unterkunftsbewohnern getrennten Unterbringung ausgelöst hatte. Angesichts der langen Krankheitsgeschichte der Antragstellerin bestand kein Grund für die Annahme, in dem kurzen Zeitraum zwischen der Ausstellung des Attests und der Entscheidung über den Eilantrag könne sich die aus dem Zusammenleben mit fremden Personen resultierende Gefahr für das psychische Wohlergehen der Antragstellerin entscheidend verringert haben. Konkrete Tatsachen, die auf eine solche Verbesserung des Gesundheitszustands hindeuten könnten, trägt die Antragsgegnerin nicht vor; sie hält eine Änderung der ärztlichen Einschätzung lediglich für „nicht ausgeschlossen“. Diese bloß abstrakt bestehende Möglichkeit genügt nicht, um die erst wenige Wochen alte Stellungnahme des langjährig behandelnden Arztes inhaltlich in Frage zu stellen. Dies betrifft sowohl die darin enthaltene Feststellung eines medizinisch begründeten Sonderbedarfs hinsichtlich der Unterbringung als auch die mit dem Wort „dringend“ zum Ausdruck gebrachte besondere Eilbedürftigkeit einer entsprechenden Regelung.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG und Nr. 1.5, Nr. 35.3. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der Umstand, dass es der Antragstellerin mit ihrem Rechtsschutzbegehren nicht um die Obdachlosenunterbringung als solche, sondern um eine bestimmte Form der Unterbringung geht, rechtfertigt allein noch keine Reduzierung des Regelstreitwerts.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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