Medizinrecht

Ermessensentscheidung, Arzt, Facharzt, Strafvollstreckungskammer, Ermessen, Strafgefangener, Notwendigkeit, Anspruch, Behandlung, Strafvollzug, Anstaltsarzt, Stellungnahme, Mitteilung, Hinzuziehung

Aktenzeichen  203 StObWs 501/21

Datum:
30.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45023
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BayStVollzG Art. 58 Abs. 1 Satz 1, 60 Abs. 1 Satz 1

 

Leitsatz

1. Ein Strafgefangener hat keinen Anspruch auf bestimmte Behandlungsmaßnahmen oder die Hinzuziehung eines bestimmten Facharztes.
2. Der Anstaltsarzt hat im Hinblick auf die Notwendigkeit einer weiteren Behandlung durch einen Facharzt eine an den Regeln der Kunst ausgerichtete Ermessensentscheidung nach Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG i.V.m. Art. 60 BayStVollzG zu treffen.
3. Die Strafvollstreckungskammer ist bei ärztlichen Anordnungen lediglich befugt zu überprüfen, ob der Arzt sein Ermessen nach Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG i.V.m. Art. 60 BayStVollzG rechtmäßig ausgeübt hat.
4. Die Stellungnahme des Anstaltsarztes ist nicht bloßer Parteivortrag der Vollzugsbehörde. Sie genügt namentlich dann dem Grundsatz ausreichender Sachaufklärung, wenn der Anstaltsarzt durch Mitteilung fachärztlicher Befunde dem Gericht die nötige Sachkunde vermittelt.

Verfahrensgang

2 NöStVK 487/21 2021-08-22 Bes LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

I. Die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen vom 22.08.2021 wird aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auf seine Kosten (§§ 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG i.V.m. Art. 208 BayStVollzG) unter Festsetzung des Beschwerdewertes auf 500,00 Euro (§§ 60, 52 GKG) einstimmig als offensichtlich unbegründet verworfen (§ 119 Abs. 3 StVollzG i.V.m. Art. 208 BayStVollzG).
II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen, da die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat (§§ 120 Abs. 2 StVollzG, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. Art. 208 BayStVollzG).

Gründe

I.
Der Strafgefangene begehrt die Ausführung zur Durchführung einer Untersuchung seines Rückens durch einen externen Facharzt für Orthopädie.
II.
Dem Strafgefangenen steht ein solcher Anspruch nicht zu. Die ablehnende Entscheidung der Justizvollzugsanstalt Kaisheim findet ihre Rechtfertigung in Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG i.V.m. Art. 60 BayStVollzG.
1. Zum Sachverhalt:
Der Anstaltsarzt stützt seine ausführliche und nachvollziehbare Beurteilung in seiner Stellungnahme (wiedergegeben im Schreiben der Justizvollzugsanstalt Kaisheim vom 20.07.2021) auf eigene Feststellungen sowie auf Untersuchungen des Strafgefangenen durch einen hinzugezogenen Facharzt für Orthopädie, dem der Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt insgesamt dreimal vorgestellt wurde. Danach habe der Facharzt für Orthopädie eine MRT-Untersuchung veranlasst, die weitgehend unauffällig gewesen sei, und Schmerzbeschwerden diagnostiziert, die weitere orthopädische Maßnahmen nicht indiziert hätten. Der Anstaltsarzt habe dem Strafgefangenen auch in mehreren späteren Gesprächen angeboten, ihn wieder diesem Facharzt für Orthopädie vorzustellen, was der Strafgefangene aber abgelehnt und die Ausführung zu einem anderen Facharzt für Orthopädie verlangt habe.
2. Zur rechtlichen Würdigung:
a) Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG haben Strafgefangene Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Strafgefangene hat dabei aber keinen Anspruch auf bestimmte Behandlungsmaßnahmen oder die Hinzuziehung eines bestimmten Facharztes (allgemeine Meinung; vgl. nur BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 15. Ed. 01.07.2021, BayStVollzG Art. 58 Rn. 1 sowie Art. 60 Rn. 1 und Rn. 4, jeweils mit umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).
Der Anstaltsarzt hat im Hinblick auf die Notwendigkeit einer weiteren Behandlung durch einen Facharzt eine an den Regeln der Kunst ausgerichtete Ermessensentscheidung nach Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG i.V.m. Art. 60 BayStVollzG zu treffen. Es liegt nämlich gerade in seiner Kompetenz, die eigenen Befunderhebungen und diejenigen durch den hinzugezogenen Facharzt für Orthopädie in ihrer Gesamtheit aus ärztlicher Sicht zu bewerten und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Die Strafvollstreckungskammer ist bei ärztlichen Anordnungen – verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, Az.: 2 BvR 922/11, NStZ 2013, 168, juris Rn. 19; Beschluss vom 15.11.2012, Az.: 2 BvR 683/11, NStZ-RR 2013, 224, juris Rn. 3; Beschluss vom 05.05.2014, Az.: 2 BvR 1823/13, juris Rn. 22) – lediglich befugt zu überprüfen, ob der Arzt sein Ermessen nach Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG i.V.m. Art. 60 BayStVollzG rechtmäßig ausgeübt hat (allg. Meinung; vgl. BayObLG, Beschlüsse vom 28.06.2021, Az.: 203 StObWs 222/21, und vom 29.07.2021, Az.: 203 StObWs 195/222; BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 15. Ed. 01.07.2021, BayStVollzG Art. 58 Rn. 13, mit umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).
b) Da der Anstaltsarzt seine Stellungnahme aufgrund einer tragfähigen Tatsachengrundlage abgegeben und seine Folgerungen schlüssig dargestellt hat, ist ein Ermessensfehlgebrauch nicht ersichtlich. Vielmehr ist für den Senat die Stellungnahme des Anstaltsarztes geeignet, eine Überschreitung ärztlichen Ermessens auszuschließen (vgl. dazu und zum Folgenden OLG Celle, Beschluss vom 24.01.2019, Az.: 3 Ws 317/18 (StrVollz), StV 2020, 548, juris Rn. 12 ff.). Der Anstaltsarzt ist nämlich nicht Beteiligter des gerichtlichen Verfahrens, seine Stellungnahme deshalb nicht bloßer Parteivortrag der Vollzugsbehörde. Entscheidend sind insbesondere der Informationsgehalt der Stellungnahme des Anstaltsarztes, das Vorbringen des Strafgefangenen entsprechend seinen Darlegungsobliegenheiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.05.2014, Az.: 2 BvR 1823/13, juris Rn. 25), Art und Schwere des Krankheitsbildes sowie die Komplexität der Behandlungsmaßnahme, wobei sich das Krankheitsbild und die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen vorliegend als eher einfach und überschaubar darstellen. Eine Stellungnahme des Anstaltsarztes genügt namentlich dann dem Grundsatz ausreichender Sachaufklärung, wenn der Anstaltsarzt – wie hier – durch Mitteilung fachärztlicher Befunde dem Gericht die nötige Sachkunde vermittelt. Auf diese Weise wurde das Gericht auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens in die Lage versetzt, die Streitfrage selbst zu beurteilen (so auch BayObLG, Beschluss vom 28.06.2021, Az.: 203 StObWs 222/21).
c) Berücksichtigt werden muss hierbei auch, dass es bislang im alleinigen Verantwortungsbereich des Strafgefangenen lag, dass seine Behandlung nicht wie vom Anstaltsarzt avisiert ihren Fortgang genommen hat. Das Angebot, wieder zum bisher behandelnden Facharzt für Orthopädie ausgeführt zu werden, hat der Strafgefangene nämlich abgelehnt und ohne Nennung konkreter aus medizinischer Sicht relevanter Umstände die Ausführung zu einem anderen Facharzt für Orthopädie verlangt. Darauf hat er – wie unter a) dargestellt – jedoch keinen Rechtsanspruch.
3. Schließlich hat der Strafgefangene keine konkreten Anknüpfungstatsachen aufgezeigt, die Anlass geben könnten, an der Fachkompetenz und Zuverlässigkeit des Anstaltsarztes oder des hinzugezogenen Facharztes für Orthopädie zu zweifeln. Eine den Anforderungen des § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG i.V.m. Art. 208 BayStVollzG genügende Rüge der Verletzung des formellen Rechts ist nicht erhoben (vgl. dazu OLG München, Beschluss vom 05.06.2012, Az.: 4 Ws 103/12 (R), NStZ-RR 2012, 385, juris Rn. 107).


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