Medizinrecht

Ersatzpflege, Reise- und Hotelkosten, Urlaub, Verhinderungspflege, wirtschaftlich

Aktenzeichen  L 4 P 33/19

Datum:
4.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 48380
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Bei Verhinderung einer Pflegeperson sind nur solche Aufwendungen nach § 39 SGB XI erstattungsfähig, die vornehmlich der Durchführung der Ersatzpflege dienen und überdies nachgewiesen sind (vgl. BSG, Urteil vom 20.04.2016, B 3 P 4/14 R).

Verfahrensgang

S 21 P 144/18 2019-02-15 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Der Antrag vom heutigen Tag (23.09.2020) auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
II. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.02.2019 wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Der Senat konnte in Abwesenheit der Beklagten entscheiden (§§ 110, 126, 132 SGG).
Das Sozialgericht Nürnberg hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil zu Recht abgewiesen. Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten für Verhinderungspflege in den streitgegenständlichen Zeiträumen.
Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB XI übernimmt die Pflegekasse die nachgewiesenen Kosten einer notwendigen Ersatzpflege für längstens sechs Wochen je Kalenderjahr, wenn eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert ist. Voraussetzung dafür ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens sechs Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat und der Pflegebedürftige zum Zeitpunkt der Verhinderung mindestens in Pflegegrad 2 eingestuft ist (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB XI). Pflegepersonen in diesem Sinne sind Personen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 SGB XI in seiner häuslichen Umgebung pflegen (§ 19 SGB XI).
Der Anspruch auf Verhinderungspflege bietet dem Pflegebedürftigen im Vergleich zum Pflegegeld zusätzliche Leistungen, denen nach der Vorstellung des Gesetzgebers bei einem vorübergehenden Ausfall der Pflegeperson eine Überbrückungsfunktion zukommt (BT-Drucks 11/2237, S. 184 zu § 55 SGB V i.d.F. des Regierungsentwurfs; BT-Drucks 12/5262, S. 113 zu § 35 SGB XI i.d.F. des Regierungsentwurfs). Sie sollen die durch die Einschaltung einer Ersatzpflegeperson, eines ambulanten Pflegedienstes oder durch einen vorübergehenden Aufenthalt in einem Pflegeheim entstehenden zusätzlichen Aufwendungen ausgleichen und so in erster Linie verhindern, dass der Pflegebedürftige wegen kurzfristiger Verhinderungen seiner Pflegeperson auf Dauer stationäre Pflege in Anspruch nehmen muss.
Der Kläger war in den maßgeblichen Zeiträumen in Pflegegrad 2 eingestuft und erhielt von der Beklagten Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI: er nahm Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI in Anspruch, die von Mitarbeitern des C erbracht wurden, und bezog außerdem Pflegegeld gemäß § 37 SGB XI. Ein Anspruch auf Verhinderungspflege kommt grundsätzlich auch beim Bezug von Kombinationsleistungen in Betracht (Reimer in: Hauck/Noftz, § 39 SGB XI, Rn 5).
Wie vom SG zutreffend ausgeführt, handelte es sich bei den für den für den C tätigen Pflegekräften (Frau O und Frau E) nicht um Pflegepersonen im Sinne von § 39 Satz 1 SGB XI, da sie den Kläger erwerbsmäßig in seiner häuslichen Umgebung pflegten, so dass es auf deren Verhinderung nicht ankommt. Dagegen kümmerte sich Herr H nicht erwerbsmäßig um den Kläger und erfüllte damit die Kriterien einer Pflegeperson im Sinne von § 39 SGB XI. Wie aus dem Schreiben des Klägers vom 13.03.2017 hervorgeht, war Herr H mindestens seit März 2017 für ihn als Pflegeperson tätig und hatte ihn somit vor der Verhinderungspflege im Dezember 2017 bereits mehr als sechs Monate zuhause gepflegt. In den streitgegenständlichen Zeiträumen war Herr H seinen Angaben zufolge auch an der Pflege des Klägers gehindert.
Nach der Rechtsprechung des BSG führte der Auslandsaufenthalt des Klägers in Thailand auch nicht zu einem Ruhen des Anspruchs auf Leistungen der Verhinderungspflege nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI (vgl. BSG, Urteil vom 20.04.2016, B 3 P 4/14 R). Denn bei einem vorübergehenden Auslandsaufenthalt des Pflegebedürftigen von bis zu sechs Wochen im Kalenderjahr sei es ungeachtet des Wortlauts des § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 SGB XI, der ausdrücklich nur das Pflegegeld nach § 37 SGB XI sowie das anteilige Pflegegeld nach § 38 SGB XI erfasse, nicht gerechtfertigt, wegen Verhinderung der Pflegeperson das Pflegegeld zu versagen und zusätzlich auch die dieses ersetzenden Leistungen der Verhinderungspflege auszuschließen (BSG, a.a.O., Rn 25).
Gleichwohl hat der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Aufwendungen für die Verhinderungspflege in den streitgegenständlichen Zeiträumen.
1. Die von Frau I im Zeitraum vom 20.12.2017 bis 04.01.2018 erbrachte Ersatzpflege war bereits nicht notwendig im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Denn die Hilfeleistung des Herrn H dürfte in dieser Zeit lediglich zweimal ausgefallen sein. Herr H – um dessen Verhinderung es allein gehen durfte – kam nach den Angaben des Klägers einmal wöchentlich zur Nachmittagsbetreuung und um Einkäufe zu besorgen sowie Wäsche aufzuhängen. Der C, der in der Regel drei Mal pro Woche á drei Stunden Pflegeleistungen für den Kläger erbrachte, hätte den Kläger dagegen in dieser Zeit weiter betreuen können. Es liegt auf der Hand, dass der Kläger den zweimaligen Ausfall des Herrn H ohne Weiteres durch eine geringfügig höhere Inanspruchnahme des Pflegedienstes hätte kompensieren können. Zu Recht hat das SG darauf hingewiesen, dass dies dem Kläger im Hinblick auf § 4 Abs. 3 SGB XI, wonach Pflegebedürftige darauf hinzuwirken haben, dass die Leistungen wirtschaftlich erbracht und nur in notwendigem Umfang in Anspruch genommen werden, auch zumutbar gewesen wäre (vgl. dazu BSG, Urteil vom 06.06.2002, B 3 P 2/02 R). Die geltend gemachten Kosten für die Anreise einer Ersatzpflegeperson aus Thailand, deren Beherbergung und Verpflegung sowie für deren zweiwöchigen Verdienstausfall stehen ganz offenkundig in keinem Verhältnis zum zweimaligen Ausfall der nachmittäglichen Hilfeleistung des Herrn H, den es in dieser Zeit zu kompensieren galt.
Ungeachtet dessen sind die mit Schreiben vom 11.06.2018 geltend gemachten Kosten für die Verhinderungspflege im Zeitraum vom 20.12.2017 bis 04.01.2018 allesamt nicht erstattungsfähig. Denn erstattungsfähig sind nur solche Aufwendungen, die vornehmlich der Durchführung der Ersatzpflege dienen (vgl. BSG, Urteil vom 20.04.2016, B 3 P 4/14 R, Rn 18) und überdies nachgewiesen sind.
Vorliegend hat der Senat erhebliche Zweifel, dass die geltend gemachten Aufwendungen vornehmlich der Durchführung der Ersatzpflege dienten. Nach den Angaben des Klägers war Frau I schon vor ihrem Aufenthalt vom 20.12.2017 bis 04.01.2018 seine Partnerin. Von daher erscheint es naheliegend, dass der Kläger und seine Freundin in erster Linie die Weihnachtstage und den Jahreswechsel gemeinsam verbringen wollten und die Aufwendungen, die im Zusammenhang mit dem Aufenthalt von Frau I in Deutschland entstanden, hauptsächlich diesem Zweck dienten und weniger der Durchführung der Ersatzpflege.
Zudem sind die insoweit geltend gemachten Kosten allesamt nicht nachgewiesen. Weder ist belegt, dass Frau I überhaupt einen Verdienstausfall in dieser Zeit hatte, noch ist ersichtlich, dass der Kläger ihr hierfür einen Betrag von 260 € zukommen ließ. Der insoweit vorgelegte Überweisungsbeleg vom 07.02.2018 mit der Referenzangabe „Bildungsausgaben“ weist gerade nicht nach, dass der Betrag von 260 € für einen etwaigen Verdienstausfall von Frau I bezahlt wurde. Eine nachträgliche Umwidmung der Zahlung, wie vom Kläger vorgenommen, vermag die bei der Überweisung mitgeteilte Referenz nicht zu erschüttern. Soweit der Kläger in seinem letzten Schriftsatz vom 22.09.2020 hierzu ausgeführt hat, dass in der Überweisungsmaske der Zweck der Überweisung nicht frei wählbar gewesen sei, sondern er nur die Wahl gehabt habe, den Eintrag „Bildungsausgaben“ zu übernehmen oder die Überweisung abzubrechen, ist dies nicht glaubhaft, zumal der Kläger diese Begründung erst jetzt vorgebracht hat, während er vorher von einem „Irrtum“ gesprochen hatte. Ebenso wenig sind die Mehrkosten für Unterkunft und Verpflegung und die Kosten für die Busfahrten nachgewiesen.
2. Auch die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für die Ersatzpflege im Rahmen der gemeinsamen Thailandreise im Mai 2018 sind nicht erstattungsfähig. Zutreffend hat das SG insoweit ausgeführt, dass eine Erstattung der eigenen Reise- und Hotelkosten des Klägers von vornherein ausscheidet, weil es sich nicht um Aufwendungen für die Beschaffung einer Ersatzpflege gemäß § 39 Abs. 1 SGB XI handelt.
Aber auch die Erstattung der Reise- und Hotelkosten für Frau I sowie ihres Verdienstausfalls im Zusammenhang mit der gemeinsamen Thailandreise im Mai 2018 kommt hiernach nicht in Betracht. Denn nach Würdigung der gesamten Unterlagen steht für den Senat fest, dass die Begleitung des Klägers durch Frau I während der gemeinsamen Thailandreise – wenn überhaupt – allenfalls in zweiter Linie der Durchführung der Ersatzpflege diente. Zu Recht sind sowohl die Beklagte als auch das SG davon ausgegangen, dass hier der gemeinsame Urlaub zweier Verlobter im Vordergrund stand und eine Urlaubsfinanzierung durch die Pflegekasse beabsichtigt war. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Vor diesem Hintergrund war auch der in der mündlichen Verhandlung erneut gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe jedenfalls wegen mangelnder Erfolgsaussicht abzulehnen (§ 73a SGG – i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung – ZPO).
Auch dem hilfsweise gestellten Vertagungsantrag war nicht stattzugeben. Soweit der Kläger hierzu in der mündlichen Verhandlung erklärte, sich psychisch nicht in der Lage zu sehen, weiter inhaltlich auf das Verfahren einzugehen, entsprach diese Aussage keineswegs dem Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnen hatte. Der Kläger machte nicht den Eindruck, seine Interessen nicht selbst vertreten zu können und dem Ablauf der mündlichen Verhandlung nicht gewachsen zu sein. Dies hat sich nicht zuletzt auch darin gezeigt, dass er sich in der Lage sah, diverse Anträge zu stellen.
Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Befangenheitsantrag des Klägers ist nach Verkündung des Urteils gestellt worden. Der Antrag ist daher im Rahmen der Urteilsgründe nicht zu berücksichtigen. Es ergeht hierzu ein gesonderter Beschluss.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


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