Medizinrecht

Feststellung der Befreiung von Maskenpflicht

Aktenzeichen  M 26b E 20.5411

Datum:
17.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32659
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
8. BayIfSMV § 24 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 43, § 123 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird vorläufig festgestellt, dass der Antragsteller von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nach der 8. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung bzw. gleichlautenden Nachfolgeregelungen in den Räumlichkeiten des Antragsgegners befreit ist.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung, dass er von der Pflicht, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, befreit ist.
Dem 1939 geborenen Antragsteller wurde eine ärztliche Bescheinigung von Dr. A* … … vom … August 2020 ausgestellt. Bei ihm bestehe im Rahmen einer schweren neurologischen Grunderkrankung mit linksseitiger spastischer Lähmung der Extremitäten eine schwerste Einschränkung seiner Mobilität. Es sei dem Kläger nicht möglich, ohne fremde Hilfe eine Maske alleine aufzusetzen. Auch das Vorhandensein eines Hörgerätes und einer Brille erschwere das Anlegen einer Maske. Er sei „von der Maskenpflicht zu befreien“.
Am 28. September 2020 erhob der Antragsteller Klage auf Feststellung, dass er von der Maskentragungspflicht auch innerhalb geschlossener Räume befreit ist.
Der Antragsteller habe mit seiner Ehefrau für eine KfZ-Anmeldung die KfZ-Zulassungsstelle des Antragsgegners aufgesucht. Das dort vorgelegte Attest sei ignoriert worden, sodass der Antragsteller gezwungen gewesen sei, die Maske mithilfe seiner Ehefrau aufzusetzen, um eine Kfz-Anmeldung durchführen zu können.
Er habe glaubhaft gemacht, dass er von der Verpflichtung, eine Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) zu tragen, aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen befreit sei. Es stelle sich die Rechtsfrage, ob die Befreiung nur im öffentlichen Raum (Außenbereich) oder auch in geschlossenen Räumen, insbesondere in Behördenräumen, gelte. Seiner Ansicht nach müsse die Befreiung allgemein gelten.
Am 28. Oktober 2020 beantragte der Antragsteller im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 VwGO,
vorläufig festzustellen, dass der Antragsteller von der „Maskentragungspflicht“ (im Zusammenhang mit COVID 19) auch innerhalb geschlossener Räume befreit ist.
Als A… müsse der Antragsteller diverse Gebäude aufsuchen. Trotz Vorlage des entsprechenden Attestes werde ihm der Zutritt ohne Anlegen einer MNB meist verwehrt. Der Antragsteller könne eine Entscheidung in der Hauptsache nicht abwarten.
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 3. November 2020,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass dem Antragsteller auf Nachfrage mit Schreiben vom 17. August 2020 mitgeteilt worden sei, dass eine förmliche Befreiung von der Verpflichtung zum Tragen einer MNB durch die Kreisverwaltungsbehörde nicht vorgesehen sei und auch nicht erteilt werde.
Eine KfZ-Anmeldung sei auch möglich, ohne MNB zu tragen. Hierfür sei insbesondere für Personen mit einer Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer MNB ein Außenschalter eingerichtet worden, sodass die Anmeldung auch erledigt werden könne, ohne das Gebäude betreten zu müssen. Auf diese Möglichkeit sei der Kläger ausdrücklich hingewiesen worden.
Unklar sei bereits, auf welche Örtlichkeiten sich der Antrag beziehe. Der Antragsteller habe an der von ihm begehrten Feststellung kein berechtigtes Interesse. Er stelle lediglich eine abstrakte Rechtsfrage, so dass es auch an einem hinreichend konkretisierten Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten fehle. Einen Sachverhalt, aus dem sich die ausnahmsweise Zulässigkeit vorbeugenden Rechtsschutzes ergebe, habe der Antragsteller nicht vorgetragen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie im Klageverfahren M 26b K 20.4763 verwiesen.
II.
Der Antrag nach 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat Erfolg.
1. Der Antrag bedarf zunächst der am erkennbaren Rechtsschutzziel des Antragstellers orientierten Auslegung (§§ 88, 122 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Inhaltlich ist er darauf gerichtet, vorläufig festzustellen, dass der Antragsteller von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, soweit sie durch verschiedene Regelungen der 8. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30. Oktober 2020 (2126-1-12-G, BayMBl. Nr. 616, im Folgenden: 8. BayIfSMV), geändert mit Verordnung vom 12. November 2020 (BayMBl. Nr. 639) angeordnet wird („Maskentragungspflicht im Zusammenhang mit COVID-19“), nach § 2 Nr. 2 der 8. BayIfSMV befreit ist. Einschränkend hat der Antragsteller den Antrag auf geschlossene Räumlichkeiten beschränkt. Noch weiter einschränkend ist der Antrag so auszulegen, dass die Feststellung nur insoweit begehrt wird, als die Pflicht zum Tragen einer MNB in Räumlichkeiten, die der Verfügungsgewalt des Antragsgegners unterliegen, betroffen ist, denn die Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer MNB in Räumlichkeiten, die der Verfügungsgewalt eines privaten Dritten unterliegen, kann von vornherein nicht Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Feststellung zwischen den Beteiligten sein.
2. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf die den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahren zu verhindern oder wenn dies aus anderen Gründen nötig erscheint (Sicherungsanordnung). Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung setzt nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) voraus, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund geltend und glaubhaft macht. Eine Glaubhaftmachung ist gegeben, wenn das Vorliegen von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sich als überwiegend wahrscheinlich darstellt.
2.1 Der Antrag ist zulässig.
Der Antragsteller hat ein streitiges Rechtsverhältnis nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, § 43 Abs. 1 VwGO zwischen ihm und dem Antragsgegner ausreichend dargelegt.
Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt auf Grund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft derer eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht (vgl. BVerwG, U.v. 31.8.2011 – 8 C 8.10 – BVerwGE 140,267; U.v. 20.11.2003 – 3 C 44.02 – NVwZ-RR 2004, 253).
Der Antragsteller trägt insoweit vor, er wäre bei einem konkreten Behördengang in der Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamts München trotz Vorlage des Attests der Räumlichkeiten verwiesen worden, wenn er nicht die MNB mithilfe seiner Ehefrau angelegt hätte. Außerdem trägt er vor, als A* … Gebäude (des Antragsgegners) aufsuchen zu müssen und immer wieder unter anderem von der Polizei und von Behörden aufgefordert zu werden, die MNB aufzusetzen.
Damit hat er ein streitiges Rechtsverhältnis in diesem Sinne dargelegt. Es geht dem Antragsteller nicht lediglich um die Klärung einer abstrakten, vom ihn betreffenden Einzelfall losgelösten Rechtsfrage, sondern der Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage der Glaubhaftmachung einer Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer MNB erwächst nach dem Vortrag des Klägers aus dem konkreten Sachverhalt in der Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamts München, welcher sich nach seinem (insoweit allerdings recht oberflächlichen Vortrag) in ähnlicher Weise bereits öfters wiederholt hat.
Der Antragsteller hat auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO dargelegt bzw. einen Anordnungsgrund geltend gemacht. Berechtigtes Interesse in diesem Sinne ist jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 43 Rn. 23). Dieses Interesse folgt daraus, dass dem Antragsteller nicht zumutbar ist, weitere Situationen, in denen das von ihm jeweils mitgeführte und vorgelegte Attest durch Behörden des Antragsgegners keine Beachtung findet, hinzunehmen.
Dass insoweit keine förmliche Befreiung oder Bestätigung der Befreiung durch den Antragsgegner vorgesehen ist, wie der Antragsgegner zutreffend ausführt, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang, da die nach § 43 Abs. 2 VwGO subsidiäre Feststellungsklage gerade für Fälle, in denen kein förmlicher Verwaltungsakt oder sonstige Leistung der Behörde begehrt wird, vorgesehen ist.
2.2 Der Antrag ist auch begründet, da der Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat.
2.2.1 Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund, hier also die besondere Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Feststellung, glaubhaft gemacht. Aus dem Attest selbst folgt plausibel und nachvollziehbar, dass das Anlegen der MNB für ihn eine unzumutbare Einschränkung darstellt. Ebenso nachvollziehbar ist, dass sich für den Antragsteller jederzeit weitere Situationen, die derjenigen in der Zulassungsstelle des Landratsamts München vergleichbar sind, ergeben können. Unstreitig ist jedenfalls, dass der Antragsgegner sich bisher weigert, das vorgelegte Attest als Mittel der Glaubhaftmachung anzuerkennen und auch angesichts des Behördenbesuchs des Antragstellers darauf beharrt, der Antragsteller habe einen Außenschalter benutzen müssen.
2.2.2 Der Antragsteller hat auch glaubhaft dargelegt, dass er von der Pflicht zum Tragen einer MNB aufgrund einer Behinderung in den Räumlichkeiten des Antragsgegners befreit ist, weshalb eine entsprechende vorläufige Feststellung zu treffen war.
Grundlage für die Pflicht zum Tragen einer MNB ist die 8. BayIfSMV. Danach ist für verschiedene Örtlichkeiten das Tragen einer MNB vorgeschrieben. Insbesondere gilt (insoweit einschlägig) eine Maskenpflicht nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 der 8. BayIfSMV auf den Begegnungs- und Verkehrsflächen einschließlich der Fahrstühle von öffentlichen Gebäuden. Von der Pflicht zum Tragen einer MNB befreit sind unter anderem Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer MNB aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist (§ 2 Nr. 2 der 8. BayIfSMV).
Für die Glaubhaftmachung einer Befreiung wegen einer Behinderung ist die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, ebenso wie beispielsweise ein Schwerbehindertenausweis, grundsätzlich ein geeignetes Mittel (vgl. https://www.stmgp.bayern.de/coronavirus/haeufig-gestellte-fragen/).
Mithilfe der ärztlichen Bescheinigung soll eine überwiegende Wahrscheinlichkeit belegt werden, dass Personen aus gesundheitlichen Gründen oder wegen einer Behinderung von der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zum Tragen einer MNB befreit sind. Die Verwaltung bzw. das Gericht muss aufgrund konkreter und nachvollziehbarer Angaben in der ärztlichen Bescheinigung in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen selbständig zu prüfen (OVG NRW, B.v. 24.9.2020 – 13 B 1368/20 – juris Rn. 12). Anders als etwa bei der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitgeber sind hier auch Grundrechtspositionen anderer Personen – das Recht auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) – betroffen. Die Maskenpflicht dient dazu, andere vor einer Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus zu schützen und die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren (BayVGH, B.v. 26.10. 2020 – 20 CE 20.2185 -, juris Rn.18 f.).
Das ärztliche Attest vom … August 2020 genügt den Anforderungen, um als Beleg für eine Behinderung zu dienen, die dem Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung entgegensteht. Bei dem 1939 geborenen Antragsteller, der nach seinen Angaben im Rollstuhl sitzt, besteht laut Attest im Rahmen einer schweren neurologischen Grunderkrankung mit linksseitiger spastischer Lähmung der Extremitäten eine schwerste Einschränkung seiner Mobilität. Es sei dem Kläger nicht möglich, ohne fremde Hilfe eine Maske alleine aufzusetzen. Auch das Vorhandensein eines Hörgerätes und einer Brille erschwere das Anlegen einer Maske.
Damit hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass ihm das Anlegen einer MNB wegen einer Behinderung nicht zumutbar ist. Aus der Unzumutbarkeit des Anlegens einer MNB folgt aber gleichzeitig die Unzumutbarkeit des Tragens derselben, da die Pflicht zum Tragen einer MNB in der Öffentlichkeit nicht durchgehend besteht und der Antragsteller damit auf fremde Hilfe beim Anlegen der MNB angewiesen ist. Da fremde Hilfe jeweils nicht stets und zuverlässig zur Verfügung stehen wird (dass der Antragsteller als Rollstuhlfahrer stets von einer Betreuungsperson begleitet würde, ist nicht ersichtlich), ist das Tragen einer MNB dem Antragsteller deshalb im konkreten Fall nicht zumutbar.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 Gerichtskostengesetz. Da der Antragsteller eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt, war keine Halbierung des Streitwerts gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs vorzunehmen und der Streitwert auf 5.000,00 EUR festzusetzen.


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