Medizinrecht

FFP2-Masken aus SGB II-Regelsatz

Aktenzeichen  S 7 AS 106/21 ER

Datum:
9.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 5050
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 21 Abs. 6 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Versorgung von SGB-II-Leistungsempfängern mit FFP2-Masken im Eilrechtsschutz ist zu versagen, wenn der Mehrbedarf nicht konkret dargelegt ist.   (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bagatellbeträge begründen keine existenzielle Notlagen, die ein Abwarten des Hauptsacheverfahren unzumutbar machen würden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung eines Mehrbedarfs in Bezug auf die Ausstattung des Antragstellers mit FFP2-Masken.
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 24.11.2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.01.2021 bis 31.12.2021 in Höhe von monatlich 1014,80 EUR.
Am 15.02.2021 übermittelte der Antragsteller dem Antragsgegner eine E-Mail mit dem Betreff „Eilantrag FFP2-Masken/Geldleistung“, in der er ausführte, Jobcenter müssten Leistungsempfängern nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch FFP2-Masken kostenlos zur Verfügung stellen. Nach einem rechtskräftigen Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11.02.2021 (Az. S 12 AS 213/21 ER) stünden Arbeitssuchenden zusätzlich zum Regelsatz wöchentlich 20 FFP2-Masken oder monatlich 129,00 EUR als Geldleistung zu.
Mit Bescheid vom 16.02.2021 lehnte der Antragsgegner höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für einen Mehrbedarf für unabweisbare, laufende besondere Bedarfe in Härtefällen in der Form von FFP2-Masken bzw. einer Geldleistung dafür ab. Der Mehrbedarf sei nicht anzuerkennen, weil dem Antragsteller Mitte Januar 2021 bereits ein Satz FFP2-Masken über die Stadt A-Stadt zugeschickt worden sei. Die weitere Versorgung der Leistungsbezieher nach dem SGB II mit FFP2-Masken erfolge über die Krankenkassen per Bezugsgutschein.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 19.02.2021 Widerspruch. Ein Leistungsempfänger nach dem SGB II habe ein Recht auf eine ausreichende Zahl von 20 FFP2-Masken pro Woche oder auf eine monatliche Geldleistung in Höhe von 129,00 EUR. Es könne nicht sein, dass ein Mensch recht bekomme und ein anderer nicht, das Virus sei überall gleich. Die ihm zur Verfügung gestellten fünf FFP2-Masken und die zwei Gutscheine für jeweils sechs FFP2-Masken seien bei sachgerechter Benutzung sowie angesichts des erforderlichen Wechsels der Masken nicht ausreichend.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2021 wies der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers vom 19.02.2021 als unbegründet zurück. Der von dem Antragsteller zitierte Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe habe keine Bindungswirkung für den Antragsgegner. Es bestehe kein Anspruch aus § 21 Abs. 6 SGB II für einen Mehrbedarf für unabweisbare, laufende besondere Bedarfe in Härtefällen. Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasse neben Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie (ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile) auch Bedarfe des täglichen Lebens, wie beispielsweise Gesundheitspflege. Diese Gesundheitspflege sei im Regelbedarf 2021 mit monatlich 17,00 EUR veranschlagt. Zudem sei dem Antragsteller bereits Mitte Januar 2021 ein Satz FFP2-Masken über die Stadt A-Stadt zugeschickt worden; die Versorgung der Leistungsbezieher nach dem SGB II mit weiteren FFP2-Masken erfolge über die Krankenkassen.
Am 02.03.2021 hat der Antragsteller zur Niederschrift beim Sozialgericht Landshut einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Die FFP2-Masken seien für den Antragsteller notwendig, da er aufgrund einer Asthmaerkrankung Risikopatient sei. Die ihm von der Stadt A-Stadt zur Verfügung gestellten fünf Masken sowie die im Wege eines Gutscheins bereitgestellten weiteren sechs Masken seien für ihn nicht ausreichend. Er besitze lediglich noch zwei unbenutzte Masken. Er benötige die FFP2-Masken für den Alltag, beispielsweise im Supermarkt, im Bus, in der Bahn, in der Altstadt und beim Arzt.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm pro Woche 20 FFP2-Masken oder monatlich 129,00 EUR als Mehrbedarf zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner verweist auf seine Akte sowie die darin enthaltenen Ausführungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Akte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig, aber nicht begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist ein von dem Antragsteller behaupteter Mehrbedarf aufgrund eines unabweisbaren, besonderen Bedarfs an Schutzmasken mit dem Schutzstandard FFP2. Die Kammer legt den Antrag dahingehend aus, dass ein Mehrbedarf im Umfang von 129,00 EUR monatlich geltend gemacht wird. In zeitlicher Hinsicht hat der Antragsteller seinen Antrag nicht genauer eingegrenzt. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller den Mehrbedarf bereits ab Antragstellung bei dem Antragsgegner durchsetzen will. Aufgrund der Bezugnahme auf den Beschluss des SG Karlsruhe, Beschluss vom 11.02.2021 – S 12 AS 213/21 ER – ist das klägerische Begehren weiter dahin auszulegen, dass der Mehrbedarf für den Zeitraum bis zum 20.06.2021 geltend gemacht wird, da das SG Karlsruhe in der von dem Antragsteller zitierten Entscheidung einen Mehrbedarf bis zu diesem Datum zugesprochen und für spätere Zeiträume einen Anordnungsgrund aufgrund einer zu erwartenden Entschärfung der pandemischen Lage als nicht glaubhaft erachtet hat (SG Karlsruhe, Beschluss vom 11. Februar 2021 – S 12 AS 213/21 ER -, Rn. 138, juris).
Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig. Er ist insbesondere statthaft, weil der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen und damit eine Erweiterung seiner Rechtsposition anstrebt.
Der Antrag ist nicht begründet, weil weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft sind.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung – ZPO). Glaubhaftmachen bedeutet, dass für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds ein geringerer Grad von Wahrscheinlichkeit ausreicht als die volle richterliche Überzeugung. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung haben sich an dem Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren verfolgt wird (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 06.08.2019 – L 16 AS 450/19 B ER -, Rn. 25, juris).
Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft. Der Antragsteller hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass und in welchem Umfang ein Mehrbedarf besteht. Nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht. Der Antragsteller hat auf die Nachfrage des Gerichts hin keinen konkreten Bedarf an Schutzmasken dargelegt. Er hat ausgeführt, dass er die Masken für alltägliche Verrichtungen wie Einkäufe im Supermarkt, Bus- und Bahnfahrten, den Aufenthalt in der Altstadt und für Arztbesuche benötige. Ein zahlenmäßiger Umfang der aus Sicht des Antragstellers erforderlichen Masken lässt sich dem nicht entnehmen. Die Behauptung des Klägers, er benötige 20 Masken pro Woche, ist nicht nachvollziehbar. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, wofür er täglich durchschnittlich knapp drei Masken benötigt. Realistisch erscheint allenfalls ein Bedarf an 20 bis 30 Masken pro Monat, wenn man annimmt, dass der Antragsteller Masken nicht mehrfach verwenden möchte. Auch dieser Bedarf ist jedoch mangels Darlegung des Antragstellers zur Häufigkeit der Maskenbenutzung nicht glaubhaft gemacht. Aus den Ausführungen des Antragstellers lässt sich auch nicht entnehmen, ob er die ihm von der Krankenkasse zur Verfügung gestellten Gutscheine bereits eingelöst hat bzw. in welchem Umfang er auf diesem Wege noch neue Masken beschaffen kann. Insgesamt ist damit weder nachvollziehbar, in welchem Umfang der Antragsteller FFP2-Masken benötigt, noch, in welchem Umfang er aus den ihm zur Verfügung gestellten Gutscheinen noch die Möglichkeit hat, Masken zu beschaffen. Damit ist ein Anordnungsanspruch bereits aus diesem Grund nicht glaubhaft, ohne dass zu entscheiden ist, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bedarf an FFP2-Masken grundsätzlich einen Mehrbedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II darstellen kann.
Auch ein Anordnungsgrund ist nicht glaubhaft. Eine einstweilige Anordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit voraus. Das Rechtsmittel des einstweiligen Rechtsschutzes hat die Aufgabe, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, wenn das Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führen würde (BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2002 – 1 BvR 1586/02 -, Rn. 8, juris). Eine einstweilige Anordnung ist zu erlassen, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 -, Rn. 23, juris). Dagegen fehlt ein Anordnungsgrund, wenn die vermutliche Zeitdauer des Hauptsacheverfahrens keine Gefährdung für die Rechtsverwirklichung und -durchsetzung darstellt, wenn also dem Antragsteller aus einer späteren Realisierung seines Rechts keine schweren und unzumutbaren Nachteile erwachsen (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. März 2016 – L 4 AS 65/16 B ER -, Rn. 36, juris).
Ein Anordnungsgrund ist nicht glaubhaft, weil weder dargelegt noch sonst ersichtlich ist, dass dem Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile drohen, wenn er auf das Hauptsacheverfahren verwiesen wird. Das Gericht ist nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Antragsteller nicht in der Lage ist, den Erwerb der für ihn erforderlichen FFP2-Masken bis auf Weiteres aus den ihm zur Verfügung stehenden Geldmitteln zu finanzieren und den Ausgang des Klageverfahrens abzuwarten. Nicht jede Unterdeckung des Bedarfs führt grundsätzlich zu einer Existenzbedrohung und damit zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Erforderlich ist eine existenzielle Notlage. Da einstweiliger Rechtsschutz nur zu gewähren ist, wenn es gilt, erhebliche Nachteile abzuwehren, und dabei das Ergebnis der Hauptsache nicht wirtschaftlich vorwegzunehmen ist, besteht regelmäßig dann kein Anordnungsgrund, wenn im Wege des Eilrechtsschutzes Bagatellbeträge geltend gemacht werden (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30.03.2009 – L 5 B 121/08 AS ER -, Rn. 20 – 21, juris). Dies korrespondiert mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die besonderen Anforderungen an Eilverfahren nicht ausschließen, dass die Gerichte Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 -, Rn. 26, juris). Leistungsbeziehern nach dem SGB II ist es demnach in gewissen Grenzen zuzumuten, auch bei nicht vollumfänglich gedecktem Bedarf auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden, sofern hierdurch keine existenzielle Notlage entsteht.
Vorliegend steht allenfalls eine geringfügige Unterdeckung des Bedarfs des Antragstellers im Raum. Hierbei ist nochmals darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller einen konkreten Umfang seines Bedarfs an Schutzmasken nicht glaubhaft gemacht, was bereits für sich genommen dazu führt, dass ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft ist. Aber selbst wenn man unterstellt, dass der Antragsteller für alltägliche Verrichtungen in einer Größenordnung von 20 bis 30 Schutzmasken pro Monat benötigt, wird durch das Erfordernis, die Masken bis zum Abschluss des Hauptsachverfahrens vorläufig aus dem Regelsatz zu beschaffen, der Bedarf des Antragstellers nicht in einem Umfang unterschritten, der eine existenzielle Notlage begründen würde. Schutzmasken mit FFP2-Standard sind mittlerweile sowohl im Versandhandel als auch im Einzelhandel zu Preisen von unter 1,00 EUR pro Stück zu erwerben. Selbst wenn man also einen monatlichen Bedarf von 20 bis 30 FFP2-Masken unterstellen wollte, würden sich monatliche, von dem Antragsteller aufzubringende Beträge ergeben, die nicht geeignet sind, die Annahme einer existenziellen Notlage zu rechtfertigen, wenn das Hauptsacheverfahren abgewartet wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Gegen diese Entscheidung ist die Beschwerde nicht statthaft. Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Vorliegend bedürfte die Berufung in der Hauptsache der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG. Danach bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Wie bereits dargelegt, ist der Antrag des Antragstellers dahingehend auszulegen, dass ein Mehrbedarf im Umfang von 129,00 EUR monatlich für den Zeitraum ab Antragstellung bei dem Antragsgegner am 15.02.21 bis zum 20.06.2021 geltend gemacht wird. Durch die Ablehnung seines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist der Antragsteller daher im Umfang von weniger als 750,00 EUR beschwert.


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