Medizinrecht

Heilpraktikererlaubnis beschränkt auf Psychotherapie, Mündliche Kenntnisüberprüfung, Offensichtliche Unrichtigkeit des Protokolls, Kenntnisse im öffentlichen Unterbringungsrecht

Aktenzeichen  M 27 K 20.2969

Datum:
5.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15200
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
HeilprGDV § 2 Abs. 1 S. 1 Buchst. i
GG Art. 12

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Februar 2020 und des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2021 verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. i HeilprGDV erneut über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung, eingeschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie, zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Sie ist zulässig und im weit überwiegenden Teil begründet.
I. Die zunächst statthaft als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO erhobene Klage wurde nach Erlass des Widerspruchsbescheids zulässigerweise als Versagungsgegenklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO fortgesetzt. Insbesondere unterlag die Einbeziehung des Widerspruchsbescheides durch den Kläger nicht der Klagefrist des § 74 Abs. 1 und 2 VwGO (vgl. nur Porsch in Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Stand Juli 2021, § 75 VwGO Rn. 26).
II. Die Versagungsgegenklage ist im weit überwiegenden Teil auch begründet, weil der ablehnende Ausgangsbescheid der Beklagten vom 17. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2021 der Regierung von Oberbayern rechtswidrig ist und der Kläger gegen die Beklagte jedenfalls einen Anspruch darauf hat, dass diese unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu der vorliegend – allein entscheidungserheblichen – Frage des § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. i HeilprGDV erneut über seinen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung, eingeschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie, entscheidet, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. i HeilprGDV wird die Erlaubnis nicht erteilt, wenn sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers durch das Gesundheitsamt, die auf der Grundlage von Leitlinien zur Überprüfung von Heilpraktikeranwärtern durchgeführt wurde, ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung oder für die ihn aufsuchenden Patientinnen und Patienten bedeuten würde. Das Gericht sieht sich vorab veranlasst, darauf hinzuweisen, dass die von der Beklagten sowie auch von der Regierung von Oberbayern verwendete Terminologie der „Volksgesundheit“, die noch aus der Ursprungsfassung aus dem Jahr 1939 herrührt, mit Wirkung – bereits – vom 22. März 2018 durch den Begriff „Gesundheit der Bevölkerung“ ersetzt worden ist.
Bei der vorzunehmenden Kenntnisüberprüfung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. i HeilprGDV handelt es sich um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. Daher sind beide Teile, d.h. der schriftliche und der mündliche Teil der Kenntnisüberprüfung, gleichermaßen geeignet, gefährliche Fehlvorstellungen des Heilpraktikeranwärters aufzudecken. Es handelt sich bei der Kenntnisüberprüfung hingegen nicht um eine Prüfung im klassischen Sinne, sodass den Mitgliedern der Überprüfungskommission kein – nur beschränkt gerichtlich nachprüfbarer – Beurteilungsspielraum zukommt. Das Gericht hat die Sache vielmehr selbst, soweit möglich, spruchreif zu machen. Das Gesundheitsamt hat als Fachbehörde nur seine fachliche Stellungnahme abzugeben. Die Feststellungen des Amtsarztes entfalten, insbesondere, wenn diese substantiiert in Zweifel gezogen werden, daher auch keine Bindungswirkung (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 21.12.1995 – 3 C 24.94 – BVerwGE 100, 221 – juris Rn. 32 ff.).
Die Ablehnung der Erlaubniserteilung stützt sich ausschließlich auf unzureichende Kenntnisse des Klägers im Bereich des öffentlichen Unterbringungsrechts. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes anerkannt, dass der Bereich des öffentlichen Unterbringungsrechts zulässiger Überprüfungsgegenstand im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. i HeilprGDV sein kann (vgl. BayVGH, U.v. 7.8.1995 – 7 B 94.4171 – juris Rn. 29; B.v. 1.7.2019 – 21 ZB 15.2367 – juris Rn. 17), was auch in der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit zum Vollzug des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung vom 27. Januar 2010 (AllMBl Nr. 2/2010, S. 21 ff.) in Ziffer 5.2.2 seinen Niederschlag gefunden hat. In dem von dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof konkret entschiedenen Fall wurde jedoch die Nichterteilung der Erlaubnis zusätzlich auch noch auf fehlende Kenntnisse und Fähigkeiten in weiteren Bereichen, vor allem auch in diagnostisch-therapeutischer Hinsicht gestützt (vgl. BayVGH, B.v. 1.7.2019 – 21 ZB 15.2367 – juris Rn. 3). Die Versagung allein unter Verweis auf fehlende Kenntnisse im Bereich des öffentlichen Unterbringungsrechts begegnet im Hinblick auf Art. 12 GG rechtlichen Bedenken. Diese Frage bedarf hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung, weil die vom Gesundheitsamt des Landratsamts München in diesem Themenbereich festgestellten Mängel die Annahme einer Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung im Ergebnis nicht tragen.
Nach Auffassung der Kammer kann allein daraus, dass dem Kläger die aktuelle Gesetzesbezeichnung „Bayerisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“ nicht bekannt war, sondern er die alte Bezeichnung des „Unterbringungsgesetzes“ nannte, keine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung abgeleitet werden. Eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung folgt aus Sicht der Kammer auch nicht daraus, dass dem Kläger die primäre Zuständigkeit der Kreisverwaltungsbehörde nach Art. 11 BayPsychKHG für die sofortige Unterbringung eines Patienten nicht präsent war. Denn zum einen betrifft dies lediglich einen formalen Randbereich seiner Tätigkeit als Heilpraktiker und zum anderen ist eine Zuständigkeit der Polizei, wie von dem Kläger genannt, nicht völlig unzutreffend, sondern gemäß Art. 12 BayPsychKHG lediglich nachrangig.
Als widerlegt sieht die Kammer zudem die angebliche Aussage des Klägers in der mündlichen Überprüfung an, er – der Kläger – werde den Patienten sedieren, wie dies die Beklagte unter Bezug auf das computerschriftliche Protokoll der mündlichen Überprüfung – trotz Vorhalts des zwischenzeitlich vorgelegten handschriftlichen Protokolls der Überprüfung in der mündlichen Verhandlung – behauptet. Denn aus der Passage „wenn Pol. Pat. Ø mitnimmt? Noch nie gehört, dann Notarzt, der hat Ø hoheitl. Rechte, kann aber sedieren + dann einweisen“ des handschriftlichen Protokolls vermag die Kammer nicht herauszulesen, dass der Kläger den Patienten selber habe sedieren wollen, wie aber die Beklagtenvertreter meinen. Vielmehr ergibt sich aus der Passage, dass die von dem Kläger zunächst herbeigerufene Polizei den Patienten nach dem Fallbeispiel nicht habe mitnehmen wollen, sodass er im nächsten Schritt die Benachrichtigung des Notarztes in Erwägung gezogen hat, welcher nach Auffassung des Klägers zwar über keinerlei hoheitlichen Rechte verfüge, den Patienten allerdings sedieren und einweisen könne. Aus dem Gesamtzusammenhang besteht daher für die Kammer keinerlei Zweifel, dass der Kläger die Sedierung auf die Person des Notarztes und nicht auf sich selbst bezogen hat. Ganz im Gegenteil erschiene es sogar abwegig, wenn der Kläger zunächst den Notarzt benachrichtigen, dann aber in Anwesenheit des Notarztes selbst eine Sedierung vornehmen wollen würde. Damit kann an den Feststellungen der Überprüfungskommission insoweit nicht festgehalten werden, weil diese durch das handschriftliche Protokoll, welches in unmittelbarem Zusammenhang zu dem streitigen Überprüfungsgeschehen erstellt wurde und daher einen besonders hohen Beweiswert besitzt, nicht nur substantiiert in Zweifel gezogen, sondern vielmehr als offensichtlich unrichtig widerlegt wurden.
Nach alledem bleibt lediglich der Vorwurf übrig, der Kläger habe es erwogen, einen suizidalen Patienten mit dem Taxi ohne weitere Sicherungsmaßnahmen in die Klinik transportieren zu lassen. Ob dies eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung oder für die ihn aufsuchenden Patientinnen und Patienten darstellt, hat die Kammer nach eigener Überzeugung zu entscheiden, weil nach den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätzen aufgrund des Charakters der Gefahrenabwehr hier kein, der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogener, Beurteilungsspielraum der Überprüfungskommission besteht (BVerwG, U.v. 21.12.1995 – 3 C 24.94 – BVerwGE 100, 221 – juris Rn. 32 ff.). Dies zugrunde gelegt, folgt nach Überzeugung der Kammer aus dieser einen Antwort des Klägers nicht die Annahme einer Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung oder für die ihn aufsuchenden Patientinnen und Patienten, welche zur Versagung der Erlaubnis führt. Zwar kann die Aussage für sich genommen einen ersten Anhaltspunkt für die Annahme einer Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung oder für die ihn aufsuchenden Patientinnen und Patienten darstellen, allerdings wird die potentielle Gefahrgeneigtheit dieser Antwort relativiert, wenn diese im Gesamtzusammenhang des Überprüfungsgesprächs gesehen wird. Denn ganz entscheidend ist hierbei, dass dem Kläger ausweislich des handschriftlichen Protokolls offenbar zwei Fallvarianten geschildert worden waren: Zunächst der Fall eines kooperationsbereiten Patienten, der freiwillig eine Klinik aufsuchen möchte sowie der gegensätzliche Fall eines unkooperativen Patienten, der nicht freiwillig in eine Klinik gehen möchte und daher untergebracht werden solle. Denn im Protokoll heißt es dazu wörtlich „wenn Pat. freiwillig geht, dann Taxi rufen (Ø weiteren Sichngsmaßnahmen)“, darauf folgt dann die Passage „Pat. geht Ø frw. […]“. Daraus kann geschlossen werden, dass es der Überprüfungskommission als Unterscheidungsmerkmal der beiden Fallvarianten ganz entscheidend auf die „Freiwilligkeit“ ankam. Dies bedeutet jedoch, dass sich der Kläger auf die Angabe in der ihm gestellten Fallvariante, sein Patient sei kooperativ und bereit, freiwillig eine Klinik aufzusuchen, habe verlassen dürfen, zumal sich aus dem Protokoll nichts dafür ergibt, dass der Patient die Freiwilligkeit nur vorgetäuscht haben könnte. Selbst wenn, unabhängig von dieser Bewertung, darin ein potentiell gefahrgeneigtes Vorgehen des Klägers zu sehen wäre, wiegt dieses im Gesamtgefüge der mündlichen Überprüfung nicht derart schwer, dass dies – vor allem im Hinblick auf Art. 12 GG – zu einer Versagung des Anspruchs auf Erteilung einer Berufserlaubnis führt, zumal der Kläger in seiner mündlichen Überprüfung den diagnostisch-therapeutischen Fragenkomplex beanstandungsfrei absolviert hat.
III. Die Klage war allerdings abzuweisen, soweit der Kläger bereits im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Erlaubnis begehrt. Denn es fehlt, wie die Beklagtenvertreter zu Protokoll erklärt haben, noch ein aktuelles Gesundheits- und Führungszeugnis (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f und Buchst. g HeilprGDV). Da in der vorliegenden Verpflichtungssituation der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich ist, ändert daran auch der Umstand nichts, dass der Kläger bei seiner Antragstellung im März 2019 die Unterlagen bereits vorgelegt hatte. Auch hat der Kläger keinen Anspruch auf „unverzügliche“ Erlaubniserteilung, weil eine Entscheidungsfrist im Gesetz nicht vorgesehen ist. Gleichwohl versteht sich für die Kammer von selbst, dass die Beklagte das verwaltungsgerichtliche Urteil zeitnah und ohne Verzögerungen im regulären Geschäftsgang umsetzen wird.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO fallen die Kosten vollständig der Beklagten zur Last, da der Kläger nur zu einem sehr geringen Teil unterlegen ist und dabei auch zu berücksichtigen ist, dass er die Antragsunterlagen bereits vollständig vorgelegt hatte. Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.


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