Medizinrecht

Kein Abschiebungsverbot aufgrund humanitärer Lage in der Ukraine oder psychischer Erkrankungen (insb. frühkindlichem Autismus)

Aktenzeichen  W 6 K 19.30112

Datum:
14.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21017
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 71
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
AufenthG § 60a Abs. 2c S. 2, S. 3, S. 4
VwVfG § 51 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
AsylG § 74 Abs. 2
VwGO § 87b Abs. 3

 

Leitsatz

1. Nach der gegenwärtigen Auskunftslage stellt sich die Grundversorgung für Rückkehrer aus Deutschland, wie für die meisten Menschen in der Ukraine, als knapp ausreichend dar. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einem attestierten frühkindlichen Autismus und den damit einhergehenden multiplen Einschränkungen kann von einer schwerwiegenden Erkrankung i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausgegangen werden. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet, da die in Nr. 2 des Bescheids vom 18. Dezember 2018 getroffene Verfügung nicht rechtswidrig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO). Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Kläger haben im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) auch keinen Anspruch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG (dazu 1.) oder § 60 Abs. 7 AufenthG (dazu 2. und 3.) vorliegen.
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt sich nicht aufgrund der Versorgungslage in der Ukraine.
1.1 Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen (BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 6). Nach der Rechtsprechung des EGMR reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK annehmen zu können. Ausländer können auch kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Denn die EMRK zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Anderes gilt nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen zielstaatsbezogene humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR [GK], U.v. 27.5.2008 – N./Vereinigtes Königreich, Nr. 26565/05 – NVwZ 2008, 1334 Rn. 42; siehe auch BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23, 25). Für den Geltungsbereich von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, hat sich der EuGH dieser Bewertung angeschlossen und ausgeführt, diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre (erst) erreicht, wenn die Gleichgültigkeit von Behörden zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 92 unter Verweis auf EGMR, U.v. 21.11.2011 – M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 – juris Rn. 252 f.). Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 93; U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 – juris Rn. 91; vgl. auch Bülow, ZAR 2020, 72 [73]). Im Hinblick auf den Grad der Wahrscheinlichkeit stellt der EGMR darauf, ob es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein (BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 6 m.w.N.). Dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Ein gewisser Grad an Mutmaßung ist dabei dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent und es kann daher nicht ein eindeutiger, über alle Zweifel erhabener Beweis verlangt werden, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre (EGMR, U.v. 9.1.2018 – X./Schweden, Nr. 26417/16 – BeckRS 2018, 52619 Rn. 50).
1.2 Nach diesen rechtlichen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass im Falle der Kläger – auch unter der Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse – zwingende humanitäre Gründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegen ihre Rückkehr in die Ukraine sprechen.
Nach der gegenwärtigen Auskunftslage stellt sich die Grundversorgung für Rückkehrer aus Deutschland, wie für die meisten Menschen in der Ukraine, als knapp ausreichend dar. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Die medizinische Versorgung ist grundsätzlich kostenlos und flächendeckend, obgleich für qualitativ hochwertige Leistungen bisweilen private Zuzahlungen geleistet werden müssen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 29.2.2020, Stand Januar 2020, S. 8, 19). Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert und es besteht ein Sozialsystem, in welchem beispielsweise Geburtenzuschüsse und Familienbeihilfen ausgezahlt werden. Alleinstehende Personen mit Kindern können etwa in Form einer Beihilfe für Alleinerziehende staatlich unterstützt werden. Für Minderjährige gibt es staatliche Unterstützungen in Form von Familienbeihilfen, die an arme Familien vergeben werden (ausführlich BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Ukraine, Gesamtaktualisierung vom 26.7.2017, S. 65 ff.).
Im Übrigen können die Kläger zur Bestreitung eines zumindest menschenwürdigen Lebensunterhalts auf die Arbeitsleistung der Klägerin zu 1) verwiesen werden. Diese hat in der Ukraine eine Ausbildung zur Zollbeamtin absolviert und an der Universität dreieinhalb Jahre Wirtschaft studiert. Vor ihrer Ausreise hat sie nach eigenen Angaben bei einem Sozialministerium im Bereich soziale Arbeit und Politik gearbeitet. Neben der ukrainischen und russischen Sprache besitzt die Klägerin zu 1) auch Kenntnisse der deutschen und englischen Sprache. Aufgrund ihrer Ausbildung und Berufserfahrung ist damit zu rechnen, dass sie in der Ukraine wieder eine Anstellung finden wird. Für eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin zu 1) ergeben sich keine Anhaltspunkte. In der fachärztlichen Bescheinigung des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau vom 21. November 2018 ist nur erwähnt, dass die Arbeitsfähigkeit der Klägerin zu 1) wegen der Schlafprobleme des Klägers zu 2) fraglich sei. Dies reicht nicht aus, um von einer Arbeitsunfähigkeit auszugehen, zumal die Klägerin zu 1) im gerichtlichen Verfahren selbst keine Erkrankungen geltend gemacht hat.
Einer beruflichen Betätigung der Klägerin zu 1) in der Ukraine, die jedenfalls der Sicherung des Existenzminimums ihrer Familie dienen würde, steht auch nicht die Erkrankung des Klägers zu 2) (siehe dazu 2.2.1) entgegen. Ausweislich des ärztlichen Berichts des kbo-Kinderzentrums München vom 23. Juli 2020 handelt es sich beim achtjährigen Kläger zu 2) zwar um ein behindertes Kind, das aufgrund fehlenden Gefahrenbewusstseins ständiger Aufsicht durch eine erwachsene Person bedarf. Dass diese Aufsicht jederzeit durch die Klägerin zu 1) geleistet werden muss, lässt sich den vorgelegten ärztlichen Unterlagen allerdings nicht entnehmen. Nach Angaben der Klägerin zu 1) besucht der Kläger zu 2) – seit er fünf Jahre ist – die …Förderschule in … Es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, warum der schulpflichtige Kläger zu 2) nicht auch in der Ukraine eine Förderschule wird besuchen und die Klägerin zu 1) daher zumindest halbtags eine berufliche Tätigkeit wird ausüben können. Für die Richtigkeit der von der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung pauschal erhobenen Behauptung, seit 1. Januar 2020 seien die Internate für behinderte Kinder in der Ukraine geschlossen worden, gibt es keine verifizierenden Anhaltspunkte. Dies kann letztlich auch offenbleiben, da der Kläger zu 2) auch ein Externat für behinderte Kinder in der Ukraine besuchen könnte. In der mündlichen Verhandlung im vorausgegangen gerichtlichen Verfahren (W 6 K 17.30747) gab die Klägerin zu 1) selbst an, dass es in der Ukraine Schulen für Kinder mit Autismus gibt (siehe Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 8.12.2017, S. 5). Im Übrigen ist damit zu rechnen, dass die Klägerin zu 1) bei einer Rückkehr in die Ukraine bei der Betreuung des Klägers zu 2) von ihrer dort lebenden Verwandtschaft unterstützt werden könnte. Die Klägerin 1) erklärte in der mündlichen Verhandlung, dass in ihr Vater, ihre Mutter sowie ihr Bruder in Riwne leben. Ihr Vater sei 67 Jahre alt, herzkrank und bekäme eine Behindertenrente. Um ihn sehe es schlecht aus. Die Mutter würde sich um ihn kümmern. Es komme oft der Krankenwagen und er müsse oft teure Medikamente einnehmen. Aus diesen Angaben der Klägerin zu 1) wird ersichtlich, dass die Klägerin zu 1) nach wie vor in engem Kontakt mit ihren Eltern steht. Die Klägerin zu 1) lebte auch bereits in der Vergangenheit bei ihren Eltern in Riwne, sodass damit zu rechnen ist, dass dies auch im Falle einer Rückkehr wieder möglich sein wird. In der mündlichen Verhandlung im vorausgegangenen gerichtlichen Verfahren (W 6 K 17.30747) schilderte die Klägerin zu 1), dass sich ihr Vater viele Sorgen um seine Enkel mache. Dies lässt darauf schließen, dass die Großeltern in Riwne auch gewillt wären, die Klägerin zu 1) bei der Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen, sodass diese einer beruflichen Betätigung nachgehen könnte. Es ist auch nicht erkennbar, dass die nicht näher belegte Erkrankung des Vaters der Klägerin zu 1) einer unterstützenden Betreuung des Klägers zu 2) durch seine Großeltern und den Onkel entgegenstünde.
Sollte die Arbeitsleistung der Klägerin zu 1) wider Erwarten nicht vollständig zur Bestreitung eines menschenwürdigen Lebensunterhalts ausreichen, können die Kläger auch auf einschlägige Sozialleistungen in der Ukraine zurückgreifen (vgl. oben).
Das Fehlen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gilt auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Ukraine im Zusammenhang mit der weltweiten COVID-19-Pandemie („Corona-Krise“). Schlechte humanitäre Verhältnisse können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe zwingend sind. Dass etwaige negative wirtschaftliche Auswirkungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zu einer derart gravierenden Verschlechterung der humanitären Verhältnisse in der Ukraine führen werden, ist für das Gericht im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht ersichtlich (vgl. etwa die Analyse des BFA für ausgewählte Dublin-Länder, Balkan und Ukraine, COVID-19-Information vom 18.5.2020, S. 5 f., die insoweit keine Anhaltspunkte bietet).
2. Unter Berücksichtigung der nachfolgend dargelegten Maßstäbe (2.1.) ergibt sich für den Kläger zu 2) kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG wegen seines frühkindlichen Autismus sowie den damit verbundenen multiplen Einschränkungen (2.2). Daneben ist das Gericht vom Vorliegen einer kriegsbedingten posttraumatischen Belastungsstörung des Klägers zu 2) nicht überzeugt, sodass auch hieraus kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot resultieren kann (2.3).
2.1 Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt insoweit nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei einer Rückkehr in den Zielstaat dort eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der Verschlimmerung einer individuellen Erkrankung droht, sind alle zielstaatsbezogenen Umstände zu berücksichtigen, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Danach ist der Begriff der Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Entstehungsgrundes nicht einschränkend auszulegen und eine Gefahr für die Rechtsgüter Leib und Leben kann auch dann vorliegen, wenn sie durch die bereits vorhandene Krankheit konstitutionell mitbedingt ist. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt.
Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 15 ZB 18.30851 – juris Rn. 13; U.v. 23.9.2019 – 8 B 19.32560 – juris Rn. 16). Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8). Eine solche Gefahr kann sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass der erkrankte Ausländer eine an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich nicht erlangen kann. Die mögliche Unterstützung durch Familienangehörige ist dabei in die gerichtliche Prognose, ob eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht, einzubeziehen (BVerwG, B.v. 17.1.2019 – 1 B 85/18 u.a. – juris Rn. 5).
2.2 Im Falle des Klägers zu 2) kann aufgrund des attestierten frühkindlichen Autismus und den damit einhergehenden multiplen Einschränkungen von einer schwerwiegenden Erkrankung i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausgegangen werden (2.2.1). Es kann vorliegend jedoch nicht festgestellt werden, dass sich diese im Falle einer Rückkehr in die Ukraine aufgrund zielstaatsbezogener Umstände wesentlich verschlimmern würde (2.2.2). Einer weitergehenden Beweiserhebung hinsichtlich der Verfügbarkeit medikamentöser und therapeutischer Behandlungen in der Ukraine sowie deren tatsächlicher Kosten bedurfte es daher nicht (2.2.3).
2.2.1
Das Gericht hat bereits mit Urteil vom 15. Dezember 2017 (W 6 K 17.30747) ausgeführt, dass der Kläger zu 2) aufgrund seines frühkindlichen Autismus sowie den multiplen Begleiterkrankungen an einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG leidet (siehe S. 19 der Urteilsabschrift). Dies gilt unter Berücksichtigung der im vorliegenden Verfahren vorgelegten ärztlichen Atteste (Bericht des kbo-Kinderzentrum München vom 23.7.2020, fachärztliche Bescheinigungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau vom 10.7.2020, vom 26.9.2018 und vom 21.11.2018) weiterhin.
Der Kläger zu 2) befand sich insbesondere im Zeitraum vom … … … bis … … … in stationärer Behandlung auf der Eltern-Kind-Station des kbo-Kinderzentrums München. Erneut diagnostiziert wurde dort u.a. ein frühkindlicher Autismus (ICD-10: F 84.0 G) sowie eine massive Schlafstörung (ICD-10: F 51.9 G). Es handelt sich nach ärztlicher Einschätzung um ein mehrfach behindertes achtjähriges Kind, das tiefgreifend und durchgängig in seiner Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft eingeschränkt ist. Der Kläger zu 2) leidet an einer schwerwiegenden Störung der Sprache und Wahrnehmung im Rahmen seines Autismus und benötigt aufgrund seines fehlenden Gefahrenbewusstseins ständige Aufsicht durch eine erwachsene Person. Er ist nicht zur Selbstversorgung in der Lage und seine Kommunikation bzw. Kontaktaufnahme zur Umwelt ist stark behindert (ärztlicher Bericht des kbo-Kinderzentrums München vom 23.7.2020, S. 5). Mit Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 22. Mai 2017 wurde eine Behinderung des Klägers zu 2) mit einem Grad der Behinderung von 90 festgestellt.
2.2.2 Weder anhand der vorgelegten ärztlichen Atteste noch im Übrigen ist jedoch im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich, dass sich die schwere Autismus-Erkrankung des Klägers zu 2) im Falle einer Rückkehr in die Ukraine aufgrund zielstaatsbezogener Umstände alsbald wesentlich verschlimmern würde.
Der Ausländer muss eine Erkrankung, die im Falle einer Rückführung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände eine konkrete erhebliche Gesundheits- oder Lebensgefahr begründen würde, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll auch die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG).
Den jüngsten ärztlichen Berichten (Bericht des kbo-Kinderzentrum München vom 23.7.2020 sowie fachärztliche Bescheinigung des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau vom 10.7.2020) sowie den zu Beginn des Verfahrens vorgelegten Attesten (Bescheinigungen des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau vom 26. September 2018, vom 10. Oktober 2018 und vom 21. November 2018) ist aber keine dahingehende medizinische Einschätzung zu entnehmen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in die Ukraine dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine nicht nur ungünstige Entwicklung seines Gesundheitszustands droht, sondern darüber hinaus außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Schäden, wie sie ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG voraussetzt.
Die ärztliche Feststellung, dass der Kläger zu 2) tiefgreifend und durchgängig in seiner Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft eingeschränkt ist, an einer schwerwiegenden Störung der Sprache und Wahrnehmung im Rahmen seines Autismus leidet, extrem strukturierte Rahmenbedingungen mit intensiver Förderung benötigt und dass aufgrund seines fehlenden Gefahrenbewusstseins eine ständige Aufsicht durch eine erwachsene Person erforderlich ist (vgl. ärztlicher Bericht des kbo-Kinderzentrums München vom 23.7.2020, S. 5 und S. 9), gilt hierzulande im Grundsatz gleichermaßen wie im Herkunftsland. Es bestehen auch keine tragfähigen Anzeichen dafür, dass der schulpflichtige Kläger zu 2) in der Ukraine keine ständige Betreuung und Aufsicht wird erhalten können und deshalb im Zielland eine höhere (beachtliche) Wahrscheinlichkeit besteht, dass er dort im Alltag durch selbstgefährdende Verhaltensweisen in erhebliche konkrete Gefahren geraten könnte. Der Junge geht in Deutschland in die …-Förderschule, besucht zudem eine heilpädagogische Tagesstätte der Lebenshilfe Aschaffenburg und wird im Übrigen von der Klägerin zu 1) betreut. Zur Überzeugung des Gerichts kann er auch in der Ukraine neben der schulischen Betreuung durch seine Mutter sowie unterstützend seine Großeltern und ggf. seinen Onkel beaufsichtigt werden. Es ist der Klägerin zu 1) im Falle einer Rückkehr auch zumutbar, sich zu diesem Zweck in der Nähe ihrer Familie in Riwne niederzulassen. Es ist daher nicht erkennbar, dass der Kläger zu 2) in der Ukraine nicht ständig die erforderliche Aufsicht bekommen wird. Gefährliche alltägliche Situationen können sich für den behinderten Jungen in der Ukraine letztlich ebenso wie in Deutschland ergeben.
Dem aktuellen ärztlichen Bericht des kbo-Kinderzentrums München vom 23. Juli 2020 (S. 9) ist nicht zu entnehmen, dass dem Kläger zu 2) in der Ukraine bei einem etwaigen Entfallen seiner derzeitigen Medikation (Slenyto, Risperidon, Pipamperon bei Bedarf) sowie der aktuellen Therapiekonzepte (Logopädie, Ergotherapie, Psychotherapie, Reittherapie) die für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorausgesetzte Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität drohen würde. Festgestellt wird dort in allgemeiner Hinsicht nur, dass der Kläger zu 2) langfristig extrem strukturierte Rahmenbedingungen mit intensiver Förderung benötigt, „um seine Entwicklung nicht zu gefährden […]“ (ärztlicher Bericht des kbo-Kinderzentrums München vom 23.7.2020, S. 9). Was dies im Einzelnen für die psychische oder physische Gesundheit des Jungen bedeutet, wird nicht näher präzisiert. Dass der Kläger zu 2) in der Ukraine bei einem Wegfall seiner derzeitigen Behandlung über eine ungünstige Entwicklung seiner Erkrankung hinausgehend eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Entwicklung seines Gesundheitszustands zu befürchten hätte, geht hieraus nicht hervor.
Gleiches gilt für die Bescheinigung des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau vom 10. Juli 2020. Danach könnte ein etwaiges Absetzen der sich derzeit positiv auswirkenden Medikation mit Risperidon die Schlafstörungen des Klägers zu 2) wieder auftreten lassen oder diese verschlimmern. Dies begründet an sich jedoch mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht die Gefahr einer wesentlichen oder gar lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands des Kindes. Entsprechendes gilt insoweit, als in den fachärztlichen Bescheinigungen des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau vom 26. September 2018, vom 21. November 2018 sowie vom 10. Juli 2020 immer wieder pauschal ausgeführt wird, bei einer Rückkehr in die Heimat sehe man die langfristige Entwicklung des Jungen als stark gefährdet an. Auch hier wird nicht erkennbar, was dies im Einzelnen für die psychische oder physische Gesundheit des Klägers zu 2) bedeuten soll. Da nur von der langfristigen Entwicklung gesprochen wird, kann sogar der Umkehrschluss gezogen werden, dass eine konkrete Gesundheitsgefahr, die sich alsbald nach der Rückkehr realisiert, offenbar nicht gesehen wird. Soweit in der Bescheinigung des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau vom 10. Juli 2020 schließlich berichtet wird, die Prognose des kranken Jungens sei insgesamt als schlecht einzuschätzen und eine „Heilung“ sei lebenslang durch keine Therapie zu erwarten, so gilt dies erkennbar unabhängig von einem künftigen Aufenthalt des Klägers zu 2) in der Bundesrepublik Deutschland oder in der Ukraine.
Der Klägerbevollmächtigte beantragte zum Nachweis einer konkreten Gefahr des Klägers zu 2) mit Schriftsatz vom 11. August 2020 sowie in der mündlichen Verhandlung am 12. August 2020 (Beweisantrag Nr. 6) die Vernehmung des behandelnden Facharztes, Herrn Dr. med. V. K., als sachverständigen Zeugen. Dem war nicht mehr nachzugehen und es konnte ohne weitere Beweiserhebung entschieden werden, da das Beweismittel als verspätet zurückzuweisen ist (§ 74 Abs. 2 AsylG i.V.m. § 83b Abs. 3 VwGO). Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der Monatsfrist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Hierüber wurden die Kläger gem. § 74 Abs. 2 Satz 3 AsylG bereits im Rahmen der Rechtsbehelfsbelehrung:des Bescheids vom 18. Dezember 2018 ordnungsgemäß belehrt. Die Berücksichtigung des Beweismittels würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögern, da der Abschluss des Verfahrens bei einer Vernehmung des benannten sachverständigen Zeugen erst später erfolgen könnte als bei Nichtberücksichtigung. Der Klägerbevollmächtigte stellte den Beweisantrag erstmals am 11. August 2020 mit per Fax eingereichtem Schriftsatz, eingegangen bei Gericht um 21:33 Uhr. Eine Ladung des Zeugen zur mündlichen Verhandlung am 12. August 2020 war daher nicht mehr möglich. Auch stand Herr Dr. med. V. K. in der mündlichen Verhandlung am 12. August 2020 nicht als präsenter Zeuge zur Verfügung. Die Zulassung des Beweismittels würde einen erneuten Termin erfordern und den Abschluss des Rechtsstreits verzögern. Das verspätete Vorbringen ist auch nicht entschuldigt. Nach Aktenlage behandelt der benannte Zeuge den Kläger zu 2) bereits seit mindestens September 2018. Diverse, von Herrn Dr. med. V. K. noch vor der Zustellung des verfahrensgegenständlichen Bescheids am 28. Dezember 2018 ausgestellte ärztliche Berichte wurden dem Gericht vorgelegt. Seine Vernehmung hätte daher ohne Weiteres innerhalb der Monatsfrist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG beantragt werden können. Es sind keine entschuldigenden Gründe vorgebracht worden noch sonst erkennbar, warum der Klägerbevollmächtigte das Beweismittel nicht fristgerecht beantragte, so dass eine Vernehmung im anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung hätte erfolgen können.
2.2.3 War nach alldem schon nicht ersichtlich, dass der Kläger zu 2) bei einer Rückkehr in die Ukraine selbst bei einem Wegfall der derzeitigen Behandlung alsbald außergewöhnliche und schwere psychische Schäden zu befürchten hätte, bedurfte es im Rahmen der gerichtlichen Amtsermittlungspflicht keiner weitergehenden Aufklärung der Verfügbarkeit der aktuellen Medikation und Therapie des Klägers zu 2) in der Ukraine sowie der Höhe etwaiger selbst zu tragender Behandlungskosten. Die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge Nr. 1 bis Nr. 5 waren deshalb unbehelflich.
Im Übrigen handelt es sich bei den Beweisanträgen Nr. 1 bis Nr. 5 hinsichtlich der Verfügbarkeit der vom Kläger einzunehmenden Medikation sowie seiner Therapie in der Ukraine um Ausforschungsbeweisanträge. Das Bundesamt hat bereits im Bescheid vom 18. Dezember 2018 unter Verweis auf einschlägige Erkenntnismittel darauf hingewiesen, dass das Medikament Pipamperon nicht in der Ukraine erhältlich ist, jedoch vergleichbare Medikamente, etwa Haloperidol, und dass den vorgelegten ärztlichen Berichten nicht zu entnehmen ist, dass der Kläger zu 2) nur Pipamperon einnehmen soll. Soweit der Kläger zu 2) nunmehr auf ärztliche Verordnung hin auch Risperidon und Slenyto einnimmt, ist darauf hinzuweisen, dass nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes gebräuchliche Medikamente in der Ukraine selbst hergestellt werden und die Apotheken teilweise auch importierte Arzneien vorhalten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 29.2.2020, Stand Januar 2020, S. 19). Ebenso hat das Bundesamt unter Bezugnahme auf einschlägige Erkenntnismittel darauf verwiesen, dass die psychologische und neurologische Betreuung des Klägers zu 2) in der Ukraine gewährleistet sei. Mit diesem substantiierten Vorbringen des Bundesamts hat sich der Klägerbevollmächtigte nicht näher auseinandergesetzt. Für die den Beweisanträgen Nr. 1 bis Nr. 5 implizit zugrundeliegende Annahme, die dem Kläger zu 2) derzeit verschriebene Medikation sowie seine gegenwärtigen Behandlungen seien in der Ukraine nicht verfügbar, fehlt deshalb eine erkennbare tatsächliche Grundlage. Soweit in der ärztlichen Bescheinigung vom 10. Juli 2020 und vom 21. November 2018 sowie im Bericht vom des Caritasverbands Aschaffenburg vom 26. März 2018 in Frage gestellt wird, dass der Kläger zu 2) in der Ukraine die notwendige medizinische Versorgung bzw. Betreuung erfährt, kann dies keine andere Sichtweise rechtfertigen. Die Aussagen zur medizinischen Versorgung und zur Betreuung von Menschen mit Behinderungen sind bloße Behauptungen, die nicht belegt werden. Es ist auch nicht ersichtlich woher die Aussteller der Stellungnahmen ihr Wissen über die Situation in der Ukraine beziehen. Dem Klägerbevollmächtigten wäre es stattdessen zuzumuten gewesen, sich mit den Ausführungen im Bescheid vom 18. Dezember 2018 zur ärztlichen Versorgung in der Ukraine auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die wie hier hinsichtlich der Nichtverfügbarkeit einer medikamentösen oder therapeutischen Behandlung des Klägers zu 2) in der Ukraine ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben wurde und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerfG, B.v. 26.6.2017 – 6 B 54/16 – NVwZ 2017, 1388 Rn. 7). Letztlich waren die Beweisanträge Nr. 1 bis Nr. 5 auch aufgrund fehlender Bestimmtheit unbehelflich. Denn es wird nicht genau erkennbar, welche konkreten Medikamente, Kontrollen, Untersuchungen und Behandlungen die Beweiserhebung umfassen soll. Da das Ziel der angeregten Beweiserhebung die Abklärung der Verfügbarkeit und der tatsächlichen Kosten der medizinischen Versorgung des Klägers zu 2) in der Ukraine ist, wäre die konkrete Bezeichnung der notwendigen Maßnahmen sowie ihr erforderlicher Umfang Voraussetzung für die Durchführung einer entsprechenden Beweiserhebung. Dies wäre besonders deshalb notwendig gewesen, weil die vorgelegten ärztlichen Berichte hinsichtlich der Medikation und sonstigen medizinischen Behandlung des Klägers zu 2) keine gänzlich übereinstimmenden Angaben treffen. Auch eine zur Präzisierung des Beweisantrags in Betracht kommende konkretisierende Bezugnahme auf bestimmte ärztliche Stellungnahmen fehlt.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass keine durchgreifenden Anhaltspunkte bestehen, wonach die Behandelbarkeit der psychiatrischen Erkrankung des Klägers zu 2) in der Ukraine nicht hinreichend gegeben wäre. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes ist die medizinische Versorgung in der Ukraine kostenlos und flächendeckend. Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen existieren landesweit. Insbesondere sind auch psychische Erkrankungen behandelbar. Medikamente sind vorhanden. Im Rahmen der seit 2018 eingeleiteten Reform des Gesundheitswesens (Gesetz „Über staatliche Finanzierungsgarantien für medizinische Dienstleistungen und Arzneimittel“) wurde ein System der Vergütung konkret erbrachter medizinischer Leistungen eingeführt. Der am 1. Juli 2018 neu geschaffene Nationale Gesundheitsdienst (NGD) hat dabei die Funktion einer staatlichen, budgetfinanzierten Einheitskrankenversicherung übernommen. In den Jahren 2018/2019 wurde in einer ersten Phase der Gesundheitsreform die primärmedizinische/hausärztliche Versorgung auf Finanzierung über den NGD umgestellt. Der NGD übernimmt auch die Kostenerstattung für rezeptpflichtige staatlich garantierte Arzneien (ca. 300 gelistete Arzneien gegen Herz-/Gefäßkrankheiten, Asthma und Diabetes II). Die Datenbank des NGD umfasst zurzeit 1.464 primärmedizinische Einrichtungen (davon 167 Privatambulanzen und 248 private Arztpraxen) sowie ca. 29 Mio. individuelle Patientenverträge mit Hausärzten, d.h. das neue System staatlich garantierter medizinischer Dienstleistungen und Arzneien erreicht mittlerweile knapp 70% der Einwohner. Zugleich wurde ein modernes, ITgestütztes e-Health-System (Ärzte/Patienten-Register, Erfassung abrechnungsfähiger Dienstleistungen/Verschreibungen von erstattungsfähigen Arzneien, Terminvergabe etc.) eingeführt. Seit April 2020 soll die Reform auf die fachmedizinische Versorgung (Krankenhäuser) erweitert werden. Soweit die Gesundheitsreform noch nicht vollständig umgesetzt ist, ist der Beginn einer Behandlung in der Regel auch weiterhin davon abhängig, dass der Patient einem Betrag im Voraus bezahlt oder Medikamente und Pflegemittel auf eigene Rechnung beschafft.
Zwar ist es auch unter Berücksichtigung vorstehender positiver Entwicklungen naheliegender, dass der Kläger zu 2) in der Ukraine keine gänzlich gleichwertige Behandlung seiner schwerwiegenden Erkrankung erfahren wird. Es genügt jedoch nicht für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat nicht das Niveau wie in der Bundesrepublik Deutschland erreicht. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AsylG scheidet aus, wenn das ukrainische Gesundheitssystem einer schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands des Ausländers entgegenwirken könnte. Insoweit ist es ausreichend, wenn die Versorgung nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 und 5 AufenthG). Davon darf vorliegend ausgegangen werden und es ist der Klägerin zu 1) auch zuzumuten, sich in einem Landesteil oder in einer Stadt der Ukraine niederzulassen, in der Behandlungsangebote für den Kläger zu 2) verfügbar sind.
Es ist schließlich darauf hinzuweisen, dass der Zugang zu medizinischen Leistungen in der Ukraine gelegentlich korruptionsbedingt davon abhängig ist, dass der Patient einen Betrag im Voraus bezahlt und dass es vorkommen kann, dass Medikamente und Pflegemittel auf eigene Rechnung beschafft werden müssen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 29.2.2020, Stand Januar 2020, S. 18). Das Gericht ist aber überzeugt davon, dass die Klägerin zu 1) – sollte dies von ihr überhaupt verlangt werden – die finanziellen Mittel für eine Behandlung aufbringen könnte. Insoweit ist die arbeitsfähige und gut ausgebildete Klägerin zu 1) darauf zu verweisen, dass sie in der Ukraine einer beruflichen Beschäftigung nachgehen kann und notfalls auch eine ergänzende finanzielle Hilfe ihrer Eltern erhalten könnte. Dafür spricht auch, dass die Klägerin zu 1) dem Kläger zu 2) hierzulande eine „Reittherapie“ privat finanziert (siehe Bericht des kbo-Kinderzentrums München vom 23.7.2020, S. 2), was voraussetzt, dass sie über gewisse finanzielle Mittel verfügt.
2.3 Dass der Kläger zu 2) neben seinem frühkindlichen Autismus sowie den damit verbundenen Einschränkungen und Behinderungen auch an einer eigenständigen kriegsbedingten posttraumatischen Belastungsstörung leidet, steht zur Überzeugung des Gerichts nicht fest. Auch hieraus kann sich folglich kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG ergeben.
2.3.1
Dem ärztlichen Bericht des kbo-Kinderzentrums München vom 23. Juli 2020 zufolge ist es diagnostisch nicht zu eruieren, ob die Schlafproblematik, die aggressiven Impulse, die Konzentrationsprobleme sowie die Ablehnung und das Erschrecken über Geräusche primär dem autistischen Spektrum oder aber auch einer eigenständigen posttraumatischen Belastungsstörung zuzuordnen sind. Denn das innere Erleben des Klägers zu 2) könne aufgrund seiner durch den Autismus stark eingeschränkten Kommunikation nicht exploriert werden.
2.3.2
Eine eigenständige kriegsbedingte posttraumatische Belastungsstörung ergibt sich auch nicht aus der fachärztlichen Bescheinigung des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau vom 10. Juli 2020.
Zwar wird dort ausgeführt, dass von einer Traumatisierung des Jungen vor der Flucht aus seiner Heimat („monatelanger Aufenthalt im Keller und Miterleben von kriegerischen Handlungen“) ausgegangen wird und dass bei einer Rückkehr des Klägers zu 2) in seine Heimat das Risiko einer Retraumatisierung bestehe. Das Attest vom 10. Juli 2020 erfüllt insoweit aber schon nicht die Anforderungen einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung. Eine ärztliche Bescheinigung soll nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Bereits zur alten Rechtslage war in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 26.7.2012 – 10 B 21.12 – juris Rn. 7) in diesem Sinne geklärt, dass zur Substantiierung eines Vortrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests gehört. Der fachärztlichen Bescheinigung des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau vom 10. Juli 2020 ist allerdings nicht nachvollziehbar zu entnehmen, auf welcher explorativen Grundlage eine kriegsbedingte Traumatisierung des Klägers zu 2) für möglich gehalten wird. Auch der Schweregrad einer etwaigen Traumatisierung des Jungen wird nicht präzisiert. Ein kriegsbedingtes Trauma wird erst abschließend im Rahmen der Zusammenfassung der ärztlichen Bescheinigung erwähnt, wobei der gewählten Formulierung nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob es sich um eine feststehende Diagnose oder um eine Vermutung handelt („Wir gehen […] aus […].“). Für letzteres spricht, dass eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) bei der einführenden Angabe der Diagnosen nicht aufgeführt ist. Zudem findet sich an keiner Stelle der ärztlichen Bescheinigung bezüglich einer kriegsbedingten Traumatisierung die Angabe des lateinischen Namens einer einschlägigen Erkrankung oder deren Klassifizierung nach ICD-10. Das Attest vom 10. Juli 2020 erfüllt daher die Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG insoweit nicht.
2.3.3
Das Vorliegen einer kriegsbedingten posttraumatischen Belastungsstörung des Klägers zu 2) ergibt sich schließlich auch nicht auf der Grundlage des Arztbriefs der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau vom 14. August 2015 (siehe die Behördenakte des Bundesamts, Az. …, S. 61 – 65).
Darin wurden zuvor Kriegserlebnisse als wahrscheinlichste Ursache der Verhaltensänderung des Klägers zu 2) angesehen und ihm eine Anpassungsstörung infolge eines kriegsbedingten Traumas (ICD-10: F 93.2) diagnostiziert. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung erfordert aber nicht nur eine spezifische Symptomatik, sondern auch ein traumatisches Lebensereignis als Auslöser für die Symptomatik (BayVGH, B.v. 13.12.2018 – 13aZB 18.33056 – BeckRS 2018, 35659 Rn. 9). In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Nachweis des Ereignisses nicht Gegenstand der gutachterlichen (fachärztlichen) Untersuchung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist (vgl. BayVGH, B.v. 13.12.2018 – 13aZB 18.33056 – BeckRS 2018, 35659 Rn. 9; B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris Rn. 8 m.w.N.; VGH BW, B.v. 20.10.2006 – A 9 S 1157/06 – juris Rn. 3). Vielmehr ist es ausschließlich Sache des Tatrichters, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen (BVerwG, B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 17.1.2018 – 10 ZB 17.30723 – juris Rn. 5). Im Kontext der posttraumatischen Belastungsstörung muss vom Schutzsuchenden ausschließlich gegenüber dem Tatrichter – und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter – nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden, dass ein behauptetes traumatisierendes Ereignis tatsächlich stattgefunden hat.
Dass der Kläger zu 2) in seiner Heimat einem traumatisierenden Ereignis ausgesetzt war, ist für das Gericht nicht erkennbar. Die Kläger haben weder im Verfahren W 6 K 17.30747 ein konkretes Erleben kriegerischer Handlungen substantiiert dargelegt, das zu einer Traumatisierung des Klägers zu 2) geführt haben könnte, noch im zugrundeliegenden Verfahren. Auch im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt am 23. August 2016 schilderte die Klägerin zu 1) keine konkreten Kriegserlebnisse. Es bestehen auch durchgreifende Zweifel, ob die Kläger tatsächlich – wie im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt behauptet – vor ihrer Ausreise nach Deutschland im September 2014 in Donezk lebten, als dort kriegerische Auseinandersetzungen zwischen ukrainischen Streitkräften und Separatisten stattfanden. Die Klägerin zu 1) gab an, man habe nach der Ausreise aus Georgien ab August 2013 zunächst für ungefähr ein Jahr bei ihren Eltern in Riwne gelebt und sei dann nach Donezk umgezogen. Die Großstadt Riwne liegt im Westen der Ukraine. Dort gab es 2014 keine bekannten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen ukrainischen Streitkräften und Separatisten. Es erscheint daher nicht glaubhaft, dass die Klägerin zu 1) mit ihrer Familie im Sommer oder Herbst 2014 von Riwne ausgerechnet in die ostukrainische Stadt Donezk umzog. Denn dort fanden seit Frühling 2014 bereits intensive kriegerische Auseinandersetzungen statt, insbesondere diverse Eroberungen und Rückeroberungen von Stadtgebieten und zentralen Einrichtungen. Auch die lückenhaften Angaben der Klägerin zu 1) in der Anhörung beim Bundesamt begründen Zweifel an ihrer Angabe, man habe vor der Ausreise im September 2014 in Donezk gelebt. Auf explizite Nachfrage konnte sich die Klägerin zu 1) nicht an die Straße ihres angeblichen Wohnortes in Donezk erinnern. Sie konnte ferner den Namen der Kirche nicht nennen, die man in Donezk angeblich oft besucht habe. Auch den Fluss, der die Stadt durchfließt, wusste sie nicht. Nach alldem ist das Gericht letztlich nicht davon überzeugt, dass der Kläger zu 2) tatsächlich kriegerischen Erlebnissen ausgesetzt war, die zu einer Traumatisierung geführt haben könnten, sodass auch im Falle der Rückkehr nicht mit einer Retraumatisierung zu rechnen ist.
3. Auch die weltweite Corona-Krise rechtfertigt hinsichtlich der Kläger zu 1) bis 3) kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Zunächst ist festzustellen, dass die Kläger mangels entgegenstehender Anhaltspunkte nicht mit dem neuartigen SARS-CoV-2 („Coronavirus“) infiziert sind bzw. nicht an der hierdurch hervorgerufenen Lungenkrankheit COVID-19 leiden.
Eine konkrete außergewöhnliche Gefahrenlage für die Kläger ist im maßgeblichen Entscheidungszeitpunk im Hinblick auf die allgemeine Verbreitung des Coronavirus in der Ukraine auch vor dem Hintergrund des im Rahmen des § 60 Abs. 7 AufenthG erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrades nicht glaubhaft gemacht und auch sonst nicht erkennbar. Ausweislich der Kurzinformation der Staatendokumentation des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) für ausgewählte Dublin-Länder, Balkan und Ukraine, COVID-19-Information vom 18. Mai 2020 (S. 5 f.) kämpfe der medizinische Sektor in der Ukraine zwar mit Versorgungsproblemen. Die für eine pandemiebedingte Überlastung des medizinischen Sektors entscheidenden Fallzahlen der täglich gemeldeten Neuinfektion in der Ukraine sind derzeit auch ansteigend (siehe https://covid19.who.int/region/euro/country/ua). Anzeichen für eine exponentielle Verbreitung des Coronavirus, die mit besonderen Gefahren für die medizinische Versorgung von COVID-19 Patienten verbunden sein kann, zeigen die gemeldeten Fallzahlen für die Ukraine zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt aber nicht.
Ferner ist auch nicht ersichtlich, dass die Kläger in der Ukraine aufgrund besonderer persönlicher Umstände einer gegenüber dem allgemeinen Risiko der Bevölkerung erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt wären. Ebenfalls ist nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG), dass die Kläger aufgrund bestimmter Vorerkrankungen einer besonderen Risikogruppe (siehe dazu „Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf“ des Robert-Koch-Instituts, Stand: 29.7.2020, abrufbar unter: https://www.rki.de) angehören, sodass ein symptomatischer Ausbruch der Krankheit COVID-19 bei ihnen mit höherer Wahrscheinlichkeit einen besonders schweren Verlauf nehmen könnte.
Die Kläger müssen sich daher letztlich bei einer infektionsbedingten Erkrankung mit den vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten in der Ukraine behelfen. Des Weiteren bestehen – wie auch in anderen Staaten, etwa in Deutschland – zumutbare persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske oder die Wahrung von ausreichendem Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu vermindern.
4. Da nach alldem die in Nr. 2 des Bescheids vom 18. Dezember 2018 getroffene Verfügung rechtmäßig war und den Klägern zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt auch kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zustand, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


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