Medizinrecht

Kein Anspruch auf eine Coronaschutzimpfung bis Ende April von Personen der Gruppe nach § 4 CoronaImpfV

Aktenzeichen  M 26b E 21.1457

Datum:
25.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6792
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
CoronaImpfV § 1
Art. 2 Abs. 2 S. 1 i.V.m.
GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die 60 und 62 Jahre alten und in A … wohnhaften Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine vorgezogene Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2.
Da die gegenwärtig vorhandene Menge an Impfstoff nicht für die Impfung sämtlicher Einwohner Deutschlands ausreicht, hat das Bundesministerium für Gesundheit die Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Impfverordnung – CoronaImpfV) vom 10. März 2021 (BAnz AT 11.03.2021 V1) erlassen, wonach bestimmte Personengruppen einen Anspruch auf bevorzugte Impfung haben, vgl. §§ 2 bis 4 CoronaImpfV.
In A … gehören rund 120.000 Menschen der Gruppe mit höchster Priorität an, während insgesamt 685.000 … Bürger Anspruch auf prioritäre Impfung haben (Gruppe mit höchster, hoher bzw. erhöhter Priorität, §§ 2 bis 4 CoronaImpfV). Ab 26. März 2021 soll neben den Personen mit höchster Priorität das Personal an Grund-, Sonder- und Förderschulen sowie Kitas geimpft werden (Landeshauptstadt München, Corona-Impfung in München: Anmeldung und Infos zum Impfzentrum, https://www.muenchen.de/aktuell/2021/corona-impfung-impftermin-impfzentrum-muenchen.html, aufgerufen am 24.3.2021).
Mit am 16. März 2021 beim Verwaltungsgericht München eingegangenen Schreiben stellten die Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Sie beantragen
die Zuteilung eines ersten Impftermins im Impfzentrum der A … … mit dem Wirkstoff Biontech-Pfizer im April 2021 und eines zweiten Impftermins bis 15. Mai 2021.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass nur eine Impfung die Antragsteller in die Lage versetze, ihre Grundrechte ausüben zu können, wozu insbesondere Zusammenkünfte mit ihren Kindern, die Teilnahme an Versammlungen sowie die Gewerbeausübung zähle.
Die von SARS-CoV-2 ausgehende Gefahr sei nicht unabwendbar, da die EU Impfdosen exportiere, andere EU-Staaten mehr Impfstoff erhalten würden als Deutschland und staatliches Versagen bei der Impfstoffbeschaffung vorliege. Zudem sei die gemäß der Coronaimpfverordnung erfolgte Impfpriorisierung nicht sachgerecht und werde nicht konsequent eingehalten. Es würden diejenigen Personengruppen mit einer Lobby sowie die im Parlament überrepräsentierten Personengruppen aus dem öffentlichen Dienst bevorzugt. Auch würde inzwischen eine große Anzahl jüngerer Personen geimpft, während ältere Personen auf eine Schutzimpfung warten müsste. Die Bevorzugung einer Vielzahl an Personengruppen, von denen die Antragsteller exemplarisch einige benennen, unter anderem an Demenz erkrankte Personen, erfolge ohne vernünftigen Grund. Schließlich würden Asylbewerber gegenüber Inländern bevorzugt und die Haltung der Politik sei willkürlich.
Mit Schreiben vom 17. März 2021 beantragt die Antragsgegnerin,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Antragsgegnerin zum Stichtag 17. März 2021 196.441 Impfdosen erhalten habe, wobei die Verteilung ausschließlich nach den in der Coronaimpfverordnung (CoronaImpfV) festgelegten Priorisierungskriterien erfolge. Prioritär behandelt wurden bislang nur Personen, die der Gruppe nach § 2 CoronaImpfV angehören würden. Insgesamt seien in A … 685.000 Menschen priorisiert zu impfen, wobei 120.000 Personen die höchste Priorität gemäß § 2 CoronaImpfV aufweisen würden. In den nächsten Wochen könnten voraussichtlich auch Personen geimpft werden, die der Gruppe mit hoher Priorität gemäß § 3 CoronaImpfV angehören würden. Vor Mitte April sei nicht damit zu rechnen, dass alle Impfwilligen, die den Gruppen nach § 2 und 3 CoronaImpfV angehören würden, geimpft seien. Zeitpunkt und Menge der weiteren Impfstofflieferung seien nicht planbar, sondern erfolgten spontan. Die Registrierung und Terminvereinbarung für Impftermine erfolge über die Plattform BayIMCO. In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt, dass die Antragsteller unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf vorläufige Zuweisung eines Impftermins hätten, da sämtliche Anspruchsgrundlagen unter dem Kapazitätsvorbehalt vorhandener Impfstoffe stünden. Maßgebliches Kriterium für die Impfpriorisierung sei das Ansteckungsrisiko. Die Verteilung des vorhandenen Impfstoffs müsse nach sachgerechten Kriterien erfolgen. Hierbei richte sich die Antragstellerin nach den Vorgaben der CoronaImpfV, den infektiologischen Erkenntnissen, den jeweils aktuellen Empfehlungen der STIKO und der epidemiologischen Lage vor Ort. Die Antragsteller würden gegenüber der aktuell geimpften Gruppe kein höheres oder gleich hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Verlauf einer COVID-19-Erkrankung aufweisen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Antragsteller in der Lage seien, durch besonders sorgfältige Beachtung von Schutzmaßnahmen das Risiko in erheblichem Umfang selbst reduzieren zu können. Schließlich würde jede Priorisierungsentscheidung zu einer Zurückstellung einer anderen Person führen.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag hat keinen Erfolg.
a) Der Antrag ist bereits unzulässig, da die Antragsteller es versäumt haben, bei der Antragsgegnerin die Zuteilung eines vorgezogenen Impftermins zu beantragen.
Für die Verpflichtungsklage ist anerkannt, dass ihre Zulässigkeit grundsätzlich von einem vorher im Verwaltungsverfahren erfolglos gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts abhängt. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung folgt aus §§ 68 Abs. 2, 75 S. 1 VwGO („Antrag auf Vornahme”) und zusätzlich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, nach dem es zunächst Sache der Verwaltung ist, sich mit Ansprüchen zu befassen, die an sie gerichtet werden (BVerwG, U. v. 16.12.2009 – 6 C 40/07 – NJW-RR 2010, 1504, 1505 m. w. N.). Gleiches gilt für Leistungsklagen (Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, Vorbemerkungen §§ 40-53, Rn. 13) und infolgedessen auch für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO.
Die Antragsteller haben nicht vorgetragen, die Antragsgegnerin vor der Befassung des Gerichts mit ihrem Begehren befasst zu haben. Mangels vorheriger Befassung der Antragsgegnerin besteht kein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag bei Gericht (vgl. BVerwG, U. v. 28.11.2007 – 6 C 42/06 – NVwZ 2008, 575, 577; BayVGH, B. v. 20.3.2017 – 3 ZB 14.1449 – beckonline Rn. 2; Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, Vorbemerkungen §§ 40-53, Rn. 13).
b) Im Übrigen ist der Antrag auch unbegründet, da die Antragsteller keinen Anspruch auf eine erste Schutzimpfung gegen das SARS-CoV-2-Virus bis Ende April 2021 haben.
Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Regelungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Sicherungsanordnung). Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO)). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch -grund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (BayVGH, B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20 m. w. N.). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch auf eine vorrangige Berücksichtigung bei der Verabreichung des Impfstoffes nicht glaubhaft machen können. Ein solcher Anspruch ergibt sich derzeit weder aus der CoronaImpfV noch aus einem unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Teilhabeanspruch.
aa) Ein entsprechender Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus § 1 Abs. 1 und 2 CoronaImpfV.
(1.) Nach § 1 Abs. 1 CoronaImpfV haben insbesondere Personen mit Wohnsitz in Deutschland im Rahmen der Verfügbarkeit der vorhandenen Impfstoffe Anspruch auf Schutzimpfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Dabei haben die Länder und der Bund den vorhandenen Impfstoff so nutzen, dass die Anspruchsberechtigten in der durch die §§ 2 bis 4 CoronaImpfV vorgegebenen Reihenfolge berücksichtigt werden, § 1 Abs. 2 Satz 1 CoronaImpfV.
Die gegenwärtig vorhandene Menge an Impfstoff reicht nicht für die Impfung sämtlicher Bürger aus (Bundesgesundheitsministerium, Fragen, Antworten und Zahlen zur COVID-19-Impfung, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus/faq-covid-19-impfung.html#c19936, aufgerufen am 24.3.2021). Die Antragsgegnerin hat bislang nach eigenen Angaben knapp 200.000 Impfdosen erhalten. Bislang hat sie (Stand: 23. März 2021) 151.300 Corona-Schutzimpfung durchgeführt, davon 100.300 Erst- und 51.000 Zweitimpfungen, und 25.300 Impfdosen an … Kliniken abgegeben, damit diese ihr Personal impfen können (Landeshauptstadt München, Corona-Impfung in München: Anmeldung und Infos zum Impfzentrum, https://www.muenchen.de/aktuell/2021/corona-impfung-impftermin-impfzentrum-muenchen.html, aufgerufen am 24.3.2021).
In A … gehören rund 120.000 Menschen der Gruppe mit höchster Priorität an, während insgesamt 685.000 … Bürger Anspruch auf prioritäre Impfung haben (Gruppe mit höchster, hoher bzw. erhöhter Priorität, §§ 2 bis 4 CoronaImpfV). Ab 26. März 2021 soll das Personal an Grund-, Sonder- und Förderschulen sowie Kitas geimpft werden (a. a. O.), mithin Personen, die der Gruppe mit hoher Priorität angehören, vgl. § 3 Nr. 9 CoronaImpfV.
Die 60 und 62 Jahre alten Antragsteller gehören weder zu den von § 2 CoronaImpfV erfassten Anspruchsberechtigten mit höchster Priorität noch zu der Gruppe von Anspruchsberechtigten mit hoher Priorität, § 3 CoronaImpfV, sondern aufgrund der Vollendung des 60. Lebensjahres zu der Gruppe von Anspruchsberechtigten nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 CoronaImpfV, die gegenwärtig noch nicht geimpft werden. Da die Zuteilung des Impfstoffs an die Antragsgegnerin spontan und nicht planbar erfolgt, ist ungewiss, ob bis Ende April 2021 so viel Impfstoff vorhanden sein wird, dass die Antragsteller bis zu diesem Zeitpunkt unter Beachtung der durch die CoronaImpfV vorgegebenen Priorisierungsreihenfolge zu berücksichtigen wären. Angesichts der aktuellen Sachlage scheidet somit derzeit ein Anspruch auf Impfung bis Ende April 2021 aus.
(2.) Eine vorrangige Berücksichtigung der Antragsteller im Ermessenswege nach § 1 Abs. 2 Satz 2 CoronaImpfV kommt nicht in Betracht.
Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 CoronaImpfV können innerhalb der nach den §§ 2 bis 4 CoronaImpfV vorgegebenen Gruppen auf Grundlage der jeweils vorliegenden infektiologischen Erkenntnisse, der jeweils aktuellen Empfehlung der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut und der epidemiologischen Situation vor Ort bestimmte Anspruchsberechtigte vorrangig berücksichtigt werden.
Diese Vorschrift eröffnet nach ihrem eindeutigen Wortlaut allenfalls die Möglichkeit, dass die Antragsteller in ihrer nach § 4 CoronaImpfV vorgegebenen Gruppe vorrangig zu berücksichtigen sind, nicht jedoch eine vorgezogene Berücksichtigung in eine Gruppe mit höherer Priorität. Da die Antragsteller als Grund für ihre vorgezogene Impfung lediglich ihr Alter angeführt haben, sind derzeit keine Umstände erkennbar, die eine vorgezogene Priorisierung im Rahmen von § 4 CoronaImpfV erlauben würde.
(3.) Auch folgt kein Anspruch auf vorrangige Berücksichtigung der Antragsteller aus § 1 Abs. 3 CoronaImpfV.
Nach § 1 Abs. 3 CoronaImpfV kann von der Reihenfolge nach § 1 Abs. 2 Satz 1 CoronaImpfV abgewichen werden, wenn dies für eine effiziente Organisation der Schutzimpfungen oder eine zeitnahe Verwendung vorhandener Impfstoffe notwendig ist, insbesondere um einen Verwurf von Impfstoffen zu vermeiden. Ebenso kann von Reihenfolge nach § 1 Abs. 2 Satz 1 CoronaImpfV abgewichen werden, um eine dynamische Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 aus hochbelasteten Grenzregionen (Ringimpfung) sowie in oder aus Hochinzidenzgebieten in der Bundesrepublik Deutschland (Riegelimpfung) zu verhindern.
(a) Die Antragsteller können eine Impfung ihrer Person aus Gründen einer effizienten Organisation von Schutzimpfung oder einer notwendigen zeitnahen Verwendung vorhandener Impfstoffe, insbesondere um einen Verwurf von Impfstoffen zu vermeiden, nicht geltend machen. Bei der Fallgruppe vorgezogener Impfungen aus organisatorischen Gründen handelt es sich um eine Regelung, die ausweislich ihres klaren Wortlauts lediglich den impfenden Stellen aus organisatorischen Gründen Flexibilität einräumen soll, ohne dem Einzelnen ein subjektiv-öffentliches Recht auf Berücksichtigung einzuräumen (vgl. BayVGH, B. v. 10.2.2021 – 20 CE 21.321 – COVuR 2021, 176, 178). Um eine Regelung gleichen Charakters handelt es sich ebenso bei der Fallgruppe zur Vermeidung des Verwurfs von Impfstoffen, handelt es sich insofern doch um nicht planbare Ereignisse.
(b) Zudem wohnen die Antragsteller weder in einer Grenzregion noch in einem Hochinzidenzgebiet.
Da die 7-Tage-Inzidenz in A … zuletzt bei 84,4 lag und damit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 113,3 (vgl. RKI: COVID-19-Dashboard, https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4/page/page_1/, aufgerufen am 25.3.2021), bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass A … als Hochinzidenzgebiet einzustufen wäre.
(4.) Soweit die Antragsteller die Rechtswidrigkeit der CoronaImpfV aufgrund willkürlicher Impfpriorisierung und somit aufgrund Verstoßes gegen Grundrechte geltend machen, kommt es auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verordnung nicht an, da sich der behauptete Anspruch der Antragsteller weder aus der Verordnung selbst noch aus den Grundrechten ergibt. Die Antragsteller haben aus dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Teilhabeanspruch an den vorhandenen Impfkapazitäten keinen Anspruch auf eine erste Impfung bis Ende April 2021.
Stellt der Staat eine gesundheitliche Leistung zur Verfügung, so folgt für den Einzelnen aus den genannten Grundrechten ein Anspruch auf gleiche und chancengleiche Zuteilung dieser Leistungen. Dies ist im vorliegendem Zusammenhang umso bedeutsamer, als dem Staat die Pflicht zukommt, das menschliche Leben und die menschliche Gesundheit vor Beeinträchtigungen durch das Coronavirus zu schützen und die staatlich initiierte und organisierte Impfung einen wesentlichen Baustein der Schutzstrategie des Staates zur Bekämpfung des Coronavirus darstellt.
Der Teilhabeanspruch findet seine Grenzen in den vorhandenen Kapazitäten. Dabei muss die Vergabe so geregelt werden, dass eine gleichheitsgerechte Verteilung sichergestellt ist (vgl. hierzu etwa BVerfG, U. v. 19.12.2017 – 1 BvL 3/14 u. a. – beckonline Rn. 107), was ein sachgerechtes Kriterium für die Vergabe der jeweiligen Leistung erfordert (BVerfG, a. a. O., Rn. 128, 132). Die Vergabe von Impfstoff hat sich angesichts der aktuell begrenzten Kapazität desselben an nachvollziehbaren, wissenschaftlich basierten Erkenntnissen zu orientieren (BayVGH, B. v. 10.2.2021 – 20 CE 21.321 – COVuR 2021, 176, 179). Dabei darf sich die Antragsgegnerin in einem Massenverfahren wie der hier streitgegenständlichen Impfkampagne gegen das SARS-CoV-2-Virus bei der Frage nach sachgerechten Kriterien auch Generalisierungen, Typisierungen und Pauschalierungen bedienen, ohne dass damit unvermeidlich verbundene Härten im Einzelfall einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz begründen (vgl. OVG NRW, B.v. 22. Januar 2021 – 13 B 58/21 – juris Rn. 10). Außerdem kommt dem Verordnungsgeber und im Falle eines direkten Teilhabeanspruchs auch der vollziehenden Gewalt ein Gestaltungsspielraum zu, so dass nicht zwingend nur eine einzige denkbare Lösungsmöglichkeit der Priorisierungsproblematik in Betracht kommt (ebenso im Zusammenhang mit COVID-19-Impfungen SG Oldenburg, B. v. 21.1.2021 – S 10 SV 1/21 ER – juris Rn. 30; VG Gelsenkirchen, B. v. 11.1.2021 – 20 L 1812/20 – juris Rn. 50).
Da die Antragsgegnerin bei der Vergabe der Schutzimpfungen den Vorgaben der CoronaImpfV folgt, der wiederum die aktuellen Beschlussempfehlungen der am RKI angesiedelten Ständigen Impfkommission nach § 20 Abs. 2 IfSG – STIKO (vgl. Robert-Koch-Institut, Epidemiologisches Bulletin, 5/2021, 4. Februar 2021, Beschluss der STIKO zur 2. Aktualisierung der COVID-19-Empfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung) zugrunde liegen, orientiert sich diese bei der Vergabe der Schutzimpfungen an sachgerechten Kriterien, da die in den STIKO-Empfehlungen vorgeschlagene Impfreihenfolge ihrerseits von sachlichen Kriterien getragen wird und daher nicht zu beanstanden.
Die STIKO-Empfehlungen zur Priorisierung bei der Impfstoffvergabe orientieren sich an dem Risiko für schwere oder tödliche Verläufe einer COVID-19-Erkrankung sowie an berufsbedingten Infektionsrisiken, der Zugehörigkeit zu Berufsgruppen der kritischen Infrastruktur sowie der Gefährdung aufgrund der Wohn-, Lebens- und/oder Arbeitsverhältnisse. Diese Einschätzungen beruhen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie auf Beobachtungen, Einschätzungen von Fachexperten und Gemeinwohlüberlegungen (vgl. Robert-Koch-Institut, Epidemiologisches Bulletin, 5/2021, 4. Februar 2021, Beschluss der STIKO zur 2. Aktualisierung der COVID-19-Empfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung, S. 10 ff., 37 ff.) und erweisen sich als naheliegend, nachvollziehbar und sachgerecht (ebenso BayVGH, a. a. O., S. 178).
Dem Beschluss der STIKO lässt sich etwa in nicht zu beanstandender Weise entnehmen, dass das Risiko für Personen mit Demenz, deren Bevorzugung die Antragsteller unteren verschiedenen weiteren Personengruppen für nicht nachvollziehbar halten, ein erhöhtes SARS-CoV-2-Infektionsrisiko aufweisen, da aufgrund der kognitiven Beeinträchtigungen die Infektionsschutzmaßnahmen wie etwa Abstandhalten und regelmäßiges Händewaschen sowie die korrekte Benutzung von Mund-Nasen-Bedeckungen für Demenzkranke nur schwer zu verstehen und einzuhalten sind.
Es ist infolgedessen nicht ersichtlich, dass die von der Antragstellerin vorgenommene Priorisierung sachwidrig wäre. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Priorisierung erweist sich insgesamt nicht nur als sachgerecht, sondern auch als angemessen, dient sie doch der bestehenden Schutzpflicht des Staates hinsichtlich Leben und Gesundheit der gesamten Bevölkerung sowie dem Erhalt der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass einzig und allein die vorrangige Impfung der Antragsteller eine sachgerechte Entscheidung darstellen würde. Zudem würde die vorrangige Impfung der Antragsteller gleichzeitig zu einer Zurückstellung eines an sich mit höchster Priorität Impfberechtigten darstellen, die angesichts der knappen Verfügbarkeit des Impfstoffs nicht sachgerecht wäre.
Da auch der verfassungsrechtliche Teilhabeanspruch unter dem Vorbehalt vorhandener Kapazitäten steht und keine vorrangige Zuteilung an die Antragsteller gebietet, kann sich hieraus angesichts einer Vielzahl an Personen, die vor den Antragstellern zu berücksichtigen sind, und ungewisser Impfkapazitäten bis Ende April 2021 kein Anspruch der Antragsteller auf eine erste Schutzimpfung bis zu diesem Zeitpunkt ergeben.
(b) Soweit die Antragsteller schließlich geltend machen, die EU würde Impfstoff exportieren, andere EU-Staaten würden proportional mehr Impfstoff erhalten als Deutschland und zudem Kritik an der Impfstoffbeschaffung der EU üben, ändert dies nichts daran, dass der gegen die Antragsgegnerin gerichtete Teilhabeanspruch nur an den Kapazitäten besteht, die bei dieser vorhanden sind. Auf die Frage, welche Institution was hätte tun können oder sollen, damit gegenwärtig mehr Impfstoff zu Verteilung bereitstehen würde, kommt es daher nicht an.
2. Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz i. V. m. Nrn. 1.1 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Angesichts der Vorwegnahme der Hauptsache erachtet es das Gericht für sachgerecht, den Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben.


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