Medizinrecht

Kein Anspruch auf Einzelzimmer im Rahmen der Obdachlosenunterbringung

Aktenzeichen  M 22 E 17.3334

Datum:
3.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123
LStVG LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Die von der Sicherheitsbehörde zu leistende Obdachlosenfürsorge (Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG) dient nur der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art (ebenso BayVGH BeckRS 2012, 57203). Hierbei besteht grundsätzlich kein Anspruch auf die Zurverfügungstellung eines Einzelzimmers. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Anspruch auf Zuweisung eines Einzelzimmers im Rahmen der Obdachlosenfürsorge ist ausnahmesweise denkbar, wenn auf andere Weise eine menschenwürdige und das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht möglich ist. Eine Krankheit ohne zwingende Notwendigkeit zu einer Einzelunterbringung oder eine bestimmte sexuelle Orientierung begründen keinen derartigen Anspruch. (Rn. 9 und 11 – 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wurde mit Bescheid der Antragsgegnerin vom … Juni 2017 gemäß Art. 57 Abs. 1 Gemeindeordnung (GO) i.V.m. Art. 6 und 7 Abs. 2 Nr. 3 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) in einem Doppelzimmer im Haus … Str. … in … untergebracht. Am … Juli 2017 stellte der Antragsteller einen Antrag bei der Antragsgegnerin auf Zuweisung eines Einzelzimmers. Es wurde daraufhin eine sogenannte Einzelzimmerprüfung durch Herrn … in den Räumen der Antragsgegnerin durchgeführt, bei der keine Indikation für die Zuweisung eines Einzelzimmers festgestellt wurde.
Am gleichen Tag, den … Juli 2017, beantragte der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München zur Niederschrift,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihm ein Einzelzimmer in einer Obdachlosenunterkunft zur Verfügung zu stellen.
Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, er sei homosexuell veranlagt, weshalb es bei einer Unterbringung im Zweibettzimmer – insbesondere mit … Mitbewohnern – zu großen Anfeindungen und Hetzkampagnen komme. Er habe sich gegenüber keinem Mitbewohner unkorrekt verhalten. Dennoch werde er beschuldigt, sich nackt zu zeigen, andere Bewohner „anzumachen“ oder ein Kinderschänder zu sein. Aufgrund derartiger Anschuldigungen sei er von einem Nachtpförtner aus dem Männerwohnheim in der … Str. … in … verwiesen worden. Solche Behandlungen seien ihm in den letzten zwölf Monaten in fünf verschiedenen Unterkünften widerfahren. Diese Probleme würden erst gar nicht auftreten, wenn er generell in einem Einzelzimmer untergebracht würde. Zudem sei er schwer krank und leide an Narkolepsie und paranoider Schizophrenie. Zum Beleg legte der Antragsteller eine Reihe ärztlicher Bescheinigung vor. Herr … habe bei der Einzelzimmerprüfung völlig verkannt, dass ihm schon allein aufgrund dieser schweren Erkrankungen die Unterbringung in einem Doppelzimmer unzumutbar sei. Auch habe er aufgrund seiner Narkolepsie eine dauerhafte Bettruhe verordnet bekommen und müsse sich auch tagsüber des Öfteren schlafen legen.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 31. Juli 2017, den Antrag gemäß § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Verpflichtung, dem Antragsteller ein Einzelzimmer zuzuweisen, abzulehnen.
Zur Begründung führt die Antragsgegnerin aus, der Antragsteller habe nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass er sofort, unbedingt und dringend in einem Einzelzimmer untergebracht werden müsse. Die Anzahl der der Antragsgegnerin zur Verfügung stehenden Einzelzimmer sei sehr knapp. Die Zuweisung eines Einzelzimmers könne nur dann erfolgen, wenn eine Erkrankung oder derart gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen bestünden, die die Zuweisung eines Einzelzimmers zwingend erforderlich machen und die Notwendigkeit einer derartigen Unterbringung durch ein fachärztliches Attest oder ein entsprechendes amtsärztliches Zeugnis bestätigt sei. Die der Antragsgegnerin und dem Gericht vorgelegten Arztberichte, Arztbriefe und Atteste seien jedoch nicht geeignet, um eine Einzelzimmerzuweisung als unbedingt oder dringend erforderlich anzusehen. Schließlich habe auch die Einzelzimmerprüfung von Herrn … am … Juli 2017 ergeben, dass keine Erforderlichkeit einer Unterbringung in einem Einzelzimmer bestehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag erweist sich als zulässig, bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), wonach die Antragsgegnerin verpflichtet wäre, ihm im Rahmen der Obdachlosenunterbringung ein Einzelzimmer zuzuweisen.
1. Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Zuweisung einer Unterkunft zu Vermeidung von Obdachlosigkeit ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG. Danach ist die Sicherheitsbehörde zum Tätigwerden verpflichtet, um die in der Obdachlosigkeit bestehende Gefahr für Leben und Gesundheit des Betroffenen abzuwehren.
2. Die von der Sicherheitsbehörde zu leistende Obdachlosenfürsorge dient nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art (vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 5). Auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ist es ausreichend, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. Obdachlose Personen müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei freilich die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 14.7.2005 – 4 C 05.1551). Der Betroffene hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Zuweisung einer bestimmten oder von ihm gewünschten Unterkunft (vgl. VG München, B.v. 2.12.2008 – M 22 E 08.5680 – juris Rn. 10). Dementsprechend besteht dem Grunde nach auch kein Anspruch auf die Zurverfügungstellung eines Einzelzimmers. Eine solcher wäre nur dann denkbar, wenn auf andere Weise als durch die Zuweisung eines Einzelzimmers eine menschenwürdige und das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht möglich wäre.
2.1 Gemessen an diesen Vorgaben ist nach summarischer Prüfung nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Zurverfügungstellung eines Doppelzimmers den Mindestanforderungen an eine Obdachlosenunterkunft nicht genügt.
Den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen und Attesten lässt sich zur Unterstützung des Begehrens des Antragstellers nichts Relevantes entnehmen. Die Mehrzahl der vorgelegten Atteste hat keinerlei Bezug zur Frage der Unterbringung des Antragstellers. Weiter ist festzustellen, dass die Untersuchung durch Herrn … – einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie – ergeben hat, dass eine Einzelzimmerzuweisung trotz diagnostizierter paranoider Schizophrenie nicht angezeigt ist. Aus Sicht des Gerichts bestehen keine Anhaltspunkte, das Ergebnis der Einzelzimmerprüfung in Frage zu stellen. Die bestehende Narkolepsie des Antragstellers führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Der damit verbundene erhöhte Bedarf an Schlaf kann auch durch die Zurverfügungstellung eines Bettes in einem Zweibettzimmer erfüllt werden.
Auch im Hinblick auf die sexuelle Orientierung des Antragstellers und der damit verbundenen Anfeindungen fehlt es an einer Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs. Für das Gericht ist nicht ersichtlich, inwiefern eine Unterbringung in einem Einzelzimmer homophobe Anfeindungen verhindern könnte. Die Zuweisung eines Einzelzimmers verhindert nicht jeglichen Kontakt zu anderen Bewohnern einer Obdachlosenunterkunft.
2.2 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Antragsgegnerin als Sicherheitsbehörde nur insoweit zum Tätigwerden verpflichtet ist, als es um die Unterbringung Obdachloser zur Abwehr von Gefahren für deren Leib und körperliche Unversehrtheit geht. Darüber hinausgehende Problemlagen, die insbesondere die gesundheitlichen Bedürfnisse des Antragstellers betreffen, sind nicht von der Antragstellerin zu lösen (vgl. VG München, B.v. 21.5.2014 – M 22 E 14.1370 – juris Rn. 17; VG München, B.v. 28.9.2009 – M 22 E 09.3987; siehe auch Schenk in Bengel/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 7 Rn. 187). Es bleibt dem Antragsteller unbenommen, sich – gegebenenfalls mit Unterstützung des Sozialleistungsträgers – im Rahmen der durch das SGB eröffneten Möglichkeiten eine geeignete, seinen Wünschen entsprechende Unterkunft selbst zu verschaffen.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben