Medizinrecht

Kein Anspruch auf Pflegegeld bei Aufenthalt in stationären Einrichtungen

Aktenzeichen  S 18 P 37/19

Datum:
5.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 40546
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB XI § 14, § 33, § 34 Abs. 2, § 36, § 37

 

Leitsatz

1. Das Pflegegeld ist eine Geldleistung, die nach der Intention des Gesetzgebers in pauschalierter Form den Bedarf abdecken soll, der dem Pflegebedürftigen durch die Sicherstellung der häuslichen Pflege entsteht. Immanent ist diesem Anspruch das Stattfinden der Pflege in häuslicher Umgebung. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Versicherte, die sich in stationären Einrichtungen aufhalten, haben für die Zeit des Aufenthaltes keinen Anspruch auf Pflegegeld, auch wenn sie zusätzlich von Verwandten oder sonstigen ehrenamtlichen Personen betreut werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nur wenn Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen und daneben z. B. an Wochenenden im häuslichen Bereich gepflegt werden, besteht Anspruch auch auf Leistungen gemäß §§ 36 ff SGB XI unter Berücksichtigung der vorgesehenen Höchstbeträge. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wird ein Antrag auf Pflegeleistungen erst zu einem Zeitpunkt gestellt, in welchem sich der Versicherte bereits ununterbrochen stationär in der Klinik befand, besteht auch kein Anspruch auf Pflegegeld für die ersten vier Wochen des stationären Krankenhausaufenthaltes. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Klage ist zulässig, die Klägerin ist Sonderrechtsnachfolgerin ihrer Tochter gem. § 56 Abs. 1 Nr. 3 SGB I berechtigt, die streitige Leistung weiter geltend zu machen, insbesondere handelt es sich bei dem hier streitigen Pflegegeld um eine fällige laufende Geldleistung.
Die Klage ist aber unbegründet, denn die Versicherte erfüllte nicht die Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld nach § 37 SGB XI.
1. Zwischen den Beteiligten unstreitig war die Versicherte seit Antragstellung im Januar 2018 pflegebedürftig im Sinn von § 14 SGB XI. Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 haben bei häuslicher Pflege Anspruch auf körperbezogene Pflegemaßnahmen und pflegerische Betreuungsmaßnahmen sowie auf Hilfen bei der Haushaltsführung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe, § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Anstatt der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI können diese Pflegebedürftigen auch Pflegegeld nach § 37 SGB XI beantragen.
2. Das Pflegegeld ist eine Geldleistung, die nach der Intention des Gesetzgebers in pauschalierter Form den Bedarf abdecken soll, der dem Pflegebedürftigen durch die Sicherstellung der häuslichen Pflege entsteht. Durch die Zahlung von Pflegegeld soll die Pflegebereitschaft von Angehörigen und Nachbarn unterstützen werden (vgl. BT-Drs. 12/5262 S. 81, 111 f.). Der Anspruch auf Pflegegeld steht dem Pflegebedürftigen und nicht etwa der Pflegeperson zu (vgl. BayLSG, Beschluss vom 28.6.2012, L 2 P 1/12, NZS 2013, 30). Immanent ist dem Anspruch auf Pflegegeld aber, dass die Pflege in häuslicher Umgebung stattfindet (KassKomm/Leitherer, 103. EL März 2019, SGB XI § 37 Rn. 14). Versicherte, die sich in stationären Einrichtungen aufhalten, haben für die Zeit des Aufenthalts keinen Anspruch auf Pflegegeld, auch wenn sie zusätzlich von Verwandten oder sonstigen ehrenamtlichen Personen betreut werden. Dies entspricht dem Grundsatz, dass Leistungen der häuslichen Pflege (§§ 36-40 SGB XI) und der vollstationären Pflege sich grundsätzlich gegenseitig ausschließen. Nur wenn Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen und daneben (z.B. an Wochenenden) im häuslichen Bereich gepflegt werden, besteht Anspruch auch auf Leistungen gem. §§ 36 ff SGB XI unter Berücksichtigung der vorgesehenen Höchstbeträge (vgl. Gem. Rdschr. des GKV-Spitzenverbandes und der Verbände der Pflegekassen auf Bundesebene zu den leistungsrechtlichen Vorschriften v. 22.12.2016, Stand 1.1.2017, im Internet unter www.g…de, Nr. 3 zu § 43 mit Beispielen). Die Tochter der Klägerin hielt sich aber schon vor dem Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung im Januar 2018 ununterbrochen stationär im Krankenhaus auf. Eine Pflege in häuslicher Umgebung fand im streitigen Zeitraum zu keinem Zeitpunkt statt.
3. Der Versicherten stand auch kein Pflegegeld gem. § 34 Abs. 2 Satz 2 SGB XI für die ersten vier Wochen des stationären Krankenhausaufenthaltes zu.
Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 SGB XI ruht der Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege für die Dauer des stationären Aufenthalts – hierunter fällt auch der vollstationäre Krankenhausaufenthalt der Versicherten. Das Ruhen dieser Leistungen für die Dauer eines stationären Aufenthalts rechtfertigt sich nach dem Willen des Gesetzgebers daraus, dass dem Versicherten in der Einrichtung auch pflegerische Leistungen durch den zuständigen Träger zwangsläufig zur Verfügung gestellt werden; Leistungen der Pflegeversicherung werden insoweit nicht benötigt (so die Begr. zur ursprüngl Fassung, BT-Drs. 12/5262 S. 111). Diese Ruhensvorschrift, welche an sich auch das Pflegegeld betrifft, wird durch Abs. 2 Satz 2 für bestimmte Konstellationen eingeschränkt.
Nach Satz 2 wird Pflegegeld nach § 37 oder anteiliges Pflegegeld nach § 38 ist in den ersten vier Wochen einer vollstationären Krankenhausbehandlung weitergezahlt; bei Pflegebedürftigen, die ihre Pflege durch von ihnen beschäftigte besondere Pflegekräfte sicherstellen und bei denen § 63b Absatz 6 Satz 1 des Zwölften Buches Anwendung findet, wird das Pflegegeld nach § 37 oder anteiliges Pflegegeld nach § 38 auch über die ersten vier Wochen hinaus weitergezahlt. Ziel der Regelung ist es, die Pflegebereitschaft der häuslichen Pflegepersonen auch bei Krankenhaus- oder Reha-Aufenthalt aufrecht zu erhalten und die Bereitstellung häuslicher Pflege unmittelbar nach Beendigung einer stationären Maßnahme sicherzustellen (vgl. BT-Drs. 13/3696 S. 12).
Vorliegend kann die Klägerin auch nicht zumindest für die ersten vier Wochen des stationären Krankenhausaufenthaltes Pflegegeld beanspruchen. Denn der Antrag auf Pflegeleistungen ist erst zu einem Zeitpunkt gestellt worden, in welchem sich die Versicherte bereits ununterbrochen stationär in der Klinik befand. Es fand mithin seit Antragstellung keine Pflege im häuslichen Bereich statt, so dass wie unter Ziff 2 ausgeführt kein Anspruch auf Pflegegeld entstanden ist. Damit kann auch der Ausnahmetatbestand zur Ruhensregelung nicht eingreifen.
Auch die zweite Alternative, welche die Zahlung von Pflegegeld über vier Wochen hinaus möglich macht, kann vorliegend nicht eingreifen. Diese gilt nur für Pflegebedürftige, die ihre Pflege durch von ihnen als Arbeitgeber beschäftigte besondere Pflegekräfte sicherstellen. Vorliegend ist die Versicherte aber durch ihre Mutter – der Klägerin – nicht jedoch von einem von der Versicherten Angestellten gepflegt worden.
4. Soweit die Klägerin vorträgt, Pflegebedürftigkeit habe bereits im November vor dem dauerhaften Klinikaufenthalt bestanden und ihr stünde deshalb Pflegegeld zumindest für einen Teilzeitraum zu, greift ihr Vorbringen auch nicht durch. Der Anspruch auf häusliche Pflegehilfe setzt u.a. einen Antrag voraus (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB XI). Die Antragstellung ist für den Leistungsbeginn von erheblicher Bedeutung, denn gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB XI werden Leistungen erst ab Antragsstellung gewährt. Selbst wenn Pflegebedürftigkeit bereits ab September oder November 2017 vorgelegen haben sollte, würden Leistungen frühestens ab Anfang Januar 2018 zu gewähren sein, d.h. in einem Zeitpunkt, zu dem bereits durchgängig ein vollstationärer Krankenhausaufenthalt vorlag. Ein bereits im Jahr 2017 gestellter Antrag liegt in den Verwaltungsakten nicht vor und konnte von der Klägerin auch nicht nachgewiesen werden.
Die Klage war daher abzuweisen.
Ergänzend wird angemerkt, dass der Gesetzgeber bislang – trotz des zweifellos vorhandenen Pflegenotstandes – noch keine rechtliche Regelung ins Auge gefasst hat, um eine solche Mitarbeit wie von der Klägerin ausgeübt während eines stationären Aufenthalts eines Angehörigen zu würdigen bzw. zu unterstützen oder zu fördern. Das besondere Engagement der Klägerin, welches sicherlich zu einer bestmöglichen Versorgung ihrer Tochter beigetragen und das jeweilige Krankenhauspersonal entlastet hat, kann nach derzeitiger Rechtslage nicht zu einer Zahlung von Pflegegeld führen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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