Medizinrecht

Kein Anspruch auf Versorgung mit Liposuktions-Folgeoperationen an den Armen, an der Hüfte und am Bauch nach aufgrund Genehmigungsfiktion übernommener Liposuktion an den Beinen

Aktenzeichen  S 15 KR 1763/19

Datum:
23.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4827
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 13 Abs. 3a, § 27, § 135 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Zur Fiktionsfähigkeit eines Antrags auf Vornahme einer Liposuktion. (Rn. 27 – 28)
2. Zur Bindungswirkung eines Urteils. (Rn. 30)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist möglich, da die Sache keinerlei Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden angehört.
Die angegriffenen Bescheide sind rechtlich nicht zu beanstanden und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit weiteren Liposuktionsoperationen im Bereich der Arme, der Hüfte und des Bauchs.
1. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aufgrund einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Dieser bestimmt in seinen Sätzen 1-6:
Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt.
Vorliegend entscheidungserheblich ist, wann ein „Antrag auf Leistung“ im Sinne von § 13 Absatz 3a SGB V gegeben ist. Das Bundessozialgericht hat im Kontext der Liposuktion ausgeurteilt, dass ein Antrag auf „Versorgung mit Hautstraffungsoperationen im Bauch- und Brustbereich sowie an den Oberschenkeln nebst vorheriger Liposuktion der Oberschenkel“ (BSG, Urteil vom 06. November 2018 – B 1 KR 13/17 R -, Rn. 2, juris) ausreichend bestimmt und fiktionsfähig ist. Es führt hierzu aus:
„Die Klägerin beantragte als Leistung hinreichend bestimmt eine Brust- und Abdominalplastik sowie eine Liposuktion der Oberschenkel. Damit eine Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Der Antrag hat eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung (…) und als materiell-rechtliche Voraussetzung (…). Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits iS von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (…). Ein Verwaltungsakt ist – zusammengefasst – inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X), wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz ggf eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (…). Der Verfügungssatz, einen Naturalleistungsanspruch auf eine bestimmte Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) zu gewähren, verschafft dem Adressaten – wie dargelegt – ua eine Rechtsgrundlage dafür, mittels Leistungsklage einen Vollstreckungstitel auf das Zuerkannte zu erhalten (…).” (BSG, Urteil vom 06. November 2018 – B 1 KR 13/17 R -, Rn. 17, juris; Hervorhebungen durch die Kammer).
Als hinreichend bestimmt hat das BSG damit einen Antrag angesehen, der auf eine „medizinisch erforderliche Liposuktionen“ gerichtet war. Maßgeblich ist, ob der Antrag als fingierte Genehmigung einen vollstreckungsfähigen Verfügungssatz ergebe. Dafür genügt es, dass das Behandlungsziel klar ist. Eine nähere Konkretisierung der Behandlung ist nicht zu verlangen, sie kann der Beratung durch den behandelnden Arzt überlassen bleiben (vgl. auch Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl., § 13 SGB V (Stand: 04.02.2020), Rn. 73_1).
Der Antrag vom 08.01.2013 der Arztes Dr. C., der der Beklagten am 28.01.2013 zugegangen ist, führt im Namen der Klägerin aus: „Als Therapie der Wahl zur Verhinderung der Chronizität gilt bei Frau E. eine modifizierte Liposuktion (Sattler 1997, C. 1998), die ambulant durchgeführt werden kann und erfolgversprechend ist. Die Abrechnung den [gemeint: der, Anmerkung der Kammer] geplanten zwei Operationen erfolgt über GOÄ-Ziffern, hierbei kommt ein Gesamtbetrag von ca. 9.000 € zustande zuzüglich Anästhesiekosten. Ich bitte sie freundlich um Prüfung der Kasuistik und um Bescheid.“
Nach den oben genannten Grundsätzen ist dieser Antrag hinreichend bestimmt und fiktionsfähig. Prof. C. führt vor dem zitierten Absatz den medizinischen Hintergrund der Klägerin aus und erläutert im zitierten Absatz, dass die Liposuktion medizinisch notwendig („Therapie der Wahl“) sei. Er ist auf die Durchführung von zwei konkreten Operationen gerichtet, wodurch ein Gesamtbetrag in Höhe von 9.000 € zuzüglich Anästhesiekosten entstehen würden. Im Zusammenspiel mit dem ersten Absatz des Schreibens, wonach die Klägerin seit Jahren an einem Lipödem, welches symmetrisch an den Beinen ausgeprägt ist, leiden würde, ergibt sich, dass zwei Operationen an jeweils einem Bein beantragt sind. Ein vollstreckungsfähiger Inhalt ist mithin gegeben.
Zu Unrecht ist die Beklagte daher davon ausgegangen, dass ein vollstreckungsfähiger und damit fiktionsfähiger Antrag nicht vorliegen würde und dass der eigentliche Antrag die Widerspruchsbegründung vom 16.04.2013 sei. Die Widerspruchsbegründung vom 16.04.2013 enthält bezogen auf die Bestimmtheit des Antrags keine weitergehenden Erkenntnisse. Es wird vielmehr ausführlich dargestellt, was von Prof. C. bereits knapp zusammengefasst wurde. Somit ist als Erstantrag das Schreiben vom 08.01.2013 im Namen der Klägerin zu werten, welches am 28.01.2013 bei der Beklagten eingegangen ist. Gleichwohl dieser Antrag fiktionsfähig ist, ist eine Fiktion nicht eingetreten, da die Beklagte rechtzeitig innerhalb der Dreiwochenfrist eine ablehnende Entscheidung erlassen hat (Bescheid vom 07.02.2013).
Entgegen des Urteils vom 05.04.2017 hatte die Klägerin daher keinen Anspruch auf die Versorgung mit einer Liposuktionsoperation an den Beinen im Rahmen des Sachleistungsprinzips oder – bei Selbstbeschaffung unter Berücksichtigung des Beschaffungswegs – als Erstattungsanspruch. Die erkennende Kammer ist an die Gründe vom Urteil vom 05.04.2017 (S 29 KR 1327/15) nicht gebunden, da sich die Rechtskraft des Urteils gem. § 141 Abs. 1 SGG nur auf den Tenor bzw. auf den tenorierten Streitgegenstand bezieht (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 141 Rn. 3a). Dieser war aber auf die Liposuktion an beiden Beinen gerichtet, wie sich aus dem Antrag vom 08.01.2013, aus der Widerspruchsbegründung vom 16.04.2013 sowie aus der Amtsermittlung im Verwaltungsverfahren und im Klageverfahren ergibt, wonach Gegenstand jeweils das Lipödem an den Beinen (vergleiche Gutachten des Sachverständigen Dr. F. im Verfahren S 29 KR 1327/15, Bl. 33 f. der Gerichtsakte: „(…), die Schmerzsymptomatik in den Beinen wurde durch die Operation beseitigt. Weitere Beschwerden wurden von der Klägerin auch auf wiederholtes Befragen nicht geschildert.“ sowie die Fotodokumentation im Verwaltungsverfahren der Klägerin, welche diese der Beklagten mit Schreiben vom 05.08.2019 zusandte und die sich ebenfalls nur die Beine bezog) und dieses daher auch Gegenstand der (damals) angegriffenen Bescheide war.
Aus diesem Grunde ist die Rechtsauffassung der Klägerin, dass die – fälschlicherweise angenommene – Genehmigungsfiktion auch eine Liposuktion an den Armen, an der Hüfte und am Bauch umfassen würde, nicht im Ansatz nachzuvollziehen.
Auch aus Bl. 54 der Gerichtsakte S 29 KR 1327/15 ergibt sich nichts anderes, da die Beklagte nur allgemein häufig erforderliche Anschlussbehandlungen als Argument gegen die Wirtschaftlichkeit der Methode erwähnt hat, ohne dass dies einen konkreten Bezug auf den Fall der Klägerin haben würde. Dies ergibt sich auch aus dem Arztbrief von Dr. G. vom 27.09.2018, wonach eine Folgeoperation der Arme, des Bauches und der Hüften notwendig geworden sei, da die Klägerin seit der Operation am 05.11.2014 unter einer ständigen Zunahme an den Oberarmen, am Bauch und an den Hüften leiden würde. Weiter wird ausgeführt: „Die beschriebenen Beschwerden entstehen häufig nach bereits erfolgter gründlicher Liposuktion der Beine. Zum Zeitpunkt der ersten Operation war dies noch nicht absehbar. (Damals wie heute wiegt Frau A. 54 kg, 168 cm, keinerlei Fettansammlungen an den Armen und Bauch feststellbar 2014). Nach der ersten Liposuktion kam es zu einem vermehrten Auftreten von Lipödem an den Armen, Hüfte und Bauch, daher ist jetzt eine zweite Liposuktion notwendig.“
Der behandelnde Arzt bestätigt damit gerade, dass das Beschwerdebild, das zu der neuerlichen Liposuktion führt, zum Zeitpunkt des Erstantrags gerade noch nicht ausgeprägt war, eine Operationsnotwendigkeit somit noch nicht bestand und sich mithin der Antrag denknotwendig nicht auf diese (im November 2014) noch nicht voraussehbare Operation hat beziehen können.
2. Die Liposuktion gehört (außerhalb der Erprobungsstudie des G-BA) weder ambulant noch stationär durchgeführt zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin auf die begehrte Leistung im ambulanten Bereich als Regelleistung scheitert schon daran, dass die positive Empfehlung des G-BA im Sinne des § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V nicht vorliegt (vgl. Bayerisches Landessozialgericht vom 08.04.2015 – L 5 KR 81/14, Rn. 21f.; Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 17.04.2018 – L 11 KR 2695/16, Rn. 40).
Auch wenn die Behandlung stationär durchgeführt worden wäre, hätte die Klägerin keinen Anspruch auf Kostenübernahme. Zum einen müsste eine stationäre Behandlung erforderlich sein, d.h. eine ambulante Behandlung dürfte nicht ausreichend sein (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 17.04.2018 – L 11 KR 2695/16, Rn. 40ff.). Zum anderen besteht ein Anspruch aus § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 i.V.m. § 39 Abs. 1 S. 1 SGB V auf die Gewährung einer stationär durchgeführten Liposuktion des Lipödems als Regelversorgung nicht, weil diese Behandlungsmethode nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots entspricht (BSG, Urteil vom 24. April 2018 – B 1 KR 10/17 R -, BSGE 125, 283-293, SozR 4-2500 § 137c Nr. 10, Rn. 26).
Ein Anspruch gestützt auf § 2 Abs. 1a SGB V kommt nicht in Betracht, da keine lebensgefährliche oder vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl. Befundbericht von Dr. H. vom 20.12.2019). Ein Anspruch wegen Systemversagens ist offenkundig nicht gegeben (zu den Voraussetzungen vergleiche Urteil der erkennenden Kammer vom 18.07.2019, S 15 KR 1784/18), da nach den Feststellungen des G-BA eine völlig unzureichende Studienlage gegeben ist und mithin ausreichende Anhaltspunkte für eine medizinische Wirksamkeit der Methode nicht gegeben sind (vgl. BSG, Urteil vom 12.08.2009, B 3 KR 10/07 R, juris Rn. 25 f. m.w.N.). Gerade aus diesem Grunde wurde die Erprobungsstudie vom G-BA in Auftrag gegeben.
3. Eine Teilnahme an der Erprobungsstudie des G-BA ist ausgeschlossen. In § 3 (Population) des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Richtlinie zur Erprobung der Liposuktion beim Lipödem vom 18.01.2018 heißt es:
(1) In die Erprobungsstudie sollen Patientinnen eingeschlossen werden, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, mit gesichertem Lipödem der Beine im Stadium I, II oder III, die auch unter konservativer Behandlung keine ausreichende Linderung ihrer Beschwerden angeben.
Da die Liposuktion der Beine nicht Streitgegenstand ist (vgl. oben), ist eine Teilnahme ausgeschlossen.
4. Auch ein Anspruch auf eine Operation gem. der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung bei Verfahren der Liposuktion bei Lipödem im Stadium III kommt vorliegend nicht in Betracht, da nach § 4 der Richtlinie eine Liposuktion zur Behandlung des Lipödems (nur) zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung eingesetzt werden darf, wenn das Vorliegen eines Lipödems im Stadium III diagnostiziert und die Indikation für eine Liposuktion gestellt wurde. Nach eigenem Vortrag der Klägerin (Schriftsatz vom 07.08.2019) liegt aber lediglich ein Lipödem Grad (Stadium) I Typ 3 (vgl. zur Klassifizierung https://lipocura.de/lipoedem/stadien/) an Armen, Beinen und Bauch vor.
Nach allem war die Klage abzuweisen. Eine Entscheidung konnte bereits jetzt ergehen, auch wenn die Klägerin mit Schriftsatz vom 06.03.2020 darauf hinwies, dass ihr der Antrag von Dr. C. vom 08.01.2013 unbekannt sei und zunächst (d.h. vor Entscheidung) um Zusendung der fehlenden Unterlagen gebeten wurde. Die Beklagte hat den Antrag vom 08.01.2013 bereits mit Schriftsatz vom 12.12.2019 vorgelegt (Bl. 60 f. der Gerichtsakte). Den Klägerbevollmächtigten wurde das Schreiben mit Verfügung vom 17.12.2019 zugänglich gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.


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