Medizinrecht

Kein Eilverfahren bei Bitte um Zurückstellen

Aktenzeichen  S 21 R 558/20 ER

Datum:
23.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 44091
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 86b
ZPO § 920
SGB VI § 43

 

Leitsatz

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG setzt das Vorliegen eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes voraus. Wenn ein Antragsteller im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ohne weitere Einschränkung darum bittet, das Verfahren zunächst zurückzustellen, kann sich bereits daraus das Fehlen eines Anordnungsgrundes ergeben.
Bittet eine Antragstellerin darum, das einstweilige Rechtsschutzverfahren vorerst zurückzustellen, besteht kein Anordnungsgrund für eine Regelungsanordnung. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung sowie die Benennung der Ärzte samt deren Adressen, welche die medizinischen Unterlagen der Antragstellerin eingesehen haben.
Die 1957 geborene Antragstellerin ist gelernte Hauswirtschafterin. Von 1994 bis 1996 erfolgte eine Umschulung zur Industriekauffrau. Bis zuletzt war sie geringfügig als Haushaltshilfe beschäftigt.
Am 21.02.2019 beantragte die Antragstellerin mit formlosem Schreiben die rückwirkende Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ab dem 23.02.2017. Bereits zu diesem Datum hatte die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gestellt, welcher mit Bescheid vom 13.04.2017 abgelehnt wurde. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2017 zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Sozialgerichts München vom 25.04.2018 (Az: S 25 R 993/17) abgewiesen. Auf die hiergegen eingelegte Berufung wurde das erstinstanzliche Urteil mit Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13.11.2018 bestätigt.
Mit formlosen Schreiben vom 08.03.2019 bat die Antragstellerin zudem um Mitteilung darüber, welche personenbezogenen Daten von ihr bei der Antragsgegnerin geführt werden. Dabei bezog sie sich auch ausdrücklich auf die Daten im sozialmedizinischen Bereich. Mit Schreiben vom 21.03.2019 übersandte die Antragsgegnerin der Antragstellerin unter Erläuterung der darin enthaltenen Informationen einen sogenannten Kontospiegel. Zudem wies sie darauf hin, dass in einem weiteren Programm, dem sogenannten „J/SMD“ ebenfalls Daten gespeichert seien. Bei diesem Programm handele es sich um ein Verwaltungsprogramm für den sozialmedizinischen Dienst, aus dem ersichtlich ist, ob medizinische Unterlagen eingesandt bzw. ob Untersuchungen veranlasst wurden. Schließlich wies sie darauf hin, dass ein umfangreicher, teilweise digitalisierter Aktenvorgang existiere, welcher den Schriftverkehr beinhalte. In diesem Zusammenhang bot die Antragsgegnerin der Antragstellerin auch an, Einsicht in die sie betreffende Akte zu nehmen. Mit Schreiben vom 01.07.2019 bat die Antragstellerin um Mitteilung aller medizinischen Daten, die bei der Antragsgegnerin erhoben, verarbeitet und weitergeleitet worden sind. Am 30.07.2019, 05.08.2019 und 10.08.2019 mahnte die Antragstellerin die entsprechende Übersendung der Daten an. Am 16.08.2019 übersandte die Antragsgegnerin der Antragstellerin schließlich Kopien der bei ihr vorliegenden medizinischen Unterlagen. In ihrem Begleitschreiben wies sie darauf hin, dass eine Herausgabe der Originale nicht möglich sei, da es sich hierbei um ihr Eigentum handele. Zugleich bot die Antragsgegnerin der Antragstellerin erneut an, Einsicht in ihre Akte zu nehmen. Mit Schreiben vom 24.08.2019 rügte die Antragstellerin, dass das „Gutachten des Dr. C. vom 20.06.2019“ nicht anerkannt werde, da eine entsprechende Unterschrift fehle. Auch fehle ein Beglaubigungsstempel. Mit Schreiben vom 27.08.2019 wies die Antragsgegnerin die Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens des Dr. C. zurück und verwies auf die Ausführungen im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13.11.2018.
Nachdem der formlose Rentenantrag der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin bei der zuständigen Abteilung eintraf, wies diese mit an die Antragstellerin gerichtetem Schreiben vom 24.07.2019 darauf hin, dass zur sachgerechten Bearbeitung des Antrags ein ausgefüllter Formblattrentenantrag benötigt würde. Mit Schreiben vom 27.07.2019 wies die Antragstellerin darauf hin, dass der Antragsgegnerin es möglich sein sollte, den Antrag selbst auszufüllen. Die relevanten Daten lägen der Antragsgegnerin bereits seit dem Jahr 2016 vor. Sobald der Formblattantrag korrekt ausgefüllt worden sei, werde sie, die Antragstellerin, ihn unterschreiben. Am 19.09.2019 übersandte das Kreisverwaltungsreferat der A-Stadt schließlich einen von der Antragstellerin unterschriebenen Formblattantrag.
Die Antragsgegnerin leitete daraufhin das Verfahren zur Begutachtung der Antragstellerin ein. Den ersten, für den 29.10.2019 angesetzten Untersuchungstermin sagte die Antragstellerin ab. Mit auf den 31.01.2020 datiertem Schreiben, beim Gericht am 30.01.2020 eingegangen, erhob die Antragstellerin schließlich Klage „wegen der Nichtherausgabe des Rentenbescheides trotz Fristsetzung“. Einem erneut von der Antragsgegnerin angesetzten Termin zur medizinischen Begutachtung der Antragstellerin für den 13.02.2020 kam die Antragstellerin nicht nach. Hierzu erklärte sie, dass sie die Einladung zur Begutachtung nicht erhalten habe. Am 24.02.2020 setzte die Antragsgegnerin einen weiteren Untersuchungstermin für den 12.03.2020 an. Mit Schreiben vom 27.02.2020 erklärte die Antragstellerin, diesen Termin nicht wahrnehmen zu wollen. Zur Begründung führte sie unter anderem an, dass ein Name des Facharztes nicht angegeben worden sei, welchen sie schon mit Schreiben vom 25.02.2020 erbeten hatte. Mit letztgenanntem Schreiben bat sie zudem erneut um Mitteilung der Namen, Anschrift und Fachgebiete der Ärzte, welche ihre medizinischen Unterlagen geprüft hatten.
Mit Bescheid vom 20.03.2020 erklärte die Antragsgegnerin, dass sie dem Antrag auf Rente nicht entsprechen kann, solange die Antragstellerin nicht mitwirke.
Am 06.05.2020 hat die Antragstellerin schließlich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung sowie auf Benennung der Ärzte samt deren Anschrift, welche ihre medizinischen Unterlagen geprüft haben.
Der gegen den Bescheid vom 20.03.2020 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2020 zurückgewiesen. Im Wesentlichen führte die Antragsgegnerin zur Begründung aus, dass die Versagung der Rente wegen Erwerbsminderung rechtmäßig sei. Die Antragstellerin sei ihren Mitwirkungspflichten aus § 62 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) nicht nachgekommen. Da eine ärztliche Untersuchung zur Prüfung der Frage, ob eine rentenbedeutsame Erwerbsminderung nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) bestehe, zwingend erforderlich sei, vorliegend aber nicht durchgeführt werden konnte, eine erneute Ladung zur Untersuchung nicht erfolgsversprechend schien sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Ablehnung der beantragten Leistung nicht endgültig sein müsse, verbleibe es bei der bisherigen Entscheidung.
Nachdem ein im Hauptsacheverfahren eingeleitetes Verfahren zur Ablehnung des Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit mit zurückweisendem Beschluss vom 27.04.2020 beendet wurde, hat das Gericht die Antragstellerin nach weiterem Schriftwechsel der Beteiligten mit Schreiben vom 28.05.2020 auf die Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hingewiesen und um Vortrag zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes gebeten. Mit Schreiben vom 29.05.2020 hat die Antragstellerin darum gebeten, das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz zunächst zurückzustellen. Mit Schriftsatz vom 08.06.2020 hat die Antragstellerin weitere, allgemeine Ausführungen dazu gemacht, in welchen Fällen ein Anordnungsgrund vorliegen kann. Zudem hat sie vorgetragen, dass sie seit ihrem Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente am 23.02.2017 von der Antragsgegnerin noch keine Rentenzahlung erhalten habe.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, dass weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vorlägen. Es sei bereits nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin wegen der Nichtgewährung der begehrten Rente unzumutbare Nachteile entstünden. Sofern sich herausstellen sollte, dass der Antragstellerin ein Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente zusteht, bestünde gegebenenfalls ein rückwirkender Anspruch. Darüber hinaus sei es der Antragstellerin zumutbar, im Falle des Vorliegens einer finanziellen Notlage bei den zuständigen Trägern Leistungen nach dem SGB II bzw. nach dem SGB XII zu beantragen.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihr Rente wegen Erwerbsminderung vorläufig zu gewähren und die Ärzte samt deren Adressen, welche die medizinischen Unterlagen der Antragstellerin eingesehen haben, zu benennen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Antragsgegnerin so wie der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 3 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung scheitert vorliegend bereits daran, dass die Antragstellerin keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat. Ein Anordnungsgrund für eine Regelungsanordnung liegt nur dann vor, wenn diese zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen erforderlich ist, welche einzutreten drohen, wenn der Ausgang des Hauptsacheverfahrens abgewartet würde. Die Antragstellerin hat solche Gründe allerdings nicht vorgetragen. Insbesondere hat sie mit ihrem Schreiben vom 29.05.2020, in welchem sie darum bat, das einstweilige Rechtsschutzverfahren vorerst zurückzustellen, deutlich zu erkennen gegeben, dass eine vorläufige Gewährung einer Erwerbsminderungsrente sowie die Benennung der Ärzte samt deren Adresse, welche die bei der Antragsgegnerin befindlichen medizinischen Unterlagen geprüft haben, nicht zur Abwendung wesentlicher Nachteile dringlich erforderlich sind. Darüber hinaus hat die Antragstellerin auch nicht einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Insoweit wird auf den Gerichtsbescheid im Hauptsacheverfahren mit dem Aktenzeichen S 21 R 128/20 vom 23.07.2020 verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in analoger Anwendung.


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