Medizinrecht

Kein Freistellungsanspruch gegen die Krankenkasse bei nicht genehmigtem Krankentransport

Aktenzeichen  S 15 KR 73/20

Datum:
8.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4888
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 611
SGB V § 13, § 60

 

Leitsatz

1. Zum öffentlich-rechtlich überprägten Dreiecksverhältnis Transportunternehmen – Kassenpatient – gesetzliche Krankenversicherung. (Rn. 23 – 25)
2. Zum Freistellungsanspruch eines Versicherten gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung im Falle einer fehlenden Genehmigung des Krankentransports. (Rn. 27 – 29)
3. Eine vertragsärztliche Verordnung ist zwingende Voraussetzung für einen Anspruch auf Kostenübernahme für Krankentransportleistungen. (Rn. 38 – 39)
Die Genehmigung der Krankentransportleistung muss vor der Fahrt erfolgen. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist möglich, da die Sache keinerlei Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden angehört.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtlich nicht zu beanstanden und beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freistellung für die Transportkosten in Höhe von 1.605,52 € gegenüber der Beklagten.
Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger mit der Beigeladenen einen konkludenten zivilrechtlichen Dienstleistungsvertrag (Transportvertrag) nach § 611 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abgeschlossen hat. Mit der Entgegennahme der Leistung und der Abzeichnung der Leistung hat er hingegen nicht die Verpflichtung übernommen, für die entstandenen Transportkosten aufzukommen. Ein solcher Anspruch der Beigeladenen gegenüber dem Kläger kann weder aus dem Transportvertrag noch durch eine Geschäftsführung ohne Auftrag abgeleitet werden. Denn soweit dem Versicherten gegenüber dem Leistungserbringer eine vertragliche Rechtsstellung für seinen Transport verschafft wird, soll eine Kostenbelastung für ihn gleichwohl nicht damit verbunden sein (vgl. BGHZ 89, 250, 257 ff). Das Krankentransportunternehmen ist mithin auf die Vergütungsansprüche gegen die Krankenkassen beschränkt, eine Vergütungspflicht des Versicherten besteht dagegen nur in Höhe der Zuzahlung (so auch Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 60 SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 156). Diese Erwägungen stehen nicht nur einer vertraglichen Vergütungspflicht des Versicherten entgegen, sondern schließen auch seine Inanspruchnahme über die Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag oder des Bereicherungsrechts aus (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 1998 – III ZR 223/97 -, Rn. 20, juris). Denn das Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen ist nach der zutreffenden Auffassung des Bundesgerichtshofs öffentlich-rechtlich überprägt.
Zudem ist der Anspruch des Klägers auf Transport akzessorisch im Hinblick auf seinen Behandlungsanspruch. Nur soweit der Kläger einen Anspruch auf Behandlung hat, hat er nach den Regelungen von § 60 SGB V einen Anspruch auf Kostentragung seitens der Beklagten. Hierbei ist der Anspruch aus § 60 SGB V kein Anspruch auf Kostenerstattung, sondern auf Sachleistung (Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 60 SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 149 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
Dies hat unmittelbare Konsequenzen für die vorliegende Fallgestaltung: Ist das Sachleistungsprinzip nicht durch die Kostenerstattung verdrängt, weil die Krankenkasse es nicht versäumt hat, eine unaufschiebbare Leistung rechtzeitig zu erbringen, oder aber eine Leistung rechtswidrig abgelehnt hat, darf die Krankenkasse nach § 13 Abs. 1 SGB V keine Kosten erstatten. In einem solchen Fall kommt eine Inanspruchnahme auf Kostenerstattung insoweit, dass der Kläger an die Beigeladene zahlt und bei der Krankenkasse Rückgriff nimmt, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 1998 – III ZR 223/97 -, Rn. 20, juris, bzgl. des Behandlungs- und Abrechnungsdreiecks Krankenhaus – Kassenpatient – Krankenkasse).
Der Kläger macht indes mit der vorliegenden Klage alleine einen Freistellungsanspruch geltend, da der Kläger die streitigen 1.605,52 € nicht an die Beigeladene bezahlt hat. Auch dieser richtet sich nach § 13 Abs. 3 SGB V (vgl. BSG vom 30.11.2017 – B 3 KR 11/16 R = SozR 4-2500 § 37 Nr. 15 RdNr. 18).
Ein solcher Freistellungsanspruch besteht hingegen nicht:
1. Die Beigeladene hat nach den obigen Ausführungen bereits keinen Anspruch gegen den Kläger, von dem dieser freigestellt werden müsste.
2. Die im Streit stehenden Transportkosten sind nicht dadurch entstanden, dass die Beklagte eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat oder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte.
Wie sich aus § 13 Abs. 1 SGB V ergibt, tritt der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung; er besteht deshalb nur, soweit die selbst beschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen sind. Mit der Durchbrechung des Sachleistungsgrundsatzes (§ 2 Abs. 2 SGB V) trägt § 13 Abs. 3 SGB V dem Umstand Rechnung, dass die gesetzlichen Krankenkassen eine umfassende medizinische Versorgung ihrer Mitglieder sicherstellen müssen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 70 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und infolgedessen für ein Versagen des Beschaffungssystems – sei es im medizinischen Notfall (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V) oder infolge eines anderen unvorhergesehenen Mangels – einzustehen haben. Wortlaut und Zweck der Vorschrift lassen die Abweichung vom Sachleistungsprinzip nur in dem Umfang zu, in dem sie durch das Systemversagen verursacht ist (vgl. Bundessozialgericht (BSG) in SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 10, 11 m.w.N). Die Bestimmung erfasst hier nur Kosten, die dem Versicherten bei regulärer Leistungserbringung nicht entstanden wären. Andere Kosten, etwa die Verpflichtung gegenüber einem anderen als dem krankenversicherungsrechtlich zulässigen Leistungserbringer oder Zahlungen, die einem Leistungserbringer ohne Rechtsgrund zugewendet werden, lösen keinen Kostenerstattungsanspruch aus, weil sonst die krankenversicherungsrechtliche Bindung an die zulässigen Formen der Leistungserbringung durch den Anspruch auf Kostenerstattung ohne weiteres durchbrochen werden könnte (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 2007 – Az.: B 1 KR 14/07 m.w.N., nach juris). Voraussetzung für eine Kostenerstattung in beiden Fällen des § 13 Abs. 3 SGB V ist auch, dass zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (bei Alternative 1: Unvermögen zur rechtzeitigen Leistung; bei Alternative 2: rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Kausalzusammenhang besteht, ohne den die Bedingung des § 13 Abs. 1 SGB V für eine Ausnahme vom Sachleistungsgrundsatz nicht erfüllt ist.
Dies bedeutet einmal, dass Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung, soweit diese nicht ausnahmsweise unaufschiebbar war, nur zu ersetzen sind, wenn die Krankenkasse die Leistungsgewährung abgelehnt hatte; ein Kausalzusammenhang und damit eine Kostenerstattung scheiden aus, wenn der Versicherte sich die streitige Behandlung außerhalb des vorgeschriebenen Beschaffungsweges selbst besorgt, ohne sich vorher mit seiner Krankenkasse ins Benehmen zu setzen und deren Entscheidung abzuwarten. Einer der Beschaffung vorgeschalteten Entscheidung der Krankenkasse bedarf es unabhängig davon, welcher Art die in Anspruch genommene Leistung ist und in welcher Höhe dafür Kosten anfallen (vgl. BSG, Urteil vom 15. April 1997 – Az.: 1 BK 31/96 und vom 14. Dezember 2006 – Az.: B 1 KR 8/06, nach juris).
a. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Ablehnung der Kostenübernahme und dem Krankentransport im Sinne des § 13 Abs. 3 Alternative 2 SGB V besteht nicht. Die streitgegenständliche Verordnung für Krankentransport erfolgte erst am 08.03.2019 rückwirkend zum 01.01.2019. Entsprechend ging auch der Antrag der Beigeladenen auf Kostenübernahme, der im Namen des Klägers gestellt wurde (Bl. 1 f. der Verwaltungsakte), erst am 14.03.2019 ein.
Die ablehnende Entscheidung erging sodann erst am 25.03.2019, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die streitgegenständlichen Transportfahrten bereits durchgeführt wurden.
Der Kläger hat sich im Verfahren nicht dazu geäußert, weshalb er erst am 08.03.2019 um eine Verordnung der Fahrten ab dem 01.01.2019 bei seinem behandelnden Arzt nachfragte. Jedenfalls wegen der verspäteten Verordnung kann das Gericht auch keine unaufschiebbare Leistung feststellen (siehe hierzu gleich unten).
b. Unaufschiebbar im Sinne der gesetzlichen Regelung sind Leistungen, die im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich waren, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand. Diese Fallgruppe erfasst nicht nur Notfälle i. S. d. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V, bei denen ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden muss; unaufschiebbar kann auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn mit der Behandlung solange gewartet wird, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, damit der mit ihr angestrebte Erfolg noch erreicht werden kann (vgl. BSG in SozR 3-2500 § 13 Nr. 4 S. 26). Die medizinische Dringlichkeit ist indes nicht allein ausschlaggebend. Die erste Fallgruppe setzt weiter voraus, dass die Krankenkasse die in Rede stehenden Leistungen nicht rechtzeitig erbringen konnte. Davon kann im Regelfall nur ausgegangen werden, wenn sie mit dem Leistungsbegehren konfrontiert war und sich dabei ihr Unvermögen herausgestellt hat. Nur da, wo eine vorherige Einschaltung der Krankenkasse vom Versicherten nach den Umständen des Falles nicht verlangt werden konnte, kann die Unfähigkeit zur rechtzeitigen Leistungserbringung unterstellt werden. § 13 Abs. 3 SGB V will lückenlos alle Sachverhalte der berechtigten Selbstbeschaffung von Leistungen in Fällen des Systemversagens erfassen. Bei seiner Auslegung müssen deshalb die Merkmale der beiden Fallgruppen so aufeinander abgestimmt werden, dass dieser Zweck erreicht wird. Daraus folgt, dass der Kostenerstattungsanspruch mit dem Unvermögen der Krankenkasse zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung nur begründet werden kann, wenn es dem Versicherten – aus medizinischen oder anderen Gründen – nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die Krankenkasse einzuschalten und deren Entscheidung abzuwarten.
Dem Kläger war es durchaus möglich und zumutbar, eine Entscheidung der Beklagten Anfang des Jahres herbeizuführen. Ihm musste bewusst sein, dass er noch keine Transport-Verordnung für das Jahr 2019 hatte, als er die streitgegenständlichen Transporte durchführen ließ. Er vertraute (widerrechtlich, s. u.) darauf, dass die Transporte noch rückwirkend von der Beklagten übernommen würden. Hätte er die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum kontaktiert, wäre ihm mitgeteilt worden, dass die für die Genehmigung erforderliche Verordnung noch fehlt. Eine Kontaktaufnahme der Beklagten war nach allem zumutbar, zumal diese auch hätte telefonisch durchgeführt werden können.
c. Die Beklagte hat die Kostenübernahme auch nicht rechtswidrig verweigert. Die Kostenübernahme richtet sich nach § 60 SGB V in der hier gültigen Fassung ab dem 01.01.2019. Dieser lautet in seinen maßgeblichen Absätzen 1 bis 3 wie folgt:
„(1) Die Krankenkasse übernimmt nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Welches Fahrzeug benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall. Die Krankenkasse übernimmt Fahrkosten zu einer ambulanten Behandlung unter Abzug des sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrages in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 festgelegt hat. Die Übernahme von Fahrkosten nach Satz 3 und nach Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 für Fahrten zur ambulanten Behandlung erfolgt nur nach vorheriger Genehmigung durch die Krankenkasse. Für Krankenfahrten zur ambulanten Behandlung gilt die Genehmigung nach Satz 4 als erteilt, wenn eine der folgenden Voraussetzungen vorliegt:
1. ein Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen „aG“, „Bl“ oder „H“, 2. eine Einstufung gemäß § 15 des Elften Buches in den Pflegegrad 3, 4 oder 5, bei Einstufung in den Pflegegrad 3 zusätzlich eine dauerhafte Beeinträchtigung der Mobilität, oder
3. bis zum 31. Dezember 2016 eine Einstufung in die Pflegestufe 2 gemäß § 15 des Elften Buches in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung und seit dem 1. Januar 2017 mindestens eine Einstufung in den Pflegegrad 3.
(2) Die Krankenkasse übernimmt die Fahrkosten in Höhe des sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrages je Fahrt übersteigenden Betrages
1.bei Leistungen, die stationär erbracht werden; dies gilt bei einer Verlegung in ein anderes Krankenhaus nur, wenn die Verlegung aus zwingenden medizinischen Gründen erforderlich ist, oder bei einer mit Einwilligung der Krankenkasse erfolgten Verlegung in ein wohnortnahes Krankenhaus,
2.bei Rettungsfahrten zum Krankenhaus auch dann, wenn eine stationäre Behandlung nicht erforderlich ist,
3.bei anderen Fahrten von Versicherten, die während der Fahrt einer fachlichen Betreuung oder der besonderen Einrichtungen eines Krankenkraftwagens bedürfen oder bei denen dies auf Grund ihres Zustandes zu erwarten ist (Krankentransport),
4.bei Fahrten von Versicherten zu einer ambulanten Krankenbehandlung sowie zu einer Behandlung nach § 115a oder § 115b, wenn dadurch eine an sich gebotene vollstationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung (§ 39) vermieden oder verkürzt wird oder diese nicht ausführbar ist, wie bei einer stationären Krankenhausbehandlung.“
Soweit Fahrten nach Satz 1 von Rettungsdiensten durchgeführt werden, zieht die Krankenkasse die Zuzahlung in Höhe des sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrages je Fahrt von dem Versicherten ein.
(3) Als Fahrkosten werden anerkannt
1.bei Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels der Fahrpreis unter Ausschöpfen von Fahrpreisermäßigungen,
2.bei Benutzung eines Taxis oder Mietwagens, wenn ein öffentliches Verkehrsmittel nicht benutzt werden kann, der nach § 133 berechnungsfähige Betrag,
3.bei Benutzung eines Krankenkraftwagens oder Rettungsfahrzeugs, wenn ein öffentliches Verkehrsmittel, ein Taxi oder ein Mietwagen nicht benutzt werden kann, der nach § 133 berechnungsfähige Betrag,
4.bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung, höchstens jedoch die Kosten, die bei Inanspruchnahme des nach Nummer 1 bis 3 erforderlichen Transportmittels entstanden wären.
Der Anspruch des Klägers scheitert vorliegend bereits daran, dass für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Genehmigung vorliegt. Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass der Kläger von der Genehmigungspflicht keine Kenntnis hatte, da er mit Bescheid vom 11.06.2018 darüber informiert wurde und er das Beiblatt für die Beigeladene an diese ausgehändigt hat. Zudem wurde der Kläger zuvor mit Bescheid vom 27.02.2018 darauf hingewiesen, dass für Transporte außerhalb des genehmigten Zeitraums bis zum 31.12.2018, d.h. auch für den Zeitraum ab dem 01.01.2019, vor der Fahrt eine neue Verordnung zur Genehmigung einzureichen ist. Die Beklagte hat insoweit abweichend vom Wortlaut von § 60 Abs. 1 S. 4 SGB V (zugunsten des Klägers) nicht auf die Genehmigung (die erst am 25.03.2019 erfolgte), sondern auf die Einreichung der Verordnung abgestellt. Entsprechend verweigerte sie die Zahlung der Transportkosten nur bis zum 13.03.2019 (Vortag zur Einreichung der Verordnung) und nicht bis zum 24.03.2019 (Vortag der Genehmigungsentscheidung).
Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden: Ein Anspruch auf Kostenübernahme für Krankentransportleistungen setzt eine entsprechende vertragsärztliche Verordnung voraus. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB V wird die ärztliche Behandlung von Ärzten erbracht. Sind Hilfeleistungen anderer Personen erforderlich, dürfen sie grundsätzlich nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V nur erbracht werden, wenn sie vom Arzt angeordnet und von ihm verantwortet werden. Nach § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V umfasst die vertragsärztliche Versorgung auch die Verordnung von Krankentransporten; schon nach dem Wortlaut der Vorschrift ist danach eine ärztliche Verordnung auch für die Versorgung mit Krankentransporten erforderlich. Erst durch die vertragsärztliche Verordnung wird das der Versicherten durch §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 60 SGB V gewährte Rahmenrecht auf Versorgung mit Krankentransportleistungen zu einem Anspruch auf die Kostenübernahme für die Benutzung des vom Vertragsarzt bestimmten Fahrzeugs in dem von ihm bestimmten Umfang konkretisiert. Daraus folgt, dass der Versicherten ohne eine (ordnungsgemäße) vertragsärztliche Verordnung bzw. vor einer solchen Verordnung (noch) kein Anspruch auf die begehrte Krankentransportleistung bzw. die Kostenübernahme hierfür zusteht (so allgemein zum Anspruch des Versicherten für alle krankenversicherungsrechtlichen Leistungen: BSG, 1. Senat, Urteil vom 9. Juni 1998, B 1 KR 18/96 R [Kunsthoden] sowie für die Arzneimittelversorgung auch 3. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 13/08 R, jeweils zitiert nach juris). Dies schließt es leistungsrechtlich aus, die Kostenübernahme für Krankentransportleistungen zuzusprechen, bevor eine ärztliche Verordnung vorliegt, aus der sich die zwingende medizinische Notwendigkeit der Benutzung eines bestimmten Fahrzeuges und die erforderliche Frequenz der Transportfahrten ergeben (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Oktober 2011 – L 9 KR 212/11 B ER -, Rn. 4, juris). Die Verordnung selbst erfolgte hingegen erst am 08.03.2019. Zusätzlich setzt der Leistungsanspruch voraus, dass der Versicherte die Krankenkasse von der medizinischen Notwendigkeit des Transports mit einem bestimmten Fahrzeug und der erforderlichen Transportfrequenz nach vertragsärztlicher Verordnung in Kenntnis setzt und ihr damit die Möglichkeit einräumt, über diesen Anspruch vor der Inanspruchnahme der Transportleistung zu entscheiden (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Oktober 2011 – L 9 KR 212/11 B ER -, Rn. 5, juris). Dieses Inkenntnissetzen erfolgte aber erst am 14.03.2019.
d. Die Genehmigung muss nach allem grundsätzlich vor der Fahrt erteilt werden (Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl., § 60 SGB V (Stand: 01.01.2016), Rn. 74). Etwas anders gilt nach der neuen Gesetzeslage ab dem 01.01.2019 nur, wenn die Ausnahmetatbestände einer fingierten Genehmigung (§ 60 Abs. 1 S. 5 SGB V) vorliegen. Diese sind ein Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen „aG“, „Bl“ oder „H“, eine Einstufung gemäß § 15 des Elften Buches in den Pflegegrad 3, 4 oder 5, bei Einstufung in den Pflegegrad 3 zusätzlich eine dauerhafte Beeinträchtigung der Mobilität, oder bis zum 31. Dezember 2016 eine Einstufung in die Pflegestufe 2 gemäß § 15 des Elften Buches in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung und seit dem 1. Januar 2017 mindestens eine Einstufung in den Pflegegrad 3.
Diese Voraussetzungen (Merkzeichen „aG“, „Bl“ oder „H“, eine Einstufung gemäß § 15 des Elften Buches in den Pflegegrad 3, 4 oder 5) liegen gem. der Auskunft des Klägerbevollmächtigten vom 02.03.2021 nicht vor.
3. Schließlich kann das Gericht auch nicht erkennen, dass vorliegend für einen Kostenausgleich eine Genehmigung wegen Treuwidrigkeit („venire contra factum proprium“) nicht notwendig gewesen wäre oder wegen Beratungsmangels das Eintreten der Genehmigungswirkung vorverlegt werden müsste.
a. Die Beklagte hat sich nicht treuwidrig verhalten, insbesondere hat ihr vorangegangenes Verhalten dem Kläger keinen Anlass gegeben, dass der Kläger glauben durfte, dass eine Verordnung oder eine Genehmigung nicht erforderlich wäre. Vielmehr hat sie bereits mit Bescheid vom 27.02.2018 darauf hingewiesen, dass vor der ersten Fahrt nach dem 31.12.2018 eine neue Verordnung zur Genehmigung einzureichen sei. Der Kläger war auch trotz seines hohen Alters geschäftsfähig und imstande, den Inhalt des Schreibens zu verstehen. Er stand und steht nicht unter Betreuung. Entsprechend wusste er um den Rechtsrahmen bzgl. der Kostenerstattung der Transportfahrten nach dem 31.12.2018. Gleichwohl hat er sich erst im März 2018 um eine neue Verordnung bemüht, ohne dem Gericht darzulegen, aus welchen Gründen diese Verspätung entstand.
b. Es liegt auch kein Beratungsmangel vor, der zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch führen würde. Den Versicherungsträger trifft die Pflicht zur Belehrung und Beratung eines Versicherten grundsätzlich nur dann, wenn dieser sich mit einem entsprechenden Ersuchen an ihn gewendet hat. Dies ist vorliegend unterblieben.
Ausnahmsweise besteht aber über ausdrücklich gestellte Fragen hinaus eine Verpflichtung zur „Spontanberatung“. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Der Leistungsträger muss also auch über ausdrücklich gestellte Fragen hinaus informieren, wenn sie sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und von jedem verständigen Versicherten hätten genutzt werden können. Auf derartige „nahe liegende Gestaltungsmöglichkeiten“ (BSG 26.10.1982 – 12 RK 37/81 = SozR 1200 § 14 Nr. 13 = SGb 1984, 250; BSG 17.4.1986 – 7 RAr 81/84 = BSGE 60, 79, 86 = SozR 4100 § 100 Nr. 11 = NZA 1987, 68) muss auch hingewiesen werden, wenn unklar ist, ob der Versicherte genügend Mittel hat, die Möglichkeit auch tatsächlich zu nutzen (BSG 27.9.1983 – 12 RK 44/82 = SozR 1200 § 14 Nr. 15, LS 1 = DAngVers 1984, 198 Anm. Finke) oder wenn sich der Versicherte trotz rechtskundiger Beratung evident unzweckmäßig verhält oder wenn die ihm erkennbar drohenden Nachteile besonders schwerwiegend sind (BSG Urt. v. 25.8.1993 – 13 RJ 43/92, SozR 3 – 5750 Art. 2 § 6 Nr. 7 = Breith 1994, 662; zitiert nach KassKomm/Spellbrink, 111. EL September 2020, SGB I § 14 Rn. 22).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar hat die Beklagte über die Inanspruchnahme der Dialyse Kenntnis davon erlangt, dass der Kläger immer noch dialysepflichtig ist. Auch wurde der Ausgleich für die Transportkosten in der Vergangenheit großzügig und zugunsten des Klägers rechtswidrig (die Genehmigungspflichtigkeit galt auch schon in der Rechtlage 2018) vorgenommen. Jedoch konnte die Beklagte nicht ersehen, ob der Kläger tatsächlich auch im neuen Jahr noch auf Transporthilfe angewiesen ist oder sich z. B. privat behelfen konnte. Diese Information (dass der Kläger wie in den Vorjahren auf die Transporthilfe angewiesen ist) lag ihr erst mit Vorlage der Verordnung vom März 2019 vor. Eine Beratung „ins Blaue“ dahingehend zu fordern, dass die Beklagte alle Versicherten anruft oder anschreibt, die in der Vergangenheit dialysepflichtig waren und immer noch sind, ob die Nebenleistung „Transport“ immer noch benötigt wird, wäre eine überspannte Anforderung an die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie durfte daher darauf vertrauen, dass die Hinweise in den Leistungsbescheiden des Jahres 2018 eine ausreichende Information bzgl. der veränderten Handhabung der Beklagten sind.
Die entsprechenden Hinweise in den Bescheiden wurden auch nicht „versteckt“ oder „unverständlich“ platziert und der Kläger hätte jederzeit durch telefonische Rückfrage weitere Klarheit erlangen können.
Nach allem ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben