Medizinrecht

Kein Krankenversicherungsschutz für Polkörperdiagnostik und für In-vitro-Fertilisation mit geringer Erfolgswahrscheinlichkeit

Aktenzeichen  25 U 1151/18

Datum:
25.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 49498
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 192 Abs. 1
ESchG § 3a Abs. 2

 

Leitsatz

1. Der Einsatz der Polkörperdiagnostik mit dem Ziel, die Übertragung einer Gen-Mutation auf den Embryo zu vermeiden, zielt weder auf Heilung noch auf Besserung oder Linderung eines Leidens der versicherten Person ab, und stellt daher keine Heilbehandlung im Sinne des Krankheitskostenversicherungsvertrags dar, sondern führt im Ergebnis zur nicht versicherten Aussonderung von mit dem Gendefekt behafteten Embryonen.
2. Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht einer lCSl-Behandlung ist von der im IVF-Register, umfassend dokumentierten Erfolgswahrscheinlichkeit der Behandlungen in Abhängigkeit vom Lebensalter der Frau auszugehen. Eine höhere Erfolgsquote der in Anspruch genommenen Einrichtung zur Kinderwunschbehandlung ist nicht zu berücksichtigen. Individuelle Faktoren sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie sich auf die Frau beziehen.
1. Eine Polkörperdiagnostik stellt keine medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen dar; sie ist auch keine medizinisch anerkannte Methode zur Überwindung von Sterilität oder Infertilität. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von einer nicht mehr ausreichenden Erfolgsaussicht einer homologen In-vitro-Fertilisation mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion ist auszugehen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die gewünschte Schwangerschaft herbeigeführt werden kann, unter 15 % sinkt (ebenso BGHZ 164, 122 = BeckRS 2005, 12324 unter II.3.c.bb). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Diese Wahrscheinlichkeit ist in einem ersten Schritt anhand des IVF-Registers zu bestimmen. In einem zweiten Schritt sind individuelle Faktoren der betroffenen Frau zu berücksichtigen. Auf eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit der behandelnden Einrichtung kommt es nicht an. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

25 O 17056/12 2018-03-02 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 02.03.2018, Az. 25 O 17056/12, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

1. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist der Senat an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann, NJW 2003, 169, 171; BGH NJW 2004, 1876). Ein solcher Verfahrensfehler läge namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem landgerichtlichen Urteil den Anforderungen nicht genügen würde, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH NJW 1999, 3481, 3482; NJW 2004, 1876 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt unter anderem dann vor, wenn Umständen Indizwirkung zuerkannt werden, die sie nicht haben können, oder wenn z.B. die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (BGH NJW 1991, 1894, 1895; NJW 1997, 2757, 2759; NJW 2004,1876).
Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden.
Der Senat nimmt zunächst Bezug auf die Begründung des Ersturteils (S. 7/13, Bl. 215/221 d.A.). Die Einwendungen der Berufung sind nicht geeignet, eine hiervon abweichende Beurteilung zu rechtfertigen.
Im Einzelnen:
1.1. Das Erstgericht hat zu Recht die durchgeführte Polkörperdiagnostik und die in diesem Zusammenhang durchgeführte ICSI-Behandlung nicht als Versicherungsfall im Sinne einer medizinisch notwendigen Behandlung der bei der Beklagten krankenversicherten Klägerin angesehen und daher die Erstattungsfähigkeit der in diesem Zusammenhang angefallenen Kosten zu Recht verneint. Ebenso wie eine § 3 a Abs. 2 ESchG ausnahmsweise zulässige Präimplantatationsdiagnostik (PID) stellt eine Polkörperdiagnostik keine medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen dar; sie ist auch keine medizinisch anerkannte Methode zur Überwindung von Sterilität oder Infertilität. Für die Präimplantatationsdiagnostik (PID) hat der Senat dies bereits entschieden (Beschluss vom 23.10.2018 – 25 U 2424/18; NJW-RR 2019, 94). Für die Polkörperdiagnostik gelten dieselben Erwägungen. Eine Polkörperdiagnostik mit dem Ziel, die Übertragung einer Gen-Mutation auf den Embryo zu vermeiden, zielt weder auf Heilung noch auf Besserung oder Linderung eines Leidens der versicherten Person ab, was Voraussetzung dafür wäre, sie als Heilbehandlung im Sinne des Krankheitskostenversicherungsvertrags der Parteien anzusehen (vgl. OLG Köln, NJOZ 2016, 1932). Der Einsatz der PID bzw. hier der Polkörperdiagnostik bewirkt weder eine Zustandsveränderung bei der Klägerin selbst noch ersetzt er eine beschränkte oder fehlende natürliche Funktion bei der Klägerin, sondern führt im Ergebnis zur Aussonderung von mit dem Gendefekt behafteten Embryonen. Der „Schutz“ der potenziellen Nachkommen der Klägerin vor einer Weitergabe eines Gendefekts ist jedoch nicht versichert (vgl. Senat a.a.O).
1.2. Nach der Rechtsprechung des BGH ist für die Erstattungsfähigkeit der Kosten einer homologen In-vitro-Fertilisation mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion unter Berücksichtigung des IVF-Registers mit sachverständiger Hilfe die Erfolgsaussicht der Maßnahmen festzustellen. Dabei ist die Erfolgswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Lebensalter der Frau und der sich aus ihren individuellen Faktoren gegenüber den Durchschnittswerten der Altersgruppe ergebenden höheren oder niedriger einzuschätzenden Erfolgsaussichten zu prüfen, wobei dem Ablauf einer vorgängigen IVF/ICSI-Behandlung Bedeutung zukommen kann. Von einer nicht mehr ausreichenden Erfolgsaussicht ist auszugehen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die gewünschte Schwangerschaft herbeigeführt werden kann, unter 15% sinkt. (vgl. BGH, NJW 2005, 3783; Leitsätze 3 und 4). Auszugehen ist von der durch dieses Register (vgl. IVF-Register, Jahresbericht 2003, S. 12, veröffentlicht im Internet unter www.deutsches-ivf-register.de/jahresbericht.htm) seit 1982 umfassend dokumentierten Erfolgswahrscheinlichkeit der Behandlungen in Abhängigkeit vom Lebensalter der Frau. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, inwieweit individuelle Faktoren ihre Einordnung in die ihrem Lebensalter entsprechende Altersgruppe rechtfertigen, ob also ihre persönlichen Erfolgsaussichten höher oder niedriger einzuschätzen sind, als die im IVF-Register für ihre Altersgruppe ermittelten Durchschnittswerte es ausweisen (BGH a.a.O.). Damit sind individuelle Faktoren nur dann zu berücksichtigen, wenn sie sich auf die Frau beziehen. Eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit der behandelnden Einrichtung wird in Rechtsprechung und Literatur soweit ersichtlich – nicht ernsthaft diskutiert und lässt sich auch nicht mit der vom BGH zugrunde gelegten generalisierenden Betrachtungsweise, welche im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Versicherungsnehmer hinsichtlich der Prognose der Erfolgsaussichten geboten ist, vereinbaren. Auf die zutreffenden Ausführungen auf S. 10/11 des angefochtenen Urteils mit der Senat ergänzend Bezug.
1.3. Zutreffend ist das Landgericht auch davon ausgegangen, dass die angefallenen Kosten für die Behandlungszyklen, für die keine 15% ige Wahrscheinlichkeit mehr festgestellt werden konnte, nicht erstattungsfähig sind.
2. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme nach Eingang der Berufungsbegründung bei Gericht ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
OberlandesgerichtMünchen
München, 25.03.2019
25 U 1151/18 Verfügung
1. Beschluss vom 25.03.2019 hinausgeben an:
Prozessbevollmächtigter der Berufungsklägerin …
zustellen
Prozessbevollmächtigte der Berufungsbeklagten …
zustellen
2. Wiedervorlage mit Fristablauf


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