Medizinrecht

Kein neuer Behandlungsfall nach GOÄ bei bloßer Verschlimmerung der Erkrankung

Aktenzeichen  M 17 K 19.1279

Datum:
22.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3502
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBhV § 6
GOÄ Nr. 1, Nr. 5, Nr. 750

 

Leitsatz

Eine (typische) Verschlimmerung einer Erkrankung (hier: Juckreiz bei der einheitlichen Diagnose „chronisches Kopfhautekzem bei massivem Pruritus“) genügt nicht, um von einer neuen Erkrankung auszugehen, die einen neuen Behandlungsfall nach der GOÄ begründen könnte. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Die Klage, über die nach übereinstimmender Erklärung der Beteiligten durch die Berichterstatterin und im schriftlichen Verfahren nach § 101 Abs. 2 VwGO entschieden werden konnte, hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage im Form der Versagungsgegenklage statthaft, § 113 Abs. 5 VwGO. Das Klagebegehren, Antrag auf Verurteilung zur Gewährung der beantragten Kostenerstattung, ist gem. § 88 VwGO als Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines Verwaltungsakts, der eine Zahlung von 9,29 € (70 v.H. von 13,28 €) beinhaltet, auszulegen. Aus dem Bescheid und dem klägerischen Vortrag im Widerspruchsverfahren geht hervor, dass allein die GOÄ-Nr. 750 nicht als beihilfefähig anerkannt wurde und insofern die Gewährung weiterer Beihilfe begehrt wird. Die gleichzeitig begehrte Aufhebung ist dahingehend auszulegen, dass sich die Klägerin insoweit gegen den Bescheid vom 3. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. März 2019 richtet, als ihr die Gewährung von Beihilfeleistungen verwehrt wurde.
II.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung weiterer Beihilfe im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Bescheid vom 3. Januar 2019 und der Widerspruchsbescheid vom 11. März 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO)
1. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. statt aller BVerwG, U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 9). Für die hier vorgenommene dermatologische Untersuchung und Behandlung entstehen Aufwendungen mit jeder Inanspruchnahme des Arztes. Bei den streitgegenständlichen Behandlungen im November 2018 bestimmt sich die Beihilfefähigkeit daher nach § 80 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2017 (BGBl. I S. 1570), und der Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Bundesbeihilfeverordnung – BBhV) vom 13. Februar 2009 (BGBl. I S. 326), zuletzt geändert durch Verordnung vom 24. Juli 2017 (BGBl. I S. 1232, ber. 2019 S. 46).
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 9,29 € hinsichtlich der mit Rechnung vom … 2018 abgerechneten Aufwendungen für eine dermatologische Behandlung. Die vorgenommene Kürzung der beihilfefähigen Aufwendungen in Bezug auf den Behandlungstermin am … 2018 erfolgte zurecht.
Aufwendungen sind gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV grundsätzlich nur beihilfefähig, wenn diese notwendig und wirtschaftlich angemessen sind. Wirtschaftlich angemessen sind dabei Aufwendungen für ärztliche Leistungen, wenn sie sich innerhalb des in der einschlägigen Gebührenordnung vorgesehenen Gebührenrahmens halten, § 6 Abs. 3 Satz 1 BBhV. Auf den behandelnden Dermatologen findet die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) Anwendung. Die abgerechneten Leistungen für die Behandlung am … 2018 steht mit den Bestimmungen der GOÄ nicht in Einklang.
Gemäß Nr. 2 der Allgemeinen Bestimmungen zu B. Grundleistungen und allgemeine Leistungen der Anlage zur GOÄ (im Folgenden: Allgemeine Bestimmungen zu B) sind die Leistungen nach den Nummern 1 und/oder 5 neben Leistungen nach den Abschnitten C bis O im Behandlungsfall nur einmal berechnungsfähig. Hiergegen verstößt die Abrechnung der GOZ-Nr. 1, GOZ-Nr. 5 und GOZ-Nr. 750 jeweils sowohl am … 2018 als auch am … 2018. Es handelt sich bei beiden Behandlungsterminen um einen Behandlungsfall, der die Abrechnungsbeschränkung zur Folge hat.
a) Bei den Terminen am … 2018 und am … 2018 handelt es sich um einen Behandlungsfall.
Als Behandlungsfall gilt für die Behandlung derselben Erkrankung der Zeitraum eines Monats nach der jeweils ersten Inanspruchnahme des Arztes, Nr. 1 der Allgemeinen Bestimmungen zu B. Zeitlich fanden beide Behandlungen im November 2018 und damit innerhalb eines Monats statt.
Hierbei wurde jeweils dieselbe Erkrankung behandelt. Der Begriff derselben Erkrankung wird unter Zugrundelegung der wissenschaftlich abgesicherten medizinischen Nomenklatur ausgefüllt (Brück, Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte, Stand 1.6.2020, B. Grundleistungen und allgemeine Bestimmungen, Nr. 1, Anmerkung 3). Dabei ist nicht allein auf die gestellte Diagnose abzustellen. Handelt es sich nur um einen Wechsel von einer nicht bestätigten Verdachtsdiagnose zu einer anderen Diagnose, während die zugrundeliegende Erkrankung unverändert geblieben ist, so handelt es sich nach wie vor um denselben Behandlungsfall. Kommt es dagegen innerhalb eines Monats nach der jeweils ersten Inanspruchnahme zu einer Ausweitung der Erkrankung im Sinne einer Verschlimmerung oder Komplikation, so ist die Entscheidung, ob es sich noch um dieselbe Erkrankung handelt, nicht immer eindeutig zu treffen. Als Entscheidungsrichtlinie kann hier die Absicht des Verordnungsgebers herangezogen werden, insbesondere die Berechnung medizinisch nicht sinnvoller Beratungsleistungen auszuschließen (Brück, Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte, Stand 1.6.2020, B. Grundleistungen und allgemeine Bestimmungen, Nr. 1, Anmerkung 3). Durch die Abrechnungsbestimmungen, die das Nebeneinanderberechnung bestimmter Leistungen ausschließen oder begrenzen, soll kumulierenden Effekten bei der Gebührenabrechnung entgegengewirkt werden. (Brück, Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte, Stand 1.6.2020, 4. Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte/Begründung, Anmerkung IV. 1. a)
Bei Anwendung dieser Grundsätze liegt dieselbe Krankheit vor.
Schon der behandelnde Arzt ging in seiner Rechnung offensichtlich von einer Erkrankung aus. Optisch oberhalb und sich aufgrund der Formatierung auf beide Behandlungstermine beziehend wurde als Diagnose „Chronisches Kopfhautekzem bei massivem Pruritus und insulinpflichtigem Diabetes mellitus[,] Umstellung Therapie, Besprechung alternative Möglichkeiten, …“ ausgewiesen. Der Zusatz „…“ zeigt zwar, dass Teile der unter „Diagnose“ aufgeführten Begriffe sich nur auf den … 2018 beziehen. Allerdings wird nur eine einzige Erkrankung aufgezählt, nämlich chronisches Kopfhautekzem. Die Verknüpfung der nachfolgenden Begriffe mit dem Wort „bei“ zeigt, dass es sich bei dem massiven Pruritus um ein Symptom bzw. eine Beschwerde im Zusammenhang mit dem Kopfhautekzem handelt, nicht aber um eine neue Erkrankung. Die insulinpflichtige Diabetes mellitus ist hingegen eine Grunderkrankung der Klägerin, die durch den Dermatologen nicht diagnostiziert oder behandelt hat, sondern allein informatorisch aufgezählt wurde. Aus der Rechnung geht nicht hervor, dass es sich um unterschiedliche Erkrankungen handelt, die an unterschiedlichen Tagen behandelt wurden.
Ein solcher Sachverhalt wird auch nicht durch Stellungnahme der Abrechnungsstelle dargelegt. Schon aus dem Wortlaut der Stellungnahme „Ihre Versicherung moniert hier den mehrfachen Ansatz der Ziffern 1 und 5 im Behandlungsfall“ zeigt sich, dass von einem Behandlungsfall ausgegangen wird, bei dem die GOÄ-Nrn. 1 und 5 mehrfach abgerechnet wurden. Auch die weitere Darstellung zeigt, dass es sich um dieselbe Erkrankung und damit denselben Behandlungsfall handelt. Demnach fand am … 2018 der Erstkontakt wegen Kopfhautekzem statt. Für den … 2018 wurde Juckreiz und Kratzexkoriationen festgestellt. Überschrieben ist die Stellungnahme in diesem Zusammenhang zwar mit „neuer Befund, anderes Bild“. Dies ist für die Feststellung derselben Erkrankung nicht ausschlaggebend. Der Juckreiz als Begleiterscheinung eines Kopfhautekzems (https://www.apotheken-umschau.de/haut/seborrhoisches-ekzem; zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021), kann Kratzexkoriationen begründen. Auch der behandelnde Arzt führte den Juckreiz auf das Kopfhautekzem zurück. Dies ergibt sich aus der einheitlichen Diagnose „Chronisches Kopfhautekzem bei massivem Pruritus“, die in der Rechnung gestellt wurde. Zwar mag es sich bei dem neu hinzugekommenen Juckreiz und den Kratzexkoriationen um eine Verschlimmerung im Sinne neuer Beschwerden, ausgelöst durch die zugrundeliegende Erkrankung, handeln. Allerdings genügt diese (typische) Verschlimmerung nicht, um von einer neuen Erkrankung auszugehen. Wie oben dargestellt, sollen gerade kumulierende Effekte bei der Gebührenabrechnung verhindert werden. Dieses Ziel des Verordnungsgebers würde konterkariert werden, wenn bei jedem Hinzukommen typischer Symptome oder Begleiterscheinungen von einer neuen Erkrankung ausgegangen würde.
Das für den … 2018 dargestellte Umstellen der Therapie und die ausführliche Besprechung psychovegetativer Komponenten und Diabetes im Zusammenhang mit Haut und Juckreiz sind keine Diagnose einer neuen Erkrankung, sondern Tätigkeiten im Zusammenhang mit der bereits diagnostizierten Erkrankung.
b) Das Vorliegen eines Behandlungsfalles und die Abrechnungseinschränkung der Nr. 2 der Allgemeinen Bestimmungen zu B führt dazu, dass für den … 2018 nicht sowohl die GOÄ-Nr. 1 und GOÄ-Nr. 5 als auch die GOÄ-Nr. 750 abgerechnet werden kann.
Gemäß Nr. 2 der Allgemeinen Bestimmungen zu B sind die Leistungen nach den Nummern 1 und/oder 5 neben Leistungen nach den Abschnitten C bis O im Behandlungsfall nur einmal berechnungsfähig.
Diese kumulative Abrechnungsmöglichkeit der GOÄ-Nr. 1 und GOÄ-Nr. 5 neben GOÄ-Nr. 750, die sich in Abschnitt „F. Innere Medizin, Kinderheilkunde, Dermatologie“ befindet, wurde bereits mit Abrechnung für den … 2018 ausgeschöpft. Ausweislich des Wortlauts der Nr. 2 der Allgemeinen Bestimmungen zu B kann nur einmal pro Behandlungsfall derart kumulativ abgerechnet werden.
Für einen weiteren Behandlungstermin bedeutet das, dass die Beratung nach Nr. 1 neben einer Gebühr für eine Leistung nach den Abschnitten C bis O nicht berechnet werden darf, wenn die Abrechnung der Nr. 1 gem. Nr. 2 der Allgemeinen Bestimmungen zu Abschnitt B im Behandlungsfall bereits „verbraucht“ ist (Brück, Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte, Stand 1.6.2020, GOÄ-Nr. 1 Anmerkung 8). Eine erneute Berechnung der GOÄ-Nr. 1 ist nicht per se ausgeschlossen. Vielmehr ist die Berechnung als alleinige Leistung ohne Berechnung weiterer Leistungen des Abschnitts C. bis O. zum gleichen Zeitpunkt möglich (Bundeszahnärztekammer, Kommentar der hochfrequenten GOÄ-Leistungen bei der Rechnungserstellung in der Zahnarztpraxis, Stand April 2018, GOÄ-Nr. 1). Diese Abrechnungsmöglichkeit ergibt sich aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dieser stellt darauf ab, dass die GOÄ-Nr. 1 und/oder 5 neben gewissen Sonderleistungen nur einmal berücksichtigungsfähig ist. Die Bedeutung dieses häufig in Ausschlussbestimmungen zu Leistungspositionen verwendeten Wortes „neben“ steht im Zusammenhang mit dem jeweiligen Behandlungstermin, nicht dem Behandlungsfall als solchem. Der Berechnungsausschluss einer Leistung neben einer anderen Leistung bezieht sich jeweils nur auf die betreffende „Sitzung“, d.h. den jeweiligen Arzt-Patienten-Kontakt. Von dem Ausschluss der „Nebeneinanderberechnung“ sind damit solche Leistungen durchgehend nicht betroffen, die zu unterschiedlichen Sitzungen bzw. Arzt-Patienten-Kontakten erbracht worden sind (Brück, Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte, Stand 1.6.2020, Zum Verständnis der Leistungslegende, Anmerkung 3 a).
Für den Behandlungstermin am … 2018 ergibt sich demnach, dass entweder nur GOÄ-Nrn. 1 und 5 oder alternativ allein die GOÄ-Nr. 750 abgerechnet werden kann (für ein solches Wahlrecht auch Pieritz, Deutsches Ärzteblatt 103, Heft 17, Seite A-1172).
Die Entscheidung der Beklagten, die GOÄ-Nr. 750 nicht anzuerkennen, um so die GOÄ-Nrn. 1 und 5 ohne Verstoß gegen Nr. 2 der Allgemeinen Bestimmungen zu B als beihilfefähig anzuerkennen, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere wählte sie den für die Klägerin finanziell besseren Ansatz, da die Anerkennung von GOÄ-Nrn. 1 und 5 zur Gewährung einer Beihilfe von 12,39 € (70 v.H. von 17,70 €) führte. Demgegenüber hätte die Anerkennung von allein GOÄ-Nr. 750 zur Gewährung einer Beihilfe von nur 9,29 € (70 v.H. von 13,28 €) geführt.
III.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben