Medizinrecht

Keine frühere dauerhaufte Erwerbsminderung

Aktenzeichen  L 19 R 23/16

Datum:
27.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 124234
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI aF § 44 Abs. 2
SGB VI § 43

 

Leitsatz

In einer Zeit, in der zwar eine nervenärztliche Betreuung stattgefunden hat, in der sich jedoch nur vereinzelte stationäre Aufenthalte finden, aus denen der Versicherte jeweils in deutlich gebessertem Zustand in die ambulante Behandlung entlassen werden konnte und in der er auch symptomfreie Intervalle hatte, sind die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht nachgewiesen.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 9 R 524/15 2015-11-30 GeB SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.11.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).
Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 30.11.2015 einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente über den 31.05.1996 hinaus abgelehnt. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 24.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2015 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Klägerin muss als Antragstellerin die Voraussetzungen für das Vorliegen einer rentenrechtlich relevanten Erwerbsminderung und damit die Anspruchsvoraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nachweisen. Dazu gehören sowohl die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen als auch die medizinischen Umstände, die eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens deutlich machen.
Für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ist sowohl nach dem vor dem 01.01.2002 als auch nach diesem Zeitpunkt geltenden Rechtsvorschriften die Erfüllung der sog. versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erforderlich. Dazu müsste die Klägerin in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit bzw. der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Pflichtbeitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht zur gesetzlichen Rentenversicherung fristgemäß und wirksam gezahlt worden sind. Der Fünf-Jahres-Zeitraum kann sich durch weitere Zeiten, etwa um Anrechnungszeiten wegen Krankheit und Arbeitslosigkeit oder um Ersatzzeiten verlängern. Der Versicherungsverlauf der Klägerin zeigt den letzten Pflichtbeitrag im April 2004 sowie Berücksichtigungszeiten für Kindererziehung vom 12.04.1989 bis 06.08.2005. Für die von der Klägerin von 2001 bis Oktober 2012 ausgeübte geringfügige Beschäftigung wurden keine Pflichtbeiträge entrichtet, obwohl hierfür rechtlich die Möglichkeit durch Verzicht auf die Versicherungsfreiheit bestanden hätte. Die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind deshalb bei der Klägerin längstens bis September 2007 gegeben. Hinweise auf spätere Pflichtversicherungszeiten oder Anrechnungs- oder Zurechnungszeiten sind nicht geltend gemacht worden und sind auch sonst nicht ersichtlich, so dass der Leistungsfall der Erwerbsunfähigkeit oder der vollen Erwerbsminderung im Zeitraum von Mai 1996 bis spätestens September 2007 von der Klägerin nachzuweisen ist. Der spätere, von der Beklagten auch anerkannte Leistungsfall im August 2013 kann nicht mehr zu einer Rentengewährung führen.
Gemäß § 44 Abs. 2 SGB VI in der ab 08.05.1996 geltenden Fassung sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI in der ab dem 01.01.2002 geltenden Fassung sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die Beklagte hat der Klägerin aufgrund von im Jahr 1991 bestehenden Erkrankungen in der Zeit vom 20.06.1991 bis 31.05.1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs. 2 SGB VI a. F. gewährt. Eine Weiterbewilligung dieser Leistung über den 31.05.1996 ist von der Klägerin damals nicht beantragt worden. Der Grund hierfür ist nicht ersichtlich. Die Klägerin hat jetzt im Verfahren vorgetragen, sie 1996 dazu aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, ohne dies näher darzulegen oder nachzuweisen. Dieser Sachvortrag erfolgte zudem erst im Rahmen des Rentenantrags vom 26.02.2016, nachdem zuvor der Rentenantrag vom 08.07.2014 wegen Fehlens der notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen abgelehnt worden war.
Die Klägerin kann eine durchgehende Erwerbsminderung im rentenrechtlichen Sinne nach dem 31.05.1996 bzw. bis spätestens September 2007 nicht nachweisen.
Aufgrund der vorliegenden ärztlichen Befundberichte und des nervenärztlichen Gutachtens von Dr. R. im SG-Verfahren ist davon auszugehen, dass sich die gesundheitliche Situation der Klägerin ab August 2012, dem Zeitpunkt der Einweisung der Klägerin in das Bezirksklinikum A-Stadt, deutlich verschlimmert hat. Ab diesem Zeitraum sind lange stationäre Aufenthalte in Kliniken mit nur geringer oder keiner Besserung der Symptomatik der manischen Erkrankung mit schwerer Depression dokumentiert, so dass die Annahme eines Leistungsfalls im August 2013 (spätestens) durchaus nachvollziehbar ist. Für den Eintritt eines deutlich früheren Leistungsfalles finden sich dagegen keine ausreichenden Anknüpfungspunkte. Das SG hat insoweit zutreffend auf das Gutachten von Dr. R. Bezug genommen.
Es ist festzuhalten, dass die Klägerin in der Zeit von 1996 bis 2012 eine nervenärztliche Betreuung erfahren hat, in dieser Zeit finden sich jedoch nur vereinzelte stationäre Aufenthalte, aus denen die Klägerin jeweils in deutlich gebessertem Zustand in die ambulante Behandlung entlassen werden konnte. Die Klägerin hat gegenüber dem Sachverständigen und auch ihren behandelnden Ärzten wiederholt angegeben, über weite Strecken symptomfrei bzw. zumindest nicht massiv in ihrer Lebensführung eingeschränkt gewesen zu sein. Dies hat das SG in seinem Gerichtsbescheid ausführlich abgehandelt und das Gutachten von Dr. R. auch umfassend diskutiert. Neuere Erkenntnisse liegen demgegenüber nicht vor. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Begründung seiner Entscheidung ab und verweist gem. § 153 Abs. 2 SGG im vollen Umfang auf die Entscheidungsgründe im Gerichtsbescheid des SG Nürnberg vom 30.11.2015.
Zu beachten ist darüber hinaus auch, dass die Klägerin selbst angegeben hat, dass ab dem Jahr 2012 eine deutliche Verschlechterung ihrer gesundheitlichen Situation eingetreten war. Sie war ab diesem Zeitpunkt in intensiver ambulanter nervenärztlicher Behandlung, aber auch immer wieder in kurzen Abständen in langen stationären Klinikaufenthalten, die nur zu einer kurzen vorübergehenden Linderung der Krankheitssymptomatik geführt hatten. Konsistent hierzu hat die Klägerin ihre geringfügige Tätigkeit ab Oktober 2012 nicht mehr ausüben können. Von den behandelnden Ärzten der Klägerin wird eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation seit 2012 beschrieben. Eine dauerhaft seit dem Jahr 1996 bestehende Erwerbsminderung der Klägerin wurde auch erst mit dem hier streitgegenständlichen Antrag von Februar 2015 geltend gemacht, nachdem der Antrag vom Juli 2014 wegen der fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bestandskräftig abgelehnt worden war. Dr. R. hatte in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass die Klägerin in der Lage gewesen sei, einen Sechs-Personen-Haushalt zu versorgen, was offenbar nur in den Phasen einer akuten Erkrankung nicht möglich gewesen ist. Zudem war sie von 2001 bis 2012 in der Lage, neben dieser Belastung noch eine geringfügige Beschäftigung auszuüben, selbst wenn diese in Heimarbeit erfolgte. Hinsichtlich des Sachvortrages, dass im Jahr 2006 ein Suizidversuch vorgelegen hatte, ergibt sich aus dem vorgelegten Bericht des Krankenhauses D-Stadt zum einen schon nicht eindeutig die Tatsache eines Suizidversuchs, zum anderen konnte die Klägerin trotz eines psychiatrischen Konzils bereits am nächsten Tag wieder entlassen werden, was sicherlich bei einer schweren depressiven Episode oder eines manischen Schubs nicht möglich gewesen wäre. Ein Nachweis einer dauerhaften, seit 1996 durchgehend bestehenden Erwerbsunfähigkeit kann jedenfalls aus diesem Ereignis nicht abgeleitet werden.
Weitere Möglichkeiten, das Leistungsbild der Klägerin in der hier fraglichen Zeit aufklären zu können, vermag der Senat nicht zu erkennen.
Nach alledem war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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