Medizinrecht

Keine Kostenerstattung eines tragbaren Kardio-Defilibrators “LifeVest”

Aktenzeichen  S 10 KR 489/14

Datum:
24.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 54 Abs. 2 S. 1
SGB V SGB V § 13 Abs. 3 S. 1, Abs. 3a S. 7, § 76 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine „unaufschiebbare Leistung“ erfasst nur Notfälle im Sinne des § 76 Abs. 1 SGB V, bei denen ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden muss oder Fälle, in denen eine Behandlung so lange aufgeschoben wurde, dass die Leistung zwingend erbracht werden muss, damit der angestrebte Erfolg noch erreicht werden kann. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Selbstbeschaffung ist nicht kausal auf eine zu Unrecht erfolgte Ablehnung zurückzuführen, wenn die Selbstbeschaffung bereits vor einer ablehnenden Entscheidung stattgefunden hat. (redaktioneller Leitsatz)
3 Ist die Selbstbeschaffung bereits vor Antragstellung erfolgt, wird die Entscheidungsfrist nach § 13 Abs. 3a SGB V für die Krankenkasse nicht in Gang gesetzt. Ein Freistellungsanspruch nach § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V scheidet damit aus. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Klage ist zulässig. Soweit die beantragte Leistung bereits erbracht worden ist, kann eine Sachleistungsgewährung nicht mehr erfolgen. Nachdem die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid einen weiteren Sachleistungsanspruch über die Versorgung über einen Monat hinaus abgelehnt hat, war hinsichtlich der begehrten Kostenfreistellung kein neuer Antrag erforderlich. Der ursprünglich geltend gemachte Anspruch wandelt sich bei Selbstbeschaffung automatisch in einen Kostenerstattungs- bzw. Kostenfreistellungsanspruch, der Gegenstand des Verfahrens geworden ist.
Die Klage ist unbegründet. Der gegenständliche Ablehnungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freistellung von den weiteren Mietkosten für die „LifeVest“.
Gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sind die für die vom Versicherten selbst beschaffte Leistung entstandenen Kosten von der Krankenkasse zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war und die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder diese zu Unrecht abgelehnt hat. Hat der Versicherte die selbst beschaffte Leistung noch nicht bezahlt, kann er anstelle der Kostenerstattung die Freistellung von der gegenüber dem Leistungserbringer bestehenden Verbindlichkeit verlangen. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V liegen hier jedoch nicht vor.
Zur Überzeugung des Gerichts handelte es sich bei der Versorgung des Klägers mit der LifeVest nicht um eine „unaufschiebbare Leistung“ im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 1 SGB V. Hierzu hat das BSG in seiner Entscheidung vom 25.09.2000, Aktenzeichen B 1 KR 5/99 ausgeführt, dass die Alternative „unaufschiebbare Leistung“ nur Notfälle im Sinne des § 76 Abs. 1 SGB V erfasst, bei denen ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden muss oder Fälle, in denen eine Behandlung so lange aufgeschoben wurde, dass die Leistungen zwingend erbracht werden muss, damit der angestrebte Erfolg noch erreicht werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Der Kläger befand sich seit 07.04.2014 in stationärer Behandlung. Im Krankenhaus sind geeignete Apparate zur Überwachung vorzuhalten, allein aus der geplanten Entlassung kann sich eine medizinische Dringlichkeit nicht ergeben, vielmehr wäre gegebenenfalls die stationäre Behandlung und Überwachung bis zur Entscheidung der Krankenkasse fortzuführen, soweit eine solche notwendig sein sollte. Außerdem ist in jedem Fall, grundsätzlich auch in Notfällen (vgl. BSG, a.a.O.) zur Begründung eines Kostenerstattungs- bzw. Freistellungsanspruchs die rechtzeitige Antragstellung bei der Krankenkasse vor Selbstbeschaffung erforderlich. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn es dem Versicherten nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die Krankenkasse einzuschalten. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Der Kläger befand sich seit 07.04.2014 in stationärer Behandlung, die ärztliche Verordnung der „LifeVest“ ist am 24.04.2014 erfolgt, Entlassung aus stationärer Behandlung am 26.04.2014. Jedenfalls Antragstellung und damit die Möglichkeit der Befassung der Beklagten hätte rechtzeitig vor Selbstbeschaffung erfolgen können.
Auch die 2. Alternative des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V greift nicht, soweit diese in ihrem Wortlaut voraussetzt, dass die Selbstbeschaffung kausal deswegen erfolgt ist, weil die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Hier ist aber Selbstbeschaffung bereits vor der ablehnenden Entscheidung, sogar vor Antragstellung und damit Befassung der Beklagten mit dem geltend gemachten Anspruch erfolgt, so dass eine aus der Selbstbeschaffung resultierende mögliche Kostenbelastung jedenfalls nicht kausal auf der Ablehnung des Sachleistungsanspruchs durch die Beklagte beruht.
Darüber hinaus fehlt es jedoch zur Überzeugung des Gerichts an einer Kostenbelastung des Klägers. Das Kostenerstattungsverfahren kann nicht dazu genutzt werden, die Leistungspflicht der Krankenkasse losgelöst von einer tatsächlichen Kostenbelastung des Betroffenen zu klären, vgl. BSG, Urteil vom 28.03.2000, Aktenzeichen B 1 KR 21/99 R. Dabei weist das BSG ausdrücklich darauf hin, dass es insoweit ohne Belang ist, ob die Leistung zum Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre. Auch aus der vom Kläger zitierten Entscheidung des BSG vom 03.08.2016, Aktenzeichen B 3 KR 24/05 R, ergibt sich nichts anderes. Zwar führt das BSG dort aus, dass es unerheblich sei, ob der abgeschlossene Selbstbeschaffungsvertrag zivilrechtlich wirksam oder unwirksam sei. Auch in diesem Fall stellt das BSG jedoch darauf ab, dass tatsächlich eine Kostenlast entstanden ist, diese Voraussetzung ergibt sich auch eindeutig aus dem Gesetzeswortlaut, wonach Anspruchsvoraussetzung ist, dass dem Versicherten tatsächlich Kosten entstanden sind. Dies ist hier zur Überzeugung des Gerichts nicht der Fall. Ausweislich der Patientenerklärung sind sowohl der Kläger als auch der Leistungserbringer bei Versorgung von einem Sachleistungsanspruch gegen die Krankenkasse ausgegangen, entsprechend wird in der Patientenerklärung – entgegen der tatsächlichen Sachlage – betont, dass die Genehmigung der Krankenkasse bereits beantragt sei, aber noch nicht vorliege. Entsprechend hat der Leistungserbringer auch den Kostenvoranschlag direkt an die Beklagte geschickt und dort Genehmigung beantragt. Auch eine „Sekundärhaftung“ für den Fall, dass die Krankenkasse den Leistungsanspruch ablehnt, ist hier im Ergebnis tatsächlich nicht begründet worden, soweit ausweislich der Patientenerklärung zwar zunächst ein solcher Anspruch formuliert, im Folgenden aber gerade für den Fall der (rechtskräftigen) negativen Entscheidung der Krankenkasse ein Anspruchsverzicht des Leistungserbringers erklärt wird. Auch für die Zeit zwischen Versorgung und gerichtlich bestätigter ablehnender Entscheidung ist der Kläger ausweislich der Patientenerklärung keiner Kostenlast ausgesetzt, da insoweit die Stundung vereinbart worden ist. Der Kläger kann also davon ausgehen, in keinem Fall mit Kosten belastet zu werden. Entgegen der Ausführungen der Klägerbevollmächtigen im Schriftsatz vom 23.08.2016 ist hier der Verzicht auch nicht nur für den Ausnahmefall der gerichtlich bestätigten fehlenden medizinischen Notwendigkeit erklärt, vielmehr ist ausweislich der vorliegenden Erklärung vom 24.04.2014 der Verzicht generell für den Fall der rechtmäßigen Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse erklärt.
Ein Kostenerstattungs- bzw. Freistellungsanspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V: Danach ist die Krankenkasse zur Kostenerstattung verpflichtet, wenn sie die in den voranstehenden Sätzen vorgegebenen Entscheidungsfristen nicht einhält und sich der Leistungsberechtigte die Leistung nach Fristablauf selbst beschafft. Hier ist aber Selbstbeschaffung bereits vor Antragstellung erfolgt, eine Entscheidungsfrist für die Beklagte wurde nicht in Gang gesetzt. Ein Freistellungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 7 SGB V scheidet damit aus.
Auch ein bereicherungsrechtlicher Ausgleich kommt nicht in Betracht, soweit hier ein Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte in Anspruch genommen werden sollte (siehe oben) und insoweit ein etwaiger Bereicherungsausgleich zwischen Hilfsmittelerbringer und Beklagten zu vollziehen wäre (vgl. ausführlich Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 11.01.2006, Aktenzeichen L 1 KR 5/04 mit weiteren Nachweisen).
Insgesamt kommt daher unter keinem Gesichtspunkt ein Freistellungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte in Betracht.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG.


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