Medizinrecht

Klage gegen eine bestehende Isolationsverpflichtung

Aktenzeichen  RO 14 E 20.2978

Datum:
4.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34620
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, §30 Abs. 1, Abs. 2, § 2 Nr. 1, § 25
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine ihr gegenüber bestehende Isolationsverpflichtung.
Mit Schreiben vom 30.11.2020 sowie vom 1.12.2020 teilte das Landratsamt Amberg-Sulzbach – Gesundheitsamt – der Antragstellerin mit, dass sie gemäß der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (im Folgenden: StMGP) vom 18. August 2020 verpflichtet sei, sich als Kontaktperson Kategorie I mit engem Kontakt zu einem COVID-19-Fall vom 27.11.2020 bis 6.12.2020 in die häusliche Isolation zu begeben. Die Isolation ende zum genannten Datum, wenn während dieser Zeit keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen auftreten. Ein Quarantänebescheid ergehe nicht; dieses Formular gelte als Bestätigung über ihre häusliche Isolation.
Am 2.12.2020 ließ die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz beantragen. Die Antragstellerin sei mit Bescheid vom 30.11.2020 unter Quarantäne gestellt worden. Darüber hinaus sei ein Telefax der Polizeiinspektion … gekommen, mit dem eine weitere Quarantäneanordnung bis 6.12.2020 verfügt worden sei. Beide Quarantäneanordnungen würden mit der Behauptung begründet, die Antragstellerin gelte als „Kontaktperson der Kategorie I mit engem Kontakt zu einem COVID-19-Fall“. Dies bedeute, dass die Antragstellerin weder in die Schule gehen dürfe, noch sich mit Freunden oder Verwandten treffen könne, obwohl sie selbst kerngesund sei und keinerlei Symptome einer Infektion zeige.
Der Bescheid des Antragsgegners vom 30.11.2020 sei widersprüchlich. Einerseits werde die Quarantäne für einen rückwirkenden Zeitraum angeordnet. Außerdem werde auf die „ergänzenden Informationen“ der Bekanntmachung des StMGP hingewiesen, wonach eine 14-tägige Quarantänepflicht für alle Personen gelte, die in den vergangenen 14 Tagen engen Kontakt zu einem COVID-19-Fall hatten. Es sei für die Antragstellerin daher vollkommen unklar, ob und wie lange sie – auch über den 6.12.2020 hinaus – noch in Quarantäne verbleiben müsse. Der Bescheid bewirke schwerwiegende Eingriffe in die persönliche Freiheit der Antragstellerin, in deren Bewegungsfreiheit sowie in deren Recht, die Schule besuchen zu dürfen. Die Anordnung sei offensichtlich rechtswidrig, da schon eine Rechtsgrundlage nicht bestehe. Die Voraussetzungen für eine Absonderung nach § 30 IfSG oder § 28 IfSG würden nicht vorliegen.
Die Quarantäneverpflichtung sei unverhältnismäßig, da sie gegen das Übermaßverbot verstoße. In den meisten Fällen verlaufe eine COVID-19-Erkrankung eher mild und nur in ganz wenigen Ausnahmefällen sei eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich. Die Sterblichkeitsrate sei vergleichbar mit derjenigen einer Grippe, bei der ebenfalls Menschen – insbesondere hochbetagte Menschen oder Menschen mit Vorerkrankung – an einer schweren Lungenentzündung sterben könnten. In Bayern würden derzeit nur 641 Personen (Stand: 1.12.2020) wegen einer COVID-Erkrankung intensivmedizinisch behandelt, was bei einer Einwohnerzahl von etwa 13 Millionen kaum ins Gewicht falle.
Zu bedenken sei auch, dass symptomlose positiv getestete Personen nicht krank seien. Der Antragsgegner behaupte zwar, die Antragstellerin habe engen Kontakt zu einem COVID-19-Fall gehabt. Da die angeblich erkrankte Person jedoch nicht namentlich genannt werde, sei nicht nachvollziehbar, ob die „Kontaktperson“ tatsächlich krank sei und ob die Antragstellerin überhaupt Kontakt mit dieser Person gehabt habe. Entsprechende Nachweise habe das Gesundheitsamt nicht vorgelegt. Daher sei davon auszugehen, dass die angeblich erkrankte Person lediglich ein positives PCR-Testergebnis gehabt habe. Die allermeisten der positiv getesteten Personen seien allerdings nicht krank, insbesondere die symptomlos getesteten Personen. Sie seien daher weder „krank“ noch „krankheitsverdächtig“ im Sinne des §§ 2 Nrn. 4 und 5 IfSG.
Ein PCR-Test könne keine „Krankheitserreger“ im Sinne des § 2 Nr. 2 IfSG nachweisen. Er sei nicht imstande, ein vermehrungsfähiges Agens nachzuweisen; denn er könne nicht zwischen vermehrungsfähigen und nicht vermehrungsfähigen Agens im Sinne des § 2 Nr. 1 IfSG unterscheiden. Er sei somit nicht geeignet, einen Nachweis einer akuten Infektion zu erbringen. Zum Beleg gebe es verschiedene Aussagen von Wissenschaftlern, die in der Antragsschrift zitiert werden. Tatsächlich gebe es keinen einzigen Test, der SARS-CoV-2 und eine Infektion mit diesem Virus nachweisen könne. Im Ergebnis würden damit auch die Voraussetzungen des § 2 Nr. 7 IfSG nicht vorliegen. Ansteckungsverdächtiger sei nämlich nur eine Person, von der anzunehmen sei, dass sie Krankheitserreger aufgenommen habe. Eine solche Annahme könne aufgrund eines PCR-Tests nicht getroffen werden, da dieser keine Viruslast nachweisen könne.
Ohne einen Nachweis einer „akuten Infektion“ durch ein Labor seien schon positiv getestete Personen keine Ansteckungsverdächtigen im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG . Dies gelte erst recht für Kontaktpersonen jedweder Art, die völlig gesund seien und keinerlei Symptome aufweisen. Letztendlich müsse das Gesundheitsamt in jedem einzelnen Fall der Absonderung nachweisen, dass ein Ansteckungsverdacht tatsächlich gegeben sei. Dies sei vorliegend nicht geschehen. Die Antragstellerin sei zu keinem Zeitpunkt untersucht worden, um die nach § 25 IfSG notwendigen Ermittlungen durchzuführen.
Nach einer aktuellen großen Studie mit 10 Millionen Bewohnern aus Wuhan gehe von asymptomatischen Personen keine Gefahr aus. Nach alledem könne die symptomlose Antragstellerin nicht als Ansteckungsverdächtige im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG angesehen werden und die Anordnung einer 14-tägigen Quarantäne sei nicht zu rechtfertigen. Die Anordnung sei somit offensichtlich rechtswidrig.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
vorläufig festzustellen, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet ist, sich in Quarantäne bzw. Isolation zu begeben.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das Gesundheitsamt habe die Antragstellerin nach den Kriterien des Robert Koch-Instituts (im Folgenden: RKI) als Kontaktperson der Kategorie I eingestuft. Das Gesundheitsamt sei darüber informiert worden, dass es am … Gymnasium in … eine mit dem Coronavirus infizierte Schülerin gebe, welche die Kollegstufe … besuche. Die Schüler würden sich in der genannten Kollegstufe in unterschiedlicher Zusammensetzung in verschiedenen Kursen treffen. Zur Ermittlung der Kontaktpersonen der Kategorie I seien dem Gesundheitsamt durch die Schulleitung die Namen der 4 direkten Banknachbarn der betroffenen Schülerinnen und Schüler übermittelt worden. Auf dieser Sachverhaltsgrundlage (direkte Banknachbarn und damit engster Kontakt über längere Zeit über mindestens eine Schulstunde) sei die Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I eingestuft worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze, Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
1. Bei der Auslegung der im Eilrechtsschutzverfahren gestellten Anträge hat sich das Gericht in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB am erkennbaren Rechtschutzziel der Antragstellerin zu orientieren. Dabei war zu berücksichtigen, dass das Gericht über das Antragsbegehren nicht hinausgehen darf, aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist. Dies folgt aus § 88 VwGO, der gemäß § 122 Abs. 1 VwGO auf Beschlüsse entsprechend anwendbar ist. Im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO bestimmt das Gericht im Übrigen nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks erforderlich sind, §§ 123 Abs. 3 VwGO, 938 Abs. 1 ZPO. Hier geht es der Antragstellerin ganz offensichtlich darum, sich nicht in häusliche Quarantäne begeben zu müssen bzw. diese verlassen zu dürfen.
Das Gericht behandelt den Eilrechtsschutzantrag, der in der Antragsschrift als „Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO auf Aussetzung der Vollziehung“ bezeichnet ist, als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die darauf gerichtet ist, vorläufig festzustellen, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet ist, sich in Isolation bzw. Quarantäne zu begeben. Mit diesem Begehren ist es der Antragstellerseite möglich, ihr Rechtschutzbegehren vollumfänglich zu erreichen. Maßgeblich hierfür sind folgende Überlegungen:
Zu dem Zeitpunkt, zu dem das Gesundheitsamt der Antragstellerin mitteilte, dass sie einer Quarantäneverpflichtung unterliege, galt die AV Isolation vom 6.11.2020 (Allgemeinverfügung „Quarantäne von Kontaktpersonen der Kategorie I und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 6.11.2020, Az. GZ6a-G8000-2020/122-684, BayMBl. 2020 Nr. 631 vom 6.11.2020) und nicht die AV Isolation vom 18.8.2020, die in der Mitteilung des Gesundheitsamtes vom 30.11.2020 als Rechtsgrundlage für die Isolationsverpflichtung genannt ist. Bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage hat das Gericht grundsätzlich auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung abzustellen; denn der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts richtet sich nach dem jeweiligen materiellen Recht (Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 147). Bei der Allgemeinverfügung vom 6.11.2020 handelt es sich um einen Verwaltungsakt (vgl. Art. 35 Satz 2 BayVwVfG), der für einen bestimmten Zeitraum gilt, und zwar bis zum Ablauf des 14. Tags nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall (vgl. Nr. 2.1.1 AV Isolation vom 6.11.2020). Nach den Mitteilungen des Gesundheitsamtes an die Antragstellerin vom 30.11.2020 bzw. 1.12.2020 ist dies der 6.12.2020. Somit liegt ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vor, weshalb zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anordnung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich ist (OVG SH, B.v. 2.4.2020 – 3 MB 8/20 – juris, Rn. 28; BVerwG, U.v. 27.01.1993 -11 C 35.92 – juris, Rn, 16 = NJW 1993, 1729, 1730; BayVGH, B.v. 30.03.2020 – 20 CS 20.611 – juris, Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 80 Rn. 414). Deshalb ist der Sachverhalt nach der AV Isolation vom 2.12.2020 (Allgemeinverfügung „Quarantäne von Kontaktpersonen der Kategorie I und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 2.12.2020, Az. GZ6a-G8000-2020/122-736, BayMBl. 2020 Nr. 705 vom 2.12.2020) zu beurteilen, die nach deren Nr. 8.1 am 3.12.2020 in Kraft getreten ist (im Folgenden: AV Isolation n.F.).
Unmittelbar folgte die Quarantäneverpflichtung von Kontaktpersonen der Kategorie I zum Zeitpunkt der Erstellung der Mitteilungen durch das Gesundheitsamt aus Nr. 2.1.1 AV Isolation vom 6.11.2020. Danach müssen sich Kontaktpersonen der Kategorie I unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamtes, wonach sie aufgrund eines engen Kontakts zu einem bestätigten Fall von COVID-19 nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert Koch-Instituts Kontaktpersonen der Kategorie I sind (vgl. Nr. 1.1 AV Isolation vom 6.11.2020), in Quarantäne begeben, sofern keine anderweitige Anordnung des Gesundheitsamtes erfolgt. Nach nunmehr geltender Rechtslage folgt die Isolationsverpflichtung aus Nr. 2.1.1 AV Isolation n.F.. Insoweit stimmt die neue Regelung mit der Vorgängerregelung überein. Abweichend von der ursprünglichen Regelung ist allerdings das Ende der Isolation geregelt. Nach Nr. 6.1 Abs. 1 AV Isolation n.F. dauert die Isolation auch nach der neuen Allgemeinverfügung grundsätzlich 14 Tage. Sie wird allerdings vorzeitig beendet, wenn ein PCR-Test oder Antigentest, der frühestens am 10. Tag nach dem letzten engen Kontakt vorgenommen worden ist, ein negatives Ergebnis ergibt. Für Schülerinnen und Schüler gibt es eine Sonderregelung in Nr. 6.4. Gegen diese Anordnung in der Allgemeinverfügung wäre grundsätzlich eine Anfechtungsklage statthaft, sodass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer (noch zu erhebenden) Klage möglich ist. Vertretungsbehörde des Freistaats Bayern wäre in diesem Fall das StMGP, da dieses die Allgemeinverfügung erlassen hat. Wäre dieser Antrag erfolgreich, so wäre die Quarantäneverpflichtung für die Antragstellerin suspendiert.
In der Praxis bestimmt jedoch faktisch das jeweils zuständige Gesundheitsamt, ob eine Quarantäneverpflichtung besteht; denn das Gesundheitsamt stellt letztendlich fest, ob die betreffende Person eine Kontaktperson der Kategorie I nach den Kriterien des Robert Koch-Instituts ist. Gleichwohl erscheint es fraglich, ob die Mitteilung des Gesundheitsamtes ein Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG ist. Die entscheidende Kammer hat dies in der Vergangenheit verneint, da das Gesundheitsamt nur ein „Tatbestandsmerkmal“ herbeiführt, das die Isolationsverpflichtung auslöst. Die eigentliche Regelung – nämlich die Anordnung der Isolation – ist somit in der Allgemeinverfügung enthalten. Gleichwohl gibt es gewichtige Gründe, die dafür sprechen, dass es sich bei der Mitteilung des Gesundheitsamtes zumindest um einen feststellenden Verwaltungsakt handeln könnte, der in der Hauptsache mit einer Anfechtungsklage angefochten werden kann, sodass auch insoweit ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig wäre.
Der grundsätzlich mögliche Weg, die Suspendierung der Isolationsverpflichtung im Wege eines Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen die einschlägige Regelung in der Allgemeinverfügung zu erreichen, ist jedoch umständlich sowie für die beteiligten Behörden zeit- und arbeitsintensiv; denn das StMGP besitzt regelmäßig keine detaillierten Informationen über den konkreten Einzelfall. Die diesbezüglichen Ermittlungen werden ausschließlich vom Gesundheitsamt durchgeführt, weshalb das StMGP im Einzelfall stets das zuständige Gesundheitsamt einschalten muss, um sich dort die entsprechenden Informationen einzuholen. Im gerichtlichen Verfahren müssen die so gewonnenen Erkenntnisse dann wiederum vom StMGP an das Gericht weitergegeben werden, was zu einer Verzögerung des Verfahrens führen kann und somit einer Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) entgegensteht.
Das gleiche Rechtschutzziel – also die Suspendierung von der (vermeintlichen) Quarantäneverpflichtung – kann ein Antragsteller dadurch erreichen, dass er in der Hauptsache die Feststellung beantragt, dass eine Quarantäneverpflichtung nicht besteht. Indem das zuständige Gesundheitsamt nämlich dem jeweiligen Antragsteller mitteilt, dass eine Quarantäneverpflichtung besteht, gibt es dem Antragsteller seine diesbezügliche Rechtsauffassung kund. Ist der Antragsteller anderer Meinung, so besteht zwischen den Beteiligten – also dem Freistaat Bayern, vertreten durch das jeweilige Gesundheitsamt, und dem jeweiligen Antragsteller – ein streitiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. In diesem Fall kann das Gesundheitsamt im gerichtlichen Verfahren unmittelbar mit dem Gericht kommunizieren, was zu einer Beschleunigung der Verfahren führt. Stellt das Gericht im Einzelfall tatsächlich fest, dass eine Quarantäneverpflichtung nicht (mehr) besteht, so ist das angestrebte Rechtsschutzziel vollumfänglich erreicht; denn alle staatlichen Stellen werden eine derartige Feststellung beachten.
Einem entsprechenden Feststellungsantrag steht auch nicht § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen. Danach kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies ist zwar vorliegend möglich; denn wie bereits ausgeführt könnte gegen die Allgemeinverfügung mit einer Anfechtungsklage vorgegangen werden. Eine Anfechtungsklage wäre gegebenenfalls sogar gegen die Feststellung des Gesundheitsamtes, dass eine Quarantänepflicht besteht, möglich, wenn man letztere als Verwaltungsakt ansehen wollte. Vorliegend ist der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage jedoch nicht einschlägig; denn aufgrund der oben dargestellten tatsächlichen Schwierigkeiten beim Vorgehen gegen die Allgemeinverfügung im Eilrechtschutzverfahren ist ein Antrag nach § 123 VwGO auf vorläufige Feststellung des Nichtbestehens einer Quarantäneverpflichtung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die effektivere Rechtsschutzmöglichkeit. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig besondere Eile geboten ist, da die von einer Isolation betroffenen Personen von erheblichen Grundrechtseingriffen betroffen sind. Deshalb gilt der Subsidiaritätsgrundsatz hier nach Auffassung der Kammer nicht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 43 Rn. 29).
2. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Erforderlich ist in jedem Fall die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes (Eilbedürftigkeit) und eines Anordnungsanspruchs.
Vorliegend ist jedenfalls ein Anordnungsanspruch nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ausschließlich möglichen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht gegeben. Nach dieser Prüfung unterliegt die Antragstellerin voraussichtlich der Pflicht, sich in Isolation bzw. Quarantäne zu begeben, weshalb eine gegenteilige Feststellung nicht getroffen werden kann.
a) Nach Nr. 2.1.1 AV Isolation n.F. müssen sich Kontaktpersonen der Kategorie I unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamtes gemäß Nr. 1.1 in Quarantäne begeben. Die Mitteilung durch das Gesundheitsamt, dass die Antragstellerin Kontaktperson der Kategorie I ist, erfolgte vorliegend am 30.11.2020 und nochmals am 1.12.2020.
Das Gesundheitsamt hat die Antragstellerin darüber hinaus zutreffend als Kontaktperson der Kategorie 1 eingestuft. Nach Nr. 1.1 AV Isolation n.F. hat das Gesundheitsamt insoweit die jeweils geltenden Kriterien des RKI heranzuziehen. Nach der Veröffentlichung des RKI „Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei Infektionen durch SARS-CoV-2, Stand: 1.12.2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html) werden die Kontaktpersonen der Kategorie I in zwei Situationen eingruppiert:
„A. Enger Kontakt (<1,5 m, Nahfeld)
Infektiöses Virus wird vom Quellfall über Aerosole/Kleinpartikel (im Folgenden als „Aerosol(e)“ bezeichnet) und über Tröpfchen ausgestoßen (emittiert). Die Zahl der emittierten Partikel steigt von Atmen über Sprechen, zu Schreien bzw. Singen an. Im Nahfeld (etwa 1,5 m) um eine infektiöse Person ist die Partikelkonzentration größer („Atemstrahl“). Es wird vermutet, dass die meisten Übertragungen über das Nahfeld erfolgen. Die Exposition im Nahfeld kann durch korrekten Einsatz einer Maske (Mund-Nasenschutz (MNS), Mund-Nasen-Bedeckung (MNB, entspricht Alltagsmaske) oder FFP-Maske) gemindert werden.
B. Kontakt unabhängig vom Abstand (hohe Konzentration infektiöser Aerosole im Raum)
Darüber hinaus können sich Viruspartikel in Aerosolen bei mangelnder Frischluftzufuhr in Innenräumen anreichern, weil sie über Stunden in der Luft schweben können. Vermehrungsfähige Viren haben (unter experimentellen Bedingungen) eine Halbwertszeit von etwa 1 Stunde. In einer solchen Situation mit hoher Konzentration infektiöser Viruspartikel im Raum sind auch Personen gefährdet, die sich weit vom Quellfall entfernt aufhalten („Fernfeld“, siehe auch Steckbrief des RKI).
Das Risiko steigt dann an mit
– der Zahl der infektiösen Personen
– der Infektiosität des Quellfalls (um den Erkrankungsbeginn herum höher als später im Erkrankungsverlauf)
– der Länge des Aufenthalts der infektiösen Person(en) im Raum
– der Intensität der Partikelemission (Atmen
– der Intensität der Atemaktivität der exponierten Personen (z.B. Sporttreiben)
– der Enge des Raumes und
– dem Mangel an Frischluftzufuhr (Details siehe Stellungnahme der Kommission Innenraumlufthygiene am Umweltbundesamt).
Die Exposition einer Einzelperson zu im Raum hochkonzentriert schwebenden infektiösen Partikeln kann durch MNS/MNB kaum gemindert werden, da die Aerosole an der Maske vorbei eingeatmet werden.“
Vorliegend hat das Gesundheitsamt die Antragstellerin zutreffend als Kontaktperson der Kategorie I eingestuft. Die Antragstellerin war einerseits die direkte Banknachbarin der an COVID-19 erkrankten Mitschülerin, sodass davon ausgegangen werden muss, dass ein enger Kontakt im Sinne eines face-to-face Kontakt stattgefunden hat, sodass die Fallgruppe A des RKI erfüllt sein dürfte. Jedenfalls aber befand sich die Antragstellerin mit der infizierten Mitschülerin über einen Zeitraum von mindestens einer Schulstunde im gleichen Klassenraum, sodass jedenfalls auch die Voraussetzungen der Fallgruppe B gegeben sind, sodass sie unabhängig vom Abstand zur infizierten Mitschülerin zu Recht als Kontaktperson der Kategorie eingestuft wurde.
Aufgrund der Allgemeinverfügung bestand somit unzweifelhaft eine Verpflichtung zur Isolation. Die Mitteilung des Gesundheitsamtes war daher nicht zu beanstanden.
Unabhängig von der Frage, ob es sich bei der Mitteilung überhaupt um einen (feststellenden) Verwaltungsakt handelt, ist jedenfalls auszuführen, dass im Hinblick auf die Bestimmtheit dieser Mitteilung keine Bedenken bestehen. Es geht eindeutig aus der Mitteilung hervor, dass die Quarantäne am 6.12.2020 endet, wenn bis dahin keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen auftreten. Dass in den anliegenden Informationen von einer grundsätzlichen Dauer der Isolation von 14 Tagen die Rede ist, macht das Schreiben des Gesundheitsamtes nicht widersprüchlich. Die Dauer der Quarantäne richtet sich nunmehr nach Nr. 6.1 AV Isolation n.F.. Dort ist geregelt, dass sich die grundsätzliche Dauer von 14 Tagen ab dem Zeitpunkt berechnet, zu dem der letzte Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall geschehen ist. Daraus lässt es sich erklären, dass im vorliegenden Fall das Gesundheitsamt den Quarantänezeitraum vom 27.11.2020 bis zum 6.12.2020 festgesetzt hat. Für den Empfänger des Schreibens bestehen jedenfalls keinerlei Zweifel, dass die Quarantäne mit Ablauf des 6.12.2020 endet, wenn bis dahin keine Symptome aufgetreten sind.
b) Die Isolation ist auch noch nicht (vorzeitig) beendet. Nach der nunmehr geltenden Rechtslage für kohortenisolierte Schülerinnen und Schüler endet die Quarantäne, wenn ein PCR-Test oder Antigentest, der frühestens am 5. Tag nach dem Vorliegen des positiven Testergebnisses der positiv getesteten Mitschülerin bzw. des positiv getesteten Mitschülers bei ihnen vorgenommen wurde, ein negatives Ergebnis aufweist, mit dem Vorliegen des Ergebnisses (vgl. Nr. 6.4 Satz 1 AV Isolation n.F.). Dass die Antragstellerin im Besitz eines derartigen Testergebnisses ist, hat sie nicht vorgetragen.
c) Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung findet bei summarischer Prüfung in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ihre Rechtsgrundlage. Werden danach Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a Abs. 1 und in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
Das StMGP ist zurecht davon ausgegangen, dass Kontaktpersonen der Kategorie I, die die Vorgaben des RKI erfüllen, Ansteckungsverdächtige im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG sind. Bei einem Ansteckungsverdächtigen handelt es sich um eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Die Aufnahme von Krankheitserregern im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG ist dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzunehmen, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Die Vermutung, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, muss naheliegen. Eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Demzufolge ist die Annahme eines Ansteckungsverdachts nicht schon gerechtfertigt, wenn die Aufnahme von Krankheitserregern nicht auszuschließen ist. Andererseits ist auch nicht zu verlangen, dass sich die Annahme geradezu aufdrängt. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist als das Gegenteil. Für die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckungsgefahr gilt dabei allerdings kein strikter, alle möglichen Fälle gleichermaßen erfassender Maßstab. Es ist der allgemeine polizeirechtliche Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, wobei insbesondere auch das Ansteckungsrisiko einer Krankheit und die Schwere des Krankheitsverlaufes in den Blick zu nehmen sind. Ob gemessen daran ein Ansteckungsverdacht im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG zu bejahen ist, beurteilt sich unter Berücksichtigung der Eigenheiten der jeweiligen Krankheit und der verfügbaren epidemiologischen Erkenntnisse und Wertungen sowie anhand der Erkenntnisse über Zeitpunkt, Art und Umfang der möglichen Exposition der betreffenden Person und über deren Empfänglichkeit für die Krankheit (BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16.11- juris = NJW 2012, 2823; VG Saarlouis, B.v. 27.11.2020 – 6 L 1468/20 – juris).
Nach diesem Maßstab hat das StMGP diejenigen Personen, die nach den Kriterien des RKI Kontaktpersonen der Kategorie I sind, grundsätzlich zu Recht als Ansteckungsverdächtige eingestuft; denn das RKI ist als nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG) mit besonderer Fachkunde ausgestattet. Nach der aktuellen Risikobewertung des RKI (Stand: 1.12.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) handelt es sich bei der Corona-Pandemie weltweit, in Europa und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Nach dem Teil-Lockdown ab dem 1.11.2020 konnte der anfänglich exponentielle Anstieg in ein Plateau überführt werden, die Anzahl neuer Fälle ist allerdings weiterhin sehr hoch. Darüber hinaus ist die Zahl der zu behandelnden Personen auf den Intensivstationen stark angestiegen. Das Infektionsgeschehen ist zur Zeit diffus, in vielen Fällen kann das Infektionsumfeld nicht mehr ermittelt werden. Noch gibt es keinen zugelassenen Impfstoffe und die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und langwierig. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch.
Zur Übertragbarkeit führt das RKI in seinem epidemiologischen Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand 27.11.2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html; jsessionid=B7E0F3EF20156EA05DD8C6D016B1 E63.internet051#doc13776792bodyText2) Folgendes aus:
„Der Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 ist die respiratorische Aufnahme virushaltiger Partikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen und Niesen entstehen (1, 2). Je nach Partikelgröße bzw. den physikalischen Eigenschaften unterscheidet man zwischen den größeren Tröpfchen und kleineren Aerosolen, wobei der Übergang zwischen beiden Formen fließend ist. Während insbesondere größere respiratorische Partikel schnell zu Boden sinken, können Aerosole auch über längere Zeit in der Luft schweben und sich in geschlossenen Räumen verteilen. Ob und wie schnell die Tröpfchen und Aerosole absinken oder in der Luft schweben bleiben, ist neben der Größe der Partikel von einer Vielzahl weiterer Faktoren, u.a. der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit, abhängig (2).
Beim Atmen und Sprechen, aber noch stärker beim Schreien und Singen, werden Aerosole ausgeschieden (3-12); beim Husten und Niesen entstehen zusätzlich deutlich vermehrt größere Partikel (13-15). Neben der steigenden Lautstärke können auch individuelle Unterschiede zu einer verstärkten Freisetzung beitragen (4). Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber infektiösen Partikeln jeglicher Größe im Umkreis von 1-2 m um eine infizierte Person herum erhöht (16). Eine Maske (Mund-Nasen-Schutz oder Mund-Nasen-Bedeckung) kann das Risiko einer Übertragung durch Partikel jeglicher Größe im unmittelbaren Umfeld um eine infizierte Person reduzieren.
Bei längerem Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen kann sich die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als 1,5 m erhöhen, insbesondere dann, wenn eine infektiöse Person besonders viele kleine Partikel (Aerosole) ausstößt, sich längere Zeit in dem Raum aufhält und exponierte Personen besonders tief oder häufig einatmen. Durch die Anreicherung und Verteilung der Aerosole im Raum ist das Einhalten des Mindestabstandes zur Infektionsprävention ggf. nicht mehr ausreichend. Ein Beispiel dafür ist das gemeinsame Singen in geschlossenen Räumen über einen längeren Zeitraum, wo es z.T. zu hohen Infektionsraten kam, die sonst nur selten beobachtet werden (17, 18). Auch schwere körperliche Arbeit bei mangelnder Lüftung hat, beispielsweise in fleischverarbeitenden Betrieben, zu hohen Infektionsraten geführt (19). Ein effektiver Luftaustausch kann die Aerosolkonzentration in einem Raum vermindern (20). Übertragungen im Außenbereich kommen insgesamt selten vor (21). Bei Wahrung des Mindestabstandes ist die Übertragungswahrscheinlichkeit im Außenbereich aufgrund der Luftbewegung sehr gering.“
Unter Berücksichtigung dieser fundierten wissenschaftlichen Ausführungen des RKI ist es nicht zu beanstanden, wenn das StMGP in seiner Allgemeinverfügung Kontaktpersonen der Kategorie I, die nach den Kriterien des RKI Kontakt zu einem Kranken hatten, als Ansteckungsverdächtige einstuft und diese dann einer Verpflichtung zur Absonderung nach den §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 1 und 2 IfSG unterwirft.
d) Zutreffend ist es bei summarische Prüfung schließlich auch, dass die streitgegenständliche Allgemeinverfügung eine mithilfe eines PCR-Tests positiv auf das Coronavirus getestete Person als „Kranker“ im Sinne des § 2 Nr. 4 IfSG einstuft, von dem die Kontaktperson der Kategorie I den Krankheitserreger mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit aufgenommen haben kann. „Kranker“ im Sinne des § 2 Nr. 4 IfSG ist eine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist. Ob die Erkrankung vorliegt, wird unter anderem mit PCR-Tests festgestellt, deren Zuverlässigkeit aufgrund der von der Antragstellerin geäußerten Zweifel nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden summarischen Prüfung nicht infrage gestellt ist.
Grundlage für den Test auf ein aktuell vorhandenes Infektionsgeschehen ist ein Abstrich des Nasen-Rachen-Raumes. Dabei wird das Erbgut des Virus im Rahmen des Verfahrens mittels eines empfindlichen molekularen Tests, einer sogenannten Polymerase-Kettenreaktion (PCR), nachgewiesen. Hierbei schließt ein negatives Ergebnis die Möglichkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2 allerdings nicht vollständig aus, da dieser Test nicht in jedem Stadium der Infektion verlässlich anschlägt. Falschnegative Ergebnisse können z. B. aufgrund schlechter Probenqualität, bei unsachgemäßem Transport oder aufgrund eines ungünstigen Zeitpunkts der Probenentnahme (bezogen auf den Krankheitsverlauf) nicht ausgeschlossen werden (Wendling: Verfügbare Testverfahren auf SARS-CoV-2, ARP 2020, 234).
Nach den Erkenntnissen des RKI kommen falsch positive Testergebnisse nur in extrem wenigen Einzelfällen vor. Das RKI führt dazu in seinen Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2 / Krankheit COVID-19, Gesamtstand: 3.12.2020 bei der Frage „Welche Rolle spielen falsch-positive Testergebnisse?“ (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html) Folgendes aus:
„Es wird häufiger angeführt, dass durch vermehrte ungezielte Testungen der Anteil falsch positiver Befunde zunimmt. Generell wird die Richtigkeit des Ergebnisses von diagnostischen Tests neben deren Qualitätsmerkmalen und der Qualität von Probennahme, Transport, Durchführung und Befundung auch von der Verbreitung einer Erkrankung/eines Erregers in der Bevölkerung beeinflusst (positiver und negativer Vorhersagewert). Je seltener eine Erkrankung ist und je ungezielter getestet wird, umso höher sind die Anforderungen an die Sensitivität (= die Empfindlichkeit) und die Spezifität (die Zielgenauigkeit des Tests, also wie wahrscheinlich es ist, dass nur der gesuchte Erreger sicher erkannt wird) der zur Anwendung kommenden Tests.
Ein falsch-positives Testergebnis bedeutet, dass eine Person ein positives Testergebnis bekommt, obwohl keine Infektion mit SARS-CoV-2 vorliegt. Aufgrund des Funktionsprinzips von PCR-Tests und hohen Qualitätsanforderungen liegt die analytische Spezifität bei korrekter Durchführung und Bewertung bei nahezu 100%.
Im Rahmen von qualitätssichernden Maßnahmen nehmen diagnostische Labore an Ringversuchen teil. Die bisher erhobenen Ergebnisse spiegeln die sehr gute Testdurchführung in deutschen Laboren wider (siehe www.instand-ev.de).
Die Herausgabe eines klinischen Befundes unterliegt einer fachkundigen Validierung und schließt im klinischen Setting Anamnese und Differentialdiagnosen ein. In der Regel werden nicht plausible Befunde in der Praxis durch Testwiederholung oder durch zusätzliche Testverfahren bestätigt bzw. verworfen (siehe auch: www.rki.de/covid-19-diagnostik).
Bei korrekter Durchführung der Teste und fachkundiger Beurteilung der Ergebnisse geht das RKI demnach von einer sehr geringen Zahl falsch positiver Befunde aus, die die Einschätzung der Lage nicht verfälscht.“
Nach alledem führen die von der Antragstellerin vorgetragenen Ungenauigkeiten des PCR-Tests nicht dazu, dass der PCR-Test grundsätzlich ungeeignet ist, die Infektionsgefahr von SARS-CoV-2 abzubilden. Solange keine zuverlässigere Testmethode vorhanden und anerkannt ist, stellt der PCR-Test ein geeignetes Instrument zur Einschätzung der Übertragungsgefahr von SARS-CoV-2 dar (BayVGH, B.v. 8.9.2020 – 20 NE 20.2001 – juris; VG Saarlouis, B.v. 27.11.2020 – 6 L 1468/20 – juris).
e) Es handelt sich bei der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet. Nur hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen – dem „wie“ des Eingreifens – ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt. Die Behörde muss ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermessensermächtigung im Interesse des effektiven Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausüben. Am Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen für die zur Entscheidung berufene Kammer keine Zweifel.
Da nach wie vor weder ein Impfstoff noch eine wirksame Therapie gegen eine COVID-19-Erkrankung vorhanden sind, besteht insbesondere bei älteren Menschen und bei Menschen mit Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufs der Erkrankung mit erheblichen Folgen für Leben und Gesundheit. Ferner besteht die Gefahr einer Überforderung des Gesundheitssystems. Deshalb muss es das Ziel sein, durch geeignete Maßnahmen eine Ausbreitung der Infektion mit SARS-CoV-2 einzudämmen und so weit wie möglich zeitlich zu verlangsamen. Nur so können die vorgenannten Risikogruppen ausreichend geschützt werden. Die häusliche Isolation von Kontaktpersonen ist dabei aus infektionsmedizinischer Sicht eine entscheidende Maßnahme zur Unterbrechung möglicher Infektionsketten. Diese Maßnahme ist daher nicht zu beanstanden.
Es ist voraussichtlich auch nicht zu beanstanden, dass die AV Isolation n.F. für Kontaktpersonen der Kategorie I nach Nr. 6.1 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich eine Dauer der Isolation von 14 Tagen festsetzt. Die mittlere Inkubationszeit, die angibt, welche Zeit von der Ansteckung bis zum Beginn der Erkrankung vergeht, wird in den meisten Studien mit 5 bis 6 Tagen angegeben. In verschiedenen Studien wurde berechnet, zu welchem Zeitpunkt 95% der infizierten Symptome entwickelt hatten. Dabei lag das 95. Perzentil der Inkubationszeit bei 10 bis 14 Tagen (RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 27.11.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html; jsessionid=CACABEFA7772AE1453BC6E9CFC39B5 DD.internet121#doc13776792bodyText5). Die Regelung ist verhältnismäßig – also geeignet, erforderlich und angemessen -, zumal nach Nr. 6.1 Abs. 1 Satz 2 bzw. 6.4 AV Isolation n.F. nunmehr vorzeitige Beendigungsmöglichkeiten der Quarantäne vorgesehen sind, wenn ein PCR-Test oder Antigentest ein negatives Ergebnis hervorbringt.
f) Auch wenn die Grundrechte der Antragstellerin aufgrund der Isolationsverpflichtung nicht unerheblich beeinträchtigt werden, so ist dies voraussichtlich gleichwohl im Interesse des Schutzes von Leib und Leben der Allgemeinheit gerechtfertigt. Bereits oben wurde dargestellt, dass es lebensbedrohliche und tödliche Krankheitsverläufe gibt, die durch die Isolationsverpflichtung eingedämmt werden sollen. Der Schutz von Leib und Leben der Bevölkerung nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG genießt Vorrang vor den in zeitlicher Hinsicht relativ kurzen Beeinträchtigungen der Freiheitsgrundrechte der Antragstellerin.
Nach alledem ist die für die Antragstellerin geltende Verpflichtung zur Isolation bzw. Quarantäne nicht zu beanstanden.
Der Antrag war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abrufbar auf der Homepage des BVerwG). Das Gericht hat vorliegend von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, wegen der Vorwegnahme der Hauptsache den Streitwert bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben.


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