Medizinrecht

Kostenerstattung für eine stationäre Anschlussrehabilitation

Aktenzeichen  S 11 KR 199/16

Datum:
1.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V SGB V § 13 Abs. 3 S. 1, S. 2, § 40
SGB IX SGB IX § 5 Nr. 1, § 9, § 14, § 15 Abs. 1 S. 3, S. 4

 

Leitsatz

1 Maßstab für die Ausübung des den Krankenkassen hinsichtlich der Bestimmung der Rehabilitationseinrichtung eingeräumten Auswahlermessens sind nach § 40 Abs. 3 S. 1 – 3 SGB V die medizinischen Erfordernisse des Einzelfalls. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Auswahlermessen der Krankenkasse richtet sich bei der Bestimmung einer zugelassenen Rehabilitations-Vertragseinrichtung vorrangig nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalls sowie dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Erst nachrangig kann das Wunsch- und Wahlrecht des Versicherten berücksichtigt werden. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig (§§ 51, 54, 57, 78, 87 und 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Der Bescheid vom 02.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.03.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB IX noch nach § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX zu.
Kann über den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht innerhalb der in § 14 Abs. 2 genannten Fristen entschieden werden, teilt der Rehabilitationsträger dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig mit, § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Erfolgt die Mitteilung nicht oder liegt ein zureichender Grund nicht vor, können Leistungsberechtigte dem Rehabilitationsträger eine angemessene Frist setzen und dabei erklären, dass sie sich nach Ablauf der Frist die erforderliche Leistung selbst beschaffen, Satz 2. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, Satz 3.
Diese Voraussetzungen liegen schon deshalb nicht vor, weil die Beklagte innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX nach Antragseingang am 18.02.2015 (Schriftsatz vom 17.02.2015) mit Bescheid vom 02.03.2015 entschieden hat.
Darüber hinaus ergibt sich bei hier selbstbeschaffter und durchgeführter stationärer Anschlussrehabilitation auch kein Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 7.546,50 € nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Danach besteht ein Kostenerstattungsanspruch, wenn der Rehabilitationsträger, hier die Beklagte, nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX eine unaufschiebbare Leistung zur Teilhabe, hier Leistungen zur stationären medizinischen Anschlussrehabilitation nach § 5 Nr. 1 SGB IX i.V.m. § 40 SGB V nicht rechtzeitig erbringen konnte oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.
Auch diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall nicht vor.
Ein solcher Kostenerstattungsanspruch besteht nicht, weil die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt, d. h. zum Zeitpunkt des Beginns der Durchführung der stationären Anschlussrehabilitation am 02.03.2015, keinen Anspruch auf Sachleistung hatte, d. h. auf Bewilligung einer stationären Anschlussrehabilitation im Krankenhaus M. im Zeitraum vom 02.03.2015 bis 10.04.2015. Denn der Beklagten stand hinsichtlich der Bestimmung der Rehabilitationseinrichtung sowie hinsichtlich der Dauer der Anschlussrehabilitation ein Auswahlermessen zu. Zum maßgeblichen Zeitpunkt am 02.03.2015 lagen die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null jedoch weder hinsichtlich der Auswahl der Rehabilitationseinrichtung noch hinsichtlich der Dauer der Rehabilitationsmaßnahme vor, weil nicht jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft gewesen wäre (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 54 Rn. 28d, 29 m.w.N.).
Aus diesem Grund war das Gericht auch nicht gehalten, die Mitarbeiterin des Sozialdienstes des Krankenhauses M. K. als Zeugin zur Frage des Inhalts des mit einem Mitarbeiter der Beklagten am 26.02.2015 geführten Telefongesprächs einzuvernehmen. Letzlich kommt es nämlich nicht darauf an, ob der Mitarbeiter der Beklagten am 26.02.2015 eine Anschlussrehabilitation in der Rehabilitationsabteilung von M. mündlich abgelehnt hat, d. h. einen mündlichen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erlassen hat, wogegen im Übrigen der Inhalt des Telefonvermerks vom 26.02.2015 spricht (darin wurde nämlich detailliert festgehalten, dass noch eine Anfrage der Beklagten wegen einer Aufnahmemöglichkeit in der Reha-Klinik E-Stadt laufe, die Antwort stehe noch aus). Denn der Anspruch auf Kostenerstattung reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- und Dienstleistung zu erbringen hat (st.Rspr., vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R = SozR 4-2500 § 31 Nr. 9, Rn. 13; BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R).
Über die Notwendigkeit einer stationären Anschlussrehabilitation bei der Klägerin, also über das „Ob“ einer stationären Anschlussrehabilitation bestand zwischen den Beteiligten – im Gegensatz zum streitigen „Wie“ der Durchführung – kein Streit.
Die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Kostenerstattung der stationären medizinischen Anschlussrehabilitation in der Klinik M. in N. richtet sich nach § 40 SGB V (i.d.F vom 23.10.2012, gültig ab 30.10.2012 bis 22.07.2015). Da unstreitig im Hinblick auf die Folgen der chirurgisch-orthopädischen Operation im Krankenhaus M. weder eine ambulante Krankenbehandlung noch ambulante Rehabilitationsleistungen ausreichend waren (§ 40 Abs. 2 a.a.O.) und auch ein anderer Träger für die stationäre Rehabilitationsleistung nicht zuständig war (vgl. § 40 Abs. 4 SGB V, a.a.O.), ist § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB V (a.a.O) anwendbar, wonach die Krankenkasse eine stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung erbringt, mit der ein Vertrag nach § 111 SGB V besteht. Im Bereich der stationären medizinischen Rehabilitation galt nicht die freie Wahl der Vertragseinrichtung durch den Versicherten. Vielmehr bestimmt § 40 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 SGB V (a.a.O.):
Die Krankenkasse bestimmt nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalls Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistungen nach Abs. 2 sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Leistungen nach Abs. 2 sollen … längstens für drei Wochen erbracht werden, es sei denn, eine Verlängerung der Leistung ist aus medizinischen Gründen dringend erforderlich.
Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten, § 39 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch, Satz 2.
Die Ermessensentscheidung der Beklagten ist nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Das Gericht darf bei der Ermessensüberprüfung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Bei der Überprüfung der eigentlichen Ermessensentscheidung findet nur eine Rechtskontrolle, keine Zweckmäßigkeitsüberprüfung statt. Das Gericht überprüft lediglich, ob ein Ermessensfehler vorliegt und ob der Kläger durch den Ermessensfehler beschwert ist. Für die Rechtskontrolle durch das Gericht ist die Begründung des Bescheides und des Widerspruchsbescheides wesentlich. Dass von dem Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht worden ist, muss sich aus ihm ergeben; er muss die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Verwaltung ausgegangen ist. Die Berücksichtigung und Angabe der Besonderheiten des Einzelfalls kennzeichnet eine ordnungsgemäße Ermessensausübung (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 54 Rn. 28).
Zu den Ermessensfehlern zählen Ermessensnichtgebrauch, Ermessensunterschreitung, Ermessensüberschreitung und Ermessensfehlgebrauch. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt, ferner wenn sie nicht alle maßgebenden Ermessensgesichtspunkte in die Entscheidung einbezogen oder wenn sie die abzuwägenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet oder einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat (BSG, Urteil vom 09.11.2010, B 2 U 10/10 R).
Maßstab für die Ausübung des den Krankenkassen auch hinsichtlich der Bestimmung der Rehabilitationseinrichtung eingeräumten Auswahlermessens sind nach § 40 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 SGB V (a.a.O.) die medizinischen Erfordernisse des Einzelfalls (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.08.2007, L 4 KR 2071/05). Nimmt ein Rehabilitationsträger zur Ausführung von Leistungen Rehabilitationseinrichtungen in Anspruch, hat gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 HS 1 SGB IX die Auswahl danach zu erfolgen, welche Einrichtung die Leistung in der am besten geeigneten Form ausführt. Dabei muss nach §§ 19 Abs. 4 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB IX darauf geachtet werden, dass die Einrichtung die Leistungen nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, insbesondere zu angemessenen Vergütungssätzen ausführt. Das von den Krankenkassen stets zu beachtende Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 2 Abs. 4, 12 Abs. 1 SGB V) hat dabei wiederum zur Folge, dass bei der Auswahl zwischen zwei oder mehr in gleicher Weise geeigneten, das gleiche Leistungsangebot bereithaltenden Einrichtungen grundsätzlich diejenige mit der Durchführung der Maßnahme zu beauftragen ist, die die günstigsten Vergütungssätze anbietet (BSGE 89, 294, 303). Im Übrigen ergibt sich das Gebot der Wirtschaftlichkeit auch aus § 69 Abs. 2 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IV).
In diesem Zusammenhang ist § 9 Abs. 1 SGB IX zu beachten:
Danach wird bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe berechtigten Wünschen des Leistungsberechtigten entsprochen (Satz 1). Dabei wird auch auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen (Satz 2); im Übrigen gilt § 33 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB I), dessen Satz 1 bestimmt: Ist der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt, sind bei ihrer Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Von berechtigten Wünschen, die sich auch auf die Auswahl der Rehabilitationsdienste und Einrichtungen und damit auch auf den Leistungsort erstrecken können, kann dabei nur ausgegangen werden, wenn sie sich im Rahmen des Leistungsrechts, der mit ihm verfolgten Ziele und sonstiger Vorgaben halten. Sie sind dann angemessen (BT-Drs. 12/5054 S. 100).
In Übereinstimmung mit dem BSG (Urteil vom 07.05.2013, B 1 KR 12/12 R) geht auch das Gericht davon aus, dass sich das Auswahlermessen der Krankenkasse bei der Bestimmung einer zugelassenen Rehabilitations-Vertragseinrichtung vorrangig nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalls sowie dem Wirtschaftlichkeitsgebot richtet und erst nachrangig das Wunsch- und Wahlrecht des Versicherten berücksichtigt.
Dies zugrundegelegt ist zum maßgeblichen Zeitpunkt des Beginns der stationären Anschlussrehabilitation am 02.03.2015 ein Ermessensfehler der Beklagten nicht feststellbar; insbesondere lagen nicht die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null vor, so dass nicht einzig und allein die von der Klägerin tatsächlich in Anspruch genommene Rehabilitationseinrichtung des Krankenhauses M. geeignet war, die medizinisch erforderliche Behandlung adäquat zu erbringen.
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass die Anschlussrehabilitation nach den bei der Klägerin vorliegenden medizinischen Erfordernissen nur im Krankenhaus M. hätte durchgeführt werden können bzw. müssen, nicht vorliegen. Sowohl die Klinik H. in E-Stadt als auch die Klinik M. in N. verfügen über eine Zulassung für geriatrische Rehabilitationsmaßnahmen. Darüber hinaus verfügt die Klinik H. auch noch über Zulassungen für Rehabilitationen bei orthopädischen Erkrankungen und Stoffwechselerkrankungen. Damit ist die Klinik H. zur Durchführung der streitgegenständlichen Rehabilitationsmaßnahme medizinisch nicht nur genauso gut geeignet wie die Klinik M., sondern eher noch besser. Der Klinik H. wäre es nämlich möglich gewesen, neben den geriatrischen Behandlungserfordernissen auch den orthopädischen Behandlungsnotwendigkeiten der Klägerin kompetent gerecht zu werden.
Soweit die Klägerin hiergegen einwendet, dass sich die Beklagte gerade nicht von medizinischen Erfordernissen habe leiten lassen, ergebe sich schon daraus, dass ihre Aufnahme in der Klinik E-Stadt erst ab dem 09.03.2015 möglich gewesen wäre, sie jedoch nach der Aussage der sie behandelnden Ärzte bereits am 25.02.2015 verlegungsfähig gewesen wäre, greift nicht durch. Zur Begründung führt die Klägerin insoweit an, dass durch die Auswahl der Klinik E-Stadt der Reha-Beginn in nicht unerheblichem Umfang hinausgezögert worden wäre, ohne dass geklärt gewesen wäre, wie sie, die sich – ausweislich des „Barthel-Index“ – nicht habe ausreichend selbständig versorgen können, zwischenzeitlich untergebracht oder medizinisch betreut worden wäre (siehe Klagebegründung vom 18.07.2016).
Aus der Aufnahme der Klägerin in der Klinik H. E-Stadt erst ab dem 09.03.2015 lässt sich kein Anhaltspunkt dafür herleiten, dass dadurch in irgendeiner Weise der Rehabilitationszweck gefährdet worden wäre. Der Vortrag, sich zwischenzeitlich nicht ausreichend selbständig versorgen zu können, ist kein Gesichtspunkt, den die Beklagte in die Ermessensausübung hinsichtlich der Wahl der Rehabilitationseinrichtung hätte einstellen müssen und betrifft vielmehr ggf. Leistungen nach dem SGB XI. In diesem Zusammenhang sieht die Klägerin auch das „Wirtschaftlichkeitsgebot“ berührt, da die Kosten für die in der Wartezeit zusätzlich zu erbringenden medizinischen oder zumindest krankenpflegerischen Versorgungsleistungen ebenfalls hätten aufgewendet werden müssen (siehe Schriftsatz vom 18.07.2016). Dabei verkennt die Klägerin, dass hier nicht die insgesamt in dieser Situation anfallenden Kosten zu berücksichtigen sind, sondern das Wirtschaftlichkeitsgebot im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V, das für alle Leistungsbereiche des SGB V gilt (BSG, Urteil vom 07.05.2013, B 1 KR 53/12 R), erfordert, dass unter mehreren geeigneten und medizinisch erforderlichen Leistungen diejenige ausgewählt wird, die „wirtschaftlich“ ist. Somit sind nur gleichartige Leistungen auf ihre Wirtschaftlichkeit zu überprüfen.
Im Rahmen der Ermessensausübung zum hier maßgeblichen Zeitpunkt am 02.03.2015 hatte die Beklagte auch nicht als „medizinisches Erfordernis“ bzw. als „berechtigten Wunsch“ im Sinne des § 9 SGB IX eine Transportunfähigkeit der Klägerin zur Klinik H. E-Stadt bzw. die von der Klägerin erstmals in der Klagebegründung (siehe Schriftsatz vom 18.07.2016) vorgetragene „Phobie“ vor einer Verladung in ein Transportfahrzeug zu berücksichtigen. Denn zum einen verfügte die Klinik H. E-Stadt über einen Transportdienst und es waren keine medizinischen Gründe ersichtlich, dass die Klägerin nach erfolgreicher 2. Operation nicht den Transportdienst hätte benutzen können, zumal die Transportschwierigkeiten am 27.01.2015 personenbezogen waren, d. h. auf dem Verhalten des Taxifahrers beruhten. Zum anderen stellte sich der Gesichtspunkt einer möglichen „Phobie“ der Klägerin vor einem Transport zum maßgeblichen Zeitpunkt am 02.03.2015 nicht. Vielmehr hat die Klägerin zunächst mit Schriftsatz vom 22.04.2015 – und somit nach dem maßgeblichen Zeitpunkt am 02.03.2015 – lediglich den Wunsch nach einer „wohnortnahen Durchführung“ der Anschlussrehabilitation geäußert und mit Widerspruch vom 27.05.2015 nur auf ihre berechtigten und angemessenen Wünsche nach § 9 Abs. 1 SGB IX und § 33 Satz 2 SGB I hingewiesen, ohne weitere zu benennen. Die Behauptung einer Phobie, zu der es aufgrund des Sturzunfalls anlässlich des ersten Versuchs einer Rehabilitationsmaßnahme Ende Januar 2015 gekommen sein soll, war von der Klägerin nicht bis zum 02.03.2015 (und im Übrigen auch nicht bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides am 10.03.2015) vorgetragen worden und kann daher nicht „nachträglich“ eine Rechtswidrigkeit der Ermessensausübung durch Nichtberücksichtigung dieses Umstandes begründen.
Lediglich ergänzend sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass die mit Schriftsatz vom 18.07.2016 erstmalig vorgetragene „Phobie“ der Klägerin vor einer Verladung in ein Transportfahrzeug nicht belegt ist. Vielmehr ergibt sich aus der Auskunft des Krankenhauses M. vom 07.10.2016, dass die Klägerin am 27.02.2015 gemäß den vorliegenden Aufzeichnungen den Entschluss gefasst hatte, die aus ihrer Sicht geeignetere und medizinisch-therapeutisch sinnvollere Maßnahme zur geriatrischen Rehabilitation im Krankenhaus M. durchzuführen. Insofern hat sie geäußert, dass sie die Entscheidung der Beklagten, erneut „lediglich“ eine indikationsspezifische Anschlussheilbehandlung statt der beantragten geriatrischen Rehabilitationsbehandlung zu gewähren, nicht akzeptieren könne und sich entschlossen habe, die Kosten für die geriatrische Rehabilitationsbehandlung im Krankenhaus M. zunächst selbst zu übernehmen und eine Kostenerstattung anschließend ggf. mit anwaltlicher Hilfe bei der Beklagten einzufordern. Von einer „Phobie“ als Grund für die Durchführung der Anschlussrehabilitation im Krankenhaus M. war danach nicht die Rede. Vielmehr stand im Vordergrund, dass die Klägerin offensichtlich irrig davon ausgegangen ist, dass eine geriatrische Rehabilitationsbehandlung in der Klinik B. H. nicht stattfinden könne, sondern lediglich im Krankenhaus M. möglich sei.
Bei der Ermessensausübung hat die Beklagte auch zu Recht das Wirtschaftlichkeitsgebot im Sinne der §§ 2 Abs. 4, 12 Abs. 1 SGB V beachtet. Danach besteht die Verpflichtung, bei der Auswahl zwischen zwei oder mehr in gleicher Weise geeigneten, das gleiche Leistungsangebot bereithaltenden Einrichtungen grundsätzlich diejenige mit der Durchführung der Maßnahme zu beauftragen, die die günstigsten Vergütungssätze anbietet (BSGE 89, 294, 303). Nach §§ 19 Abs. 4 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB IX muss darauf geachtet werden, dass die Einrichtung die Leistung nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, insbesondere zu angemessenen Vergütungssätzen ausführt. In der Klinik M. belief sich im streitigen Zeitraum der Tagessatz auf 206,90 €, so dass bei einer regelmäßigen Rehabilitationsdauer von drei Wochen, die mit 20 Kalendertagen berechnet wird, voraussichtliche Kosten in Höhe von 4.138,00 € zu erwarten waren. Der vergleichbare geriatrische Tagessatz in der Klinik H. hätte demgegenüber nur 189,00 € betragen, so dass hier Kosten in Höhe von 3.780,00 € zu erwarten waren. Die Klägerin hat jedoch ausweislich der Kostenrechnung vom 30.04.2015 sogar eine 39-tägige Rehabilitationsmaßnahme in Anspruch genommen, wodurch Kosten in Höhe von 7.546,50 € entstanden sind. Somit liegen die tatsächlichen – prinzipiell erstattungsfähigen – Kosten in der Klinik M. um 3.766,50 € höher als die voraussichtlichen Kosten der mit Bescheid vom 02.03.2015 bewilligten Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik H.. Damit war eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik H. wirtschaftlicher als es die tatsächlich durchgeführte Behandlung in der Rehabilitationsabteilung der Klinik M. war.
Der Klägerin steht darüber hinaus auch kein Anspruch auf Erstattung der Kosten zu, die den Zeitraum der durchgeführten Anschlussrehabilitation betreffen, der dem bewilligten Zeitraum von drei Wochen bis zum 39. Tag nachfolgt. Denn zum einen steht der Beklagten hinsichtlich der Dauer einer Anschlussrehabilitationsmaßnahme gemäß § 40 Abs. 3 Satz 1 SGB V (a.a.O.) Ermessen zu. Gesichtspunkte, die eine Ermessensreduzierung auf Null insofern bedingen, sind weder aus den Akten ersichtlich noch von der Klägerin vorgetragen worden. Daher scheitert ein entsprechender Kostenerstattungsanspruch bereits an einem fehlenden Sachleistungsanspruch auf Gewährung einer Anschlussrehabilitation für die Dauer vom 22. Bis 39. Tag. Zum anderen liegen die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. HS SGB V („oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, …“) nicht vor. Mangels eines – den verlängerten Zeitraum betreffenden – ablehnenden Bescheids ist die von § 13 Abs. 3 Satz 1 2. HS SGB V geforderte Kausalität zwischen ablehnendem Bescheid und Selbstbeschaffung zu verneinen. Aus den dargelegten Gründen steht der Klägerin kein Anspruch auf Erstattung der Kosten bezüglich des Verlängerungszeitraums nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. HS SGB V zu.
Auch die Erstattung der „Sowiesokosten“, d. h. der Kosten, die bei tatsächlicher Inanspruchnahme der stationären Anschlussrehabilitation in der Klinik H. für die Dauer von drei Wochen angefallen wären, kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil die rechtskundig vertretene Klägerin keinen entsprechenden Antrag gestellt hat. Eine Erstattung der „Sowiesokosten“ kommt aber auch bei entsprechender sinngemäßer Auslegung des Antrags der Klägerin gemäß § 123 SGG nicht in Betracht.
Nach § 9 Abs. 2 SGB IX können Sachleistungen zur Teilhabe, die nicht in Rehabilitationseinrichtungen auszuführen sind, auf Antrag der Leistungsberechtigten als Geldleistungen erbracht werden, wenn die Leistungen hierdurch voraussichtlich bei gleicher Wirksamkeit wirtschaftlich zumindest gleichwertig ausgeführt werden können, Satz 1.
Von der Erstattung der „Sowiesokosten“ sind nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 9 Abs. 2 SGB IX Sachleistungen in Rehabilitationseinrichtungen ausgenommen. Gründe für eine Gesetzesauslegung contra legem sind nicht ersichtlich. Eine derartige Auslegung kommt gerade auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt, dass die Krankenkasse im Rahmen ihres Auswahlermessens eine möglichst gleichmäßige Auslastung der in Deutschland verfügbaren Rehabilitationseinrichtungen fordern darf (siehe BSG, Urteil vom 07.05.2013, B 1 KR 53/12 R), nicht in Betracht.
Ein Erstattungsanspruch der „Sowiesokosten“ ergibt sich auch nicht aus § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB V. Denn die Norm gibt Versicherten nur dann ein Recht, eine andere zertifizierte Einrichtung zu wählen, wenn mit dieser kein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V besteht (so zu Recht BSG, Urteil vom 07.05.2013, B 1 KR 12/12 R, Juris Rn. 17 ff.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Klägerin kann auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten kein Wahlrecht für verschiedene Leistungen beanspruchen, weil sie das im Hinblick auf die Zielsetzung des § 40 SGB V Erforderlich hält. Für diese Rechtsauffassung spricht auch die rechtshistorische Entwicklung des § 111 SGB V: Die Einschränkung der Wahlrechte bei Vertragseinrichtungen sichert die Vorhaltung eines verfügbaren Systems von stationären Einrichtungen, indem die Krankenkassen bei der Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen gleich geeigneten Einrichtungen auch im Interesse der Erhaltung der Infrastruktur und Wirtschaftlichkeit eine Auslastung der für Naturalleistungen verfügbaren Vertragseinrichtungen sorgen können (BSG, a.a.O. Juris Rn. 23). Der Gesetzgeber bezog Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen in ein vertragliches Zulassungssystem (vgl. § 111 SGB V) ursprünglich mit ein, um einer ungesteuerten Entwicklung in diesem Bereich entgegenzuwirken (vgl. Gesetzesentwurf der Fraktion CDU/CSU und FDP eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen BT-Drucks 11/2237, S. 140). Er wollte damit den Krankenkassen(verbänden) auch Einfluss auf die Zahl der Leistungserbringer verschaffen (vgl. Klückmann in Hauck/Noftz, SGB V, Stand April 2013, K § 111 Rn. 3; Wahl in: jurisPK, 2. Aufl. 2012 § 111 SGB V Rn. 16 m.w.N.).
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Klage abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.


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