Medizinrecht

Kostenerstattung für heilpädagogische Wohnheimunterbringung

Aktenzeichen  12 BV 20.1951

Datum:
2.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2021, 233
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 10
SGB IX § 16 Abs. 1, § 49 Abs. 7 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Für die Abgrenzung der Zuständigkeiten für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (SGB III) und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) kommt es aufgrund des Fehlens einer eindeutigen gesetzlichen Regelung maßgeblich auf die überwiegende Zielsetzung der konkreten Maßnahme – deren Schwerpunkt – an. (Rn. 30)
2. Die Zuständigkeit der Jugendhilfe ist demnach dann gegeben, wenn als Leistungszweck die psychosoziale Betreuung dominiert, es sich mit anderen Worten um eine in jeder Hinsicht eigenständige psychologische, pädagogische oder sonstige, von der beruflichen Rehabilitation unabhängige, isolierte erzieherische Maßnahme handelt. In diesem Fall hat das Jugendamt die Kosten für die aus erzieherischen und (sozial-) rehabilitativen Gründen erforderliche auswärtige (heilpädagogische) Unterbringung auch dann zu tragen, wenn daneben berufliche Maßnahmen gewährt werden; nur speziell für diese hat die Bundesagentur aufzukommen. (Rn. 31 – 32)
3. Erfolgt die auswärtige Unterbringung hingegen zum Zweck der schulischen oder beruflichen Eingliederung, so sind Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch III gegenüber Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch VIII vorrangig. Letzteres ist vor allem dann anzunehmen, wenn eine auswärtige Unterbringung Verhaltens- bzw. Reifedefizite des Hilfeempfängers reduzieren soll, um die Berufsvorbereitung zu unterstützen und insoweit den Erfolg der Teilhabeleistungen und der beruflichen Eingliederung zu ermöglichen. Dabei kommt es nicht auf die Bezeichnung der jeweiligen Maßnahme oder den jeweils zugrunde gelegten Betreuungsschlüssel, sondern auf den tatsächlich befriedigten Bedarf des Hilfeempfängers an. (Rn. 33 und 37)

Verfahrensgang

Au 3 K 18.1900 2020-07-07 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist wegen der Verfahrenskosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben, §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Leistungsklage der Klägerin – jedenfalls im Ergebnis – zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin besitzt gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die dem Hilfeempfänger G. gewährte heilpädagogische Wohnunterbringung sowie der damit zusammenhängenden Fahrtkosten.
Hinsichtlich des materiellen Rechts hat das Verwaltungsgericht zutreffend auf die Rechtslage für den Zeitraum vom 1. September 2014 bis 29. Februar 2016 abgestellt (vgl. BVerwG, Urteil v. 19.10.2011 – 5 C 6/11 -, NVwZ-RR 2012, 67 – juris, Rn. 6). Ungeachtet dessen haben die im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Normen des Neunten Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung – mit Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen – Bundesteilhabegesetz vom 23. Dezember 2016 (BTHG, BGBl I 2016, 3234), überwiegend in Kraft getreten zum 1. Januar 2018, zwar eine neue Bezeichnung, inhaltlich jedoch keine Änderung erfahren, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zu Recht feststellt.
1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX 2004, der insoweit eine zu § 16 Abs. 1 SGB IX i.d.F.v. 23. Dezember 2016 inhaltsgleiche Regelung enthält und vorliegend den sonstigen Erstattungsregelungen als lex specialis vorgeht (vgl. BVerwG, Urteil v. 22.6.2017 – 5 C 3/16 -, JAmt 2017, 504 – juris, Rn. 10).
Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX 2004 hat der Rehabilitationsträger, der aufgrund eines nach § 14 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB IX 2004 weitergeleiteten Antrags geleistet hat, einen Erstattungsanspruch, wenn nach Bewilligung der Leistung durch diesen Rehabilitationsträger festgestellt wird, dass ein anderer Rehabilitationsträger bzw. bei mehrfacher Zuständigkeit ein vorrangig Leistungsverpflichteter (vgl. BVerwG, Urteil v. 22.6.2017 – 5 C 3/16 -, JAmt 2017, 504 – juris, Rn. 10; BSG, Urteil v. 30.6.2016 – B 8 SO 7/15 R – juris, Rn. 12) für die Erbringung der Leistung zuständig war.
Die Klägerin hat zwar aufgrund eines weitergeleiteten Antrags nach § 14 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB IX 2004 geleistet, sodass § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX 2004 grundsätzlich als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt. Allerdings hat der Leistungsempfänger hinsichtlich der Unterbringung in einer heilpädagogischen Wohngruppe einen deckungsgleichen Leistungsanspruch gegen beide Rehabilitationsträger, sowohl die Klägerin (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 5 Nr. 2 u. 3 SGB IX 2001) als auch den Beklagten (§ 6 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 5 Nr. 4 SGB IX 2001), wobei der Leistungsanspruch des Leistungsempfängers gegen die Klägerin jedoch vorrangig ist, sodass in der Tat kein Erstattungsanspruch besteht, wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt hat.
Der Leistungsempfänger G. hatte vorliegend unstreitig einen Anspruch gegen den Beklagten auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII, welche grundsätzlich auch die Unterbringung in einer heilpädagogischen Wohngruppe beinhalten kann. Darüber hinaus besaß der Leistungsempfänger jedoch auch einen Anspruch gegenüber der Klägerin nach §§ 112, 127 SGB III i.V.m. § 33 Abs. 7 Nr. 1 SGB IX 2011 (BGBl I, 2854). Nach dieser Vorschrift (insoweit wortgleich zu § 49 Abs. 7 Nr. 1 SGB IX i.d.F.v. 23.12.2016) gehört zu den von der Klägerin zu erbringenden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 112 SGB III) auch die Übernahme der erforderlichen Kosten (§ 127 SGB III) für Unterkunft und Verpflegung, wenn für die Ausführung einer Leistung eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushalts wegen Art oder Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolges der Teilhabe am Arbeitsleben notwendig ist (§ 33 Abs. 7 Nr. 1 SGB IX 2011).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, denn die heilpädagogische Unterbringung des Hilfeempfängers war – jedenfalls auch – erforderlich, um das Ausbildungsziel zu erreichen. Die erstmalige heilpädagogische Fremdunterbringung des Hilfeempfängers wurde durch die berufsvorbereitende Maßnahme veranlasst und für eine Stabilisierung und positive Weiterentwicklung im Hinblick auf eine Ausbildung als gezieltes pädagogisches und sozialpädagogisches Programm für erforderlich erachtet. Damit steht die Notwendigkeit der heilpädagogischen Wohnunterbringung zur erfolgreichen Sicherung der Teilnahme am Arbeitsleben außer Frage.
a) Folgt man dem Verwaltungsgericht und einem nicht unwesentlichen Teil der jugendhilferechtlichen Literatur und Rechtsprechung, so genügt allein dieser Umstand, einen Anspruch der Klägerin zu verneinen. Nach dieser Auffassung soll mangels einer speziellen gesetzlichen Regelung mit Blick auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch III – hier auf solche zur Teilhabe am Arbeitsleben – generell die allgemeine Vorrangregelung des § 10 Abs. 1 SGB VIII greifen. Bestehen danach Ansprüche auf Rehabilitationsleistungen sowohl nach dem Sozialgesetzbuch III wie nach dem Sozialgesetzbuch VIII, so sind die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch III vorrangig (vgl. Bieritz-Harder, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, 52. Lieferung IX/XII, § 10 Rn. 18 f.; Schönecker/Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 10 Rn. 7; VG Koblenz, Urteil v. 12.7.2006 – 5 K 1992/05.KO -, JAmt 2007, 489 – LS 2; VG Würzburg, Urteil v. 13.2.2014 – W 3 K 13.112 – BeckRS 2014, 49438; VG München, Urteil v. 17.7.2019 – M 18 K 17.2523 – juris, Rn. 39 ff.; siehe auch SG Augsburg, U.v. 21.12.2017 – S 7 AL 288/15 – juris, Rn. 30 ff.; LSG Baden-Württemberg, U.v. 24.04.2015 – L 8 AL 2430/12 – juris, Rn. 69; BSG, U.v. 12.10.2017 – B 11 AL 20/16 R – juris, Rn. 20).
b) Demgegenüber kommt es nach Auffassung eines anderen – wohl vorzugswürdigeren – Teils der jugendhilferechtlichen Literatur und der Rechtsprechung des 7. und 9. Senats des Bundessozialgerichts für die Abgrenzung der Zuständigkeiten aufgrund des Fehlens einer eindeutigen gesetzlichen Regelung maßgeblich auf die überwiegende Zielsetzung der konkreten Maßnahme an (vgl. Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, LPK-SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 10 Rn. 29; Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, Stand: 30.1.2020, § 10 Rn. 29 ff.; BSG, Urteil v. 26.10.2004 – B 7 AL 16/04 R -, BSGE 93, 283 – juris, Rn. 21; Urteil v. 26.9.1990 – 9 B/7 RAr 100/89 -, FEVS 41, 468 [471]). Dies dürfte dem Zusammenspiel von § 22 Abs. 1 SGB III einerseits und § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII andererseits am ehesten entsprechen. Zwar bleiben nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII Verpflichtungen anderer Sozialleistungsträger – solche der Arbeitsförderung – durch Leistungen nach dem SGB VIII unberührt, andererseits dürfen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung gemäß § 22 Abs. 1 SGB VIII nur erbracht werden, wenn nicht bereits andere Leistungsträger zur Erbringung gleichartiger Leistungen – vorliegend der Unterbringung in einem heilpädagogischen Wohnheim – gesetzlich verpflichtet sind. Nur so können beide Vorschriften einander optimal zugeordnet werden und jeweils in größtmöglichem Umfang Wirklichkeit gewinnen.
aa) Die Zuständigkeit der Jugendhilfe ist demnach dann gegeben, wenn als Leistungszweck die psychosoziale Betreuung dominiert. In diesem Fall hat das Jugendamt die Kosten für die aus erzieherischen und (sozial-) rehabilitativen Gründen erforderliche auswärtige Unterbringung auch dann zu tragen, wenn daneben berufliche Maßnahmen gewährt werden; nur speziell für diese hat die Bundesagentur aufzukommen. Ein erzieherischer Mehrbedarf ist hingegen stets vom Jugendhilfeträger zu übernehmen (vgl. Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 10 Rn. 30; Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, LPK-SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 10 Rn. 29).
Der Träger der Arbeitsförderung ist danach nur für die berufliche Bildung, nicht aber auch für die soziale Betreuung und Persönlichkeitsentwicklung des jungen Menschen zuständig (vgl. BSG, Urteil v. 26.9.1990 – 9 B/7 RAr 100/89 -, FEVS 41, 468 [471]; SG Konstanz, Urteil v. 7.2.2007 – S 7 AL 669/06 – juris, Rn. 21). Ist also mit anderen Worten aus erzieherischen oder (sozial-) rehabilitativen Gründen eine auswärtige Unterbringung ohnehin notwendig, so ist der Jugendhilfeträger auch bei gleichzeitiger Durchführung einer berufsbezogenen Maßnahme für die Kosten der auswärtigen Unterbringung zuständig (vgl. Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, LPK-SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 10 Rn. 29).
bb) Erfolgt die auswärtige Unterbringung hingegen zu dem Zweck der schulischen oder beruflichen Eingliederung, so sind Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch III gegenüber Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch vorrangig (vgl. Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, LPK-SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 10 Rn. 29; Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 10 Rn. 30). Letzteres ist vor allem dann anzunehmen, wenn eine auswärtige Unterbringung Verhaltens- bzw. Reifedefizite des Hilfeempfängers reduzieren soll, um die Berufsvorbereitung zu unterstützen und insoweit den Erfolg der Teilhabeleistungen und der beruflichen Eingliederung zu ermöglichen (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten v. 25.8.2015 – J 9.160/J 9.220/S 2.200 Se -, JAmt 2015, 559 [561 f.]).
Maßnahmen, die indes ohne unmittelbaren Bezug zur Berufsausübung zum Bestandteil der persönlichen Lebensführung gehören, die Verbesserung der Lebensqualität bewirken sowie elementare Grundbedürfnisse befriedigen und sich auf diese Weise nur mittelbar bei der Berufsausübung auswirken, sind dagegen nicht durch Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben förderfähig, sondern allenfalls im Wege der Förderung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 Abs. 2 Nr. 5 SGB IX (§ 76 SGB IX n.F.) zu übernehmen (vgl. BSG, Urteil v. 26.10.2004 – B 7 AL 16/04 R -, BSGE 93, 283 – juris, Rn. 21). Der Förderrahmen soll sich mit anderen Worten auf die durch die Berufsausübung bzw. Erreichung des Arbeitsplatzes ausgelöste Bedarfslage beschränken. Ein einfaches „Durch- oder Weiterreichen“ kostenintensiver Jugendhilfefälle in den Bereich der Arbeitsverwaltung kommt danach nicht in Betracht.
cc) Vielmehr ist entscheidend, welchem Lebensbereich die begehrte Leistung schwerpunktmäßig zugeordnet ist. Nur wenn die erbrachten Leistungen final auf das gesetzlich vorgegebene Ziel der positiven Entwicklung der Erwerbsfähigkeit hin ausgerichtet sind, ist die Bundesagentur für Arbeit vorrangig zuständig (vgl. BSG, Urteil v. 26.10.2004 – B 7 AL 16/04 R -, BSGE 93, 283 – juris, Rn. 21; s.a. Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 10, Rn. 31; Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, LPK-SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 10 Rn. 29; DIJuF-Rechtsgutachten v. 25.8.2015 – J 9.160/J 9.220/S 2.200 Se -, JAmt 2015, 559 [561 f.]).
Maßgeblich ist mithin stets, ob die heilpädagogische Unterbringung vorwiegend dem Zweck der beruflichen Rehabilitation dient, mit anderen Worten auf das gesetzlich vorgegebene Ziel der positiven Entwicklung der Erwerbsfähigkeit hin ausgerichtet ist. Soll die heilpädagogische Unterbringung also Verhaltens- bzw. Reifedefizite des Hilfeempfängers reduzieren, um die Berufsvorbereitung zu unterstützen und insoweit den Erfolg der Teilhabeleistungen und der beruflichen Eingliederung zu ermöglichen, so ist die Bundesanstalt vorrangig zuständig (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten v. 25.8.2015 – J 9.160/J 9.220/S 2.200 Se -, JAmt 2015, 559 [561 f.]).
Anders verhält es sich hingegen dann, wenn es sich um eine in jeder Hinsicht eigenständige psychologische, pädagogische oder sonstige von der beruflichen Rehabilitation unabhängige, isolierte erzieherische Maßnahme handelt (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten v. 25.8.2015 – J 9.160/J 9.220/S 2.200 Se -, JAmt 2015, 559 [561 f.]), der Hilfeempfänger mit anderen Worten der gewährten Maßnahme auch ohne Leistungen nach dem SGB III bedurft hätte oder sich bereits zuvor in einer entsprechenden Jugendhilfemaßnahme befunden hat. Insoweit ist alleine die Zuständigkeit des Jugendamts begründet. Dabei kommt es allerdings nicht auf die Bezeichnung der jeweiligen Maßnahme oder den jeweiligen Betreuungsschlüssel, sondern auf den tatsächlich befriedigten Bedarf des Hilfeempfängers und dessen rechtliche Zuordnung an (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten v. 25.8.2015 – J 9.160/J 9.220/S 2.200 Se -, JAmt 2015, 559 [561 f.]).
c) Welcher Ansicht zu folgen ist, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, denn auch nach der zuletzt genannten – wohl vorzugswürdigen – Auffassung ist eine Zuständigkeit des Beklagten für die Kostenübernahme nicht begründet. Der Schwerpunkt der dem Hilfeempfänger gewährten Leistungen liegt vorliegend unzweifelhaft in der beruflichen, nicht hingegen in der sozialen Rehabilitation. Mit der heilpädagogischen Unterbringung sollten die Verhaltens- und Reifedefizite des Hilfeempfängers reduziert werden, um die Berufsvorbereitung zu unterstützen und insoweit den Erfolg der Teilhabeleistungen der beruflichen Eingliederung zu ermöglichen, nicht aber eine eigenständige psychologische, pädagogische oder sonstige von der beruflichen Rehabilitation unabhängige, isolierte erzieherische Maßnahme ins Werk gesetzt werden. Mithin ist vorliegend die Bundesagentur zuständig. Die heilpädagogische Unterbringung war ausschließlich erforderlich, um die Berufsausbildung des Hilfeempfängers vorzubereiten und den Erfolg der Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern, nicht aber um aus erzieherischen Gründen ohnehin notwendige Maßnahmen eigenständiger, psychologischer oder pädagogischer Art ins Werk zu setzen.
Eine gravierende Teilhabebeeinträchtigung, die auch ohne das Ziel der beruflichen Integration des Hilfeempfängers in das Arbeitsleben eine isolierte und selbständige Maßnahme der sozialen Rehabilitation in der Form einer Fremdunterbringung erfordert hätte, ist nicht ersichtlich. Dem Hilfeempfänger waren „lediglich“ die sog. „Sekundärtugenden“, wie Disziplin, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit und morgendliches Aufstehen zu vermitteln, um ihn für eine Teilhabe am Arbeitsleben zu befähigen. Die Klägerin trägt in ihrer Berufungsbegründung unter Bezugnahme auf den Qualifizierungsplan vom 10. Februar 2015 selbst vor, in der heilpädagogischen Wohngruppe sei es um die Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Lernmotivation und des Durchhaltevermögens sowie die Förderung von Konzentration, Ausdauer, Pünktlichkeit und Selbständigkeit gegangen. Das diagnostizierte ADHS war für eine auswärtige Unterbringung nicht ausschlaggebend (vgl. Aktenvermerk vom 20. Mai 2015, Bl. 35 d. Behördenakte der BA). Das Gruppenleben im Wohnbereich verlief harmonisch. Der Hilfeempfänger konnte rasch Kontakte knüpfen und sogar Freundschaften schließen (vgl. Qualifizierungsplan vom 10. Februar 2015, Bl. 28 d. Behördenakte der BA). Mithin war Ursache für die Fremdunterbringung des Hilfeempfängers nicht die Beseitigung einer Persönlichkeitsstörung, sondern allein die Sicherung des Erfolgs der Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben. Kosten für einen abgrenzbaren erzieherischen Mehrbedarf des Hilfeempfängers hat die Klägerin nicht geltend gemacht; sie besteht vielmehr auf einer Übernahme der gesamten Unterbringungskosten.
Das Verwaltungsgericht hat die Leistungsklage deshalb im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Berufung bleibt daher ohne Erfolg.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nicht gerichtskostenfrei, § 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO). Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind, da der Fall nach allen in Betracht kommenden Ansichten in gleicher Weise zu lösen ist, vorliegend nicht entscheidungserheblich und damit nicht weiter klärungsbedürftig.


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