Medizinrecht

Krankenkasse, Leistungen, Berufung, Gerichtsbescheid, Behinderung, Gutachten, Widerspruchsbescheid, Revision, Bescheid, Widerspruch, Blindengeld, Befundbericht, Nachweis, MDK, Grad der Behinderung, Ergebnis der Beweisaufnahme, offenbare Unrichtigkeit

Aktenzeichen  L 15 BL 6/21

Datum:
14.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 46226
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Bei einer fehlenden Teilabweisung der Klage durch das Sozialgericht kann der unvollständige Urteilstenor vom Berufungsgericht grundsätzlich als offenbare Unrichtigkeit berichtigt werden.
2. Zur Annahme von Blindheit im Sinne des BayBlindG auch außerhalb der normierten Fallgruppen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bzw. der Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft bei Einäugigkeit.

Verfahrensgang

S 10 BL 1/19 2021-03-22 GeB SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Der Tenor des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Regensburg vom 22. März 2021 (S 10 BL 1/19) wird dahingehend berichtigt, dass Ziff. I wie folgt lautet: “I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 23.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2019 verpflichtet, der Klägerin Blindengeld für hochgradig Sehbehinderte ab 01.02.2020 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.”
II. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 22. März 2021 wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat hat in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden können, da diese (über ihren Bevollmächtigten) über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auch auf die Folgen ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 153 Abs. 1 SGG).
A. Der Tenor des Gerichtsbescheids des SG ist vom Senat nach § 138 SGG zu berichtigen.
Nach § 138 SGG sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil/Gerichtsbescheid von Amts wegen zu berichtigen. Berichtigt werden kann jede offenbare Unrichtigkeit auch im Tenor (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/ Schmidt, SGG 13. Aufl. 2020, § 138, Rn. 2, 3c).
Bei der hier fehlenden Teilabweisung der Klage handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit in diesem Sinn (z.B. Bolay, in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 138, Rn. 5; vgl. auch die Entscheidung des OLG Bremen vom 22.06.1972, VersR 1973, 226). Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich des fehlenden Ausspruchs der beschlossenen Entscheidung für jeden Außenstehenden erkennbar unrichtig, da den Entscheidungsgründen eindeutig entnommen werden kann, dass die Entscheidung so getroffen werden sollte, wie sie der Berichtigungsbeschluss ausweist (z.B. Bolay, a.a.O., Rn. 8).
Die Berichtigung kann durch das BayLSG als Rechtsmittelgericht (vgl. BVerwGE 30, 146; BGH, in: NJW 1964, 1858 sowie OLG Bremen, a.a.O.) im Rahmen seiner Entscheidung über das Rechtsmittel (vgl. Urteil des BSG vom 14.02.1978 – 7/12 RAr 73/76) erfolgen. Sie wirkt ex tunc.
B. Die zulässige Berufung (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) bleibt ohne Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Blindengeld für hochgradig sehbehinderte Menschen (Art. 1 Abs. 3 BayBlindG) vor dem 01.02.2020 und von Blindengeld für blinde Menschen (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ab 24.03.2014.
1. Für den Zeitraum vor der Antragstellung im März 2018 ergibt sich dies bereits aus der Vorschrift des Art. 5 S. 1 BayBlindG bzw. aus der Bestandskraft des Ablehnungsbescheids vom 08.04.2014 (§ 77 SGG).
2. Auch im Übrigen besteht kein Anspruch der Klägerin auf Blindengeld, weil die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dies vorsieht, zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1.deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt,
2.bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und
1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder
2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 26.09.2017 – L 15 BL 8/14 – und vom 20.12.2018 – L 15 BL 6/17) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 – B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 – B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 – 9/9a RV 1/92, Beschluss vom 29.01.2018 – B 9 V 39/17 B, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 V 3/12 R). Auch dem Vollbeweis können gewisse Zweifel innewohnen; verbleibende Restzweifel sind bei der Überzeugungsbildung unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (z.B. BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 V 3/12 R, m.w.N.). Dies alles gilt ausdrücklich auch für die Verfahren bezüglich des BayBlindG, was das BSG in den Urteilen vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) und 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) klargestellt hat.
a. Die Klägerin war nicht nachgewiesen hochgradig sehbehindert im Zeitraum von der Antragstellung im März 2018 bis zu dem vom SG angenommenen Zeitpunkt der Untersuchung durch die Sachverständige O (24.02.2020). Hierfür fehlt es am notwendigen Beweis. Der Senat stützt sich in vollem Umfang auf das plausible Sachverständigengutachten der Fachärztin und macht sich deren sachverständige Feststellungen nach selbständiger Prüfung zu eigen.
Wie der Beklagte im Berufungsverfahren zutreffend darauf hingewiesen hat, kann nicht die Rede davon sein, dass die Regelung des Art. 1 Abs. 3 BayBlindG für einäugige Menschen nicht einschlägig wäre. Hierfür fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten. Wie die Sachverständige plausibel dargelegt hat, gilt hinsichtlich der Visusprüfung bei Einäugigkeit rechts der Wert des linken Auges. Dies ergibt sich im Übrigen bereits unmittelbar aus dem Wortlaut der genannten gesetzlichen Vorschrift.
b. Die Klägerin ist nicht blind im Sinne von Art. 1 Abs. 2 BayBlindG. Auch hier mangelt es am erforderlichen Nachweis im oben genannten Sinn.
Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Senat stützt sich dabei ebenfalls auf das überzeugende Gutachten von O. Die Sachverständige hat die bei der Klägerin vorliegenden Sehbeeinträchtigungen vollständig erfasst und unter Beachtung der maßgeblichen Vorgaben zutreffend gewürdigt. Der Senat macht sich die Feststellungen der genannten Sachverständigen, die auch im Wesentlichen in Übereinstimmung mit der vorliegenden Befunddokumentation und mit den Feststellungen in dem Gutachten von R stehen, nach eigener Prüfung zu eigen.
Eine Lichtlosigkeit steht bei der Klägerin nicht im Raum (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Jedoch sind auch die weiteren Voraussetzungen für einen Blindengeldanspruch (gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG, faktische Blindheit) nicht erfüllt.
Hinsichtlich des Visus folgt dies ohne Weiteres aus dem Sachverständigengutachten von O, die einen Visus von 1/25 ermittelt hat. Anhaltspunkte dafür, dass die Visusermittlung unzutreffend gewesen wäre oder irgendwelche Umrechnungen o.ä. erfolgen hätten müssen, bestehen entgegen der Auffassung der Klägerseite nicht. Auch hier kann zudem nicht angenommen werden, dass die Regelung des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG für einäugige Menschen nicht einschlägig wäre; insoweit kann auf die obigen Darlegungen verwiesen werden.
Auch sind die Voraussetzungen für die Annahme faktischer Blindheit (Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG) entsprechend den sachverständigen Festlegungen der DOG nicht erfüllt. Vor allem ist die von der Klägerseite thematisierte Fallgruppe gg) nicht einschlägig. Dies ergibt sich gemäß der zutreffenden Darlegung des Beklagten bereits daraus, dass vorliegend keine Hemianopsie, sondern Einäugigkeit gegeben ist. Bei Hemianopsien handelt es sich um Halbseiten-Ausfälle aufgrund von Schädigungen im Bereich der Sehnerven-Kreuzung, der Sehbahnen oder der Sehrinde. In diesen Fällen fehlt – je nach Lokalisation der Schädigung – beidseits die rechte oder linke Gesichtsfeldhälfte oder beidseits jeweils das nasale oder das schläfenwärtige Gesichtsfeld. Gänzlich anders verhält es sich, was naheliegend ist, im Falle der Einäugigkeit. Eine analoge Anwendung dieser Fallgruppe, wie sie die Klägerseite anscheinend anstrebt, ist daher bereits mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte nicht möglich, sodass an dieser Stelle nicht geklärt werden muss, ob Verwaltung oder Gericht berechtigt sind, über den Fallgruppenkatalog hinaus weitere Blindheitsfälle zu definieren (siehe unten). Im Übrigen erscheint es bereits lebensfremd, anzunehmen, dass die sachverständigen Festlegungen der DOG bzw. der VG eine Regelungslücke hinsichtlich der zentralen Problematik der Einäugigkeit in Kauf genommen haben oder versehentlich entstehen haben lassen.
Im Falle der Klägerin kann Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG auch nicht „ausnahmsweise“ im Sinne der Rechtsprechung des Senats anerkannt werden.
Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. die Urteile vom 31.01.2013 – L 15 BL 6/07-, 05.07.2016 – L 15 BL 17/12 – und 10.04.2018 – L 15 BL 4/16) in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG nicht ausgeschlossen. Hierzu hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 31.01.2013 (a.a.O.) Folgendes ausgeführt:
„Es ist unstrittig, dass die in den VG übernommenen DOG-Richtlinien nicht exklusiv sämtliche der Blindheit gleichzuachtenden kombinierten Sehstörungen aufführen, dass also die Kriterien gemäß Teil A Nr. 6 b) VG nur beispielhaft sind […].
Der materielle Charakter der (medizinischen) Festlegungen und auch der Wortlaut der VG lassen es zu, zur Annahme faktischer Blindheit in Ausnahmefällen Sehstörungen ausreichen zu lassen, auch wenn die jeweiligen Voraussetzungen einer der VG-Fallgruppen nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Denn die DOG-Richtlinien, auf denen die VG beruhen, sind nichts anderes als allgemeine medizinische Erfahrungssätze, die als fraglos gesichert und gänzlich verlässlich aus der Fülle des übrigen medizinischen Erfahrungswissens herausgenommen sind (vgl. hierzu Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Auflage, S. 36; Keller, in: Mayer-Ladewig/ders./ Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 128, Rdnr. 11). Zu diesen Erfahrungssätzen gehört jedoch nicht, dass sie Exklusivität beanspruchen. Dies folgt nicht nur aus medizinischer Sicht (vgl. z.B. Lachenmayr, a.a.O.), sondern auch bereits daraus, dass ein solcher Erfahrungssatz eine Tendenz zur Veränderung in sich birgt (vgl. Kater, a.a.O.) und auch insoweit bereits hinsichtlich der Absolutheit („fraglos gesichert“) selbst wieder in Frage zu stellen ist, was auch daraus ersichtlich wird, dass dem Vernehmen nach demnächst eine Änderung der Fallgruppen in den VG vorgenommen werden wird. Vor allem sind aus Sicht des Senats auch keine Gründe und auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es die Richtlinien der DOG bzw. die Festlegungen der VG ausschließen wollten, in besonderen Ausnahmefällen einem speziellen Behinderungsbild ausreichend gerecht zu werden.“
Auch eine normative Bindungswirkung der VG spricht nicht entgegen. Denn eine solche gibt es, wie die jüngste Rechtsprechung des BSG ausdrücklich klargestellt hat, hinsichtlich des BayBlindG nicht. Art. 1 Abs. 2 BayBlindG weicht maßgeblich vom Blindheitsbegriff der VG ab (BSG vom 24.10.2019 – B 9 SB 1/18 R). Nach der Rechtsprechung des BSG sind die VG für die Blindheitsbegriffe in den Landesblindengeldgesetzen nicht zwingend zu beachten, weil es sich insoweit um gesetzliche Tatbestandsmerkmale und nicht um einen medizinischen Begriff handelt (Urteil vom 14.06.2018 – B 9 BL 1/17 R; vgl. im Einzelnen Rohrschneider/Braun, MedSach 2020, 252 , m.w.N.). Einer Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG stehen nach Auffassung des Senats aber auch die intendierte möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe und somit die Ziele einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung nicht entgegen, nämlich wegen der Begrenzung der über den Fallgruppenkatalog hinausgehenden Annahme faktischer Blindheit auf außergewöhnliche Fallkonstellationen.
Zu einer solchen Ausdehnung des Blindheitsbegriffs sieht sich der Senat vorliegend aber dennoch nicht veranlasst. Auch wenn unbestritten ist, dass – neben Sehschärfe und Gesichtsfeld – vor allem das (vorliegend fehlende) räumliche Sehen, das Farbsehvermögen, das Dämmerungs- und Kontrastsehen und die Blendungsempfindlichkeit eine wesentliche Rolle spielen (vgl. z.B. Rohrschneider, MedSach 2012, 5 ; Urteil des Senats vom 10.04.2018, a.a.O.), wäre aus Sicht des Senats die Annahme eines speziellen Behinderungsbildes in dem vorgenannten Sinn hier nicht vertretbar. Denn nach sachverständiger Festlegung in den VG bzw. DOG-Richtlinien wird Einäugigkeit bei der Definition von Blindheit gerade nicht zusätzlich berücksichtigt, obwohl sie bei der Regelung in VG Teil B, Nr. 4 durchaus erheblich ins Gewicht fällt. Fehlendes Binokularsehen wird ausschließlich im Falle von Hemianopsien, die hier nicht vorliegen, berücksichtigt (siehe oben). Ein besonderer Ausnahmefall, insbesondere der einer Kombination mehrerer voneinander unabhängiger Sehstörungen, im Sinne der Senatsrechtsprechung liegt nicht vor. Der Senat sieht sich nicht in der Lage, sich über diese sachverständigen bzw. wissenschaftlichen Entscheidungen hinwegzusetzen, um ein anderes Verfahrensergebnis zu erzielen. Im Übrigen ergeben sich hierfür auch aus dem im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten keinerlei Anhaltspunkte.
Zu weiteren Ermittlungen besteht kein Anlass.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.


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