Medizinrecht

Krankenversicherung – Hilfsmittelversorgung – Sachmangel – Gewährleistung

Aktenzeichen  L 20 KR 362/17

Datum:
11.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 8224
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 434
BGB § 437
BGB § 439 ff.
BGB i.d.F. bis 31.12.2017 § 651
SGB V § 69 Abs. 1 Satz 3

 

Leitsatz

1. Der Versorgung eines Versicherten mit einer Beinprothese liegt ein öffentlich-rechtlicher Sachlieferungsvertrag zugrunde, wobei es sich um einen dreiseitigen Vertrag zwischen Versichertem und Krankenkasse auf der einen Seite und dem Leistungserbringer auf der anderen Seite handelt.
2. Ansprüche aus Sachmängelhaftung im Rahmen eines Prothesenbeschaffungsvertrages (= Sachlieferungsvertrag) beruhen gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V auf der entsprechenden Anwendung der §§ 434, 437, 439 ff. BGB.
3. Vor dem Rücktritt der Krankenkasse vom Prothesenbeschaffungsvertrag wegen Lieferung einer mangelhaften Prothese hat diese den Leistungserbringer grundsätzlich zur Nacherfüllung unter Fristsetzung aufzufordern. Dies ist nur in Ausnahmefällen (Verweigerung, Fehlschlagen bzw. Unzumutbarkeit der Nacherfüllung) entbehrlich.
4. Nachjustierungen im Prozess der Prothesenanpassung (z.B. wegen sich verändernder Stumpfverhältnisse) sind nicht automatisch mit (fehlgeschlagenen) Nachbesserungsversuchen gleichzusetzen.

Verfahrensgang

S 7 KR 521/16 2017-02-16 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.02.2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits auch im Berufungsverfahren.
III. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 9.679,36 € festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz bzw. Rückzahlung wegen mangelhafter Prothesenversorgung des Versicherten.
Für Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und Hilfsmittellieferanten ist nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG die Sozialgerichtsbarkeit zuständig. Nach § 69 SGB V ist (soweit § 69 SGB V nicht selbst Ausnahmen vorsieht) die Leistungserbringung in Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags nach dem SGB V grundsätzlich dem öffentlichen Recht zugeordnet (vgl. BSG, Urteil vom 15.03.2017, B 6 KA 35/16 R; jurisPK, SGG, Stand 20.03.2019, § 51 Rn. 98.1).
Statthafte Klageart ist im Gleichordnungsverhältnis zwischen einer Krankenkasse und einem Leistungserbringer, hier im Bereich der Hilfsmittelversorgung, die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG. Zwischen den Beteiligten besteht im Hinblick auf die Versorgung des Versicherten mit einer Prothese (§ 33 SGB V) ein Gleichordnungsverhältnis, weil § 127 SGB V eine vertragliche Regelung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und zugelassenen Hilfsmittelerbringern (§ 126 SGB V) vorsieht, zu denen die Beklagte gehört. Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht.
Die Klägerin macht einen Anspruch aus Sachmängelhaftung (Schadensersatz bzw. Rückabwicklung nach Rücktritt) im Nachgang zur Herstellung und Lieferung einer Prothese für den Versicherten gegenüber der Beklagte geltend.
Dieser Anspruch beruht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen (Sachlieferungsverträge) nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 651 BGB (i.d.F. bis 31.12.2017, entspricht § 650 BGB i.d.F. ab 01.01.2018), auf den gemäß § 651 Satz 1 BGB a.F. das Kaufrecht (§§ 433 ff. BGB) entsprechend anzuwenden ist. Mit § 69 SGB V hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern ausschließlich öffentlichem Recht unterliegen. Jedoch ordnet § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V die entsprechende Anwendung der Vorschriften des Zivilrechts an, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem 4. Kapitel des SGB V (§§ 69 ff. SGB V) vereinbar sind. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und den zugelassenen Hilfsmittelerbringern (§ 126 SGB V) sind sowohl bezüglich des allgemeinen Versorgungsvertrages (§ 127 SGB V) als auch bezüglich der in jedem Einzelfall abzuschließenden Beschaffungsverträge öffentlich-rechtlich geprägt (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 06.09.2007, B 3 KR 20/06 R). Die Ansprüche aus Sachmängelhaftung gegen die Beklagte gründen sich daher nicht unmittelbar auf die §§ 651 BGB a.F., §§ 434, 437, 439 ff. BGB, sondern nur auf die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften im Leistungserbringerrecht (§ 69 SGB V).
Der Anspruch eines Versicherten auf Krankenbehandlung umfasst u.a. die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Dabei erfolgt die Versorgung mit Hilfsmitteln entweder durch den Abschluss von Kaufverträgen, wenn es um die Abgabe und Übereignung fertiger Produkte geht (§ 433 BGB), oder durch den Abschluss von Sachlieferungsverträgen, wenn die Produkte erst noch herzustellen oder zu erzeugen sind (§ 651 BGB a.F. bzw. § 650 BGB i.d.F. ab 01.01.2018). Ein solcher Sachlieferungsvertrag lag der für den Versicherten von der Beklagten herzustellenden Prothese zugrunde. Der zustande gekommene Vertrag ist daher als öffentlich-rechtlicher Sachlieferungsvertrag (§ 651 BGB a.F.) einzustufen, wobei es sich um einen dreiseitigen Vertrag zwischen dem Versicherten und der Klägerin (Krankenkasse) auf der einen Seite und der Beklagten (Leistungserbringer) auf der anderen Seite handelt (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 3 KR 20/06 R).
Es liegen auch die Voraussetzungen für die entsprechende Anwendung der Sachmängelgewährleistung nach § 651 BGB a.F. i.V.m. §§ 434, 437, 439 ff. BGB vor. Die Folgen der Lieferung eines mangelhaften Hilfsmittels sind weder landesvertraglich noch landes- oder bundesrechtlich abschließend geregelt. Deshalb sind die Vorschriften des BGB über die Sachmängelhaftung dem Grunde nach entsprechend anwendbar, weil sie mit der Stellung der Hilfsmittelerbringer im Versorgungssystem des SGB V nicht unvereinbar sind.
Die Klägerin fordert von der Beklagten 8.879,63 € für die aus ihrer Sicht unbrauchbare Prothese des Versicherten als „Schadensersatz“ zurück (wobei wegen der Selbstbeteiligung in Höhe von 10,- € von der Klägerin nur 8.869,63 € bezahlt wurden). Die Rückforderung des Kaufpreises erfolgt jedoch mittels Rücktritt und Rückabwicklung des Vertrages (vgl. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 346 Abs. 1 BGB), während der Schadensersatz u.a. auf den Ersatz der Kosten eines Deckungskaufes (hier der Prothesenneuversorgung durch einen anderen Anbieter) abzielen würde (vgl. Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 437 Rn. 38).
Es kann jedoch offen bleiben, welches Gewährleistungsrecht die Klägerin eigentlich ausüben wollte. Ebenso kann offen bleiben, ob im Zeitpunkt des Gefahrübergangs im Januar 2012 die dem Versicherten gelieferte Prothese mangelhaft im Sinne von § 434 BGB war (wofür die Ergebnisse des EVA-Protokolls und des Gutachtens des Sachverständigen S. sprechen). Denn vorliegend waren weder die Voraussetzungen des Rücktritts vom Vertrag nach § 437 Nr. 2 BGB noch diejenigen eines Schadensersatzanspruchs nach § 437 Nr. 3 BGB erfüllt.
Voraussetzung sowohl für den Rücktritt von Vertrag nach § 437 Nr. 2 BGB i.V.m. § 323 Abs. 1 BGB als auch für einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung nach § 437 Nr. 3 BGB i.V.m. § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB ist jeweils, dass der Gläubiger dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat.
Zwar hatte der Versicherte offensichtlich die Beklagte in den ersten Monaten des Jahres 2012 mehrmals um Nachjustierungen bzw. Änderungen an der Prothese gebeten, was zu zahlreichen Hausbesuchen der Beklagten beim Versicherten führte. Eine Frist zur Nacherfüllung im o.g. Sinne hat jedoch weder der Versicherte noch die Klägerin der Beklagten gesetzt. Vielmehr hat die Klägerin mit Schreiben vom 23.07.2012 die Kosten für die Prothese in Höhe von 8.879,36 € von der Beklagten zurückgefordert, ohne dieser die Gelegenheit zur Nacherfüllung, sei es durch Mangelbeseitigung oder Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache, zu geben, geschweige denn hierfür eine Frist zu setzen.
Eine Fristsetzung war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich.
Nach § 281 Abs. 2 BGB bzw. § 323 Abs. 2 BGB ist eine Fristsetzung vor Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs bzw. vor dem Rücktritt vom Vertrag entbehrlich,
– wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (§ 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB bzw. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB) oder
– wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs bzw. den sofortigen Rücktritt rechtfertigen (§ 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB bzw. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB).
– (Ein Fixgeschäft, das nach § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB zum Rücktritt ohne Fristsetzung berechtigten könnte, war vorliegend im Rahmen der Prothesenversorgung nicht vereinbart worden.)
Darüber hinaus bedarf es nach § 440 Satz 1 BGB einer Fristsetzung auch dann nicht,
– wenn der Verkäufer beide Arten der Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 4 BGB verweigert (Var. 1) oder
– wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen ist (Var. 2) (wobei eine Nachbesserung nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt, wenn sich nicht insbesondere aus der Art der Sache oder des Mangels oder den sonstigen Umständen etwas anderes ergibt, vgl. § 440 Satz 2 BGB) oder
– wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung ihm unzumutbar ist (Var. 3).
Vorliegend hatte die Beklagte die Leistung bzw. beide Arten der Nacherfüllung (Mangelbeseitigung oder Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache, vgl. § 439 Abs. 1 BGB) nicht verweigert, als die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 23.07.2012 ohne Fristsetzung zur Überweisung von 8.879,36 Euro aufforderte, vgl. § 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB, § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB bzw. § 440 Satz 1 Var. 1 BGB. Dass im EVA-Protokoll zu lesen ist, dass auf Wünsche und Bedürfnisse des Versicherten „nach seinen Aussagen offenbar“ nicht eingegangen worden sei, genügt nicht, um von einer Verweigerung der Nachbesserung durch die Beklagte auszugehen, wofür im Übrigen die Klägerin die Beweislast trägt. Denn nach Auslieferung der Definitivprothese im Januar 2012 nahm die Beklagte nach ihrem unbestrittenen Vortrag immerhin zahlreiche Nachjustierungen an der Prothese des Versicherten vor, und mit Antwortschriftsatz vom 09.10.2012 hat die Beklagtenseite zudem ausdrücklich angeboten, die Prothese ggf. nachzubessern.
Unabhängig davon, welche Art der Nacherfüllung (Mangelbeseitigung oder Ersatzlieferung) der Klägerin bzw. dem Versicherten zustand (vgl. § 439 Abs. 1 und 3 BGB), war eine Nacherfüllung durch die Beklagte auch nicht fehlgeschlagen (§ 440 Satz 1 Var. 2 BGB). Insbesondere sind die – im Prozess einer Prothesenanpassung wegen sich ändernder Stumpf- bzw. Muskelverhältnisse nicht unüblichen – Nachjustierungen in der ersten Jahreshälfte 2012 nicht als fehlgeschlagene Nachbesserungsversuche zu erachten im Hinblick auf Mängel, die die Klägerin erst ab Juni 2012 zur Sprache gebracht hat. Vielmehr hätte die Klägerin der Beklagten nach der EVA-Begutachtung im Juni 2012 und der Mitteilung der von ihr behaupteten Mängel mit Schreiben vom 23.07.2012 diesbezüglich Gelegenheit zur Nacherfüllung geben müssen. Sie hat jedoch die Prothese nicht mehr an die Beklagte herausgegeben, geschweige denn eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt.
Schließlich lagen auch keine besonderen Umstände vor, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs bzw. den sofortigen Rücktritt gerechtfertigt hätten (§ 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB bzw. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB), bzw. die der Klägerin bzw. ihrem Versicherten zustehende Art der Nacherfüllung war ihr bzw. ihm nicht unzumutbar (§ 440 Satz 1 Var. 3 BGB).
Unzumutbarkeit der Nacherfüllung für den Käufer ist gegeben, wenn die Abhilfe mit erheblichen Unannehmlichkeiten für ihn verbunden ist. Ob erhebliche Unannehmlichkeiten vorliegen, beurteilt sich unter Berücksichtigung der Art sowie des konkreten Gebrauchszwecks der Kaufsache. Dabei reicht § 440 Satz 1 Var. 3 BGB weiter als die Normen des allgemeinen Leistungsrechts (§§ 281, 323 BGB) und greift als Auffangtatbestand immer dann, wenn das Vertrauen des Käufers in eine angemessene Vertragserfüllung durch den Verkäufer nicht mehr besteht (jurisPK, BGB, Stand 02.10.2017, § 440 Rn. 44). Für die Beurteilung, ob die Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar ist, sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Zuverlässigkeit des Verkäufers, diesem vorzuwerfende Nebenpflichtverletzungen oder der Umstand, dass der Verkäufer bereits bei dem ersten Erfüllungsversuch, also bei Übergabe, einen erheblichen Mangel an fachlicher Kompetenz hat erkennen lassen und das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört ist (BGH, Urteil vom 15.04.2015, VIII ZR 80/14). Die Zumutbarkeitsschwelle ist umso höher anzusetzen, je komplizierter und aufwändiger die Kaufsache ist (jurisPK, BGB, Stand 02.10.2017, § 440 Rn. 43). Bei der Versorgung mit einer Prothese wie im Falle des Versicherten ist deshalb ein eher strenger Maßstab bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit einer Nacherfüllung anzulegen.
Gemessen daran war es dem Versicherten (als Leistungsempfänger) bzw. der Klägerin (als Vertragspartnerin) nicht unzumutbar, der Beklagten nach der EVA-Begutachtung im Juni 2012 unter Fristsetzung Gelegenheit zur Nacherfüllung zu geben. Insbesondere ist nicht von Unzuverlässigkeit der Beklagten auszugehen. Immerhin hatte diese sich unbestritten in den ersten Monaten des Jahres 2012 durch etliche Hausbesuche darum bemüht, die Prothese dem Versicherten ordnungsgemäß anzupassen. Dass die im Januar 2012 übergebene Prothese womöglich nicht lege artis angefertigt war (wofür einiges spricht), ist kein Beleg für einen erheblichen Mangel der – generellen – fachlichen Kompetenz der Beklagten, der es der Klägerin bzw. dem Versicherten unzumutbar gemacht hätte, (zumindest zunächst) weiter am Prothesenbeschaffungsvertrag mit der Beklagten festzuhalten.
Die Klägerin konnte auch nicht einen derartigen Vertrauensverlust beim Versicherten belegen, der es gerechtfertigt hätte, Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen bzw. vom Vertrag zurückzutreten, ohne der Beklagten vorher Gelegenheit zur Nacherfüllung unter Fristsetzung zu geben. Dass es im Falle einer Schlechtleistung zu einer gewissen Schädigung der Vertrauensbasis der Vertragspartner kommt, dürfte grundsätzlich der Fall sein. Dessen ungeachtet eröffnet das Regelungssystem der §§ 437, 439 ff. BGB dem Verkäufer bzw. Lieferanten jedoch grundsätzlich primär die Möglichkeit zur Nacherfüllung. Vorliegend hat sich der Versicherte zwischen Januar und Juni 2012 nicht an die Klägerin mit der Bitte um Unterstützung angesichts einer mangelhaften Leistung durch die Beklagte gewandt. Lediglich im EVA-Bericht heißt es, auf Wünsche und Bedürfnisse des Versicherten, die er seit Januar artikuliert habe, sei „offenbar“ nicht eingegangen worden. Ein Vertrauensverlust beim Versicherten, der ihm eine Nacherfüllung durch die Beklagte nach der EVA-Begutachtung unzumutbar gemacht hätte, ist dabei nicht ersichtlich.
Auch wenn man mit der Klägerin davon ausgehen sollte, dass die im Januar 2012 gelieferte Prothese als nicht gebrauchsfähig bzw. nicht nachbesserungsfähig zu beurteilen gewesen sei, wäre der Beklagten womöglich zwar eine Nachbesserung unmöglich gewesen, nicht jedoch eine Nacherfüllung in Form einer Ersatzlieferung einer neuen Prothese (vgl. § 439 Abs. 1 BGB), wozu sie auch berechtigt gewesen wäre (vgl. z.B. jurisPK, BGB, Stand 06.03.2019, § 439 Rn. 21 ff., 90 ff.). Weder hat jedoch die Klägerin die Beklagte hierzu unter Fristsetzung aufgefordert noch hat die Beklagte eine solche von vornherein verweigert. Dass für eine Neuanfertigung eine gewisse Zeit benötigt worden wäre, begründet ebenfalls keine Unzumutbarkeit für die Klägerin bzw. den Versicherten. Auch die Neuanschaffung durch einen anderen Versorger nahm Zeit in Anspruch, nach Auskunft im Erörterungstermin am 13.03.2019 wurde die neue Prothese erst im November 2012 geliefert.
Schließlich kann der Senat auch aus dem Urteil des 6. Senats des BSG vom 10.05.2017, B 6 KA 15/16 R, auf das die Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, keine für die Klägerin günstigen Folgerungen ableiten. Im dortigen Fall begehrte die klagende Krankenkasse von der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung die Festsetzung eines Schadensersatzanspruchs gegen die beigeladene Vertragszahnärztin wegen mangelhafter Versorgung einer Versicherten mit Zahnersatz. Unabhängig davon, inwieweit Regelungen der kassenzahnärztlichen Gewährleistung (vgl. § 136a Abs. 4 Satz 3 und 4 SGB V) auf das Gewährleistungsrecht im Hilfsmittelbereich, das sich über § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V an den Regelungen des BGB orientiert (siehe oben), übertragbar sind, geht der 6. Senat ebenfalls davon aus, dass ein Schadensersatzanspruch gegen einen Zahnarzt, der bei mangelhafter zahnprothetischer Versorgung zur Nachbesserung bzw. Neuanfertigung bereit ist, voraussetzt, dass dem Versicherten die Fortsetzung der Behandlung bei diesem Zahnarzt und damit die Nacherfüllung durch diesen nicht zumutbar ist. Insofern wird das Recht des Versicherten zur freien Arztwahl (§ 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V) eingeschränkt. Entsprechend wäre es vorliegend dem Versicherten bzw. der Klägerin nach der EVA-Begutachtung zumutbar gewesen, der Beklagten die Möglichkeit zur Nacherfüllung, wie von dieser auch angeboten, einzuräumen.
Daher steht der Klägerin mangels Fristsetzung weder ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung noch auf Rückabwicklung nach Rücktritt wegen einer „Fehlversorgung“ des Versicherten zu.
Die Klägerin kann die begehrte Rückzahlung auch nicht auf § 10 des Prothesenvertrages stützen. Sie verlangt keine Vertragsstrafe nach § 10 Abs. 3 des Prothesenvertrages, sondern die Rückzahlung der von ihr geleisteten Vergütung für die Prothese des Versicherten. Sie macht damit die Rückabwicklung des Werklieferungsvertrages und keinen Schadensersatzanspruch, wie in § 10 Abs. 6 des Prothesenvertrages erwähnt, geltend (s.o. zur Abgrenzung von Schadensersatz und Rücktritt).
Darüber hinaus stellt § 10 Abs. 6 des Prothesenvertrages aus Sicht des Senats auch keinen eigenen Schadensersatzanspruch dar, sondern ist als Hinweis darauf zu verstehen, dass unabhängig von den in § 10 genannten Maßnahmen die allgemeinen gesetzlichen Regelungen zu Vertragsverletzung und Schadensersatz (hier: § 651 BGG a.F., §§ 437, 439 ff. BGB) gelten, was die Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung am 11.04.2019 auch eingeräumt hat. Dass die Vertragspartner des Prothesenvertrages durch eine derart knappe Regelung wie in dessen § 10 Abs. 6 das komplette Gewährleistungsrecht beim Kaufvertrag bzw. Werklieferungsvertrag mit den dort fein austarierten gegenseitigen Rechten und Pflichten ausschließen und durch die pauschale Regelung des § 10 Abs. 6 des Prothesenvertrages hätten ersetzen wollen, ist dieser Regelung nicht zu entnehmen. Dafür hätte es zumindest eines expliziten Ausschlusses des Gewährleistungsrechts nach dem BGB bedurft. Vielmehr ist davon auszugehen, dass § 10 Abs. 6 des Prothesenvertrages lediglich einen allgemeinen Hinweis darauf enthält, dass neben den sonstigen in § 10 genannten Maßnahmen die allgemeinen Regelungen des Schadensersatzrechts Anwendung finden.
Schließlich kann die Klägerin auch nicht die Kosten des Gutachtens von Herrn S. von der Beklagten fordern. Zwar kann der Ersatz von Gutachterkosten, die zur Aufdeckung bzw. Feststellung des Schadens erforderlich sind, grundsätzlich vom Schuldner verlangt werden (nach § 280 BGB, vgl. Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 280 Rn. 18). Vorliegend fehlt es jedoch jedenfalls an der Kausalität zwischen einem etwaigen Mangel der gelieferten Prothese und den entstandenen Gutachterkosten. Denn die Begutachtung erfolgte erst im Jahr 2016 und damit zu einem Zeitpunkt, als die Klägerin eine Nacherfüllung bereits verweigerte und nur die gezahlte Prothesenvergütung zurückforderte. Darauf hatte sie jedoch, wie gezeigt, mangels Fristsetzung zur Nacherfüllung keinen Anspruch.
Da der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch der Klägerin bereits dem Grunde nach nicht besteht, kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte die Leistung unter Berufung auf die Einrede der Verjährung verweigern konnte. Dies wäre nur unter Zugrundelegung der kurzen zweijährigen Verjährungsfrist nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB möglich, wofür Sinn und Zweck der Sachmängelhaftung (Abgrenzung zur „normalen“ altersbedingten Abnutzung) sprechen könnten, nicht jedoch, wenn man wie bisher vom BSG generell für das Leistungserbringerrecht – aber nicht explizit für die Sachmängelhaftung bei Hilfsmitteln – angenommen, die dem Sozialrecht innewohnende vierjährige Verjährungsfrist anwendet (vgl. § 45 SGB I (analog), z.B. BSG, Urteil vom 10.04.2008, B 3 KR 7/07 R). Verjährung wäre dann nämlich erst mit Ablauf des Jahres 2016 und damit nach Klageerhebung eingetreten.
Im Ergebnis konnte die Klägerin damit die für die Prothese des Versicherten gezahlte Vergütung nicht von der Beklagten zurückverlangen, weshalb die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG Nürnberg vom 16.02.2017 zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.


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