Medizinrecht

Leistungsausschluss nach dem SGB II

Aktenzeichen  L 7 AS 35/16 B ER

Datum:
2.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II aF § 7Abs. 4
SGG § 86bAbs. 2
StGB StGB § 63

 

Leitsatz

1. Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen Leistungsträgern sind im Hauptsacheverfahren zu klären, auch wenn das Existenzminimum des Leistungsberechtigten in den unterschiedlichen Leistungssystemen unterschiedlich gewährleistet wird und der Leistungsberechtigte in einem der Leistungssysteme höhere Barzahlungen erhalten würde. (amtlicher Leitsatz)
2. Teilstationäre Unterbringung im Rahmen des Maßregelvollzuges führt nicht immer zu einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II. (amtlicher Leitsatz)
3 Auch die Gewährung darlehensweiser Leistungen durch einen anderen Leistungsträger schließt die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes aus. (red. LS Andreas Hofmann)

Verfahrensgang

S 11 AS 592/15 2015-12-21 Bes SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 21.12.2015 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
III.
Dem Beschwerdeführer wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt B., B-Stadt, beigeordnet.

Gründe

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) begehrt im Beschwerdeverfahren von der Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (Bg) Leistungen nach dem SGB II aufgrund seines Antrags vom 16.10.2015 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der 1978 geborene Bf befindet sich aufgrund eines seit dem 27.09.2007 rechtskräftigen Urteils des Landgerichts A-Stadt im Maßregelvollzug nach § 63 StGB. Die Maßregel war zunächst zur Bewährung ausgesetzt. Die Aussetzung zur Bewährung wurde aber durch Sicherungsunterbringungsbefehl, bestätigt durch Beschluss des Landgerichts A-Stadt vom 20.03.2009, widerrufen. Seit 15.01.2009 ist der Bf nunmehr im Maßregelvollzug.
Wie sich aus dem Schreiben des Bezirksklinikums R. vom 28.12.2015 ergibt, befindet sich der Bf seit dem 03.07.2014 in der Resozialisierungsstufe „D“. Ab 03.07.2014 wohnt der Bf deshalb nicht mehr im der stationären Einrichtung, sondern in einer eigenen Wohnung, zunächst vom 03.07.2014 in einer Wohngemeinschaft der Bayer. G., Sektion R. e.V und seit 16.06.2015 in der Wohngemeinschaft „A-Stadt“ des Sozialteams Nordoberpfalz in A-Stadt.
Patienten in der Resozialisierungs- bzw. Entlassungsstufe „D“ können laut Bezirksklinikum R. jederzeit einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nachgehen. Der Bf habe demnach grundsätzlich ab Beginn der Stufe „D“, also dem 15.04.2014 ganztätig und uneingeschränkt einer Erwerbstätigkeit nachgehen können.
Seit seinem Einzug in die Wohngemeinschaft „A-Stadt“ zum 16.06.2015 sei der Bf wöchentlich allenfalls noch 2 Std. im Bezirksklinikum R. . Die Klinik habe daher nur noch eine Teilverantwortung für seine tägliche Lebensführung.
Neben der beruflichen Integration sei der Nachweis einer eigenen Wohnung ein unabdingbarer Faktor für eine günstige „Sozial- und Legalprognose“. Eine eigene Wohnung müsse noch während der Therapie bezogen werden, um erproben zu können, ob der Patient in diesem Bereich den realen Alltagsanforderungen gewachsen sei, ohne deren Bewältigung eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug nicht möglich sei.
Der Bf. erhalte seit seinem Einzug in eine eigene Wohnung am 16.06.2015 durch die Med. Bo. L. KU (eine Anstalt des öffentlichen Rechts) folgende Leistungen:
– Kosten der Wohnung: 320,14 € monatlich
– Leistungen des Betreuungsteams und der Wohngemeinschaft: Tagessatz 51,07 €
– Verpflegungsgeld: durchschnittlich 152,50 € monatlich
– Justiztaschengeld: 107,73 € monatlich.
Unter Beachtung des Resozialisierungsverlaufs sei zwischen der Med. Bo. KU und dem Bf vereinbart worden, dass dieser ab einem aus Sicht der Klinik geeigneten Zeitpunkt Antrag auf Leistungen nach dem SGB II stelle. Dies habe der Bf vereinbarungsgemäß am 16.10.2015 getan. Seit diesem Zeitpunkt erhalte der Bf die Kosten der Wohnung und das Verpflegungsgeld als Darlehen, zu dessen Rückzahlung er mittels eigenen Einkommens oder durch die beantragten Leistungen nach dem SGB II verpflichtet sei. Mit der Gewährung von Leistungen gemäß SGB II entfalle auch die Leistungsberechtigung für das Justiztaschengeld. Mit dem Bf sei eine entsprechende Überleitungserklärung getroffen worden.
Aufgrund der Antragstellung beim Bg am 16.10.2015 schlossen der Bf und die Bg eine Eingliederungsvereinbarung mit Datum vom 12.11.2015 ab, worin sich der Bg verpflichtete, dem Bf eine Integrationsmaßnahme zur beruflichen Wiedereingliederung („BIRA“) im Zeitraum vom 01.12.2015 bis 31.08.2016 zu gewähren.
Den Leistungsantrag des Bf vom 16.10.2015 lehnte der Bg dagegen mit Bescheid vom 19.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2015 ab, wogegen der Bf inzwischen Klage erhoben hat. Auch wenn der Bf derzeit in einer eigenen Wohnung wohne, befinde er sich nach wie vor im Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II, die einer stationären Einrichtung gleichgestellt sei. Die eigene Wohnung sei vom Bf im Rahmen des Maßregelvollzugs und der dazu gehörigen Therapie bezogen worden, werde daher folgerichtig vom dafür zuständigen Träger finanziert.
Am 30.10.2015 beantragte der Bf beim Sozialgericht Regensburg (SG) einstweiligen Rechtsschutz mit zwei Begehren. Zum einen müsse die Eingliederungsvereinbarung vom 02.11.2015 eingehalten werden, wonach er am 01.12.2015 eine Maßnahme zur beruflichen Integration in den regionalen Arbeitsmarkt, durchgeführt vom Berufsförderungswerk N. antreten dürfe. Zum anderen seien ihm aufgrund seines Antrags vom 16.10.2015 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
Mit Beschluss vom 21.12.2015 stellte das SG fest, dass zwischen dem Bf und dem Bg eine wirksame Eingliederungsvereinbarung am 12.11.2015 geschlossen worden sei und der Antragsgegner auch verpflichtet sei, die hierin genannten Eingliederungsmaßnahmen (Teilnahme an der Maßnahme BIRA) zu gewähren. Im Übrigen würde der Antrag auf einstweiligen Rechtsschütz abgewiesen.
Die Eingliederungsvereinbarung sei wirksam und die Maßnahme deshalb durchzuführen.
Bezüglich der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II aufgrund des Antrags vom 16.10.2015 werde der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgewiesen, da kein Anordnungsgrund erkennbar sei. Der Bf habe eine Unterkunft, welche bezahlt werde. Ferner habe er im Rahmen seiner Unterbringung am Bezirksklinikum R. freie Heilfürsorge. Schließlich erhalte er nach eigenen Angaben monatlich Taschengeld in Höhe von insgesamt ca 260,- € . Dies im Zusammenhang mit der Tatsache, dass der Bf derzeit in der Lockerungsstufe „D“ des Behandlungsprogramms der Bayer. F. Kliniken befinde, führe dazu, dass die Notwendigkeit einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht gegeben sei. Das Existenzminimum des Bf sei derzeit im Rahmen des Maßregelvollzugs gesichert.
Gegen den Beschluss des SG hat der Bf im Hinblick auf die Ablehnung von Gewährung von Leistungen nach dem SGB II Beschwerde eingelegt. Der Bg hat bezüglich der Feststellung seiner Verpflichtung zur Einhaltung der Eingliederungsmaßnahme keine Beschwerde eingelegt.
Der Bf begründet seine Beschwerde damit, dass er nur noch teilstationär untergebracht sei und daher nicht mehr von Leistungen nach SGB II ausgeschlossen sei. Nach der Grundsatzentscheidung des BSG vom 05.06.2014, Az.: B 4 AS 32/13 R, und dem Urteil des BayLSG vom 17.09.2014, Az.: L 16 AS 813/13, stünde außerhalb der Forensik wohnenden, erwerbsfähigen Antragstellern Leistungen nach dem SGB II zu. Zwar würden dem Bf derzeit die Kosten der Unterkunft gezahlt. Er erhalte aber lediglich insgesamt 260,23 € für seinen Unterhalt, nämlich 107,93 € monatlich an Taschengeld sowie ein Verpflegungsgeld von 152,50 € monatlich. Hierdurch werde das Existenzminimum nicht sichergestellt. Dies gelte auch, wenn man berücksichtigte, dass im Eilverfahren durch die Gerichte Abschläge vom Regelunterhalt vorgenommen würden. Kein Mensch könne mit 260,23 € ein menschenwürdiges Leben führen.
Der Bg hält die Entscheidung des SG bezüglich der beantragten Leistungen nach SGB II für zutreffend.
II. Die auf die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II beschränkte Beschwerde des Bf ist zulässig.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Zutreffend hat das SG darauf abgestellt, dass einstweiliger Rechtsschutz daran scheitert, dass kein Anordnungsgrund erkennbar ist. Insoweit wird nach § 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Entscheidung des SG verwiesen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen.
Anzumerken ist lediglich, dass im Rahmen eines Eilverfahrens Zuständigkeitsstreite zwischen unterschiedlichen Trägern nicht zu klären sind. Dies hat im Rahmen des bereits rechtshängigen Hauptsacheverfahrens zu erfolgen.
Der Bf hat, seitdem er sich in der Resozialisierungsstufe „D“ befindet und in eine eigene Wohnung gezogen ist, also dem 03.07.2014, im Rahmen des Leistungssystems des Maßregelvollzugs gelebt, in dem ihm neben der notwendigen Heilfürsorge und der Therapie auch existenziell sichernde Leistungen gewährt wurden. An seiner Lebenssituation hat sich bislang nichts geändert. Allein die Aufforderung des bisher zuständigen Trägers, einen Antrag nach dem SGB II zu stellen, bedingt keine nach außen erkennbare Änderung der Lebenssituation.
Dass der Bf Leistungen vom bisherigen Träger nunmehr seit Antragstellung nach dem SGB II nur noch als Darlehen erhält, führt auch nicht zur Eilbedürftigkeit. Entscheidend ist, dass der Bf Leistungen erhält.
Die Kostenentscheidung beruht § 193 SGG und der Erwägung, dass der Bf mit seiner Beschwerde erfolglos blieb.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist stattgegeben und Rechtsanwalt B. wie beantragt beizuordnen, § 73a SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung.. Die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen sind erfüllt, wie sich aus dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 09.01.2016 ergibt. Hinreichender Erfolgsaussichten sind im Hinblick auf die in Frage stehenden genannten Entscheidungen des BSG und des BayLSG nicht von vorneherein zu verneinen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.


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