Medizinrecht

Medizinische Cannabisversorgung

Aktenzeichen  S 13 KR 3/20

Datum:
26.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 37327
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 31 Abs. 6

 

Leitsatz

1. Die Genehmigung der Versorgung eines Versicherten mit Cannabis kann vor dem Hintergrund, dass nach § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V lediglich die erste Verordnungen der/s behandelnden Vertragsärztin/-arztes der Genehmigung durch die Krankenkasse bedarf, nicht gem. § 32 Abs. 1, 2. Alt. SGB X befristet werden.
2. Aus dem Umstand, dass § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 SGB V der Therapieverantwortung der/s behandelnden Vertragsärztin/-arztes besonderes Gewicht beimisst, folgt im Umkehrschluss, dass sich die Reichweite der Genehmigung der Versorgung eines Versicherten mit Cannabis nur auf die/den antragstellende/n behandelnde/n Vertragsärztin/-arzt beschränkt. Im Fall eines Arztwechsels muss die/der neue behandelnde Vertragsärztin/-arzt bei der ersten Verordnung erneut die Genehmigung der Krankenkasse nach § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V einholen.
1. Die Versorgung mit Medizinal-Cannabis setzt voraus, dass der behandelnde Vertragsarzt seine Verordnung auf eine begründete Einschätzung stützt, die er im Genehmigungsverfahren der Krankenkasse vorzulegen hat. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine mangelhafte vertragsärztliche Einschätzung, welche die rankenvorgeschichte des Klägers nicht genau recherchiert oder sich ausschließlich auf die Aussasgen des Versicherten stützt, ist un geeignet, die (Weiter-)Verordnung von Medizinal-Cannabis  zu rechtfertigen.(Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Genehmigung der Cannabis-Versorgung darf nicht befristet werden. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Nach einem Arztwechsel ist das Genehmigungsverfahren für Medizinal-Cannabis erneut durchzuführen. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Kammer konnte gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil der Rechtsstreit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für das aufgrund des Privatrezeptes selbst beschaffte Medizinal-Cannabis, noch auf die Versorgung mit Medizinal-Cannabis der Sorte „Peace Natural“ als Sachleistung. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 09. Oktober 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Dezember 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann ein Anspruch auf Kostenerstattung im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V nicht weiter reichen als ein Naturalleistungsanspruch (vgl. nur BSG, Urt. v. 16.12.2008 – B 1 KR 11/08 R, zitiert nach juris). Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V setzt somit immer voraus. Dass der Kläger gegen die Beklagte grundsätzlich einen Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabis hat bzw. zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung gehabt hat.
Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
Anspruchsgrundlage für die Versorgung von Versicherten mit Medizinal-Cannabis ist § 31 Abs. 6 SGB V. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind vorliegend nicht erfüllt.
§ 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V bestimmt: „Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn 1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung a) nicht zur Verfügung steht oder b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, 2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.“
§ 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V lautet: „Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.“
Ausgehend von dem Antrag von Dr. A … vom 01. Oktober 2019 auf Versorgung des Klägers mit Medizinal-Cannabis der Sorte „Peace Natural“ lassen sich die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V nicht feststellen.
Es kann insofern dahinstehen, ob der Kläger überhaupt an einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V leidet und die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 SGB V vorliegen. Denn der Anspruch scheitert jedenfalls daran, dass die von Dr. A … im Antrag vom 01. Oktober 2019 abgegebene Begründung nicht den Anforderungen entspricht, die an eine „begründete Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes“ im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 SGB V zu stellen sind.
Aus § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 SGB V folgt, dass der behandelnde Vertragsarzt die Verordnung von Medizinal-Cannabis auf eine begründete Einschätzung stützen muss, die er im Rahmen des Genehmigungsverfahren der Krankenkasse vorzulegen hat (so auch vgl. LSG NRW, Beschluss vom 25.02.2019 – L 11 KR 240/18 B ER – 3. Leitsatz, zitiert nach juris).
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die gesetzliche Systematik des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 SGB V der Entscheidung des Vertragsarztes über die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit einer Versorgung des Versicherten mit Medizinal-Cannabis hohes Gewicht beimisst. Im Rahmen des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 SGB V soll – bei Vorlage der übrigen Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V – grundsätzlich dem Arzt, und nicht der Krankenkasse die Therapieverantwortung für die Cannabis-Therapie zukommen (BT-Drucks. 18/10902 S. 20; BT-Drucks. 18/8965, S. 23; vgl. auch LSG NRW, a.a.O., Rn. 47 ff. zitiert nach juris). Nach überwiegender Ansicht in Literatur und Rechtsprechung kommt dem Vertragsarzt insofern eine Einschätzungsprärogative zu. Die vom behandelnden Vertragsarzt abgegebene begründete Einschätzung kann von den Krankenkassen und auch den Gerichten nur eingeschränkt überprüft werden (vgl. nur Lichdi, NZS 2020, S. 796 (797) m.w.N.). Zulässig ist insofern nur eine Prüfung auf Schlüssigkeit, Plausibilität und den Umstand, ob der Vertragsarzt tatsächlich eine Abwägung in Bezug auf noch mögliche Therapieoptionen und mögliche Risiken und Nebenwirkungen vorgenommen hat und insofern von einem vollständigen und zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist. Weder die Krankenkassen, noch die Gerichte können ihre Auffassung an die Stelle einer begründeten Einschätzung des Vertragsarztes setzen.
Selbst wenn man von diesem begrenzten Prüfungsmaßstab ausgeht, erfüllt der Antrag von Dr. A … vom 01. Oktober 2019 nicht die an eine „begründete Einschätzung“ i.S.d. § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 SGB V zu stellenden Anforderungen. Dr. A … führt in seinem Antrag äußerst knapp aus, dass es dem Kläger mit der vorhandenen Cannabis-Medikation gut gehe und das Behandlungsziel erreicht werde. Mit keinem Wort geht er jedoch darauf ein, dass der vorherige behandelnde Vertragsarzt Dr. F … die Therapie mit Medizinal-Cannabis bewusst beendet hat, nachdem der Kläger in stationärer Behandlung in K … mit der Diagnose „Psychische und Verhaltensstörung durch Cannabinoide: Psychotische Störung ICD-10: F 12.5“ war. Eine Auseinandersetzung mit den insofern deutlich im Raum stehenden möglichen Nebenwirkungen und der Frage, warum er eine Cannabis-Therapie nur wenige Monate nach der stationären Behandlung wieder für angezeigt hält, findet nicht statt. Dies wäre vorliegend insbesondere auch deshalb angezeigt gewesen, weil sich das Bezirksklinikum K … bei Entlassung des Klägers ausdrücklich für eine absolute Drogenkarenz ausgesprochen hat.
Die Antragsbegründung von Dr. A … leidet aufgrund der fehlenden Auseinandersetzung der Krankheitshistorie des Klägers und den bekannten Nebenwirkungen der früheren Cannabis-Therapie an erheblichen Mängeln. Diese dürften sich nur daraus erklären, dass Dr. A … die Krankenvorgeschichte des Klägers nicht genau recherchiert, sondern sich ausschließlich auf die Aussagen des Klägers verlassen hat, gut mit der Therapie zurecht gekommen zu sein. Eine solche mangelhafte Einschätzung ist jedoch nicht geeignet, eine (Weiter-)Verordnung von Medizinal-Cannabis auf Kosten der Beklagten zu rechtfertigen. Die Beklagte hat die Genehmigung daher zu Recht abgelehnt Der Kläger kann sich vorliegend auch nicht darauf berufen, dass die Verordnungen von Medizinal-Cannabis durch Dr. A … keiner Genehmigung im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V mehr bedurft hätten, weil es sich nicht um die Erstverordnung von Medizinal-Cannabis gehandelt hat, sondern die Beklagte mit Bescheid vom 31. Oktober 2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 04. Dezember 2018 die frühere Versorgung mit Medizinal-Cannabis bereits genehmigt hatte.
Dies folgt entgegen der Ausführungen der Beklagten zwar nicht bereits daraus, dass die Genehmigung mit Bescheid vom 31. Oktober 2018 in der Fassung des Bescheides vom 04. Dezember 2018 für einen Zeitraum von sechs Monaten befristet war.
Die Befristung der Genehmigung im Bescheid vom 31. Oktober 2018 war rechtswidrig. Insbesondere liegen nicht die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1, 2. Alt. SGB X vor. Danach darf ein Verwaltungsakt mit einer Nebenbestimmung versehen werden, wenn diese sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Nach § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V bedarf lediglich die erste Verordnung des behandelnden Vertragsarztes der Genehmigung der Krankenkasse. Hieraus folgt, dass gerade auch die Frage, ob und wie lange die Therapie mit Medizinal-Cannabis – nach der ersten, genehmigungspflichtigen Verordnung – fortgesetzt werden soll, der Therapieverantwortung des behandelnden Vertragsarztes obliegt. Diese Systematik würde durch die Möglichkeit einer nur befristeten Genehmigung jedoch unterlaufen. Etwas anders folgt auch nicht daraus, dass der Bescheid vom 31. Oktober 2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 04. Dezember 2018 bestandskräftig geworden ist. Die Genehmigung als solche stellt ausgehend von der Systematik des § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar, die während des gesamten Verordnungszeitraums vorliegen muss und die nach Ablauf des Genehmigungszeitraums ihre Wirkung verlieren würde. Anderenfalls könnte die Beklagte die Genehmigung später gemäß § 48 SGB X jederzeit wieder aufheben, wenn sie der Auffassung wäre, dass die Voraussetzungen für die Verordnungsfähigkeit von Medizinal-Cannabis entfallen sind. Auch dies widerspricht jedoch Sinn und Zweck des § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V. Denn die Krankenkasse sollen schon nach dem Wortlaut dieser Vorschrift nach der ersten Verordnung gerade kein Prüfungsrecht mehr bezüglich des Therapieverlaufes haben.
Die Verordnung von Medizinal-Cannabis zu Lasten der Beklagten durch Dr. A … bedarf vorliegend jedoch deshalb einer Genehmigung der Beklagten im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V, weil es sich hier um die erste Verordnung eines neuen behandelnden Vertragsarztes handelt.
Aus Sicht der Kammer folgt im Umkehrschluss aus der systematischen Anknüpfung des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 SGB V an die Therapieverantwortung und die Einschätzungsprärogative des behandelnden Vertragsarztes, dass sich die Beschränkung der Genehmigungspflicht auf die erste Verordnung nur auf Verordnungen ein und desselben Vertragsarztes beziehen kann.
Wie oben dargestellt, kommt im Anschluss an die Genehmigung der ersten Verordnung ausschließlich dem behandelnden Vertragsarzt im Rahmen des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V die Therapieverantwortung für die weitere Behandlung des Versicherten mit Medizinal-Cannabis zu. Spätere Prüfungen durch die Krankenkasse sind grundsätzlich ausgeschlossen.
Aus der durch § 31 Abs. 6 Sätze 1 und 2 SGB V vermittelten Therapieverantwortung folgt jedoch auch, dass es der verordnende Vertragsarzt in der Hand haben muss, die von ihm eingeleitete und zur Genehmigung gebrachte Therapie mit Medizinal-Cannabis wieder zu beenden, wenn er zu der Auffassung gelangt, dass die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V bei dem Versicherten nicht mehr vorliegen bzw. Änderungen im Gesundheitszustand des Versicherten auftreten, die eine Weiterbehandlung mit Medizinal-Cannabis aus seiner Sicht als kontraindiziert erscheinen lassen.
Die somit ebenfalls in den Verantwortungsbereich des behandelnden Vertragsarztes fallende Beendigung einer Behandlung des Versicherten mit Medizinal-Cannabis darf nicht dadurch unterlaufen werden können, dass sich der Versicherte in einem solchen Fall einen anderen Vertragsarzt sucht, der – ohne eine eigene Prüfung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V und ohne die Notwendigkeit, eine eigene begründete Einschätzung abzugeben, Medizinal-Cannabis auf der Basis einer an einen anderen Vertragsarzt erteilten Genehmigung weiter verordnet.
Die anderenfalls bestehende Missbrauchsgefahr wird gerade auch im vorliegenden Fall deutlich. Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger nur deshalb seinen behandelnden Arzt gewechselt hat, weil Dr. F … die Therapie beendet hat und aufgrund der aufgetretenen Psychosen nicht bereit war, den Kläger weiter mit Medizinal-Cannabis zu versorgen. Auch geht die Kammer davon aus, dass der Kläger Dr. A … nicht über den stationären Aufenthalt im Bezirksklinikum K … informiert hat, und dieser – ohne eine eigene Einschätzung vorzunehmen und sich umfassend über die Krankheitsgeschichte des Klägers zu informieren – allein aufgrund der früheren Genehmigung der Cannabis-Therapie darauf vertraut hat, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V auch weiterhin vorliegen.
Zwar bedarf nach § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V nur die erste Verordnung des behandelnden Vertragsarztes der Genehmigung durch die Krankenkasse. Die Therapie als solche muss jedoch durchgehend – und zwar auch nach der ersten Verordnung – von der (begründeten) Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes gedeckt sein, dass auch die Weiterbehandlung des Versicherten mit Medizinal-Cannabis im Sinne von § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V notwendig, erforderlich und angemessen ist.
Dieses Ziel lässt sich jedoch nur dadurch erreichen, dass im Fall eines Arztwechsels der neue behandelnde Vertragsarzt dem Genehmigungserfordernis des § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V bei der ersten Verordnung von Medizinal-Cannabis wieder unterworfen wird. Nur auf diese Weise wird sichergestellt, dass sich der neue behandelnde Vertragsarzt seiner Therapieverantwortung bewusst wird, die Versorgung von Versicherten mit Medizinal-Cannabis durchgehend von einer (eigenen) begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes gedeckt und Missbrauchstatbestände vermieden werden.
Aus Sicht der Kammer ist die Notwendigkeit, im Fall eines Arztwechsels erneut das Genehmigungserfordernis des § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V durchzuführen, auch bereits im Wortlaut des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V angelegt. Dieser spricht ausdrücklich von der begründeten Einschätzung „der“ behandelnden Vertragsärztin bzw. „des“ behandelnden Vertragsarztes. Hieraus folgt, dass das Gesetz von einer Anbindung der Genehmigung an einen bestimmten Arzt ausgeht. Es genügt also gerade nicht, dass lediglich irgendein Arzt eine begründete Einschätzung abgegeben hat, sondern es muss eine begründete Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes sein. Die Person, die die begründete Einschätzung abgegeben hat, und der Verordner müssen identisch sein.
Dementsprechend bedurfte die erste Verordnung von Medizinal-Cannabis durch Dr. A … trotz der zuvor an Dr. F …erteilten Genehmigung einer neuen Genehmigung. Diese wurde von der Beklagten – wie oben ausgeführt – jedoch zu Recht versagt.
Der Kläger kann einen Anspruch auf Kostenerstattung bzw. Versorgung mit Medizinal-Cannabis schließlich auch nicht aus § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V auf der Basis der sog. Genehmigungsfiktion herleiten. Nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V ist die Krankenkasse, wenn sich ein Leistungsberechtigter nach Ablauf der Frist des § 13 Abs. 3a SGB eine erforderliche Leistung selbst beschafft, zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet.
§ 13 Abs. 3a SGB V bestimmt hinsichtlich der einzuhaltenden Fristen: „Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung.“
Der Antrag von Dr. A … ist am 01. Oktober 2019 bei der Beklagten eingegangen. Der Ablehnungsbescheid datiert auf den 09. Oktober 2019. Damit ist die Frist des § 13 Abs. 3a SGB V gewahrt. Auf das Widerspruchsverfahren findet § 13 Abs. 3a SGB V als eng auszulegende Ausnahmevorschrift keine Anwendung (vgl. nur BSG, Urt. v. 24.04.2018 – B 1 KR 10/17 R, Rn. 9 zitiert nach juris). Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass nach neuer Rechtsprechung des BSG die Genehmigungsfiktion auf Sachleistungsansprüche ohnehin nicht mehr anwendbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2020 – B 3 KR 14/18 R – zitiert nach juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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