Medizinrecht

Nachforderung für Krankenhausbehandlung eines Untersuchungsgefangenen

Aktenzeichen  B 8 K 17.734

Datum:
28.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 48390
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStVollzG Art.25, Art. 60 Nr. 5,Art. 63,  Art. 67 Abs. 1
KHG § 17b
StPO § 119
BGB § 242, § 288,§ 286
ZPO § 711

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 7.491,16 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2014 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages leistet.

Gründe

I.
Über die Klage kann mit Einverständnis der Parteien nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
II.
Das Gericht konnte in der Sache entscheiden, da der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 VwGO eröffnet ist. Denn die streitentscheidenden Normen sind solche des öffentlichen Rechts. Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Anspruchs ist Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayUVollzG i.V.m. Art. 60 Nr. 5., Art. 63 Abs. 1 BayStVollzG, Art. 9 Abs. 2 BayUVollzG i.V.m. Art. 67 BayStVollzG.
(1) Die zulässige Klage hat in der Sache weitestgehend Erfolg.
a) Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich dem Grunde nach unmittelbar aus Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayUVollzG i.V.m. Art. 60 Nr. 5 BayStVollzG und Art. 9 Abs. 2 BayUVollzG i.V.m. Art. 67 BayStVollzG.
Grundsätzlich besteht für ein nach § 108 Nr. 2 SGB V zugelassenes Krankenhaus – wie es die Klägerin ausweislich des Krankenhausplanes des Freistaates Bayern war (Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit, Krankenhausplan des Freistaates Bayern, Stand: 1. Januar 2013 (38. Fortschreibung) – ein Vergütungsanspruch gegen die gesetzliche Krankenkasse des Versicherten gemäß §§ 109 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 SGB V. Die Abrechnung erfolgt dann gemäß § 17b KHG i.V.m. § 9 Abs. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) i.V.m. der jeweiligen Fallpauschalenvereinbarung.
Grundlage der Abrechnung war ein Krankhausaufenthalt eines Untersuchungsgefangenen vom 21. Februar 2013 bis 6. März 2013, wobei bereits mit Beschluss des Amtsgerichts B* … vom 28. Februar 2013 der der Untersuchungshaft zugrunde liegende Haftbefehl des Amtsgerichts B* … vom 28. Januar 2013 außer Vollzug gesetzt wurde.
Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, solange Versicherte sich in Untersuchungshaft befinden, nach § 126a StPO einstweilen untergebracht sind oder gegen sie eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird, soweit die Versicherten als Gefangene Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz haben oder sonstige Gesundheitsfürsorge erhalten.
Für Untersuchungsgefangene – wie es der Versicherte bei Aufnahme bei der Klägerin war – regelt Art. 25 BayUVollzG die Gesundheitsfürsorge. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayUVollzG statuiert eine entsprechende Anwendbarkeit der Art. 58 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3, Art. 59 bis 61, 63, 66 und 68 BayStVollzG über die Gesundheitsfürsorge und Krankenbehandlung, den Aufenthalt im Freien und über die Pflichten zur Benachrichtigung bei Erkrankung oder im Todesfall. Danach haben Untersuchungsgefangene nach Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayUVollzG, Art. 60 Satz 1 BayStVollzG Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayUVollzG, Art. 60 Satz 2 Nr. 5 BayStVollzG die Krankenhausbehandlung. Art. 67 Abs. 1 BayStVollzG sieht weiter vor, dass kranke Gefangene in ein Anstaltskrankenhaus oder in eine für die Behandlung ihrer Krankheit besser geeignete Anstalt überstellt oder verlegt werden können. Kann die Krankheit in einer Anstalt oder einem Anstaltskrankenhaus nicht erkannt oder behandelt werden oder ist es nicht möglich, die Gefangenen rechtzeitig in ein Anstaltskrankenhaus zu überstellen oder zu verlegen, sind sie in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs zu bringen, Art. 67 Abs. 2 BayStVollzG. Art. 67 BayStVollzG gilt gemäß Art. 9 Abs. 2 BayUVollzG für Untersuchungsgefangene entsprechend.
Wird der Gefangene – wie hier – in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs verlegt, erfüllt die Vollzugsbehörde ihre Verpflichtung zur Krankenbehandlung durch Kostenübernahme gegenüber dem Krankenhaus (VG Berlin, U.v. 18.4.2016 – VG 1 K 322.14 – BeckRS 2016, 49015).
b) Für die Art der Gesundheitsuntersuchungen und medizinischen Vorsorgeleistungen sowie für den Umfang dieser Leistungen und der Leistungen zur Krankenbehandlung einschließlich der Versorgung mit Hilfsmitteln gelten nach Art. 63 Abs. 1 BayStVollzG die entsprechenden Vorschriften des Sozialgesetzbuchs und die auf Grund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen. Über Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayUVollzG, der eine entsprechende Geltung des Art. 63 Abs. 1 BayStVollzG für Untersuchungsgefangene normiert, gelten demnach die entsprechenden Vorschriften des Sozialgesetzbuches und die auf Grund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen auch für Untersuchungsgefangene entsprechend.
Art. 58 ff. BayStVollzG, die weitestgehend über Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayUVollzG entsprechend auf Untersuchungsgefangene anwendbar sind, geben dem Gefangenen damit einen Anspruch auf staatliche Gewährung von Gesundheitsfürsorge einschließlich ärztlicher und zahnärztlicher Leistungen, die an diejenigen der gesetzlichen Krankenversicherung angeglichen sind, soweit nicht Besonderheiten des Vollzugs eine andere Regelung erfordern (vgl. Arloth in BeckOK Strafvollzugsrecht Bayern, 12. Edition, Stand: 1.10.2019, Art. 58 BayStVollzG Rn. 1). Trotz dadurch weitgehender Kompensation ergibt sich gerade aus den Abweichungen der Art. 59 ff. BayStVollzG zu den Parallelvorschriften des SGB V, dass die Vorschriften des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung nicht uneingeschränkt auf den Strafvollzug zu übertragen sind (vgl. Arloth in BeckOK Strafvollzugsrecht Bayern, 12. Edition, Stand: 1.10.2019, Art. 63 BayStVollzG Rn. 1). Die Parallelvorschrift des Art. 61 BayStVollzG, die die Versorgung mit Hilfsmitteln regelt, zeigt dabei die Grenze des Gleichlaufs auf. Art. 61 BayStVollzG betont und sichert das Wirtschaftlichkeitsgebot. Da im vorliegenden Fall Art. 61 BayStVollzG nicht – auch nicht über die prinzipiell mögliche Geltung für Untersuchungsgefangene gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayUVollzG – zum Tragen kommt, sind Art und Umfang der Krankenbehandlung hier nicht durch die Abweichungen der Art. 59 ff. BayStVollzG zu den Parallelvorschriften des SGB V tangiert. Vielmehr ist damit von einer weitestgehend möglichen entsprechenden Anwendbarkeit der in Bezug genommenen Vorschriften und so von einer Verwirklichung des Äquivalenzprinzips durch weitgehende Kompensation auszugehen. Dies wird durch den Umstand bestärkt, dass ein Untersuchungsgefangener quasi eine Zwischenstellung zwischen einem regulär gesetzlich Krankenversicherten und einem Gefangenen in Strafhaft darstellt. Denn ein Untersuchungsgefangener gilt gemäß Art. 3 Abs. 1 BayUVollzG als unschuldig und ist entsprechend zu behandeln. Soweit nicht anderweitig gesetzlich vorgesehen, dürfen den Untersuchungsgefangenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit, zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt oder zur Umsetzung von Anordnungen nach § 119 StPO zur Bekämpfung einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (verfahrenssichernde Anordnungen) unerlässlich sind, vgl. Art. 3 Abs. 3 BayUVollzG.
Aufgrund dessen ist über den Verweis der Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayUVollzG, Art. 63 Abs. 1 BayStVollzG von einer umfassenden entsprechenden Geltung der Vorschriften des Sozialgesetzbuches und die auf Grund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen sowohl hinsichtlich Art und Umfang der Leistungen als auch hinsichtlich Art und Höhe der Vergütung auszugehen.
c) Der Klägerin steht damit ein Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten gegenüber dem Beklagten zu, jedoch nur für den Zeitraum vom 21. Februar 2013 bis 28. Februar 2013, denn nach § 19 Abs. 1 SGB V erlischt der Anspruch auf Leistungen grundsätzlich mit dem Ende der Mitgliedschaft. Entsprechend gilt über Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayUVollzG, Art. 63 Abs. 1 BayStVollzG die vorrangige Leistungspflicht eines anderen Leistungsträgers (vgl. Arloth in BeckOK Strafvollzugsrecht Bayern, 12. Edition, Stand: 1.10.2019, Art. 63 BayStVollzG Rn. 1). Daraus folgt, dass das Land nur diejenigen Kosten zu tragen hat, die bis zur Entlassung angefallen sind, wenn Gefangene während einer Behandlung aus der Haft entlassen werden (VG Berlin, U.v. 18.4.2016 – VG 1 K 322.14 – BeckRS 2016, 49015). Etwas anderes folgt weder aus dem Umstand, dass es sich bei der Behandlung um eine Krankenhausleistung handelt, die nach dem Krankenhausentgeltgesetz mit Fallpauschalen abgerechnet wird, noch aus § 9 der zwischen dem GKV-Spitzenverband, dem Verband der privaten Krankenversicherung sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft geschlossenen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2013 (Fallpauschalenvereinbarung 2013 – FPV 2013).
(1) Krankenhausleistungen, die nach dem Krankenhausentgeltgesetz mit Fallpauschalen abgerechnet werden, sind nicht als eine „untrennbare Behandlungseinheit“, sondern als teilbare Leistungen anzusehen. Die Aufteilung hat ausgehend von der gesamten Zahl der tatsächlich mit der Fallpauschale abgerechneten Tage in der Weise zu erfolgen, dass die Rechnungs- und Leistungsstelle bis zum letzten Tag der bisherigen Mitgliedschaft von denjenigen ab dem ersten Tag der neuen Mitgliedschaft zu trennen und mit einem entsprechenden Anteil gesondert in Ansatz zu bringen sind. Zwar bilden auch die nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und des Krankenhausentgeltgesetzes getroffenen vertraglich vereinbarten Fallpauschalen für das Krankenhaus Abrechnungseinheiten. Die Vereinbarung von Fallpauschalen zwingt aber nicht dazu, sie im Rechtssinne für die Frage der Leistungszuständigkeit als untrennbare Einheit anzusehen. Vielmehr ist die Leistungszuständigkeit in Abhängigkeit von der tatsächlich für die Fallpauschale in Anspruch genommene Zahl der Krankenhaustage – pro rata temporis – aufzuteilen (BSG, U.v. 14.10.2014 – B 1 KR 18/13 – juris Rn. 17 f.).
(2) Untergesetzliches Recht oder Vertragsrecht mag hieran nichts zu ändern. § 9 FPV 2013 regelt zwar – ebenso wie § 9 FPV 2014 -, dass bei Fallpauschalenpatienten, bei denen während der stationären Behandlung ein Zuständigkeitswechsel des Kostenträgers eintritt, vorbehaltlich einer anderweitigen gesetzlichen Regelung der gesamte Krankenhausaufenthalt mit dem Kostenträger abgerechnet wird, der am Tag der Aufnahme leistungspflichtig ist. Die Abrechnungsregelungen der FPV haben aber lediglich insoweit Bedeutung, als sie eine Rechtsgrundlage für den aufzuteilenden Gesamtbetrag bieten und vereinfachte kooperative Verfahren ohne Drittwirkung ermöglichen. Nicht das behandelnde Krankenhaus muss die gesamte Vergütung tageweise aufteilen, sondern den Kostenträger trifft diese technische Aufgabe, der am Tag der Aufnahme leistungspflichtig ist. Der Regelung kann nicht entnommen werden, dass der Klägerin trotz fehlender Leistungszuständigkeit des Beklagten ein Vergütungsanspruch für den gesamten Krankenhausaufenthalt zusteht. Die Bestimmung zeigt vielmehr, dass es sich bei den Fallpauschalen um einen bloßen Abrechnungsmodus handelt, der der numerischen Aufteilung bei einem Wechsel des Kostenträgers zugänglich ist (BSG, U.v. 14.10.2014 a.a.O. – juris Rn. 20 f.).
Gemessen an diesen Grundsätzen durfte die Klägerin gegenüber dem Beklagten die den gesamten stationären Krankenhausaufenthalt des Untersuchungsgefangenen abdeckende Rechnung stellen; ein Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten dem Beklagten gegenüber steht der Klägerin jedoch nur für die Zeit der Untersuchungshaft, mithin für den Zeitraum vom 21. Februar 2013 bis 28. Februar 2013 zu.
Für die durchgeführte Behandlung des Untersuchungsgefangenen rechnete die Klägerin vorliegend dem Beklagten gegenüber mit Gesamtrechnung vom 12. März 2013 einen Betrag von 5.953,44 € ab. Dieser Betrag wurde von Beklagtenseite am 5. April 2013 vollumfänglich beglichen. Die ursprünglich Beigeladene erstattete auf die Erstrechnung vom 12. März 2013 über 5.953,44 € der JVA … den auf sie ab der Haftunterbrechung entfallenden Anteil von 2.551,50 € am 5. Februar 2014.
Am 31. Juli 2014 stornierte die Klägerin ihre Rechnung vom 12. März 2013 und erstellte am 1. August 2014 eine korrigierte Abrechnung, aus der sich ein geänderter Endabrechnungsbetrag in Höhe von insgesamt 19.063,00 € ergab.
d) Die Klägerin war nicht daran gehindert, ihren Restzahlungsanspruch nach Erstellung der korrigierten Schlussrechnung gegenüber dem Beklagten geltend zu machen.
Für die Nachforderung von Krankenhausvergütung sind die gesetzlich vorgesehenen Fristen maßgebend. Vergütungsansprüche der Krankenhäuser für die Behandlung Versicherter unterliegen der vierjährigen sozialrechtlichen Verjährung (stRspr BSG, vgl. BSG, U.v. 19.4.2016 – B 1 KR 33/15 R – Rn. 13 m.w.N.). Dies gilt grundsätzlich auch für eine Nachforderung, die das Krankenhaus geltend macht. Nur in engen Grenzen ist die Geltendmachung einer Nachforderung von Krankenhausvergütung durch das Krankenhaus vor Ablauf der kurzen vierjährigen Verjährung ausgeschlossen.
Die Klägerin war nicht wegen Verwirkung (§ 242 BGB) daran gehindert, ihren Vergütungsanspruch gegenüber dem Beklagten im Dezember 2016 klageweise geltend zu machen. Ihr verbliebener Vergütungsanspruch für die Behandlung des Untersuchungsgefangenen im Zeitraum vom 21. Februar 2013 bis 28. Februar 2013 ist nicht verwirkt.
Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebiets das verspätete Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden „besonderen Umstände“ liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. BSG, U.v. 5.7.2016 – B 1 KR 40/15 R – Rn. 20 m.w.N.).
Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen – hier im Zeitpunkt der Klageerhebung (Dezember 2016) noch nicht abgelaufenen – vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht anwendbar. Das Rechtsinstitut der Verwirkung findet nämlich nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen Anwendung (vgl. BSG, U.v. 5.7.2016 a.a.O., Rn. 21). Als ein Verwirkungsverhalten wertet das Bundessozialgericht regelmäßig die vorbehaltlose Erteilung einer nicht offensichtlich unschlüssigen Schlussrechnung eines Krankenhauses. Eine Vertrauensgrundlage entsteht in der Regel im Anschluss hieran, wenn das Krankenhaus eine Nachforderung weder im gerade laufenden noch nachfolgenden vollen Haushaltsjahr des Zahlungsverpflichteten geltend macht. Der Vertrauenstatbestand erwächst daraus, dass der Zahlungsverpflichtete regelhaft darauf vertraut, dass das Krankenhaus insoweit keine weiteren Nachforderungen erhebt. Hieran richtet er sein Verhalten aus, indem er davon Abstand nimmt, die Abrechnung als zweifelhaft zu behandeln und – im Kontext sonstiger streitiger Forderungen – dafür haushaltsrechtlich relevante Vorkehrungen zu treffen (vgl. BSG, U.v. 5.7.2016 a.a.O., Rn. 21 m.w.N.). Ist die Schlussrechnung des Krankenhauses dagegen – in seltenen Fällen – offensichtlich unschlüssig, kann eine Rechnungskorrektur auch nach Ablauf eines ganzen folgenden Haushaltsjahres noch nicht verwirkt sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein offensichtlicher, ins Auge springender Korrekturbedarf zu Gunsten des Krankenhauses besteht (vgl. BSG, U.v. 5.7.2016 a.a.O., Rn. 21).
Die o.g. vom Bundessozialgericht entwickelten Konkretisierungen der allgemeinen Grundsätze der Verwirkung sind auf das Verhältnis von Krankenhäusern zu Krankenkassen zugeschnitten. Sie sind dem Umstand geschuldet, dass die vorgenannten Beteiligten aufgrund eines dauerhaften Vertragsrahmens ständig professionell zusammenarbeiten. Ihnen sind die gegenseitigen Interessenstrukturen geläufig. In diesem Rahmen ist von ihnen eine gegenseitige Rücksichtnahme zu erwarten. Weil die Krankenkassen auf tragfähige Berechnungsgrundlagen angewiesen sind, müssen sie sich grundsätzlich auf die „Schlussrechnung“ eines Krankenhauses schon in ihrem laufenden Haushaltsjahr verlassen können, in dem die Rechnung gestellt wird. Dies versetzt sie in die Lage, die dem geltenden Haushaltsplan (vgl. §§ 67 ff. Sozialgesetzbuch Viertes Buch – SGB IV) zugrunde liegenden Ausgaben- und Einnahmenerwartungen mit den tatsächlichen Ausgaben und Einnahmen verlässlich abzugleichen und etwaige auf das folgende Haushaltsjahr zu übertragende Über- oder Unterdeckungen zu erkennen. Das Haushaltsjahr der Krankenkasse ist kraft gesetzlicher Anordnung das Kalenderjahr (vgl. § 67 Abs. 1 SGB IV). Die Krankenhäuser verfügen für die Erteilung einer ordnungsgemäßen, verlässlichen Abrechnung – anders als die Krankenkassen – umfassend über alle Informationen, die die stationäre Behandlung der Versicherten betreffen. Die erforderlichen Informationen betreffen die rechtlichen Vorgaben für die Abrechnung und die tatsächlich erbrachten Leistungen, die abzurechnen sind. Deswegen dürfen die Krankenkassen grundsätzlich davon ausgehen, dass einmal gestellte, nicht beanstandete Schlussrechnungen nicht von den Krankenhäusern zu einem späteren Zeitpunkt nachträglich korrigiert und Nachforderungen erhoben werden, der ihre Kalkulationsgrundlagen beeinträchtigt (vgl. BSG, U.v. 5.7.2016 a.a.O., Rn. 22).
Auf der anderen Seite bezog das Bundessozialgericht bei der Konkretisierung der allgemeinen Grundsätze der Verwirkung das anzuerkennende Interesse der Krankenhäuser ein, hinsichtlich aller in einem laufenden Haushaltsjahr übermittelten Schlussrechnungen noch effektiv Nachprüfungen in einem angemessenen zeitlichen Rahmen vornehmen zu können. Würde man ausschließlich auf das laufende Kalenderjahr abstellen, hätte dies zur Folge, dass die Krankenhäuser je später im Jahr Schlussrechnungen erfolgen desto weniger Zeit zur Korrektur hätten. Der seitens des Bundessozialgerichts regelmäßig zugrunde gelegte Zeitraum des gerade laufenden und des nachfolgenden vollen Haushaltsjahres der Krankenkasse trägt im Sinne einer praktischen Konkordanz den gegenläufigen schutzwürdigen Interessen der Beteiligten Rechnung (vgl. BSG, U.v. 5.7.2016 a.a.O., Rn. 23).
Diese Ausführungen lassen sich auch auf den besonderen Fall der Abrechnung von Krankenhäusern gegenüber einer Justizvollzugsanstalt übertragen. Denn es darf nicht zulasten des Krankenhauses gehen, dass die Justizvollzugsanstalt nicht in der Lage ist, selbst der Gesundheitsfürsorge in einer Anstalt oder einem Anstaltskrankenhaus nachzukommen und daher Gefangene in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs bringt. Zudem darf und kann es für ein Krankenhaus keinen Unterschied machen, wer bei Aufnahme leistungspflichtig ist (Krankenkasse, Justizvollzugsanstalt oder ein anderer Leistungserbringer) und ob sich die Leistungspflichtigkeit während des Krankenhausaufenthaltes verändert hat. Letzteres ist für das Krankenhaus nicht (zwingend) erkennbar. Auch eine vergleichbare Häufigkeit/(Be-)Ständigkeit ist gegeben. Zwar sind die Vollzugsanstalten primär zur Krankenbehandlung verpflichtet (vgl. Art. 67 Abs. 1 BayStVollzG (i.V.m. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayUVollzG)). Die Versorgung kranker Gefangener in Vollzugskrankenhäusern wird jedoch zahlenmäßig eine Ausnahme bleiben, weil eine flächendeckende Einrichtung von Vollzugskrankenhäusern angesichts der Spezialisierung im Gesundheitswesen und den gesetzlichen Anforderungen an die personelle und sachliche Ausstattung von Krankenhäusern schon aus Haushaltsgründen nicht in Betracht kommen dürfte: Nach § 107 Abs. 1 SGB V sind Krankenhäuser Einrichtungen, die (u.a.) über ausreichende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen, nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten und mit „jederzeit verfügbarem ärztlichem … Personal“ ausgestattet sind. Zwar ist diese Vorschrift aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Justizvollzug nicht unmittelbar anwendbar; jedoch ist die Intensität der ärztlichen Behandlung und die ständige Verfügbarkeit allgemein das entscheidende Merkmal für die Differenzierung zwischen Krankenhaus- und anderer Behandlung (Hess in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand: 106. EL September 2019, § 107 SGB V Rn. 2 ff.). Diesem Anspruch, der u.a. eine jederzeitige Aufnahmebereitschaft umfasst, werden nur wenige Einrichtungen gerecht werden können (s. auch Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 65 Rn. 1; Arloth in BeckOK Strafvollzugsrecht Bayern, 12. Edition, Stand: 1.10.2019, Art. 67 BayStVollzG Rn. 5). Zudem hat der Gefangene subsidiär einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf vollzugsexterne Krankenhausbehandlung, wenn die Maßnahmen nach Art. 67 Abs. 1 BayStVollzG nicht ausreichen, Art. 67 Abs. 2 BayStVollzG (Arloth in BeckOK Strafvollzugsrecht Bayern, 12. Edition, Stand: 1.10.2019, Art. 67 BayStVollzG Rn. 6).
Gemessen daran sind die Voraussetzungen dafür, dass der höhere Vergütungsanspruch verwirkt ist, nicht erfüllt. Die Klägerin durfte nach den aufgezeigten Grundsätzen mit einer Schlussrechnung vom 1. August 2014 die Schlussrechnung vom 12. März 2013 korrigieren und zu Recht entstandene, bislang noch nicht geltend gemachte Vergütungsbestandteile nachfordern. Die Klägerin korrigierte noch vor Ablauf des dem Kalenderjahr der Rechnungsstellung nachfolgenden Kalenderjahres ihre Schlussrechnung. Dies entsprach entgegen der Ansicht des Beklagten der bereits 2012 durch das Bundessozialgericht dahingehend geänderten Rechtsprechung (BSG, U.v. 22.11.2012 – B 3 KR 1/12 R – SozR 4-2500 § 109 Nr. 28), wonach die Nachforderung der restlichen Vergütung für eine bereits abgerechnete und bezahlte Krankenhausbehandlung regelmäßig (erst) ausgeschlossen ist, wenn die Korrektur nicht bis zum Ende des auf die Schlussrechnung folgenden Kalenderjahrs erfolgt. Aufgrund dessen und des zusätzlich in der ersten Rechnung enthaltenen Vorbehalts der Nachberechnung von Leistungen sowie der Fehlerberichtigung standen der korrigierten Schlussrechnung vom 1. August 2014 auch keine Vertrauensgesichtspunkte entgegen. Ab dem Erhalt der korrigierten Schlussrechnung vom 1. August 2014 musste sich der Beklagte haushaltsrechtlich auf die Nachforderung einstellen, so dass auch infolgedessen kein Vertrauenstatbestand für den Beklagten entstehen konnte und die dahingehende Argumentation des Beklagten ins Leere geht.
Darüber hinaus liegen aber auch die übrigen Voraussetzungen der – sowieso nur in Ausnahmefällen bereits innerhalb der kurzen sozialrechtlichen Verjährung von vier Jahren greifenden – Verwirkung nicht vor. Denn auch ein Verwirkungsverhalten der Klägerin als Berechtigten ist bei einem bloßen Unterlassen in Form des Zeit Verstreichenlassens von ca. zwei Jahren zwischen der letzten endgültigen Ablehnung der korrigierten Schlussrechnung durch die Beklagte im November 2014 und der Reaktion der Klägerin im September 2016 nicht gegeben. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Klägerin eine Entscheidung des Bundessozialgerichts abwartete, bis sie sich erneut an den Beklagten wandte, ohne den Beklagten auf diesen Umstand hinzuweisen.
Da weder ein bloßes Unterlassen eine Verwirkung begründen kann, noch ein Vertrauenstatbestand des Beklagten entstehen konnte, noch eine besondere Ausnahmekonstellation für eine frühere Verwirkung als den Eintritt der Verjährung ersichtlich ist, kann nach obigen Erwägungen keine Verwirkung begründet werden.
Der Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten der Klägerin gegenüber dem Beklagten beläuft sich für den Zeitraum vom 21. Februar 2013 bis 28. Februar 2013 auf insgesamt 10.893,14 € (8/14 von 19.063,00 €). Davon beglich der Beklagte 3.401,94 €, denn von den ursprünglich an die Klägerin gezahlten 5.953,44 €, erstattete die ursprünglich Beigeladene dem Beklagten 2.551,50 €. Von dem der Klägerin zustehenden Restanspruch in Höhe von 10.893,14 € – 3.401,94 € = 7.491,20 € ist die Beklagte zur Zahlung der (lediglich) beantragten 7.491,16 € zu verurteilen. Die weitere von der ursprünglich Beigeladenen geleisteten Zahlung betraf nicht den auf den Beklagten fallenden Kostenanteil von 10.863,14 €, sondern vielmehr den auf sie selbst entfallenden Kostenanteil und ist deshalb hinsichtlich der Zahlungsverpflichtung der Beklagten ohne Belang.
2. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288, 286 BGB. Nach § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine Geldschuld während des Verzugs zu verzinsen, wobei sich der Verzug nach § 286 Abs. 1, Abs. 3 BGB bestimmt. Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt gemäß § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 BGB spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet. Der Rechnungsbetrag der korrigierten Rechnung der Klägerin vom 1. August 2014, die nach dem Eingangsstempel am 4. August 2014 bei der JVA … einging, war bis zum 31. August 2014 zu überweisen. § 271 Abs. 2 BGB konkretisiert den Zeitpunkt der Fälligkeit für den Fall, dass eine Zeit bestimmt ist, dahingehend, dass im Zweifel anzunehmen ist, dass der Gläubiger die Leistung nicht vor dieser Zeit verlangen, der Schuldner aber sie vorher bewirken kann. Da mit der Fälligkeit gleichbedeutend ist, die Leistung verlangen zu können, trat Fälligkeit mit Ablauf des 31. August 2014 ein. Der Verzugseintritt gemäß § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 BGB 30 Tage nach Fälligkeit, beginnt mit Ablauf des 30. September 2014, sodass – entgegen dem klägerischen Antrag der Klägerin ein Zinsanspruch erst ab dem 1. Oktober 2014 zusteht.
Auch wenn nach dem Gesetz aufgrund der fehlenden Beteiligung eines Verbrauchers der gesetzliche Zinssatz nach § 288 Abs. 2 BGB neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beträgt, begehrt die Klägerin nur fünf Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz, sodass ihr auch nur diese zuzusprechen sind.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Soweit der Antrag auf Zahlung von Verzugszinsen ab dem 1. September 2014 (bis 30. September 2014) abzuweisen war, stellt dies im Hinblick auf den gesamten Verfahrensgegenstand lediglich ein geringfügiges Unterliegen dar.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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