Medizinrecht

Nachteilsausgleich bei Sehnenscheidenentzündung und psychogener Dysphonie

Aktenzeichen  2 K 18.02269

Datum:
17.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 23566
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
JAPO § 9, § 10, § 13

 

Leitsatz

1 Um den Nachteil beim Anfertigen von Klausuren im juristischen Staatsexamen durch eine Sehnenscheidenentzündung auszugleichen, genügt die Gewährung einer Schreibkraft; die Bereitstellung eines Laptops würde eine Überkompensation darstellen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für eine psychogene Dysphonie besteht kein Anspruch auf Nachteilsausgleich, weil es sich um ein Dauerleiden handelt, das das abgeprüfte Leistungsbild betrifft. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine psychogene Dysphonie als inhaltlich prüfungsrelevantes Dauerleiden berechtigt nicht zum Rücktritt von einer Prüfung wegen Prüfungsunfähigkeit. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässigerweise mit Schriftsatz vom 12. Juli 2019 gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 264 ZPO in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellte Klage (AN 2 K 18.02269) sowie die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO (AN 2 K 18.02465) sind zulässig, aber unbegründet und deshalb abzuweisen.
Die angefochtenen Bescheide des Landesjustizprüfungsamtes sind rechtmäßig. Weder die Versagung der Gewährung eines Nachteilsausgleichs in Form eines Laptops (I.) durch Bescheid vom 16. November 2018 (AN 2 K 18.02269) noch die Bewertung der Prüfung der Klägerin mit der Note „ungenügend 0 Punkte“ (II.) durch Bescheid vom 11. Dezember 2018 (AN 2 K 18.02465) verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
I.
Rechtsgrundlage des Nachteilsausgleichs ist § 13 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen (JAPO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Oktober 2003. § 13 Abs. 1 JAPO besagt, dass schwerbehinderten Menschen und Gleichgestellten auf Antrag durch das vorsitzende Mitglied des Prüfungsausschusses nach der Schwere der nachgewiesenen Prüfungsbehinderung eine Arbeitszeitverlängerung bis zu einem Viertel der normalen Arbeitszeit gewährt werden soll, soweit die Behinderung nicht das abgeprüfte Leistungsbild betrifft. In Fällen besonders weitgehender Prüfungsbehinderung kann auf Antrag die Arbeitszeit bis zur Hälfte der normalen Arbeitszeit verlängert werden. Neben oder an Stelle einer Arbeitszeitverlängerung kann ein anderer angemessener Ausgleich gewährt werden, soweit dieser den Wettbewerb nicht beeinträchtigt. § 13 Abs. 2 JAPO gewährt anderen Prüfungsteilnehmern, die wegen einer festgestellten Behinderung bei der Fertigung der Prüfungsarbeiten erheblich beeinträchtigt sind, nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 JAPO einen Nachteilsausgleich, soweit die Behinderung nicht das abgeprüfte Leistungsbild betrifft. Gemäß § 13 Abs. 3 JAPO sind die Anträge auf Nachteilsausgleich spätestens sechs Wochen vor Beginn der schriftlichen Prüfung einzureichen. Der Nachweis der Prüfungsbehinderung ist durch ein Zeugnis eines Landgerichtsarztes oder eines Gesundheitsamts zu führen.
Bezüglich der Prüfungsbehinderung ist zu unterscheiden zwischen akuten Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes (z.B. durch eine Infektionskrankheit), die vorübergehen und somit den Urzustand der vorhandenen Befähigung des Prüflings nicht in Frage stellen und den sogenannten Dauerleiden. Unter einem Dauerleiden versteht man eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, die die Einschränkung der Leistungsfähigkeit trotz ärztlicher Hilfe bzw. des Einsatzes medizinisch-technischer Hilfsmittel prognostisch nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft oder doch auf unbestimmte Zeit ohne sichere Heilungschance bedingt. Erfasst werden auch Erkrankungen, die schubweise auftreten und in deren Verlauf es zu Phasen höherer und niedrigerer Leistungsfähigkeit kommt (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 258).
§ 13 Abs. 2 JAPO gewährt den Prüfungsteilnehmern, die wegen einer festgestellten Behinderung bei der Fertigung der Prüfungsarbeiten erheblich beeinträchtigt sind, nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 JAPO einen Nachteilsausgleich, soweit die Behinderung nicht das abgeprüfte Leistungsbild betrifft. Es ist deshalb zwischen inhaltlich prüfungsrelevanten Dauerleiden, die das abgeprüfte Leistungsbild betreffen und inhaltlich nicht prüfungsrelevanten Dauerleiden zu unterscheiden.
Dauerleiden sind inhaltlich prüfungsrelevant, wenn sie – maßgeblich ist insoweit der Zeitraum der Prüfung, wobei das Leiden nicht auch bereits zu dieser Zeit als Dauerleiden erkannt worden sein musste – eine in der Person des Prüflings auf unbestimmte Zeit begründete generelle Einschränkung seiner durch die Prüfung festzustellenden Leistungsfähigkeit darstellen. Derartige konstitutionelle oder sonst auf unabsehbare Zeit andauernde, nicht oder nur ungenügend therapiefähige Leiden sind zumeist die chronischen Erkrankungen, insbesondere psychischer Art; umfasst sind auch deren psychosomatische Auswirkungen (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 258).
Der gewährte Nachteilsausgleich darf nicht zu einer Überkompensation von Prüfungsbehinderungen und damit zu einer Verletzung der Chancengleichheit der anderen Prüfungsteilnehmer führen. Vielmehr muss grundsätzlich jeder Prüfling die gleichen Leistungen erbringen und sich den gleichen Bewertungsmaßstäben unterziehen. Deshalb muss sich ein zu gewährender Nachteilsausgleich darauf beschränken, dem behinderten Prüfungsteilnehmer eine Leistungserbringung unter Bedingungen zu ermöglichen, die denen der Mitprüflinge möglichst nahekommen. Für die Frage, ob und wie ein Ausgleich einzuräumen ist, kommt es auf den Prüfungsgegenstand und Prüfungszweck an (VGH München, B.v. 28.6.2012 – 7 CE 12.1324 – juris Rn. 18). Im Falle des juristischen Staatsexamens liegt der Schwerpunkt der Prüfung eindeutig in der fachlichen und somit geistigen Leistungsfähigkeit. Zur Wahrung der Chancengleichheit kann deswegen ein Ausgleich nur bei Prüfungsbehinderungen erfolgen, die die Umsetzung bzw. das textliche Abfassen der geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, nicht jedoch bei solchen, die die geistige Leistungsfähigkeit an sich betreffen, wie beispielsweise psychische Leiden.
1. Die Klägerin hat – nach eigenen Angaben – einen Grad der Behinderung von 30. Amtsärztlich festgestellt wurde bereits im Verfahren AN 2 E 18.00968 eine angeborene Knochenanomalie, die zu einer anhaltenden schmerzhaften Erkrankung beider Handgelenke führt. Dies resultiert in einer chronischen Sehnenscheidenentzündung, die als Dauerleiden einzuordnen ist. Die Klägerin hat diese Erkrankung nach eigenen Angaben bereits seit ihrer Schulzeit. Da eine chronische Sehnenscheidenentzündung im Falle der Juristischen Staatsprüfung jedoch nicht inhaltlich prüfungsrelevant ist, ist der Klägerin nach § 13 Abs. 2 JAPO ein Nachteilausgleich zu gewähren.
Der Ausgleich nach § 13 Abs. 2 JAPO muss gemäß § 13 Abs. 1 JAPO zum einen angemessen sein, zum anderen darf er den Wettbewerb nicht beeinträchtigen. Es gilt der Grundsatz der Chancengleichheit, der gewahrt werden muss. Deshalb dürfen die Prüfungsbedingungen nicht über das Notwendige hinaus geändert werden, das zum Ausgleich der Beeinträchtigung des Prüfungsteilnehmers erforderlich ist. Eine technische Schreibhilfe in Form eines Laptops kann nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen (BayVGH B. v. 1.3.2011 – 7 CE 11.376 – juris), zum Beispiel wenn sich die gesundheitliche Beeinträchtigung des Prüfungsteilnehmers erst während der laufenden Prüfung akut verschärft. Die Prüfungsteilnehmer haben einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf gleiche Prüfungschancen (Art. 12 Abs. 1 GG; Art. 3 Abs. 1 GG). Die Gerichte haben aufgrund der Garantie des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG zu kontrollieren, ob die organisatorischen Maßnahmen der Prüfungsbehörde ausreichen, um die Chancengleichheit zu erreichen (vgl. BVerfG B.v. 1.12.1992 – 1 BvR 1295/90 – NJW 1993, 917).
Um die Beeinträchtigung der Klägerin durch ihre Sehnenscheidenentzündung auszugleichen, genügt in diesem Einzelfall nach Ansicht des Gerichts die Gewährung einer Schreibkraft. Die Gewährung des Laptops würde eine Überkompensation darstellen, da die Nutzung einige Vorteile mit sich bringt, die den handschriftlich schreibenden Prüfungsteilnehmern verwehrt bleiben. So kann sich die Nutzung der Tatstatur zeitsparend auswirken. Zum anderen entsteht ein die ganze Prüfung über gleichbleibendes und allzeit leserliches Schriftbild, welches bei einer handschriftlichen Prüfung so gut wie ausgeschlossen ist. Dies kann zu einer positiveren Bewertung durch den Korrektor führen. Es können zudem Textpassagen gelöscht werden. Es kann Text kopiert und an anderen Stellen eingefügt werden. Zudem können Ergänzungen und Korrekturen vorgenommen werden, ohne dass dies im Nachhinein für den Korrektor erkennbar ist. Im Gegensatz dazu müssen die Prüfungsteilnehmer, die handschriftlich arbeiten, ihren Text aus einem Guss anfertigen. Bei ihnen sind Streichungen oder das Einfügen von Text stets im Nachhinein erkennbar. Dies wirkt sich negativ auf das gesamte Erscheinungsbild der Klausur aus, was sich in einer schlechteren Bewertung durch den Korrektor niederschlagen kann. Zuletzt rechtfertigt auch die Umstellung der Arbeitsweise der Klägerin vom selbständigen Verfassen eines Textes auf das Diktieren eines Textes keine andere rechtliche Beurteilung des Falles. Bereits am 28. März 2018 (Verfahren AN 2 E 18.00968) wurde die Klägerin auf den Nachteilsausgleich mittels Schreibkraft hingewiesen. Ihr blieb also genug Zeit, sich auf die veränderte Situation einzustellen und diese Arbeitsweise einzuüben.
2. Die Klägerin befindet sich ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge bereits seit 2014 in psychologischer/psychiatrischer Behandlung. Im Termin 2018/1 erfolgte seitens der Klägerin ein Prüfungsrücktritt aufgrund psychischer Probleme. Bei der Stimmerkrankung der Klägerin handelt es sich dem Attest des Privatarztes Prof. … vom 6. November 2018 zufolge um eine chronische Dysphonie. Bereits im Verfahren AN 2 E 18.00968 stellte der Privatarzt die Diagnose „Dysphonie“. Diese Diagnose wurde von der Amtsärztin … bestätigt. Die Stimme der Klägerin sei zumeist aphon, also tonlos. Das Gericht konnte sich hiervon in der mündlichen Verhandlung vom 17. Juli 2019 selbst ein Bild machen. Die Klägerin konnte nur leise flüsternd und mit tonloser Stimme sprechen. Die Klägerin gab an, dass ihre Stimme zum Zeitpunkt des Prüfungstermins in etwa so schlecht gewesen sei, wie in der mündlichen Verhandlung. Eine Dysphonie kann nach Angaben der als Zeugin vernommenen Amtsärztin organische oder psychogene Ursachen haben. Bei einer organischen Dysphonie sehe man eine Veränderung am Kehlkopf. Bei der psychogenen Dysphonie sei der Kehlkopf unauffällig. Die Stimmbänder hätten dann aber eine andere Stellung. Bei der Klägerin ist laut privatärztlichem Attest der Kehlkopf in Gestalt, Form und Bau unauffällig (im Attest heißt es hierzu: „Larynx: morphologisch unauffällig“). Die Klägerin gab über ihren Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 12. Juli 2019 an, dass es sich bei ihrer Erkrankung um eine psychogene Dysphonie handle, die in Stresssituationen wie der Prüfung zum Tragen komme. Auch die Amtsärztin bestätigte, dass die Ursache der stimmlichen Erkrankung der Klägerin psychischer Natur sei. Die Klägerin leide unter einer bipolaren Störung mit depressiver Episode. Bei der Dysphonie handelt es sich somit um die psychosomatische Auswirkung der zugrunde liegenden psychischen Erkrankung der Klägerin. Die Klägerin hat selbst eingeräumt, dass sich der Zustand der Stimme nur bessern könne, wenn der durch die Prüfungen und das Verfahren bedingte Stress wegfalle. Erst dann sei auch eine entsprechende Therapie sinnvoll. Nach den Darstellungen der Klägerin ist jedoch nicht davon auszugehen, dass es möglich ist, in Zukunft einen Prüfungstermin in einem beschwerdefreien Zeitraum der Krankheit abzuhalten, da die Verschlechterung der Stimme mit den jeweils bevorstehenden Examensterminen unmittelbar zusammenhängt.
Bezüglich der von der Klägerin geltend gemachten chronischen Dysphonie besteht deshalb kein Anspruch auf einen Nachteilsausgleich, da es sich vorliegend um ein Dauerleiden handelt, welches inhaltlich prüfungsrelevant ist und somit aus Gründen der Chancengleichheit nicht ausgeglichen werden darf. § 13 Abs. 2 JAPO gewährt einen Nachteilsausgleich, soweit die Behinderung nicht das abgeprüfte Leistungsbild betrifft. Da die bei der Klägerin vorliegende Dysphonie keine organischen Ursachen hat, es sich mithin um eine psychogene Dysphonie handelt, betrifft die Erkrankung der Klägerin das abgeprüfte Leistungsbild der geistigen Leistungsfähigkeit.
Letztendlich wurde der Klägerin durch das Landesjustizprüfungsamt mit Bescheid vom 16. November 2018 ein ausreichender Ausgleich ihrer körperlichen Beeinträchtigung (Sehnenscheidenentzündung) dadurch gewährt, dass ihr der Einsatz einer Schreibkraft, welche den diktierten Text handschriftlich niederlegt, gestattet wurde. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Nachteilsausgleich aufgrund der Dysphonie ist somit nicht gegeben.
II.
Auch der Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Die Bewertung der Prüfung mit der Note „ungenügend 0 Punkte“ ist nicht zu beanstanden. Weder war die Klägerin aufgrund von Prüfungsunfähigkeit zum Rücktritt von der Prüfung berechtigt (1.) noch besteht ein Anspruch der Klägerin auf Wiederholung der streitgegenständlichen Prüfung zur Korrektur von Prüfungsmängeln (2.).
1. Treten Prüfungsteilnehmer nach Zulassung und vor Beginn einer Staatsprüfung zurück, so gilt die Prüfung für sie als abgelegt und mit der Note „ungenügend” (0 Punkte) nicht bestanden, § 9 Abs. 1 JAPO. Gemäß Absatz 2 gilt dies entsprechend, wenn Prüfungsteilnehmer den schriftlichen Teil versäumen. Die Klägerin erschien am ersten Prüfungstag und machte unmittelbar nach Antritt Verhinderung im Sinne des § 10 JAPO gegenüber dem örtlichen Prüfungsleiter geltend.
Bezüglich der Verhinderung bestimmt § 10 Abs. 1 JAPO, dass die Folgen der Säumnis nicht eintreten, wenn Prüfungsteilnehmer aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, den schriftlichen oder den mündlichen Teil einer Staatsprüfung nicht oder nicht vollständig ablegen, die Voraussetzungen nach Absatz 2 erfüllt sind und keine Ausschlussgründe nach Absatz 3 vorliegen. Absatz 2 regelt, dass eine Verhinderung unverzüglich beim Landesjustizprüfungsamt geltend zu machen und nachzuweisen ist. Der Nachweis ist im Fall einer Krankheit grundsätzlich durch ein Zeugnis eines Landgerichtsarztes oder eines Gesundheitsamts zu erbringen, das in der Regel nicht später als am Prüfungstag ausgestellt sein darf.
Die Klägerin wurde am ersten Prüfungstag bei der Amtsärztin vorstellig. Das amtsärztliche Zeugnis vom 27. November 2018 legte die Klägerin dem Beklagten vor. Dieser erachtete das Attest als nicht ausreichend.
Ob das amtsärztliche Attest vom 27. November 2018 als ausreichender Nachweis im Sinne des § 10 Abs. 2 Satz 2 JAPO zu sehen gewesen wäre, kann dahingestellt bleiben, da maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG (siehe u.a. BVerwG, U.v. 31. 3. 2004 – 8 C 5/03; BVerwG, U.v. 3.11.1987 – 9 C 254/86; BVerwG, U.v. 21. 5. 1976 – 4 C 80/74 – juris) ergibt sich für die Frage des richtigen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage für Anfechtungsklagen wie für Verpflichtungsklagen aus dem Prozessrecht nur, dass ein Kläger im verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit mit einem Aufhebungsbegehren nur dann Erfolg haben kann, wenn er im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsaktes hat. Eine Anfechtungsklage kann nur dann begründet sein, wenn im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Kläger einen Anspruch auf die Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsaktes hat, weil dieser rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (BeckOK, VwGO, Posser/Wolff, 49. Edition, Stand: 01.04.2019, § 113 Rn. 21). Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erwies sich der Verwaltungsakt jedoch als rechtmäßig, da ein inhaltlich prüfungsrelevantes Dauerleiden besteht, das nicht zu einem Prüfungsrücktritt berechtigt.
Nur wenn wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Aussagewert einer Prüfungsleistung für die Feststellung der „wahren“ Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings erheblich eingeschränkt ist und die derzeitige Prüfung damit ihren Zweck verliert, Aufschluss über seine Befähigung für einen bestimmten Beruf oder für eine bestimmte Ausbildung zu geben, ist es gerechtfertigt und zur Wahrung der Chancengleichheit geboten, die Prüfung abzubrechen und den Prüfling noch einmal zu prüfen (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 257). Eine zum Rücktritt berechtigende Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne liegt grundsätzlich bei Dauerleiden, deren Behebung nicht in absehbarer Zeit erwartet werden kann, nicht vor (VGH Mannheim, B.v. 2.4.2009 – 9 S 502/09 – juris). Dauerleiden prägen als persönlichkeitsbedingte Eigenschaften die Leistungsfähigkeit des Prüflings. Ihre Folgen bestimmen deshalb im Gegensatz zu sonstigen krankheitsbedingten Leistungsminderungen das normale Leistungsbild des Prüflings. Sie sind mithin zur Beurteilung der Befähigung bedeutsam, die durch die Prüfung festzustellen ist. Der in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit lässt es daher nicht zu, eine von den Auswirkungen eines Dauerleidens betroffene Prüfungsleistung unberücksichtigt zu lassen (BVerwG, B.v. 13.12.1985 – 7 B 210/85 – juris).
Die chronische Dysphonie der Klägerin hat psychische Ursachen. Sie ist aus den oben bereits dargestellten Gründen als inhaltlich prüfungsrelevantes Dauerleiden zu sehen. Die Klägerin war nicht aufgrund von Prüfungsunfähigkeit zum Rücktritt von der Prüfung berechtigt. Ihre Prüfung war deshalb mit der Note „ungenügend 0 Punkte“ zu bewerten.
2. Es besteht auch kein Anspruch der Klägerin auf Wiederholung der streitgegenständlichen Prüfung zur Korrektur von Prüfungsmängeln.
Die Wiederholung der Prüfung kommt als Maßnahme zur Korrektur von Mängeln im Prüfungsverfahren in Betracht, die mit oder ohne Rüge des Prüflings von der Prüfungsbehörde von Amts wegen oder durch das Gericht festgestellt werden und infolgedessen zu beheben sind. In dem Fall eines fehlerhaften „Ermittlungsverfahrens“ (Verfahrensfehler) ist regelmäßig das Leistungsbild verfälscht, sodass die Grundlage für eine korrekte Leistungsbewertung fehlt. Die Prüfung muss in diesem Fall wiederholt werden (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 758 f.). Ein fehlerhafter Nachteilsausgleich würde einen Verfahrensfehler darstellen und wäre mittels einer Prüfungswiederholung zu beheben. Der Klägerin wurde, siehe oben, jedoch ein ausreichender Nachteilsausgleich ihrer körperlichen Beeinträchtigung gewährt, sodass die Prüfung 2018/2 an keinerlei Verfahrensmängeln litt. Die Nichtablegung der Prüfung führte dementsprechend zur Bewertung „ungenügend 0 Punkte“.
Nach alledem waren die Klagen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO.


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