Medizinrecht

Nachtermin wegen krankheitsbedingter Prüfungsverhinderung

Aktenzeichen  W 2 E 17.1376

Datum:
24.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8884
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayLPO I § 17 Abs. 3, Abs. 4
VwGO § 123

 

Leitsatz

1. An die Unverzüglichkeit der Geltendmachung einer krankheitsbedingten Prüfungsunfähigkeit nach Abschluss der Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, da nur ein solcher Maßstab Missbräuche des Rücktrittsrechts mit dem Ziel der Verbesserung der Prüfungschancen verhindern kann. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Rücktrittserklärung ist nur dann unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern –, wenn sie zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt abgegeben wurde, zu dem sie zumutbarerweise hätte erwartet werden können (wie BVerwG BeckRS 9998, 164937). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einem (amtsärztlichen) Attest, welches eine Prüfungsunfähigkeit belegen soll, muss sich entnehmen lassen, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorliegen und wie sich diese auf die Leistungsfähigkeit auswirken; der schlichte Hinweis des (Amts-) Artzes, der Prüfling sei prüfungsunfähig, genügt nicht. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller möchte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Gewährung eines Nachtermins aufgrund einer krankheitsbedingten Prüfungsverhinderung erreichen.
1. Der Antragsteller ist Studierender des Studiengangs Lehramt an Mittelschulen an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (im Folgenden: Universität Würzburg).
Am 28. August 2017 fand im Fach „Fachdidaktik Physik“ die erste Staatsprüfung statt. Zu dieser Prüfung erschien der Antragsteller nicht.
Am 29. August 2017 erschien der Antragsteller zur ersten Staatsprüfung im Fach „Mechanik/Wärmelehre/Optik“. Nach eigenem Vorbringen war der Antragsteller dabei aufgrund einer Wochentagverwechslung der Meinung, es handle sich (erst) um den 28. August 2017 und die Prüfung „Fachdidaktik Physik“. Nach Bemerken seines Irrtums entschloss sich der Antragsteller, nicht an dieser Prüfung teilzunehmen, und begab sich noch am selben Tag zum Gesundheitsamt des Landratsamts Würzburg.
Dieses stellte dem Antragsteller sodann mit Datum vom gleichen Tage ein amtsärztliches Attest aus. Darin wird ausgeführt, dass der Antragsteller am 29. August 2017 untersucht und ein fachärztlicher Befund vom 29. August 2017 vorgelegt worden sei. Weiter heißt es in dem Attest: „Demnach besteht aufgrund exazerbierter chronischer körperlicher Erkrankung aus amtsärztlicher Sicht Prüfungsunfähigkeit vom 28.08.2017 bis 02.09.2017“. Das Attest wurde der Universität Würzburg am 29. August 2017 per Fax übermittelt.
Mit Schreiben vom 14. September 2017 stellte die Universität Würzburg hinsichtlich der Prüfungen vom 29. und 30. August 2017 eine unverschuldete Prüfungsverhinderung des Antragstellers fest und gewährte ihm für diese Prüfungen einen Nachtermin im nächsten Prüfungstermin (Frühjahr 2018).
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2017 beantragte der Antragsteller, auch für die Prüfung vom 28. August 2017 im Fach „Fachdidaktik Physik“ seine Prüfungsverhinderung anzuerkennen und einen Nachtermin im nächsten Prüfungstermin zu gewähren.
Mit Bescheid vom 14. November 2017 teilte die Universität Würzburg dem Antragsteller mit, dass er eine Prüfungsverhinderung im Fach „Fachdidaktik Physik“ nicht ordnungsgemäß nachgewiesen habe, da das amtsärztliche Attest nicht vom Prüfungstag stamme und aus dem Attest nicht hervorgehe, dass dem Antragsteller krankheitsbedingt das Aufsuchen des Gesundheitsamts am Prüfungstag nicht möglich gewesen wäre. Die Prüfung werde daher mit Note „ungenügend“ bewertet. Dem Bescheid ist keine Rechtsmittelbelehrungbeigefügt.
2. Mit Schriftsatz vom 28. November 2017, bei Gericht eingegangen am 30. November 2017, begehrt der Antragsteller einstweiligen Rechtschutz. Zur Begründung führt er aus: Das amtsärztliche Attest belege auch für den 28. August 2017 seine Prüfungsunfähigkeit. Der Beklagte verkenne, dass das amtsärztliche Attest nach den gesetzlichen Vorgaben nicht zwingend, sondern nur „in der Regel“ vom Prüfungstag stammen müsse. Unstreitig habe sich der Antragsteller darüber geirrt, welcher Wochentag auf den 28. August 2017 gefallen sei. Dies sei seinem (damaligen) gesundheitlichen Zustand geschuldet gewesen. Wie aus den Akten des Gesundheitsamts Würzburg hervorgehe, leide der Antragsteller an ausgeprägten orthopädischen Beschwerden verbunden mit Bewegungseinschränkungen und starken körperlichen Schmerzen. Ausgelöst durch die notwendige Einnahme starker Medikamente, deren Wechselwirkungen mit einer bestehenden Zuckerkrankheit und Herz-Kreislauferkrankung sowie psychischer Anspannung wegen der bevorstehenden Prüfung habe sich der Antragsteller in einem erheblichen psychischen und physischen Ausnahmezustand befunden, der zu der Wochentagverwechslung geführt habe. Der Anordnungsgrund liege darin, dass er die Prüfung sonst erst im Herbst (wieder) abgelegen könne, woraus sich eine zumutbare Verzögerung seiner Ausbildung ergebe.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Verhinderung des Antragstellers an der Teilnahme an der Ersten Staatsprüfung im Prüfungsfach „Fachdidaktik Physik“ am 28. August 2017 vorläufig anzuerkennen und den Antragsteller in diesem Prüfungsfach zum Prüfungstermin Frühjahr 2018 als Nachtermin vorläufig zuzulassen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Von der Regel, dass ein amtsärztliches Zeugnis nicht später als am Prüfungstag ausgestellt sein dürfe, sei vorliegend keine Ausnahme zu machen. Ein Ausnahmefall, wie beispielsweise, dass ein Prüfling aufgrund seines gesundheitlichen Zustands nicht rechtzeitig den Amtsarzt aufsuchen könne, sei nicht gegeben. Im Gegenteil zeige die Tatsache, dass der Antragsteller am 29. August 2017 (zunächst) an der Prüfung habe teilnehmen wollen, dass er ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, sich am 28. August 2017 oder vorher einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die Gerichts- und Behördenakte einschließlich der beigezogenen Akte des Gesundheitsamtes des Landratsamtes Würzburg Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für eine einstweilige Anordnung ist demnach das Vorliegen eines Rechts, dessen Sicherung die Anordnung dient (Anordnungsanspruch) sowie die drohende Vereitelung oder Erschwerung dieses Anspruchs (Anordnungsgrund). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Wegen der Eilbedürftigkeit des Anordnungsverfahrens sind die Anforderungen an das Beweismaß und somit auch an den Umfang der Ermittlung von Sach- und Rechtslage geringer als im Hauptsacheverfahren. Es genügt eine nur summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage (Kopp/Schenke, 23. Auflage 2017, Rn. 23 ff zu § 123).
Nach diesen Maßgaben hat der Antrag keinen Erfolg. Es fehlt an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
Nach der gebotenen summarischen Prüfung hat die Universität Würzburg zu Recht mit Schreiben vom 14. November 2017 festgestellt, dass der Antragsteller die Prüfung im Fach „Fachdidaktik Physik“ am 28. August 2017 ohne genügende Entschuldigung versäumt hat, und mit „ungenügend“ bewertet.
Der Antragseller hat seine behauptete Prüfungsunfähigkeit am 28. August 2017 bei summarischer Prüfung weder rechtzeitig geltend gemacht noch mit Hilfe eines aussagekräftigen amtsärztlichen Attestes belegt.
Gem. 17 Abs. 3 der Ordnung der Ersten Prüfung für ein Lehramt an öffentlichen Schulen (Lehramtsprüfungsordnung I – LPO I) vom 13. März 2008 (GVBl. S. 180, BayRS 2038-3-4-1-1-K), zuletzt geändert durch § 1 Nr. 115 der Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl. S. 286), ist eine Prüfungsverhinderung unverzüglich mitzuteilen und nachzuweisen, im Fall einer Krankheit grundsätzlich durch ein Zeugnis eines Gesundheitsamts, das in der Regel nicht später als am Prüfungstag ausgestellt sein darf. Wird ein einzelner Prüfungstermin ohne genügende Entschuldigung versäumt, so werden die in diesem Termin zu erbringenden Prüfungsleistungen mit „ungenügend“ bewertet, § 17 Abs. 4 LPO I.
Diese Bestimmungen sind Ausdruck des das gesamte Prüfungsverfahren beherrschenden Grundsatzes der Chancengleichheit aller Prüflinge. An die Unverzüglichkeit der Geltendmachung einer krankheitsbedingten Prüfungsunfähigkeit nach Abschluss der Prüfung ist nach ständiger höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzulegen. Denn nur ein solcher Maßstab kann Missbräuche des Rücktrittsrechts mit dem Ziel der Verbesserung der Prüfungschancen verhindern. Eine Rücktrittserklärung ist nur dann unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern – wenn sie zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt abgegeben wurde, zu dem sie zumutbarerweise hätte erwartet werden können (BVerwG, U.v. 7.10.1988 – 7 C 8/88 – juris; BayVGH, B.v. 27.11.2017 – 7 ZB 16.1740 – juris; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 19.10.2017 – 3 M 83/17 – juris; OVG NRW, B.v. 7.11.2012 – 14 A 2325/11 – juris).
Dafür, dass dem Antragsteller vorliegend ein Aufsuchen des Amtsarztes aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht bereits am Prüfungstag (28. August 2017), sondern erst einen Tag später (29. August 2017) als frühestmöglichen Zeitpunkt zumutbar gewesen wäre, ergeben sich weder aus dem amtsärztlichen Attest vom 29. August 2017 noch aus dem Vorbringen des Antragstellers hinreichend tragfähige Anhaltspunkte. Der Antragsteller trägt selbst vor, sich (lediglich) im Wochentag geirrt zu haben. Sofern der Antragsteller diese Obliegenheitsverletzung mit einem erheblichen psychischen und physischen Ausnahmezustand, in dem er sich damals befunden habe, zu rechtfertigen versucht, vermag ihn dies, schon weil er jeglichen Nachweis für sein Vorbringen schuldigt bleibt, nicht zu entlasten.
Bei der gebotenen summarischen Prüfung fehlt es daher bereits an der unverzüglichen Geltendmachung der behaupteten Prüfungsverhinderung.
Unabhängig davon genügt das auf den 29. August 2017 datierte amtsärztliche Attest auch nicht den Anforderungen, die an die (unverzügliche) Glaubhaftmachung einer Prüfungsunfähigkeit zu stellen sind.
Einem (amtsärztlichen) Attest, welches eine Prüfungsunfähigkeit belegen soll, muss sich entnehmen lassen, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorliegen und wie sich diese auf die Leistungsfähigkeit auswirken (Urteil der Kammer vom 18.1.2017 – W 2 K 16.82 und nachfolgend BayVGH, B.v. 13.9.2017 – 7 ZB 17.633 – juris). Der schlichte Hinweis des (Amts-)Artzes, der Prüfling sei prüfungsunfähig, genügt nicht (BVerwG, B.v. 6.8.1996 – 6 B 17.96 – juris; OVG NRW, B.v. 19.11.2014 – 14 A 884/14 – juris; OVG Lüneburg, B.v. 12.8.2016 – 2 ME 150/16 – juris; Niehus/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage 2014, Rn. 277 f). Denn bei der Frage, ob eine Prüfungsverhinderung i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 1 LPO I vorliegt, handelt es sich um eine Rechtsfrage, deren Beantwortung der Prüfungsbehörde obliegt, nicht dem (Amts-)Arzt (BVerwG, B.v. 14.07.2004 – 6 B 30/04 – juris). Das ärztliche oder amtsärztliche Attest hat dabei lediglich die Funktion, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Prüflings zu beschreiben und anzugeben, welche Auswirkungen sich daraus für das Leistungsvermögen in der konkreten Prüfung ergeben, um eine sachgerechte Entscheidung der Prüfungsbehörde zu ermöglichen. Vermag der Prüfling den Nachweis der Prüfungsunfähigkeit nicht zu erbringen, geht dies zu seinen Lasten, da er insoweit die Beweislast trägt (BVerwG, U.v. 22.10.1982 – 7 C 119.81 – juris; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 21.7.2014 – OVG 10 S 5.14 – juris).
Das vorgelegte amtsärztliche Attest des Gesundheitsamtes des Landratsamts Würzburg vom 29. August 2017, das sich auf die nicht weiter begründete Feststellung beschränkt, dass „aufgrund exazerbierter chronischer körperlicher Erkrankung aus amtsärztlicher Sicht Prüfungsunfähigkeit vom 28.08.2017 bis 02.09.2017 besteht“, erfüllt die dargelegten Anforderungen ersichtlich nicht.
Dieses Attest ist – ebenso im Übrigen wie verschiedene weitere in der Behördenakte enthaltende, dem Antragsteller von derselben Behörde ausgestellte amtsärztliche Atteste vergleichbaren Inhalts – nicht geeignet, eine Prüfungsunfähigkeit des Antragstellers zu belegen. Im Fall eines derart inhaltsleeren amtsärztlichen Attestes ist auch keine weitere Sachverhaltsaufklärung seitens des Prüfungsamts oder Gerichts veranlasst.
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da eine vorläufige Prüfungszulassung nach der Rechtsprechung der Kammer keine (echte) Vorwegnahme der Hauptsache bewirkt, ist der halbe Auffangstreitwert heranzuziehen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben