Medizinrecht

Objektive Beweislast bei Erwerbsminderungsrente

Aktenzeichen  L 19 R 375/13

Datum:
10.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 112302
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Zu den Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung.
2. 1. Der Kläger trägt die objektive Beweislast für das rentenberechtigende Absinken des quantitativen Leistungsvermögens im letzten Zeitpunkt, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rente erfüllt waren. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 14 R 793/10 2013-02-28 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.02.2013 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).
Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht mit Urteil vom 28.02.2013 einen Rentenanspruch der Klägerin abgelehnt. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 08.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2010 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass spätestens im Juni 1996 eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens in rentenberechtigendem Ausmaß eingetreten war und dieses auch dauerhaft durchgehend bis zur Rentenantragstellung im Januar 2012 vorgelegen hat.
Das SG hat sich in seinen Entscheidungsgründen ausführlich mit der vorhandenen Befundlage, den vorliegenden Reha-Entlassungsberichten und den eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. O. und des Internisten W. auseinandergesetzt. Der Senat sieht insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer Begründung ab und verweist insoweit in vollem Umfang auf die Entscheidungsgründe des SG.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin die objektive Beweislast dafür trägt, dass ein quantitatives Absinken des Leistungsvermögens bereits im Juni 1996 vorgelegen hat. Dieser Nachweis konnte nicht geführt werden. Weder aus den beiden im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten noch aus den Reha- Entlassungsberichten oder den ärztlichen Befundberichten ergibt sich eine quantitative Leistungsminderung der Klägerin auf Dauer seit Juni 1996 durchgehend bis zur Antragstellung.
Aus dem vorliegenden Reha-Entlassungsbericht der Klinik B., S-Stadt, in der sich die Klägerin nach der Unterleibsoperation im Jahr 1995 befunden hat, ergibt sich, dass die Klägerin dort wegen rezidivierender Kreuzschmerzen behandelt wurde, nicht wegen der Unterleibsoperation. Festgehalten ist in diesem Reha-Entlassungsbericht, dass die Klägerin arbeitsfähig auf eigene Veranlassung zur Reha erschienen ist. Die Klägerin hat während dieser Zeit – wohl geringfügigals Floristin („auf 580,00 DM-Basis“) gearbeitet. In den letzten 12 Monaten vor Antritt der Reha wurde eine Arbeitsunfähigkeit von gerade mal zwei Wochen festgestellt. Der Klägerin wurde ein guter Allgemein- und adipöser Ernährungszustand bescheinigt. Sie wurde als vollschichtig für die Tätigkeit als Floristin sowie arbeitsfähig entlassen. Als Behandlungsmaßnahmen wurden im Hinblick auf die Kreuzschmerzen Krankengymnastik und physikalische Therapie empfohlen.
Die Klägerin befand sich dann in der Zeit vom 21.08.1996 bis 18.09.1996 in der B.-Klinik Bad F., aus der sie nach der erfolgten Magenoperation mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen entlassen wurde, zugegebenermaßen nach einer noch abzuwartenden Rekonvaleszenz. Die Krebserkrankung des Magens befand sich in einem Frühstadium, nach der Operation stellten sich Komplikationen ein, die aber durch mehrere Operationen und eine Anschluss-Rehabehandlung in der H-Klinik B-Stadt deutlich gebessert werden konnten. In dieser Zeit zwischen der Magenoperation und dem Aufenthalt in der H-Klinik B-Stadt kann durchaus zugunsten der Klägerin von einer Zeit der Arbeitsunfähigkeit ausgegangen werden. Allerdings wurde die Klägerin aus der Rehaklinik B-Stadt als vollschichtig arbeitsfähig unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen entlassen und eine deutliche Besserung der gesundheitlichen Beschwerden festgehalten.
Berücksichtigt man die weiteren vom SG eingeholten Befunde der behandelnden Ärzte der Klägerin, wird deutlich, dass sich daraus eine Zunahme der Behandlungsintervalle und der Anzahl der Ärzte im Jahr 2003/2004 feststellen lässt. Zu beachten ist auch der Reha-Entlassungsbericht der K.- Klinik W-Stadt, in der sich die Klägerin vom 16.08.2007 bis 13.09.2007 befand. Hier ist die Klägerin als leistungsfähig sowohl für die letzte Tätigkeit als Floristin als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von mindestens sechs Stunden unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen entlassen worden. Festgehalten ist, dass die Klägerin im Jahr 2006 psychisch einer stationären Behandlung bedurft habe. Sie selber hat dort angegeben, seit ungefähr vier Jahren, d.h. also seit dem Jahr 2003, eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes bemerkt zu haben. Die Schmerzen hätten sich seit ca. vier Jahren verschlimmert. Der Rheumatologe Dr. L. habe im März 2007 die Diagnose Fibromyalgie gestellt. Angegeben wurde im Rahmen dieser Reha-Maßnahme, dass die Klägerin sich gegenwärtig eine Berufstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen durchaus zutraue, sie glaube aber, wegen ihrer geringen Qualifikation und ihres Alters keinen Arbeitsplatz mehr zu finden. Die K.- Klinik diagnostizierte eine ausgeprägte Erschöpfungsreaktion bei ausschließlich somatischem Krankheitsverständnis. Eine neurologisch-psychiatrische Behandlung fand bis zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht statt. Die Klägerin sei in der Lage, die Tätigkeit als Floristin vollschichtig auszuüben. Auch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich möglich. Empfohlen wurde die Fortführung der in der stationären Behandlung begonnenen ambulanten Psychotherapie und eine Fortsetzung der fachärztlichen Behandlung durch den Nervenarzt Prof. Dr. L..
Gemessen an diesen Reha-Entlassungsberichten, die sich sehr ausführlich mit der Situation der Klägerin auseinandersetzen, erscheint das Gutachten von Frau Dr. O. in sich schlüssig und nachvollziehbar. Dabei kann es – wie dies auch das SG getan hat – dahingestellt bleiben, ob die Klägerin aktuell im Zeitpunkt der Rentenantragstellung ein quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen hatte oder nicht, jedenfalls ist davon auszugehen, dass zumindest durchgehend seit 1996 kein quantitativ gemindertes Leistungsvermögen durchgehend vorgelegen hat. Damit scheidet aber aufgrund des Antrags vom 18.02.2010 eine Rentengewährung aus.
Die von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gerügte mangelnde Sachaufklärung des SG kann der Senat nicht erkennen. Das SG hat alle denkbaren behandelnden Ärzte der Klägerin angeschrieben und um Befunde nachgefragt, dies teilweise auch mehrfach. Es ist nicht ersichtlich, wie eine Befragung des früheren behandelnden Hausarztes Dr. W., der die Klägerin lediglich von 1995 – 1998 behandelt hat und die ihm noch vorliegenden Befunde vollständig dem SG übersandt hat, eine weitere Aufklärung des medizinischen Sachverhalts begründen könnte und insbesondere das Gutachten von Frau Dr. O. und die Reha-Berichte über die Behandlung der Klägerin in den Jahren zwischen 1995 und 2007 entkräften könnte.
Dem Gutachten des behandelnden Internisten W. folgt der Senat aus den gleichen Gründen nicht, die vom SG bereits zutreffend in seinen Entscheidungsgründen herausgearbeitet hat. Ein Nachweis einer durchgehenden Erwerbsminderung oder zumindest Arbeitsunfähigkeit der Klägerin kann daraus sowieso nicht abgeleitet werden. Herr W. kommt zum Nachweis einer quantitativen Leistungsminderung erst im Zeitpunkt seiner Untersuchung und kann ein Absinken des quantitativen Leistungsvermögens irgendwann zwischen 2003 und 2012 vermuten, dies aber zeitlich nicht fixieren. Selbst wenn man dem Gutachten des Herrn W. folgen wollte, kann damit ein Nachweis eines untervollschichtigen Leistungsvermögens auf Dauer ab Juni 1996 nicht geführt werden. Allerdings hat sich Herr W. nicht mit der Leistungseinschätzung der K.- Klinik im Jahr 2007 auseinandergesetzt.
Nach alledem war die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.02.2013 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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