Medizinrecht

Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske

Aktenzeichen  20 NE 21.283

Datum:
4.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1681
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 2, § 32 S. 1
11. BayIfSMV § 1 Abs. 2 S. 2, § 6 Nr. 3, § 8 S. 2, § 9 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 3 S. 2, § 12 Abs. 1 S. 4 Nr. 3, § 28 Nr. 7

 

Leitsatz

1. Dem Verordnungsgeber dürfte bei der Festlegung des Schutzniveaus der Mund-Nasen-Bedeckung ein Einschätzungsspielraum zukommen. Dass er sich bei der Entscheidung für die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske von sachwidrigen Erwägungen hat leiten lassen, ist nicht ersichtlich. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Ausdehnung der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auf andere medizinische Masken als die vom Verordnungsgeber bestimmten FFP2-Masken handelt es sich um ein auf Normergänzung abzielendes Rechtsschutzbegehren, das nicht im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 47 Abs. 6 VwGO) erreicht werden kann.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine Vertreiberin einer wiederverwendbaren medizinischen Maske, wendet sich gegen §§ 1 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 6 Nr. 3, 8 Satz 2, 9 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3, 9 Abs. 3 Satz 2, 12 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3, 28 Nr. 7 Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15. Dezember 2020 (BayMBl. Nr. 737, BayRS 2126-1-15-G), diese zuletzt geändert durch Verordnung vom 28. Januar 2021 (BayMBl. Nr. 75), soweit die Vorschriften die Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske begründen und beantragt deren vorläufige Außervollzugsetzung.
Sie ist der Auffassung, § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1, §§ 28a, 29, 30 Abs. 1 Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) stellten im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für § 1 Abs. 2 Satz 2 der 11. BayIfSMV dar. Die in § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG enthaltene Befugnis zum Erlass der notwendigen Schutzmaßnahmen sei nur begrenzt durch das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit und durch den Halbsatz soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Dies sei vorliegend nicht gegeben, da neben einer FFP2-Maske zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten auch eine medizinische Maske ausreichend sei. Zumindest die Alternative des § 1 Abs. 2 Satz 2 der 11. BayIfSMV oder eine Maske mit mindestens gleichwertigem genormten Standard sei nicht vom Parlamentsvorbehalt gedeckt. Dies werde durch die Vorgehensweise im übrigen Bundesgebiet bestätigt, insbesondere durch den Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 19. Januar 2021. Länderspezifische Besonderheiten seien für den Freistaat Bayern nicht ersichtlich. Die Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 der 11. BayIfSMV selbst verstoße darüber hinaus gegen das konkrete Bestimmtheitsgebot. Es sei unklar, wie das Anforderungsprofil des § 1 Abs. 2 Satz 2 der 11. BayIfSMV – oder eine Maske mit mindestens gleichwertigem genormten Standard auszulegen sei. Insoweit schweige auch die Begründung der Verordnung zur Änderung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2126-1-15-G) diesbezüglich. Lediglich werde klargestellt, dass durch die Verwendung von Masken mit erhöhter Schutzwirkung im Vergleich zu Alltagsmasken ein höheres Schutzniveau erreicht und ein besserer Eigenschutz gegen virushaltige Aerosole geboten werden solle. Durch die Veröffentlichung in der Rubrik „Häufig gestellte Fragen“ werde dem Bestimmtheitsgebot nicht Genüge getan. § 1 Abs. 2 Satz 2 der. 11. BayIfSMV greife in unverhältnismäßiger Weise in Art. 14 Abs. 1 GG (insbesondere Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb), Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG ein.
Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist nur teilweise zulässig. Soweit er zulässig ist, ist er unbegründet.
1. Der Antrag ist bereits unzulässig, soweit er sich gegen § 1 Abs. 2 Satz 2 11. BayIfSMV richtet, der keine eigenständige Beschwer, sondern lediglich eine nähere Ausgestaltung sowie Ausnahmen von der Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske enthält und rechtliche Wirksamkeit nur dann entfalten kann, wenn die in den angefochtenen Bestimmungen der §§ 6 Nr. 3, 8 Satz 2, 9 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3, 9 Abs. 3 Satz 2, 12 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 11. BayIfSMV angeordneten Verpflichtungen wirksam sind.
Der Antrag ist zudem unzulässig, soweit er sich gegen § 28 Nr. 7 11. BayIfSMV richtet. Da der Verwaltungsgerichtshof nach § 47 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur „im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit“ über die Gültigkeit von Normen entscheidet, unterliegen seiner Prüfung nur solche Bestimmungen, aus deren Anwendung sich Rechtsstreitigkeiten ergeben können, für die der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (BayVGH, B.v. 28.4.2020 – 20 NE 20.849 – juris Rn. 23). Auf reine Bußgeldbestimmungen – wie hier § 28 Nr. 7 11. BayIfSMV – erstreckt sich die Prüfungskompetenz der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht, weil gegen die auf solche Normen gestützten Bußgeldbescheide nach § 68 OWiG allein die ordentlichen Gerichte angerufen werden können (vgl. BVerwG, U.v. 17.2.2005 – 7 CN 6.04 – juris Rn. 14; BVerwG, B.v. 27.7.1995 – 7 NB 1.95 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 28.4.2020 – 20 NE 20.849 – juris Rn. 23).
2. Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache gegen §§ 1 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 6 Nr. 3, 8 Satz 2, 9 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3, 9 Abs. 3 Satz 2, 12 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 Halbsatz 11. BayIfSMV hat unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (a.) bei summarischer Prüfung keine durchgreifende Aussicht auf Erfolg (b.).
a. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12).
Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
b. Nach diesen Maßstäben sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei der nur möglichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 14) voraussichtlich nicht gegeben.
Zur Begründung wird vollinhaltlich auf den den Beteiligten bekannten Beschluss des Senats vom 26. Januar 2021 – 20 NE 21.171 – BeckRS 2021, 796 Bezug genommen. Besonders hervorzuheben ist im Hinblick auf die Antragstellerin, dass dem Verordnungsgeber bei der Festlegung des Schutzniveaus der Mund-Nase-Bedeckung ein Einschätzungsspielraum zukommen dürfte. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung von sachwidrigen Erwägungen hätte leiten lassen (vgl. etwa Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) und der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin (GHUP) zur Verpflichtung zum Tragen von FFP2-Masken im öffentlichen Personennahverkehr und Einzelhandel vom 15. Januar 2021) sind – bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung – voraussichtlich nicht ersichtlich. Insoweit dürfte es sich hierbei auch um eine Abwägungsentscheidung handeln, die angesichts einer fortschreitenden fachlichen Diskussion (vgl. nur die Stellungnahme des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC), welche den zu erwartenden Mehrwert bezweifelt, https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-weltweit-masken-eu-gesundheitsbehoerde-1.5191968) einer ständigen Überprüfung und gegebenenfalls gesonderten Begründung bedarf.
Letztlich betont die Antragstellerin ohnehin ausdrücklich, dass sie sich nicht gegen die FFP2-Maskenpflicht wende, sondern gegen die Nichtanerkennung der von ihr vertriebenen wiederverwendbaren medizinischen Maske. Dieses Rechtschutzziel der Normergänzung kann die Antragstellerin jedoch nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO erreichen, denn der Senat ist im Rahmen des § 47 Abs. 6 VwGO lediglich befugt, Rechtvorschriften im Rang unter dem Landesgesetz außer Vollzug zu setzen. Dass der Verordnungsgeber lediglich Masken anerkennt, die nach einer bestimmten Norm oder ähnlichen Normen zugelassen sind, ist nicht zu beanstanden und dient der Festlegung eines Schutzniveaus sowie der Vollziehbarkeit der Maskenpflicht. Der Antragstellerin steht es hier frei, eine entsprechende Zertifizierung anzustreben. Soweit sie noch anführt, § 1 Abs. 2 Satz 2 11. BayIfSMV selbst verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot, da es unklar sei, wie das Anforderungsprofil des § 1 Abs. 2 Satz 2 der 11. BayIfSMV – „oder eine Maske mit mindestens gleichwertigem genormten Standard“ auszulegen sei, greift dieser Einwand nicht durch. Bei dem Begriff des „gleichwertigem genormten Standard“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bei der Formulierung von Rechtsnormen ist allgemein anerkannt und stellt für sich genommen keinen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot dar (vgl. BVerfG, U.v. 18.12.1953 – 1 BvL 106/53 – juris Rn. 41; B.v. 17.12.2019 – 1 BvL 6/16 – juris Rn. 22 m.w.N.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von dem Antragsteller angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 14. Februar 2021 außer Kraft tritt (§ 29 11. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.


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