Medizinrecht

Ruhen der Approbation, Suchterkrankung (Opioide) eines Arztes

Aktenzeichen  AN 4 S 21.01357

Datum:
30.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21828
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BÄO § 6 Abs. 1 Nr. 2
VwGO § 101 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehung der Anordnung des Ruhens seiner Approbation als Arzt und der Einziehung seiner Approbationsurkunde.
Der am … … … geborene Antragsteller ist Facharzt für Anästhesiologie. Bei ihm wurde aufgrund des im Jahr 2013 begonnenen Konsums von Sufentanil zuletzt eine psychische und Verhaltensstörung durch Opioide in Form eines Abhängigkeitssyndroms (F11.2) diagnostiziert. Seit dem Jahr 2016 nimmt er am Interventionsprogramm für suchtkranke Ärzte des Ärztlichen Bezirksverbands … (* …*) teil. Er durchlief mehrere stationäre Entzugs- bzw. Entwöhnungstherapien und befindet sich in ambulanter psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung. Letzter Suchtmittelkonsum erfolgte nach eigenen Angaben im August 2020.
Der … unterrichtete die … … … (* …*) mit Schreiben vom 7. April 2021 von wiederholten Verstößen des Antragstellers gegen die im Rahmen des Suchtinterventionsprogramms vereinbarten Auflagen.
Mit Bescheid vom 1. Juli 2021 ordnete die … – unter Anordnung der sofortigen Vollziehung – das Ruhen der dem Antragsteller erteilten Approbation als Arzt (Ziffer 1) und verpflichtete ihn zur Rückgabe seiner Approbationsurkunde bis spätestens 2. August 2021 (Ziffer 2). Auf den weiteren Inhalt des Bescheids wird ergänzend Bezug genommen.
Hiergegen beantragt der Antragsteller mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 23. Juli 2021 sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 27. Juli 2021 (Az.: AN 4 K 21.01376) gegen den Bescheid der … … … vom 1. Juli 2021 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Auf die schriftsätzlichen Ausführungen zur Antragsbegründung bzw. -erwiderung wird ergänzend Bezug genommen.
Der Antragstellerbevollmächtigte regte am 29. Juli 2021 telefonisch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch für das Eilverfahren an. Das Gericht möge sich einen persönlichen Eindruck von dem Antragsteller machen. Nachdem die Antragsgegnerin daraufhin am gleichen Tag telefonisch erklärte, dass sie keinen Spielraum für eine Einigung sehe, hat das Gericht mit Blick auf die Eilbedürftigkeit der Sache auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Über den Antrag konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Im vorliegenden Beschlussverfahren steht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 101 Abs. 3 VwGO im Ermessen des Gerichts. Bei der Entscheidung hierüber ist der Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör sowie die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 EMRK zu berücksichtigen (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 101 Rn. 12) und mit dem sich aus der Eilbedürftigkeit der Sache ergebenden Gebot der beschleunigten Verfahrensdurchführung in Ausgleich zu bringen.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war vorliegend nicht geboten. Die behördliche Frist zur Rückgabe der Urkunde endet mit Ablauf des 2. August 2021. Der Antragsgegner ist nicht einigungsbereit. Jenseits des abstrakten Wunsches des Antragstellers, persönlich gehört zu werden, sind vorliegend keine konkreten Gründe ersichtlich, weshalb eine mündliche Verhandlung trotz der Eilbedürftigkeit der Sache durchzuführen wäre. Solche ergeben sich insbesondere auch nicht aus dem Streitgegenstand der zu treffenden Entscheidung.
III.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antragsteller begehrt (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO) vorläufigen Rechtsschutz gegen die behördlich angeordnete sofortige Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) der Ziffern 1 und 2 des angefochtenen Bescheids, sodass der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft ist.
Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach ist nach § 52 Nr. 3 Satz 2 Alt. 1 VwGO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO örtlich zuständig, da die … … … nach § 12 Abs. 4 Satz 1 der Bundesärzteordnung (BÄO) i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung über die zuständigen Behörden zum Vollzug des Rechts der Heilberufe (HeilBZustV) für den Vollzug der Bundesärzteordnung in den Regierungsbezirken Ober-, Mittel- und Unterfranken zuständig ist und der Antragsteller seinen Wohnsitz im hiesigen Verwaltungsgerichtsbezirk hat.
Der Antrag (präziser: die Antragstellung) ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage in der Hauptsache zulässig (§ 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Im Übrigen genügt es, wenn – wie vorliegend – bis zum Ergehen der gerichtlichen Entscheidung die Hauptsacheklage erhoben worden ist, deren aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 16.2.2000 – 10 CS 99.3290 – BayVBl 2000, 692 – juris Rn. 14).
2. Der Antrag ist aber unbegründet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist formell rechtmäßig. Insbesondere genügt ihre Begründung (S. 14-19 des Bescheids) den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Notwendig ist eine auf die Umstände des konkreten Falles bezogene Darlegung des besonderen Interesses gerade an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts, die insbesondere erkennen lassen muss, dass sich die Behörde des rechtlichen Ausnahmecharakters der Anordnung bewusst ist (Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, 40. EL Februar 2021, § 80 Rn. 247 m.w.N.). Vorliegend erkannte die … ausdrücklich, dass die Vollziehbarkeitsanordnung ein selbständiger Eingriff in die Berufsfreiheit des Antragstellers bedeute, der in seinen Wirkungen über diejenigen der Ruhensanordnung hinausgehe und überdies dessen Recht auf effektiven Rechtsschutz verkürze. Sodann erfolgte eine auf den Verlauf des spezifischen Krankheitsbilds, den fachspezifischen und organisatorischen Rahmen der (auch künftigen) Berufsausübung sowie den konkreten bisherigen Verfahrensablauf bezogene Darlegung des öffentlichen Vollziehungsinteresses. Ob diese Erwägungen auch inhaltlich zutreffen, ist im vorliegenden Zusammenhang unbeachtlich (vgl. Schoch a.a.O. Rn. 246 m.w.N.).
Das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene, originäre Ermessensentscheidung, bei der es die widerstreitenden Interessen der Beteiligten abwägt. Wesentliches, aber nicht alleiniges, Kriterium für die Beurteilung der Interessenlage sind die aufgrund einer – im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen – summarischen Prüfung ermittelten Erfolgsaussichten des in der Hauptsache erhobenen Rechtsbehelfs. Dabei können vordringlich nur die Einwände berücksichtigt werden, die von dem Rechtsschutzsuchenden selbst vorgebracht werden, es sei denn, dass sich andere Fehler als offensichtlich aufdrängen. Weder können schwierige Rechtsfragen vertieft oder abschließend geklärt noch komplizierte Tatsachenfeststellungen getroffen werden; solches muss dem Hauptsacheverfahren überlassen bleiben (vgl. OVG NW, B.v. 26.1.1999 – 3 B 2861/97 – NWVBl 1999, 350 – juris Rn. 4). Ergibt die summarische Prüfung, dass der Hauptsacherechtsbehelf voraussichtlich Erfolg haben wird, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Erweist sich der Hauptsacherechtsbehelf hingegen als voraussichtlich aussichtslos, überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts besteht, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vgl. BVerfG, B.v. 13.6.2005 – 2 BvR 485/05 – NVwZ 2005, 1053 – juris Rn. 21), wobei vorliegend der gesteigerten Eingriffsintensität der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Grundverwaltungsakte als eigenständiger Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) durch strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung zu tragen ist. Sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs schließlich offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug streitenden Interessen statt (vgl. BVerfG, B.v. 29.5.2007 – 2 BvR 695/07 – NVwZ 2007, 1176 – juris Rn. 31; BayVGH, B.v. 27.2.2017 – 15 CS 16.2253 – juris Rn. 13).
Bei summarischer Prüfung wird die Anfechtungsklage des Antragstellers in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben. Ziffern 1 und 2 des angefochtenen Bescheids erweisen sich als voraussichtlich rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Die Anordnung des Ruhens der Approbation (Ziffer 1 des Bescheids) findet ihre Rechtsgrundlage in § 6 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BÄO. Demnach kann das Ruhen der Approbation angeordnet werden, wenn der Arzt sich nachträglich als in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet erweist. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ruhensanordnung ist im Hinblick auf § 6 Abs. 2 BÄO, wonach die Anordnung bei Nichtmehrvorliegen ihrer Voraussetzungen aufzuheben ist, der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. – wenn eine solche nicht stattfindet – der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2018 – 21 ZB 17.311 – juris Rn. 10; OVG NW, B.v. 21.10.2016 – 13 B 893/16 – juris Rn. 5). Durch den Rechtsanspruch des Antragstellers auf Aufhebung einer rechtswidrig gewordenen Ruhensanordnung und die damit korrespondierende Verpflichtung der Behörde zur regelmäßigen Überprüfung der Ruhensanordnung auf deren fortbestehende Rechtmäßigkeit ist von einer einem Dauerverwaltungsakt vergleichbaren rechtlichen Situation bzw. Struktur auszugehen (vgl. VG Augsburg, U.v. 12.1.2017 – Au 2 K 15.1777 – juris Rn. 38).
aa) Zum demnach maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung liegen aufgrund der den Gerichts- und beigezogenen Behördenakten zu entnehmenden, in sich schlüssigen und nachvollziehbaren medizinischen Stellungnahmen und toxikologischen Befunden die Voraussetzungen für die Anordnung des Ruhens der Approbation (weiterhin) vor. Es ist nicht davon auszugehen, dass die gesundheitliche Eignung des Antragstellers zur Ausübung des ärztlichen Berufs wiederhergestellt ist.
Bei der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung der Ruhensanordnung ist darauf abzustellen, ob der Antragsteller objektiv den besonderen gesundheitlichen Anforderungen des ärztlichen Berufs genügt. Diese ergeben sich aus den Regelungen der Bundesärzteordnung und der von der Bayerischen Landesärztekammer auf Grundlage des § 20 des Heilberufe-Kammergesetzes (HKaG) beschlossenen Berufsordnung für die Ärzte Bayerns in der Bekanntmachung vom 9. Januar 2012 i.d.F. der Änderungsbeschlüsse vom 28. Oktober 2018 (Berufsordnung), die den Schutz der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes durch Ausübung der Heilkunde, d.h. jede berufsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen (vgl. § 1 Abs. 2 des Heilpraktikergesetzes – HeilprG), bezwecken (vgl. § 1 Abs. 1 BÄO, § 1 Abs. 1 Berufsordnung). Die Voraussetzungen für die Erteilung, Rücknahme und Widerruf sowie auch das Ruhen der Approbation korrelieren mit den ärztlichen Berufsaufgaben (§ 1 Berufsordnung) und Berufspflichten (§§ 2 ff. Berufsordnung), insbesondere den Pflichten gegenüber Patienten (§§ 7 ff. Berufsordnung), deren Erfüllung neben der fachlichen Kompetenz notwendigerweise auch die psychische und physische Fähigkeit voraussetzt. Die mit der ärztlichen Untersuchung und Behandlung verbundenen Gefahren für Leib und Leben anvertrauter Patienten verlangen vom behandelnden Arzt ein hinreichend hohes Maß an Konzentration und kognitiven Fähigkeiten sowie körperliche und psychische Belastbarkeit (vgl. VG Augsburg, U.v. 12.1.2017 – Au 2 K 15.1777 – juris Rn. 45; VG München, U.v. 26.9.2017 – M 16 K 16.4035 – juris Rn. 23). Diese dem ärztlichen Beruf immanente Verpflichtungen werden auch im ärztlichen Gelöbnis zum Ausdruck gebracht: „Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.“ Dabei hängt die Beurteilung, wann dem Arzt die gesundheitliche Eignung vorübergehend abzusprechen ist, vom jeweiligen Krankheitsbild ab und bedarf einer Einzelfallprüfung (Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, BÄO § 6 Rn. 15; BayVGH, B.v. 25.4.2018 – 21 ZB 17.311 – juris Rn. 11).
Bei Wahrunterstellung der eigenanamnestischen Angaben des Antragstellers lässt sich folgender Verlauf seines individuellen Krankheitsbildes darstellen:
Bei dem Antragsteller wurde aufgrund des im Jahr 2013 begonnenen regelmäßigen Konsums von Sufentanil erstmals im Oktober/November 2016 psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide in Form eines Abhängigkeits- und Entzugssyndroms (F11.2, F11.3) diagnostiziert. Sufentanil ist ein schmerzlindernder und sedierender Wirkstoff aus der Gruppe der hochpotenten Opioide (www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Sufentanil) und das stärkste für die Behandlung von Menschen zugelassene Schmerzmittel (www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Sufentanil_27385). Hinzu treten u.a. eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig (F33.1) und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41). Seit dem Jahr 2016 nimmt der Antragsteller am Interventionsprogramm für suchtkranke Ärzte des … teil und durchlief vier stationäre Entgiftungs-/Entzugstherapien (22.02.2016 – 20.03.2016; drei Wochen im Juli 2016; 10.10.2016 – 25.10.2016, vorzeitig abgebrochen; 17.01.2017 – 28.02.2017). Daneben hat er sich in regelmäßiger (14-tägiger bis wöchentlicher) ambulanter psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung befunden. Aufgrund des erneuten regelmäßigen Konsums von Sufentanil vom Ende 2018 bis Mai 2019 unterzog er sich eine stationäre Entwöhnungstherapie (27.05.2019 – 06.07.2019). Erneuter Suchtmittelkonsum erfolgte im Oktober 2019 über drei Tage und im August 2020 über zwei Tage.
In einem persönlichen Gespräch am 1. September 2020 trafen der Antragsteller und die erste Vorsitzende der … folgende Vereinbarungen: schnellstmöglich eine Haaranalyse durchführen zu lassen, bis die Ergebnisse der Haaranalyse vorliegen nur administrativ tätig zu sein, eine Freigabe zur ärztlichen Tätigkeit wird ausschließlich durch den … erfolgen, Teilnahme an der Suchtgruppe im Klinikum …, bei einem erneuten Verstoß geht eine Meldung an die … Seit Oktober 2020 nimmt der Antragsteller regelmäßig an einer ambulanten Selbstmanagementgruppe für Suchtpatienten teil. Sein Antrag auf eine verhaltenstherapeutische Langzeittherapie wurde im Dezember 2020 genehmigt. Sieben kurzfristig und unvorhersehbar einbestellte Urinuntersuchungen (02.06.2020, 28.07.2020, 12.10.2020, 10.12.2020, 14.01.2021, 24.02.2021, 30.03.2021) ergaben jeweils ein negatives Ergebnis.
Seine seit dem 24. Juli 2019 behandelnde Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, … …, beschrieb in ihrem Befundbericht vom 22. Februar 2021, dass im psychischen Befund zum Teil Bagatellisierungstendenzen aufgefallen seien und der Antragsteller von intermittierend auftretender innerer Unruhe und Suchtdruck berichte, wobei Stimmung und Antrieb weitgehend ausgeglichen seien. Um wieder als Anästhesist am Patienten zu arbeiten, erscheine eine einjährige Abstinenz von Suchtmitteln notwendig. Diese sollte durch mindestens sechs unangemeldete Urinkontrollen oder alternativ Haaranalysen in entsprechenden Abständen nachgewiesen werden. Mindestens für diese Zeit werde eine weitere psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung empfohlen.
Die … teilte mit Schreiben vom 7. April 2021 der … mit, dass der Antragsteller sich wiederholt nicht an die vereinbarten Auflagen gehalten habe; unter anderem liege ihnen noch keine Haaranalyse vor.
Die chemisch-toxikologische Untersuchung einer am 8. April 2021 abgeschnittenen Haarprobe des Antragstellers ergab keine Anhaltspunkte für die Aufnahme der untersuchten Betäubungsmittel und Medikamente während des Zeitraums von etwa sechs Monaten vor der Haarabnahme (also ab Oktober 2020).
Nach der fachlichen Stellungnahme des Sachgebiets 53 – Gesundheit der … vom 11. Mai 2021 erscheine ergänzend zu den von … … vorgeschlagenen Therapie- und Kontrollmaßnahmen die regelmäßige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe für Suchterkrankungen erforderlich. Der Antragsteller sei aktuell nur unter den vorgenannten Auflagen geeignet, den ärztlichen Beruf auszuüben.
Im letzten Befundbericht der … … vom 27. Juli 2021 mit Nachtrag vom 29. Juli 2021 wurden folgende Diagnosen erhoben: Abhängigkeitssyndrom durch Opioide, gegenwärtig abstinent (F11.2), eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41) und eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert (F31.4). In der bisherigen Therapie habe daran gearbeitet werden können, das Störungsverständnis weiter aufzubauen, einen funktionalen Umgang mit den Schmerzen zu fördern und Gefühlswahrnehmung und Frustrationstoleranz zu verbessern. Dem Antragsteller sei es in den letzten Monaten gelungen, seine Selbstfürsorge deutlich zu verbessern. Durch Limitierung von Terminen im beruflichen Bereich habe er Überforderung vermeiden können. In der ambulanten Suchtgruppe könne er sich mit seiner Erkrankung und entsprechenden Copingstrategien auseinandersetzen. Weiterhin habe er sich ein intensives Sportprogramm mit Anleitung erarbeitet und hilfreiche Erfahrungen mit Achtsamkeits- und Entspannungsübungen sammeln können. Er habe eine Verbesserung seiner chronischen Schmerzstörung mit intermittierend schmerzfreien Intervallen formuliert. Es setze sich in der Therapie konstruktiv mit seiner Suchterkrankung auseinander und habe weiterhin Sozialkontakte intensivieren und sich Freunden anvertrauen können. Es sei eine deutlich positive Entwicklung im bisherigen Therapieverlauf zu verzeichnen. Mit der veränderten Situation, nämlich der Wahrnehmung administrativer Aufgaben im MVZ habe er sich gut arrangieren können. Im Rahmen der verbesserten Auseinandersetzung mit seiner Suchterkrankung und der Anwendung konstruktiver Copingstrategien berichte der Antragsteller seit dem letzten Befundbericht vom 22. Februar 2021 von keinerlei Suchtdruck.
Ausgehend hiervon kann der Antragsteller nach Überzeugung der erkennenden Kammer den dargestellten besonderen gesundheitlichen Anforderungen des ärztlichen Berufs derzeit nicht gerecht werden.
Die vorliegend im Vordergrund stehende psychische und Verhaltensstörung durch Opioide in Form eines Abhängigkeitssyndroms (ICD-10-GM-Klassifizierung: F11.2) beschreibt eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln. Typischerweise besteht ein starker Wunsch, die Substanz einzunehmen, Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren, und anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen. Dem Substanzgebrauch wird Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben. Es entwickelt sich eine Toleranzerhöhung und manchmal ein körperliches Entzugssyndrom (Kapitel V Nr. F1X.2 der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification, Version 2021, www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2021/block-f10-f19.htm). Derartige Suchterkrankungen, bei denen ein Zustand periodischer oder chronischer Intoxikation hervorgerufen wird und die Tendenz zur Dosissteigerung, Abhängigkeit und Kontrollverlust besteht, womit eine nachhaltige Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit einhergeht, rechtfertigen als solche in aller Regel den Rückschluss auf eine fehlende Eignung oder Fähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs (vgl. Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, BÄO § 6 Rn. 15; BayVGH, B.v. 5.2.2009 – 21 CS 08.3133, 21 C 08.3134 – juris Rn. 16). Denn der zwanghaft hohe und regelmäßige Konsum eines Suchtmittels führt unweigerlich zu einer erheblichen Gefährdung von Patienten, deren Schutz die behördlichen Aufsichtsmittel bezwecken. Der einer Sucht unterworfene Arzt wird seiner Berufspflicht zum Schutz der Gesundheit seiner Patienten nicht gerecht, da eine ständige Besorgnis besteht, dass er seinen Dienst unter dem Einfluss des Suchtmittels ausübt. Von ihm muss wegen des suchttypischen Krankheitsbildes angenommen werden, dass eine charakterliche Umstellung künftig nicht zeitgerecht zu erwarten ist, sodass die weitere Ausübung des ärztlichen Berufs ein Risiko darstellt, das im öffentlichen Gesundheitsinteresse nicht hingenommen werden kann. Die Glaubwürdigkeit des ärztlichen Berufsstands, die für den Bestand des gesundheitspolitisch überaus wichtigen Vertrauensverhältnisses erforderlich ist, das zwischen Arzt und Patient bestehen muss und jeder Heilbehandlung immanent ist, gebietet daher den Ausschluss eines solchen Arztes, wenn nicht das öffentliche Interesse auch unter diesem Gesichtspunkt Schaden leiden soll (vgl. zur Alkoholsucht: OVG LSA, U.v. 5.11.1998 – A 1 S 376/98 – juris Rn. 32; BayVGH, B.v. 2.3.2020 – 21 CS 19.1736 – juris Rn. 14).
Eine für die Wiederherstellung der gesundheitlichen Eignung erforderliche dauerhafte Opioidabstinenz beim Antragsteller ist gegenwärtig nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellbar. Nach den einheitlichen Empfehlungen der … … vom 22. Februar 2021 und des Sachgebiets 53 der … vom 11. Mai 2021 sollte die Abstinenz mindestens ein Jahr lang – durchgehend – erhalten bleiben und durch Urin- oder Haaruntersuchungen nachgewiesen werden. Ein sicherer Nachweis der Abstinenz liegt aber nur für den von der Haaruntersuchung erfassten Zeitraum vom Oktober 2020 bis 8. April 2021 vor. Die negativen Ergebnisse der vor diesem Zeitraum vorgenommenen Urinuntersuchungen (02.06.2020, 28.07.2020) sind jedenfalls durch den vom Antragsteller eingeräumten Rückfall im August 2020 überholt. Aktuellere Abstinenznachweise wurden nicht vorgelegt. Im letzten Befundbericht der … vom 27. Juli 2021 wurde zwar eine gegenwärtige Abstinenz und eine positive Entwicklung sowohl im bisherigen Therapieverlauf als auch in der Selbstfürsorge bescheinigt. Ihm lässt sich aber nicht entnehmen, dass die gegenwärtige Abstinenz – nachweislich – bereits seit einem Jahr besteht oder dass eine einjährige Abstinenz aus medizinischer Sicht nicht mehr erforderlich erscheint. Er enthält auch keine Prognose, dass der Antragsteller – unbeschadet einer etwaig erforderlichen Freigabe durch den … – aus medizinischer Sicht wieder fähig ist, gegebenenfalls mit reduzierter Arbeitsbelastung und begleitender Therapie- und Kontrollmaßnahmen, seine ärztliche Tätigkeit wiederaufzunehmen. Damit kann zunächst dahinstehen, ob die Abstinenzzeiten vor Abgabe der ärztlichen Empfehlungen unberücksichtigt bleiben, mit der Folge, dass die Abstinenz mindestens bis Februar 2022 erhalten bleiben muss. Hierfür könnte etwa sprechen, dass … in ihrem Befundbericht vom 22. Februar 2021 – soweit aktenkundig – erstmals Bagatellisierungstendenzen, intermittierend auftretende innere Unruhe und Suchtdruck beim Antragsteller beschrieb, sodass eine hinreichende (Re-)Stabilisierung möglicherweise erst bei einjähriger Abstinenz nach dieser rückschlägigen Entwicklung angenommen werden könnte.
Vor dem – nachweislichen – Erreichen der erforderlichen einjährigen Abstinenz kann im Hinblick auf das suchtspezifische Krankheitsbild und den konkreten bisherigen Behandlungsverlauf, die insbesondere ein erhebliches Rückfallrisiko erkennen lassen, derzeit nicht prognostisch ausgeschlossen werden, dass es bei einer weiteren Ausübung des ärztlichen Berufs zu einer Patientengefährdung kommen kann. Insbesondere stellt die zuverlässige Umsetzung der übrigen empfohlenen Therapie- und Kontrollmaßnahmen (begleitende psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung, regelmäßige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe für Suchterkrankungen) eine aus medizinischer Sicht zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Wiederherstellung der gesundheitlichen Eignung dar. Auch die Heranziehung eines intakten, Rückhalt und Fremdkontrolle bietenden beruflichen, familiären und sozialen Umfeldes schließen eine Patientengefährdung nicht hinreichend aus. Zweifelhaft ist ferner die vom Antragsteller beteuerte uneingeschränkte Kooperationsbereitschaft gegenüber dem … Seine Erklärung für die erhebliche Verzögerung der vereinbarten „schnellstmöglichen“ Durchführung einer Haaruntersuchung, dass nach Information des untersuchenden Instituts eine Mindesthaarlänge von 6 cm erforderlich sei und die Bearbeitungszeit ca. vier Wochen dauere, konnte nicht bestätigt werden. In seiner Stellungnahme vom 28. Juli 2021 teilte das Institut für Rechtsmedizin der Universität … vielmehr mit, dass ein Hinweis auf eine Mindesthaarlänge von 6 cm nur bei verkehrsmedizinischen Fragestellungen erfolge und dass insbesondere bei speziellen Untersuchungen der gegenständlichen Art keine Zusage einer konkreten Bearbeitungsdauer erteilt werde. Zwar kann dem letzten ärztlichen Befundbericht entnommen werden, dass der Antragsteller wohl auf einem guten Weg ist, um seine Suchterkrankung zu überwinden. Die gesicherte positive Prognose einer dauerhaften Opioidabstinenz ist derzeit gleichwohl nicht möglich. Umfangreiche Beweisaufnahmen sind in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO selbst bei schweren Eingriffen in Grundrechte in der Regel nicht geboten, sondern dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (BayVGH, B.v. 19.2.2008 – 21 CS 08.2 – juris Rn. 10).
Schließlich setzt die Ruhensanordnung nicht voraus, dass eine konkrete Patientengefährdung bereits nachgewiesen worden ist oder die konkreten Gefahren sich sogar bereits realisiert haben. Angesichts des hohen Stellenwerts der zu schützenden Rechtsgüter (Leib und Leben) kann nicht verantwortet werden, den Eintritt eines tatsächlichen Patientenschadens abzuwarten (vgl. OVG NW, B.v. 21.10.2016 – 13 B 893/16 – juris Rn. 19).
bb) Die nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BÄO zu treffende Ermessensentscheidung ist bei der insoweit – auf den Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO – beschränkten gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit nicht zu beanstanden. Die von der … vorgebrachten bzw. – im Hinblick auf § 114 Satz 2 VwGO – ergänzten sicherheitsrechtlichen Erwägungen vermögen den mit der Anordnung des Ruhens der Approbation verbundenen Eingriff insbesondere in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Antragstellers zu rechtfertigen.
Die Ruhensanordnung ist als umfassendes vorübergehendes Berufsausübungsverbot (Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, BÄO § 6 Rn. 27) nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt (vgl. BVerfG, B.v. 12.3.2004 – 1 BvR 540/04 – NVwZ-RR 2004, 545 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 19.2.2008 – 21 CS 08.2 – juris Rn. 5).
Eine fortwährende Berufsausübung des Antragstellers würde konkrete Gefahren für das Leben und die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) einer unbestimmten Vielzahl einzelner Patienten, zu deren Schutz der Staat verpflichtet ist, und darüber hinaus auch für das Vertrauen der Bevölkerung in den ärztlichen Berufsstand mit sich bringen. Der Antragsteller hat als gegenwärtiger Betreiber einer anästhesischen Einzelpraxis und künftiger ärztlicher Leiter eines anästhesischen MVZ besondere Zugriffsmöglichkeiten auf die zu schützenden Rechtsgüter anvertrauter Patienten. Der Anästhesist ist für die Ausschaltung des Schmerzes bei Operationen oder anderen kleineren Eingriffen zuständig. Er bereitet die Narkose oder lokale Betäubung vor und überwacht den Patienten und dessen Körperfunktionen (Atmung, Kreislauf etc.) während des Eingriffs und später im Aufwachraum oder auf der Intensivstation. Vor der Operation findet ein Aufklärungs- und Informationsgespräch statt, in welchem dem zu Betäubenden auch die Angst vor der Narkose genommen werden soll. Außerdem untersucht der Anästhesist den Patienten, nimmt ihm Blut ab, macht ein Elektrokardiogramm und eine Röntgenaufnahme der Lunge (Ausschließen möglicher Risiken durch die Beatmung während der Narkose) und fragt nach anderweitigen Erkrankungen, um einschätzen zu können, ob die Narkose ein erhöhtes Gesundheitsrisiko darstellt und welches Narkoseverfahren das geeignete ist. Ferner ist der Anästhesist auch für Schmerztherapie von akuten und chronischen Schmerzen, beispielsweise nach einer Operation, zuständig. Ebenso kennt er sich in der Notfallmedizin aus, da er umfassende Kenntnisse über Atmung und Kreislauf hat (www.deutsche-medizinerauskunft.de/index.php?id=594).
Die Ruhensanordnung ist zum Schutz dieser wichtigen Gemeinschaftsgüter geeignet, erforderlich und angemessen.
Insbesondere wäre es mit dem Wesen der Approbation als Arzt (§ 2 Abs. 1 BÄO) nicht vereinbar, diese auf die außerhalb der anästhesiologischen Kernleistungen liegenden Tätigkeiten (v.a. Aufklärungs- und Vorgespräche) zu beschränken, die der Antragsteller eigenen Angaben zufolge schon vor Abschluss der Suchtproblematik tatsächlich ausgeübt hat (vgl. E-Mail vom 16.12.2020, Bl. 8 der Behördenakte) und auch weiterhin auszuüben beabsichtigt (vgl. Seite 2 des Schreibens vom 22.06.2021, Bl. 35 der Gerichtsakte). Denn die durch die Approbation verliehene Befugnis zur Ausübung der Heilkunde ist unteilbar und einschränkenden Nebenbestimmungen nicht zugänglich (Umkehrschluss aus § 2 Abs. 2 BÄO, der die eingeschränkte Berufsausübungsbefugnis aufgrund einer Erlaubnis regelt); derartige Einschränkungen können auch nicht Inhalt der Approbationsurkunde sein (vgl. § 40 Satz 1 i.V.m. Anlage 14 der Approbationsordnung für Ärzte) (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.1998 – 3 C 4/98 – BVerwGE 108, 100 – juris Rn. 23-27).
Der Erforderlichkeit der Ruhensanordnung steht auch nicht die im gerichtlichen Verfahren bekundete Bereitschaft des Antragstellers, sich dauerhaft engmaschige Urin- und Haaruntersuchungen zu unterziehen, bzw. die von ihm angeführte Möglichkeit der Anordnung entsprechender Maßnahmen zum Abstinenznachweis, entgegen. Zwar erscheint es – trotz des Fehlens einer speziellen Befugnisnorm in der Bundesärzteordnung zum Erlass sonstiger Einzelfallanordnungen – durchaus möglich, etwa im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrags (Art. 55 BayVwVfG) verbindliche „Auflagen“ zur Abwehr von Gefahren für Patienten zu vereinbaren (vgl. Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, BÄO § 6 Rn. 4). Anders als Kontrollmaßnahmen zur Ergänzung von Therapiemaßnahmen, welche die Aufrechterhaltung einer uneingeschränkten gesundheitlichen Eignung sicherstellen sollen und damit eine Ruhensanordnung bereits auf der Tatbestandsebene als rechtswidrig erscheinen lassen (vgl. VG Augsburg, U.v. 12.1.2017 – Au 2 K 15.1777 – juris Rn. 46; VG München, U.v. 26.9.2017 – M 16 K 16.4035 – juris Rn. 24), handelt es sich bei den vorliegend erforderlichen Abstinenznachweisen um Kontrollmaßnahmen zur Ergänzung von Therapiemaßnahmen, welche der Beseitigung einer eingeschränkten gesundheitlichen Eignung bzw. Wiederherstellung einer uneingeschränkten gesundheitlichen Eignung dienen. Derartige auf unbestimmte Zeit notwendige Kontrollmaßnahmen sind kein geeignetes milderes Mittel, da durch regelmäßige Untersuchungen von Urin- oder Haarproben nur nachträglich ein abstinentes Verhalten bestätigt, aber nicht gewährleistet werden kann, dass danach kein Rückfall mit einer Gefährdung oder Schädigung von Patienten eintritt. Eine ständige Überwachung kann die zuständige Behörde auch nicht leisten (vgl. VG Bayreuth, U.v. 20.1.2016 – B 4 K 14.503 – juris Rn. 37). Vielmehr obliegt es hier dem Antragsteller, zunächst den Nachweis für eine wiedererlangte gesundheitliche Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufes zu erbringen; dann kann nach § 6 Abs. 2 BÄO die Ruhensanordnung wieder aufgehoben werden. Überdies sind an Verstößen gegen eine (vollziehbare) Ruhensanordnung auch empfindliche, strafrechtliche Sanktionen geknüpft (vgl. § 13 BÄO).
Als vorübergehendes Berufsausübungsverbot (§ 6 Abs. 3 BÄO), das anders als Rücknahme und Widerruf der Approbation (§ 5 BÄO) weder den ärztlichen Status und die Mitgliedschaft in der Ärztekammer und im Versorgungswerk noch – als solche – die Eintragung im Arztregister und die Zulassung als Vertragsarzt berührt, und sonstige Tätigkeiten ohne Patientenbezug nicht erfasst (vgl. Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, BÄO § 6 Rn. 27, 31, 34), steht die Anordnung des Ruhens der Approbation auch nicht außer Verhältnis mit der damit bezweckten Abwehr konkreter Gefahren für die wichtigen Gemeinschaftsgüter der Patientensicherheit und des -vertrauens. Die zugleich mit dem streitgegenständlichen Bescheid ausgesprochene behördliche Zulassung der Weiterführung seiner Praxis durch einen anderen Arzt (§ 6 Abs. 4 BÄO) eröffnet dem Antragsteller die Möglichkeit, zu verhindern, dass der Praxisbetrieb durch eine sofortige Einstellung der Patientenbehandlung nachhaltig beeinträchtigt wird (vgl. Schelling a.a.O. Rn. 29). Die mit der Ruhensanordnung zwangsläufig verbundenen wirtschaftlichen Einbußen des Antragstellers sind hingegen der gesetzlichen Regelung immanent (vgl. VG Gießen, U.v. 9.1.2017 – 4 K 1340/16.GI – juris Rn. 31).
b) Die Verpflichtung zur Rückgabe der Approbationsurkunde (Ziffer 2 des Bescheids) findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 52 BayVwVfG. Die Wirksamkeit der Approbation ist infolge der Ruhensanordnung teilweise „aus einem anderen Grund“ nicht mehr gegeben, weil der Antragsteller zwar nicht seinen ärztlichen Status verliert, aber nach § 6 Abs. 3 BÄO während der Geltung der Anordnung den ärztlichen Beruf nicht ausüben darf (vgl. Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, BÄO § 6 Rn. 28). Soweit der Wirksamkeitsmangel reicht, ist Art. 52 BayVwVfG anwendbar. Eine Rückgabe kann bereits dann verlangt werden, wenn die Ruhensanordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO sofort vollziehbar ist (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 52 Rn. 15, 22; OVG NW, U.v. 15.5.1990 – 5 A 1692/89 – NVwZ 1990, 1183 – juris Rn. 10-14). Angesichts der voraussichtlich rechtmäßigen Ruhensanordung war die Rückgabeverpflichtung ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig, da das öffentliche Interesse an der Sicherheit im Rechtsverkehr und der Vermeidung von Missbräuchen behördlicher Urkunden das private Interesse des Antragstellers an der Beweisführung über eine tatsächlich nicht mehr bestehende Befugnis überwiegt (vgl. OVG NW, U.v. 15.5.1990 a.a.O. Rn. 11, 15; Falkenbach in BeckOK VwVfG, 51. Ed. 1.4.2021, § 52 Rn. 11).
c) Ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ruhensanordnung und der Rückgabeverpflichtung liegt vor.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung stellt einen selbständigen, über die Wirkungen der Grundverfügung hinausgehenden Eingriff dar und erfordert daher eine eigenständige, auch an verfassungsrechtlichen Maßstäben orientierte Prüfung. Im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG ist die Zulässigkeit eines Eingriffs mit berufsrechtlicher Wirkung schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter anerkannt. Wegen der gesteigerten Eingriffsintensität beim Sofortvollzug einer approbationsrechtlichen Maßnahme sind hierfür jedoch nur solche Gründe ausreichend, die in angemessenem Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen und die ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens ausschließen. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter oder für Dritte befürchten lässt, wobei es Aufgabe der um vorläufigen Rechtsschutz ersuchten Verwaltungsgerichte ist, auf der Grundlage hinreichend belastbaren Tatsachenmaterials eine eigenständige Prognose der konkreten (Dritt-)Gefährdung anzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2007 – 1 BvR 2157/07 – NJW 2008, 1369 – juris Rn. 20-22; BayVGH, B.v. 5.2.2009 – 21 CS 08.3133, 21 C 08.3134 – juris Rn. 20; OVG NW, B.v. 3.5.2016 – 13 B 275/16 – medstra 2016, 312 – juris Rn. 5). Dass die Ruhensanordnung ihrer Natur nach auf einen zügigen Vollzug angelegt ist, rechtfertigt die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht, da dem durch eine zügige Terminierung des Hauptsacheverfahrens Rechnung getragen werden kann (vgl. OVG NW, B.v. 3.5.2016 a.a.O. Rn. 8). Vielmehr sind im Rahmen einer Folgenabwägung die konkreten Nachteile für die Allgemeinheit bei einem Aufschub des Vollzugs, wenn sich die Ruhensanordnung nachträglich als rechtmäßig erweist, den konkreten Nachteilen des Sofortvollzugs für den Antragsteller, wenn sich die Ruhensanordnung nachträglich als rechtswidrig erweisen sollte, gegenüber zu stellen (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2007 a.a.O. Rn. 31).
Diese Folgenabwägung fällt vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus.
Sollte sich die Ruhensanordnung nachträglich als rechtswidrig erweisen, würde der Antragsteller infolge des vorläufigen Berufsausübungsverbots wirtschaftliche Nachteile erleiden und auch in seiner privaten Lebensführung erheblich beeinflusst werden. Allerdings ist davon auszugehen, dass eine nachhaltige Beeinträchtigung seines gegenwärtigen Praxisbetriebs aufgrund der nach § 6 Abs. 4 BÄO erteilten Zulassung verhindert werden kann, indem dieser durch einen anderen Arzt weitergeführt wird. Eine unverhältnismäßige Belastung des Antragstellers ist auch nicht darin zu erblicken, dass er sich derzeit im Gründungsprozess für ein anästhesiologisches MVZ befinde, deren Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung mit Wirkung zum 1. Oktober 2021 erfolgen solle. Die Beschäftigung eines Vertreters während des Ruhens seiner Approbation ist bei Vorliegen eines anerkannten Vertretungsgrundes (Krankheit, Urlaub, Teilnahme an ärztlicher Fortbildung oder an einer Wehrübung) innerhalb von zwölf Monaten bis zur Dauer von drei Monaten genehmigungsfrei, darüber hinausgehend mit vorheriger Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) möglich (§ 32 Abs. 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 und 5 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte – Ärzte-ZV; KVB, Allgemeine Informationen zum Thema Vertretung, 2021.05.20, www.kvb.de/fileadmin/kvb/dokumente/Praxis/Praxisfuehrung/Zulassung/KVB-Merkblatt-Vertretung-Vertragsarzt.pdf, S. 3-6). Unabhängig davon, ob das Ruhen der Approbation als solche zumindest zum Zwecke der Abwicklung des Praxisbetriebs auch die vorübergehende vertragsärztliche Genehmigung der vertretungsweisen Fortführung der Praxis für einen gewissen Übergangszeitraum rechtfertigen soll (vgl. SG Düsseldorf, B.v. 30.11.2004 – S 2 KA 360/04 ER – juris Rn. 21; Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, BÄO § 6 Rn. 31; Scholz in BeckOK SozR, 61. Ed. 1.6.2021, Ärzte-ZV § 32 Rn. 25), kann sich der Antragsteller vorliegend jedenfalls aufgrund der der Ruhensanordnung zugrunde liegenden Suchterkrankung auf den Vertretungsgrund der Krankheit berufen. Dabei können die in einem MVZ tätigen zugelassenen Vertragsärzte wie auch angestellten Ärzte alle anderen im MVZ tätigen Ärzte vertreten (KVB a.a.O. S. 12). Sofern ein Ruhen der Approbation von längerer Dauer faktisch zum Ruhen oder zur Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung des Antragstellers und/oder des MVZ führen kann, da der Antragsteller infolge des vorläufigen Berufsausübungsverbots auch seine vertragsärztliche Tätigkeit nicht ausüben kann bzw. weil die Gründungsvoraussetzungen für das MVZ länger als sechs Monate nicht mehr vorliegen (vgl. § 95 Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 Alt. 2 und 3 des Fünften Sozialgesetzbuchs – SGB V – i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 27 Satz 1 Ärzte-ZV), sind die damit zwangsläufig verbundenen wirtschaftlichen Einbußen des Antragstellers und der sonstigen im MVZ tätigen Ärzte und Mitarbeiter auch hier den Gesetzes- und Verordnungsregelungen immanent. Im Falle einer Vertretung über drei Monate hinaus stellt sich ohnehin die Frage, ob die vertragsärztliche Zulassung des Antragstellers nicht schon wegen gesundheitlicher Ungeeignetheit für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit zu entziehen ist; dies ist (widerleglich) zu vermuten, wenn der Vertragsarzt innerhalb der letzten fünf Jahre drogen- oder alkoholabhängig war (§ 95 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 SGB V i.V.m. § 27 Satz 1, § 21 Satz 1 und 2 Ärzte-ZV; Scholz a.a.O. § 21 Rn. 2 f.; Ratzel in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, Ärzte-ZV § 21 Rn. 1). Überdies wären diese vorwiegend wirtschaftlichen Nachteile für den Antragsteller – auch unter Berücksichtigung der Gefahr von unwiederbringbaren Verlusten der Patientenklientel und der angespannten Konkurrenzsituation niedergelassener Ärzte – weitgehend reparabel, zumal er deren Dauer und Ausmaß maßgeblich selbst bestimmen könnte. Er hätte es selbst in der Hand, seine uneingeschränkte gesundheitliche Eignung für die Ausübung des ärztlichen Berufs wiederherzustellen, indem er den aus medizinisch-fachlicher Sicht für erforderlich gehaltenen Nachweis der dauerhaften, mindestens einjährigen Opioidabstinenz erbringt.
Erweist sich die Ruhensanordnung hingegen nachträglich als rechtmäßig, würden bei einem Aufschub des Vollzugs Schäden für wichtige Gemeinschaftsgüter und Dritte (Patientensicherheit und -vertrauen, Leib und Leben) drohen, die unter Umständen nicht wiedergutzumachen wären. Insbesondere Behandlungsfehler im Rahmen der operativen Versorgung von Patienten könnten schwerwiegende bis lebensbedrohliche Folgen nach sich ziehen.
Mithin müssen bei einem derart unterschiedlichen Gewicht der gegenüberstehenden Interessen die dem Antragsteller drohenden Nachteile des Sofortvollzugs hingenommen werden und sein privates Interesse an einer Aussetzung des Sofortvollzugs hinter dem überwiegenden öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung zurückstehen.
Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
3. Der Antragsteller trägt als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Orientierung an Nr. 16.1, Nr. 1.5 Satz 1 Halbs. 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Dabei erscheint wegen des nur vorläufigen Charakters der Ruhensanordnung und mangels anderweitiger Anhaltspunkte die Hälfte des für approbationsrechtlichen Maßnahmen vorgeschlagenen Mindeststreitwerts, damit ein Streitwert von 15.000,00 EUR angemessen (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2020 – 21 CS 19.1736 – juris Rn. 21). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der für das Hauptsacheverfahren anzunehmende Streitwert zu halbieren.


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