Medizinrecht

Schließung von Freizeiteinrichtungen und Kontaktbeschränkungen wegen Corona

Aktenzeichen  20 NE 20.2466

Datum:
6.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30425
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
8. BayIfSMV Art. 3 Abs. 1, Art. 11 Abs. 6

 

Leitsatz

1. Die Beschränkung des gemeinsamen Aufenthalts mit den Angehörigen des eigenen Hausstands sowie den Angehörigen eines weiteren Hausstands, solange dabei eine Gesamtzahl von insgesamt zehn Personen nicht überschritten wird, ist hinreichend bestimmt und verhältnismäßig. (Rn. 24 und 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die landesweite Schließung von Freizeiteinrichtungen – hier Schwimmbäder – erweist sich nicht als unverhältnismäßig, weil sie sich nicht – als milderes Mittel – auf Einrichtungen in Risikogebieten oder einen Betrieb unter Hygieneauflagen oder Vorlage eines negativen Tests der Kunden beschränkt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1. Mit ihrem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt die Antragstellerin das Ziel, den Vollzug von § 3 Abs. 1 und § 11 Abs. 6 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30. Oktober 2020 (2126-1-12-G, BayMBl. Nr. 616, im Folgenden: 8. BayIfSMV) einstweilen auszusetzen.
2. Der Antragsgegner hat am 30. Oktober 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen, die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
§ 3
Kontaktbeschränkung
(1) Der gemeinsame Aufenthalt im öffentlichen Raum, in privat genutzten Räumen und auf privat genutzten Grundstücken ist nur gestattet
1. mit den Angehörigen des eigenen Hausstands sowie
2. zusätzlich den Angehörigen eines weiteren Hausstands, solange dabei eine Gesamtzahl von insgesamt höchstens zehn Personen nicht überschritten wird.

§ 11
Freizeiteinrichtungen

(6) Bordellbetriebe, Prostitutionsstätten, Spielhallen, Spielbanken, Wettannahmestellen, Clubs, Diskotheken, sonstige Vergnügungsstätten und vergleichbare Freizeiteinrichtungen sind geschlossen.
Die 8. BayIfSMV ist seit 2. November 2020 in Kraft und tritt mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft (§ 28 Satz 1 8. BayIfSMV).
3. Die Antragstellerin, die in Bayern lebt, trägt zur Begründung ihres mit Schriftsatz vom 2. November 2020 gestellten Eilantrags vor, durch die Kontaktbeschränkung beschwert zu sein, da sie mit ihren Eltern, um die sie sich kümmere (Einkäufe und Erledigungsfahrten), die Enkelkinder nicht gemeinsam besuchen könne, weil dann die Grenze von zwei Haushalten überschritten sei. Ihr Sohn lebe in einer Wohngemeinschaft für Behinderte; auch insoweit sei ein gemeinsamer Besuch nicht möglich. Die Antragstellerin lebe allein, sodass es besonders belastend sei, sich in ihrer Wohnung nicht mit mehr als einer Freundin zu treffen. Zudem sei es ihr wegen der Schließung von Schwimmbädern nicht möglich, mit Kind und Enkelkind schwimmen zu gehen.
Die angegriffenen Regelungen könnten nicht (mehr) auf §§ 32, 28 IfSG gestützt werden. Nach der Wesentlichkeitstheorie bedürften jedenfalls gravierende Grundrechtseinschränkungen – wie die Schließung von Betrieben und Kontaktbeschränkungen – einer gesonderten gesetzlichen Grundlage. Der Verordnungsgeber sei seiner Evaluierungspflicht nicht in hinreichendem Maß nachgekommen. Obwohl man bereits seit geraumer Zeit in „Phase 2“ der Pandemie eingetreten sei, lägen noch immer praktisch keine weitergehenden Erkenntnisse zur Wirksamkeit einzelner Maßnahmen vor. Die Kopplung von Maßnahmen an einen Inzidenzwert – das Strategiepapier der Telefonkonferenz vom 28. Oktober 2020 stelle maßgeblich auf einen anzustrebenden Wert von unter 50 ab – sei kein taugliches Kriterium für die Erforderlichkeit von Maßnahmen. Die Kopplung an bloße Infektionszahlen sei auch deshalb untauglich, weil damit keinerlei Aussage über den Grad der tatsächlichen Gefährdung der Volksgesundheit abgeleitet werden könne, weil dies nichts für die Frage der Anzahl der schweren Verläufe oder der Mortalität hergebe. Der Aspekt eines verstärkten eigenverantwortlichen Schutzes von Risikopersonen sei nicht ausreichend einbezogen worden.
Die Kontaktbeschränkung nach § 3 Abs. 1 8. BayIfSMV genüge nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz. Das Wort „mit“ sei mehrdeutig. Unklar sei, ob Personen untereinander einen gewissen Abstand unterschreiten oder sich für eine gewisse Dauer (und wenn ja wie lange) oder für ein gemeinsames Ziel verbunden haben müssten. Im öffentlichen Raum verliere diese Definition vollends an Kontur (z.B. Sprechen mit Zufallsbekanntschaften). Des Weiteren sei die Regelung unschlüssig, weil nach ihr unter Angehörigen (allein) eines Hausstands die Personenzahl von 10 überschritten werden könne. Es werde nicht ausreichend differenziert zwischen dem Aufenthalt im öffentlichen und privaten Bereich sowie in geschlossenen Räumen und im Freien. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Regelung ausnahmslos erforderlich wäre. Ausnahmen wären insbesondere bei Kindern angebracht, weil sie weniger infektiös seien. Das Betriebsverbot von Freizeiteinrichtungen, insbesondere Schwimmbädern, schränke ihre allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ein. Die Schließung ohne jede Differenzierung nach Herkunft des Nutzers oder Lage der Einrichtung im (Nicht-)Risikogebiet sei unverhältnismäßig, weil mildere Mittel zur Verfügung stünden (z.B. Vorlage eines negativen Tests oder Einhaltung von Hygienemaßnahmen).
4. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen. Ein Verstoß gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz oder den Parlamentsvorbehalt liege nicht vor. Der Gesetzgeber habe die Ermächtigungsgrundlage in § 28 IfSG im gesamten, mittlerweile acht Monate umfassenden Verlauf der Pandemie nur einmal verändert und deren weiten Anwendungsbereich nicht beschränkt. Damit habe er klargestellt, dass er die entsprechenden Maßnahmen auf jeden Fall als von der Ermächtigungsgrundlage umfasst verstanden wissen wolle. Im Übrigen bestehe für den Antragsgegner das Problem, dass er schlechterdings nicht abwarten könne, bis sich der Bundestag zum Handeln entschließe. Ziel der Maßnahmen der 8. BayIfSMV sei es, die von den zuständigen Gesundheitsbehörden ermittelte exponentielle Steigerung der Infektionszahlen so zu verringern, dass die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems aufrecht erhalten bleibe. Das Infektionsgeschehen habe sich aktuell wieder Besorgnis erregend verschärft. Die deutliche Zuspitzung der Infektionslage lasse sich nunmehr auch an der massiv gestiegenen Anzahl der belegten Intensivbetten ablesen. Eine zeitlich befristete, merkliche Einschränkung der Kontakte sei nach den Erfahrungen aus der ersten Welle der Pandemie geeignet, die bei weiter steigenden Infektionszahlen bestehende konkrete Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen. Um ein noch weiterreichendes Herunterfahren des öffentlichen Lebens vermeiden zu können, seien die Maßnahmen im Wesentlichen auf Einschränkungen der privaten Freizeitgestaltung begrenzt worden. Bei der Festlegung, welche Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche geschlossen werden oder geöffnet bleiben, stehe dem Normgeber ein Einschätzungsspielraum zu, den der Antragsgegner nicht überschritten habe.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrags in der Hauptsache gegen § 3 Abs. 1 8. BayIfSMV (Kontaktbeschränkung) und § 11 Abs. 6 8. BayIfSMV (Schließung von Freizeiteinrichtungen) sind unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei der nur möglichen summarischen Prüfung als offen anzusehen (2.). Eine Folgenabwägung geht zulasten der Antragstellerin aus (3.).
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn – wie hier – die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.
Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12).
2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat davon aus, dass die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei der nur möglichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 14) offen sind.
a) Der Senat hat insbesondere zur 7. BayIfSMV erhebliche Zweifel geäußert, ob erhebliche Grundrechtseingriffe – jedenfalls im Bereich der Gastronomie, der von den pandemiebedingten Schutzmaßnahmen seit März 2020 schwer getroffen wurde – noch mit den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts bzw. des Bestimmtheitsgebots aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG vereinbar sind. Dabei hat er darauf abgestellt, dass mit zunehmender Dauer der Maßnahmen und Intensität der mit ihnen verbundenen Grundrechtseingriffe die Frage an Gewicht gewinnt, ob die Verordnungsermächtigung zugunsten der Ländern in den §§ 28, 32 IfSG noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG genügt. Im Hinblick auf künftige Verordnungen hat er es als fraglich bewertet, ob die bundesweit gegebene infektionsrechtliche Gefährdungslage weiterhin allein auf der Grundlage landesrechtlicher Verordnungen ohne vorheriges Tätigwerden des hierzu berufenen Bundesgesetzgebers behandelt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 – 20 NE 20.2360 – Rn. 28 ff., abrufbar unter https://www.vgh.bayern.de/media/bayvgh/presse/20a02360b.pdf; vgl. auch bereits B.v. 27.4.2020 – 20 NE 20.793 – GewArch 2020, 234 – juris Rn. 45).
Hieran hält der Senat hinsichtlich der 8. BayIfSMV fest. Die endgültige Klärung dieser Frage bedarf aber einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren, so dass der Senat von offenen Erfolgsaussichten ausgeht.
b) Die speziell gegen die § 3 Abs. 1 und § 11 Abs. 6 8. BayIfSMV gerichteten Einwendungen der Antragstellerin greifen bei summarischer Prüfung nicht durch.
aa) Die Kontaktbeschränkung nach § 3 Abs. 1 8. BayIfSMV genügt voraussichtlich den rechtsstaatlichen Anforderungen der Bestimmtheit (vgl. zu § 2 Abs. 1 4. BayIfSMV auch bereits BayVGH, B.v. 26.5.2020 – 20 NE 20.1065 – juris Rn. 28 ff.). Hiernach müssen die Bürger in zumutbarer Weise selbst feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen; die Gerichte müssen in der Lage sein, die normative Entscheidung zu konkretisieren (BayVerfGH, E.v. 29.4.1983 – Vf. 16-VII-80 – VerfGHE 36, 56/68). Sieht eine Rechtsverordnung – wie hier § 27 Nr. 1 8. BayIfSMV – die Ahndung von Verstößen als Ordnungswidrigkeit vor, muss die Bußgeldvorschrift hinreichend bestimmt sein (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG). Der grammatikalischen Auslegung bzw. Wortlautgrenze kommt in einem solchen Fall herausgehobene Bedeutung zu (vgl. BVerwG, U.v. 29.2.2012 – 9 C 8.11 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 17.2.2020 – 8 ZB 19.2200 – juris Rn. 14).
Die Beschränkung des gemeinsamen Aufenthalts „mit“ den Angehörigen des eigenen Hausstands sowie zusätzlich den Angehörigen eines weiteren Hausstands, solange dabei eine Gesamtzahl von insgesamt höchstens zehn Personen nicht überschritten wird, ist nach vorläufiger Einschätzung des Senats noch hinreichend bestimmt. Die Regelung zielt erkennbar darauf ab, „Ansammlungen“ (vgl. auch § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG) wegen des von dort ausgehenden hohen Infektionsrisikos weitestgehend zu vermeiden (vgl. auch OVG NW, B.v.19.5.2020 – 13 B 557/20.NE – juris Rn. 53 ff.; NdsOVG, B.v. 11.6.2020 – 13 MN 192/20 – juris Rn. 34 ff.; BT-Drs. 19/18111, S. 10 und 24). Ausgehend davon wird deutlich, dass für einen „gemeinsamen“ Aufenthalt jedenfalls nicht jede bloß zufällige gleichzeitige Anwesenheit mehrerer Personen genügt (vgl. auch Kießling, IfSG, 1. Aufl. 2020, § 28 Rn. 38). Aus dem Verordnungstext lässt sich – trotz eines gewissen Auslegungsspielraums – jedenfalls hinreichend ableiten, welche Verhaltensweisen nicht gestattet sind.
Auch der von der Antragstellerin infrage gestellte Geltungsbereich der Personenobergrenze in § 3 Abs. 1 Nr. 2 8. BayIfSMV (vgl. dazu auch Bericht aus der Kabinettsitzung vom 29.10.2020, S. 3, https://www.bayern.de/wp-content/uploads /2020/10/201029-ministerrat.pdf; Beschluss der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 28.10.2020, Nr. 3, https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/videokonferenz-der-bundeskanz-lerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-28-oktober-2020-1805248) erweist sich bei summarischer Prüfung nicht als unschlüssig. Dass die Kontaktbeschränkung zusätzlicher Ausnahmen bedürfte, ist im Hinblick auf die Zielsetzung des Verordnungsgebers, das Pandemiegeschehen in der Bevölkerung insgesamt zu verlangsamen und die Kontrolle über die Infektionswege wieder zu erlangen, ebenfalls nicht erkennbar; für die von der Antragstellerin angeführte Gruppe der Arbeitskollegen existiert ohnehin eine Ausnahmeregelung (§ 3 Abs. 3 8. BayIfSMV).
bb) Die landesweite Schließung von Freizeiteinrichtungen – hier Schwimmbädern – erweist sich angesichts der zuletzt stark angestiegenen Infektionszahlen voraussichtlich nicht als unverhältnismäßig, weil sie sich nicht – als milderes Mittel – auf Einrichtungen in Risikogebieten beschränkt oder einen Betrieb unter Hygieneauflagen oder Vorlage eines negativen Tests der Kunden beschränkt. Eine Differenzierung nach dem örtlichen Infektionsgeschehen ist im Hinblick auf die inzwischen diffuse, flächendeckende Ausbreitung von SARS-CoV-2 in ganz Bayern nicht mehr möglich (vgl. Bayer. Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Übersichtskarte zu Coronavirusinfektionen, Stand 5.11.2020, abrufbar unter https://www.lgl.bayern.de /gesundheit/infektionsschutz/infektionskrankheiten_a_z/coronavirus/karte_coronavirus/#landkreise). Dass Hygienemaßnahmen ein (annähernd) gleich geeignetes Mittel sein können, legt die Antragstellerin nicht konkret dar und ist in der gegenwärtig wieder verschärften Pandemielage, in der ein Großteil der Ausbrüche keinem bestimmten Infektionsumfeld zugeordnet werden kann (vgl. RKI, Lagebericht vom 3.11.2020, S. 13, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsbe-richte/Nov_2020/2020-11-03-de.pdf? blob=publicationFile; Epidemiologisches Bulletin 38/2020 vom 17.9.2020 S. 5, a.a.O.), zumindest für den Betrieb eines öffentlichen Schwimmbads nicht ohne Weiteres erkennbar. Die Durchführung von Coronatests als Voraussetzung eines Besuchs eines Schwimmbads erachtet der Senat schon im Hinblick auf die begrenzten Testkapazitäten, die gezielt vor allem zum Schutz besonders gefährdeter Risikogruppen eingesetzt werden sollen (vgl. RKI, Nationale Teststrategie – wer wird in Deutschland auf das Vorliegen einer SARS-CoV-2 Infektion getestet? [5.11.2020], https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Teststrategie/Nat-Teststrat.html), für kein gleich geeignetes Mittel.
3. Die Folgenabwägung ergibt, dass die Interessen der Gesamtbevölkerung am Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) die Interessen der Antragstellerin, sich mit Personen aus mehr als zwei Hausständen gemeinsam zu treffen und ein Schwimmbad zu besuchen (Art. 2 Abs. 1 GG), überwiegen.
Das pandemische Geschehen hat sich erheblich verstärkt. Nach dem Lagebericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 5. November 2020 (vgl. abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-05-de.pdf? blob=publicationFile) ist eine weitere Zunahme der Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Der Anteil der COVID-19-Fälle in der älteren Bevölkerung nimmt wieder zu. Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle ist in den vergangenen zwei Wochen von 1.030 Patienten am 22. Oktober 2020 auf 2.653 Patienten am 5. November 2020 angestiegen (vgl. RKI-Lagebericht vom 5.11.2020, S. 1).
In dieser Situation ergibt die Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Normen – im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten durch Ausweitung der Kontaktmöglichkeiten und Öffnung von Freizeiteinrichtungen – schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Handlungsfreiheit der Antragstellerin. Gegenüber den somit bestehenden Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG verpflichtet ist, müssen die Interessen der von den Kontaktbeschränkungen und der Schließung von Freizeiteinrichtungen – wie hier der Schwimmbäder – Betroffenen derzeit zurücktreten, zumal sowohl die Pflege einzelner Kontakte als auch die Ausübung von Individualsportarten grundsätzlich nicht beeinträchtigt wird (vgl. auch BVerfG, B.v. 15.7.2020 – 1 BvR 1630/20 – juris Rn. 25; BayVerfGH, E.v. 12.8.2020 – Vf.-34-VII-20 – juris Rn. 24 m.w.N.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von der Antragstellerin angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft tritt (§ 28 Satz 1 8. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht ist.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben