Medizinrecht

Schließung von Ladengeschäften aufgrund der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  20 NE 21.384

Datum:
9.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2696
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
11. BayIfSMV § 12 Abs. 1 S. 1
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14, § 32 S. 1
VwGO § 47 Abs. 6

 

Leitsatz

§ 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV steht mit der Ermächtigungsgrundlage der §§ 32 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 14, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in Einklang und erweist sich im Rahmen einer summarischen Prüfung weder als offensichtlich unverhältnismäßig noch als gleichheitswidrig. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller betreibt ein Brautmodengeschäft in Bayern. Mit seinem Antrag wendet er sich gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 15. Dezember 2020 (11. BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 737) in der Fassung vom 28. Januar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 75).
Er hält die angegriffene Norm für unverhältnismäßig, da sie nicht auf die spezifischen Infektionsrisiken und Hygienekonzepte der einzelnen Ladengeschäfte abstelle, sondern lediglich einzelne Branchen privilegiere, die zudem auch andere als notwendige Waren des täglichen Bedarfs anbieten dürften. Er arbeite nach einem strengen Hygienekonzept und bediene jeweils nur eine Kundin nach vorheriger Terminabsprache und mit negativem Corona-Test in seinem Geschäft. Außerdem liege gegenüber anderen in § 12 Abs. 1 Satz 2 genannten Ladengeschäften, in welchen nicht nur eine Notversorgung stattfinde und die Kundenanzahl nicht wirksam begrenzt sei, ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vor. Zudem seien Brautmodengeschäfte in anderen Bundesländern – etwa Berlin und Brandenburg – weiterhin zulässig. Der Betrieb des Antragstellers sei durch die Maßnahme schwer wirtschaftlich betroffen und in seiner Existenz gefährdet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV hat unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei summarischer Prüfung bereits keine durchgreifende Aussicht auf Erfolg (2.).
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.
Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ juris Rn. 12).
Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
2. Nach diesen Maßstäben ist der Eilantrag auf einstweilige Außervollzugsetzung der angegriffenen Bestimmungen abzulehnen, weil ein in der Hauptsache noch zu erhebender Normenkontrollantrag bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
a) Im Hinblick auf die Frage, ob die angegriffene Schließung von Ladengeschäften durch § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV auf einer ausreichenden gesetzlichen Verordnungsermächtigung beruht, insbesondere den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt und an das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG genügt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen auf den Beschluss des Senats vom 8. Dezember 2020 (20 NE 20.2461, BeckRS 2020, 34549 dort Rn. 22 ff.), wonach gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 28a IfSG jedenfalls im Rahmen des Eilrechtsschutzes keine durchgreifenden Bedenken bestehen.
b) Die vom Antragsteller angegriffene Bestimmung des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV steht mit der Ermächtigungsgrundlage der §§ 32 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 14, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in Einklang und erweist sich im Rahmen einer summarischen Prüfung weder als offensichtlich unverhältnismäßig noch als gleichheitswidrig.
Sowohl zum Zeitpunkt der Entscheidung, die Geltungsdauer der 11. BayIfSMV bis zum 14. Februar (§ 1 Nr. 4 der Verordnung zur Änderung der 11. BayIfSMV vom 28. Januar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 75)) nochmals zu verlängern, als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats sind die Voraussetzungen des § 28a Abs. 3 Satz 4, 5 und 10 IfSG zu bejahen. Nach dem Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 7. Februar 2021 (vgl. abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02-07-de.pdf? blob= publicationFile) ist weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Die hohen bundesweiten Fallzahlen werden verursacht durch zumeist diffuse Geschehen mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten, im beruflichen Umfeld sowie in Alten- und Pflegeheimen. Die Inzidenz in Bayern betrug am 7. Februar 2021 76 Fälle von Neuinfektionen innerhalb der letzten sieben Tage und lag damit im Bundesdurchschnitt. Wegen der Überschreitung des Schwellenwertes von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen sind nach §§ 28a Abs. 3 Satz 4 und 5, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen.
(1) Mit der 11. BayIfSMV wurde ab 16. Dezember 2020 das öffentliche Leben in Bayern insgesamt stark eingeschränkt. Nachdem noch unter Geltung der 10. BayIfSMV vom 8. Dezember 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 711) nur freizeitbezogene Aktivitäten weitgehend untersagt waren, sind mit der 11. BayIfSMV u.a. Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen sowie der Einzelhandel ganz überwiegend geschlossen, die Erbringung von Dienstleistungen nur noch eingeschränkt möglich und private Kontakte, insbesondere seit Inkrafttreten der Verordnung zur Änderung der 11. BayIfSMV (BayMBI. 2021 Nr. 5), stark beschränkt. Die Untersagung außerschulischer Bildungsangebote in Präsenzform nach § 20 Abs. 1 11. BayIfSMV ist ein Baustein dieses Gesamtkonzepts, mit dem soziale Kontakte reduziert und Infektionsketten verhindert bzw. durchbrochen werden sollen. Immer dann, wenn Menschen aufeinandertreffen, besteht das Risiko einer Ansteckung. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Verbreitung des besonders leicht im Wege der Tröpfcheninfektion und über Aerosole von Mensch zu Mensch übertragbaren SARS-CoV-2-Virus voraussichtlich nur durch eine strikte Minimierung der physischen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann (BT-Drs. 19/23944 S. 31).
Die Schließung von Betrieben des Einzelhandels erfolgt im Rahmen eines Gesamtkonzepts des Verordnungsgebers zur Infektionsbekämpfung, das soziale Kontakte reduzieren und so Infektionsketten verhindern bzw. durchbrechen soll. Immer dann, wenn Menschen aufeinandertreffen, besteht das Risiko einer Ansteckung, weshalb nicht unbedingt notwendige menschliche Begegnungen weitgehend unterbunden werden sollen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die exponentiell verlaufende Verbreitung des besonders leicht im Wege der Tröpfcheninfektion und über Aerosole von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus voraussichtlich nur durch eine strikte Minimierung der physischen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann (BT-Drs. 19/23944 S. 31). Vor diesem Hintergrund begegnet die Entscheidung des Verordnungsgebers, die Öffnung von Ladengeschäften und zugehöriger Abholdienste so weit einzuschränken, dass insgesamt physische Kontakte minimiert werden, keinen durchgreifenden Bedenken. Auf die Frage, ob es in dem Ladengeschäft des Antragstellers zu Infektionen mit dem Coronavirus gekommen ist, kommt es deshalb nach derzeitiger Rechtslage daher ebenso wenig an wie auf die Eignung möglicher – auch vom Antragsteller vorgetragener – Hygienekonzepte.
Gleichzeitig dürfte die Erwägung, andere Wirtschaftszweige von Schließungen auszunehmen, weil dies gesamtwirtschaftlich mit noch schwereren Folgen verbunden wäre, von § 28 Abs. 6 Satz 3 IfSG noch gedeckt sein, da der Gesetzgeber den Infektionsschutzbehörden bei bereichsspezifischen Differenzierungen in einem Gesamtkonzept einen Gestaltungsspielraum eingeräumt hat (vgl. BT-Drs. 19/24334 S. 82). Insbesondere sieht die Ermächtigungsgrundlage des § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG entsprechende Differenzierungen im Bereich der Betriebsschließungen vor. Auf eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann sich der Antragsteller daher nicht berufen.
(2) Die grundsätzliche Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr ist zur Erreichung der Ziele des Schutzkonzepts der 11. BayIfSMV geeignet und erforderlich. Bei summarischer Beurteilung zeigt sich kein gleich wirksames, die Normbetroffenen weniger belastendes (milderes) Mittel. Zwar können auch Hygienekonzepte zu einer Reduzierung von Infektionen beitragen. In der gegenwärtigen Phase der Pandemie, die nach wie vor von einem starken, diffusen Ausbruchsgeschehen geprägt ist, ist die Prognose des Verordnungsgebers, dass vordringlich auf Einhaltung von Abstand und Hygiene ausgerichtete Maßnahmen nicht mehr genügen, sondern dass Kontakte innerhalb der Bevölkerung soweit wie möglich unterbunden werden müssen, um das Infektionsgeschehen einzudämmen (vgl. BayMBl. 2021 Nr. 6, S. 3), vom Gericht voraussichtlich nicht zu beanstanden.
(3) Auch gegen die Angemessenheit der Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr bestehen derzeit keine durchgreifenden Bedenken. Dabei verkennt der Senat nicht, dass dies faktisch zu einer weitgehenden Schließung jedenfalls solcher Ladengeschäfte führt, die ihre Waren nicht im Versandhandel und durch Bestell- und Abholsysteme i.S.d. § 12 Abs. 1 Satz 6 11. BayIfSMV anbieten können und bei diesen schwerwiegende wirtschaftliche Einbußen verursacht. Angesichts des weiterhin angespannten Infektionsgeschehens und der aktuellen Gefährdungslage (vgl. Robert-Koch-Institut, Risikobewertung zu COVID-19, Stand 3. Februar 2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/Inf-AZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) stehen diese wirtschaftlichen Folgen aber nicht außer Verhältnis zu Gewicht und Dringlichkeit der die Maßnahmen rechtfertigenden Gründe.
(4) Selbst wenn Brautmodengeschäfte in anderen Bundesländern unter Hygieneauflagen weiterhin zugelassen sein sollte, könnte der Antragsteller keinen Anspruch auf Gleichbehandlung herleiten; ein solcher kann sich nur gegen den nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt richten (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. – BVerfGE 76,1 – juris Rn. 151; BVerwG, B.v. 26.1.2016 – 2 B 17.15 – Buchholz 239.1 § 38 BeamtVG Nr. 4 – juris Rn. 13). Dass der bayerische Verordnungsgeber das ihm durch §§ 32 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 14, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eingeräumte Ermessen in einer von den Regelungen anderer Länder abweichenden Weise ausüben kann, liegt in der Natur einer vom Bundesgesetzgeber ausdrücklich auf die Länder delegierten Normsetzungskompetenz.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von der Antragstellerin angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 14. Februar 2021 außer Kraft tritt (§ 29 Abs. 1 11. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht ist.


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